Die juristische Presseschau vom 2. Oktober 2019: Cookie-Urteil des EuGH / Kameras im Gericht? / Lebens­lang für "Rocker"

02.10.2019

Der EuGH urteilt, wie dem Setzen von Cookies zugestimmt werden muss. Außerdem: Neuer Versuch für Aufnahmen von Strafverfahren und nach fünf Jahren Verfahrensdauer verurteilt das LG Berlin "Rocker" zu lebenslangen Freiheitsstrafen.

Thema des Tages

EuGH zu Cookies: Die Zustimmung zur Datenerhebung mittels sogenannter Cookies muss aktiv erfolgen. Automatisch ausgefüllte Einwilligungen auf Webseiten sind hingegen nicht zulässig. Dies entschied der Europäische Gerichtshof. Das von "Planet49", einem Anbieter von Online-Glücksspielen, verwendete Muster, bei dem in einem entsprechenden Kästchen bereits ein Häkchen gesetzt war, verstößt damit gegen EU-Recht. Berichte zur Entscheidung finden sich in FAZ (Hendrik Wieduwilt), SZ (Max Muth), taz (Christian Rath), netzpolitk.org (Alexander Fanta) und tagesschau.de (Kerstin Anabah). lto.de behandelt auch die möglichen Konsequenzen für Webseitenbetreiber. Die rechtlichen Probleme beleuchtet Rechtsanwalt Reemt Matthiesen in einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch.

Nach Ansicht von Catrin Bialek (Hbl) ist das Urteil "ein Schritt in die richtige Richtung auf dem Weg zu mehr Datentransparenz und Datensouveränität". Hendrik Wieduwilt (FAZ) sieht dagegen – wie grundsätzlich beim Datenschutz – vor allem "das Prinzip" gesichert. Während Verbraucher künftig "noch mehr klicken" müssten, würden sich Unternehmen "statt neuer Geschäftsmodelle rechtskonforme Klick-Banner ausdenken".

Rechtspolitik

Dokumentation von Hauptverhandlungen: In der vergangenen Woche beantragte die Grünen-Bundestagsfraktionen, erstinstanzliche Hauptverhandlungen in Strafverfahren vor Land- und Oberlandesgerichten verpflichtend bereits ab dem Jahr 2021 mittels Tonaufzeichnungen zu dokumentieren. Zwei Jahre später sollten diese Aufnahmen durch eine Videodokumentation ersetzt werden, schreibt lto.de (Annelie Kaufmann) in einem vertieften Beitrag, der Befürworter und Kritiker derartiger Aufnahmen zu Wort kommen lässt. Die derzeitigen Koalitionspläne für eine Modernisierung des Strafverfahrens sparten diesbezügliche Regelungen aus.

Justizneutralitätsgesetz NRW: Vor der für den heutigen Mittwoch geplanten Expertenanhörung im Rechtsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags üben mehrere Juristen in schriftlichen Stellungnahmen Kritik an dem im Land geplanten Justizneutralitätsgesetz. Das Gesetz wolle dem gesamten Justizpersonal bei öffentlichen Terminen das Tragen religiös geprägter Kleidung und Symbole untersagen, schreibt lto.de.

Medienstaatsvertrag: In einem Gastbeitrag für den Forschung-und-Lehre-Teil der FAZ plädiert Bundestagsmitglied Ansgar Heveling (CDU) dafür, beim bevorstehenden Medienstaatsvertrag auch die sogenannten Intermediäre in die Verantwortung zu nehmen. Online-Plattformen, die "aus den unendlichen Weiten des Netzes journalistische Angebote" für ihre Nutzer zusammenstellen, müssten angesichts ihres "erheblichen Einflusses auf die Meinungsbildung in Deutschland" dazu gebracht werden, ihre Angebote transparent zu unterbreiten und journalistisch-redaktionelle Angebote prinzipiell gleichzubehandeln.

Polizeikosten: SZ (Ralf Wiegand) und taz-Nord (Marco Carini) berichten zu den Versuchen des Bremer Innensenators Ulrich Mäurer (SPD), andere Bundesländer dafür zu gewinnen, sich der in der Freien Hansestadt nun praktizierten Kostenbeteiligung von Profifußball-Klubs für Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen anzuschließen. So solle im Verbund mit Rheinland-Pfalz bis zum Dezember eine "Mustergebührenordnung" als Vorbild einer bundeseinheitlichen Regelung vorgestellt werden.

In einem separaten Kommentar stellt Marco Carini (taz-Nord) den Sinn des Vorhabens in Frage. Oft genug stritten sich betroffene Vereine mit Polizeileitungen über Art und Umfang von Einsätzen bei Spielen. Es sei "nicht begründbar", sie dennoch an den durch die Einsätze entstandenen Kosten zu beteiligen. Anscheinend wolle sich der Innensenator mit dem Thema "unbedingt ein Denkmal setzen".

Justiz

EuGH zu Glyphosat-Zulassung: Die europäische Pflanzenschutzmittelverordnung und das darin festgelegte Verfahren für die Zulassung auch von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln trägt dem Vorsorgeprinzip ausreichend Rechnung. Dies entschied der Europäische Gerichtshof in einem von lto.de berichteten Fall, der seinen Ausgangspunkt in einer Verurteilung französischer Aktivisten hatte.

EuGH – Nord Stream 2: Vor dem Europäischen Gerichtshof streitet die Betreibergesellschaft des umstrittenen Pipeline-Projekts Nord Stream 2 gegen Regulierungsmaßnahmen nach der EU-Gasrichtlinie. In der vergangenen Woche wurde zudem ein Schiedsverfahren in der Angelegenheit eingeleitet. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Simon Eichberger stellt auf voelkerrechtsblog.org (in englischer Sprache) die Verfahren und rechtliche Probleme vor.

BVerfG – § 217 StGB: Beim Bundesverfassungsgericht stehen Verfassungsbeschwerden wegen des Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vor der Entscheidung. In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch bringen die Psychiater Martin Teising und Reinhard Lindner ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass das Gericht erkennen möge, dass "die generelle Freigabe der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung" nicht nur tatsächlich "kurz vor dem unabwendbaren Ende" Stehende betreffen würde, sondern auch Menschen, "die nicht sterbenskrank sind, sich aber als ökonomische Belastung für ihre Angehörigen und die Gesellschaft erleben".

BVerfG – Hartz-IV-Sanktionen: Das Bundesverfassungsgericht hat bekanntgegeben, sein Urteil zur Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen gegen unkooperative Hartz-IV-Bezieher am 5. November verkünden zu wollen. Dies berichtet die FAZ (Marcus Jung).

BGH zu "Mitleidsspritze": lto.de (Maximilian Amos) macht auf ein "weitgehend unbeachtetes", erst kürzlich veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtshofs vom Januar aufmerksam, das grundsätzliche Fragen im Umgang mit schwerkranken und sterbenden Patienten behandelte. Der 2. Strafsenat hob die Verurteilung einer Pflegerin auf, die einem Sterbenden gegen ärztliche Anordnung und den zuletzt geäußerten Willen eine erhöhte Schmerzmittelration verabreichte und deswegen wegen Körperverletzung verurteilt wurde. Hierbei sei nicht hinreichend geprüft worden, ob die Schmerzmittelgabe ausnahmsweise "als vernünftig und deshalb dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprechend anzusehen sei", so der BGH.

LVerfG SH – Fracking: Die taz-Nord (Esther Geisslinger) berichtet zu dem beim Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein anhängigen Verfahren über die Zulässigkeit einer Volksinitiative, die das sogenannte Fracking landesweit verbieten lassen will. Die Landesregierung gehe davon aus, dass die Gesetzgebungskompetenz hierfür beim Bund liege. Mit einer Entscheidung sei im Dezember zu rechnen.

OLG Braunschweig – Musterfeststellungsklage VW: Thema des dieswöchigen SWR RadioReportRecht (Klaus Hempel) ist die am vergangenen Montag am Oberlandesgericht Braunschweig begonnene Verhandlung einer Musterfeststellungsklage gegen VW. Das ungewöhnliche Verfahren wird auch in der Zeit (Marcus Rohwetter) beschrieben.

LAG Hamm zu "Sugar Daddy": Einer angeblichen Haushalthilfe muss ein Unternehmer nach einem nun veröffentlichten Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm von Anfang Juni ein qualifiziertes Arbeitszeugnis erteilen und eine Urlaubsabgeltung zahlen. Die Parteien hatten offenbar pro forma einen Arbeitsvertrag über hauswirtschaftliche Dienstleistungen, hierdurch aber den eigentlichen Zweck der Abrede – sexuelle Dienstleistungen gegen ein monatliches Festgehalt – verdecken wollen. Über den ungewöhnlichen Fall berichtet lto.de.

LG Berlin zu "Rocker"-Überfall: Nach fünf Jahren Verhandlungsdauer verurteilte das Landgericht Berlin am 300. Verhandlungstag acht von zehn Angeklagten zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Die aus der Rocker-Szene stammenden Angeklagten haben nach den Erkenntnissen des Gerichts im im Januar 2014 im Auftrag ihres Bandenchefs eine verfeindete Unterwelt-Größe in einem Wettlokal erschossen. Zur Aufklärung habe die Aussage eines Angeklagten beigetragen. Dies sei mit einer auf zwölf Jahre reduzierten Strafe honoriert worden. SZ (Verena Mayer) und spiegel.de (Wiebke Ramm) berichten.

LG Berlin zu "Gustav-Stresemann-Stiftung": Die Nutzung des Namens des langjährigen Außenministers der Weimarer Republik, Gustav Stresemann, für politische Zwecke stellt einen Verstoß gegen das Namensrecht dar, der eine "Zuordnungsverwirrung" schaffe. Dies entschied das Landgericht Berlin auf Klage zweier Enkel Stresemanns, die sich dagegen wehrten, dass eine AfD-nahe-Stiftung den Namen ihres Großvaters benutzen wollte. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet.

LG Bonn – Cum-Ex: Das Strafverfahren zu mutmaßlichen Cum-Ex-Steuerbetrügereien wurde am Landgericht Bonn mit der ersten Zeugenvernehmung fortgesetzt. Über die Aussage des vorwiegend in Dubai tätigen Traders berichtet die SZ (Nils Wischmeyer).

StA Berlin – Arafat Abou-Chaker: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat mehrere Mitglieder des vermeintlichen Abou-Chaker-Clans angeklagt. Dem wegen seiner Beziehung zum Musiker Bushido bekannt gewordenen Arafat Abou-Chaker werde etwa versuchte räuberische Erpressung und Freiheitsberaubung vorgeworfen, berichtet spiegel.de (Thomas Heise u.a.).

Recht in der Welt

Israel – Benjamin Netanjahu: Der noch amtierende israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu muss sich einer Anhörung beim Generalstaatsanwalt des Landes stellen. Thema seien die zahlreichen Korruptionsskandale des Politikers, der einer möglichen Anklage noch immer durch eine Immunitätsneuregelung entgehen könnte, schreibt die taz (Susanne Knaul). Hiervon müsste Netanjahu aber auch mögliche Koalitionspartner überzeugen. Für Judith Poppe (taz) sieht es so "aus, als könnte die Integrität des israelischen Justizsystems und der Öffentlichkeit vorerst einen Sieg verzeichnen".

Sonstiges

V-Männer: Der zweite Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss hat in seinem jetzt vorgestellten Abschlussbericht ausdrücklich eine staatliche Mitschuld an den Taten der terroristischen Zelle festgestellt. Dies nehmen Stefan Aust und Dirk Laabs (Welt) zum Anlass, das von Geheimdiensten nach wie vor praktizierte V-Männer-System nachdrücklich zu kritisieren. Obgleich auch Taten wie die Ermordung Walter Lübckes das Gegenteil bewiesen hätten, sei man bei den Sicherheitsbehörden "noch immer überzeugt, dass das V-Personen-System funktioniert". Zu einer transparenten Aufklärung von Versäumnissen sei man nicht bereit und verschanze sich so gern hinter einem vermeintlichen notwendigen Geheimnisschutz.

Hans-Georg Maaßen: Das neue Tätigkeitsfeld des früheren Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz und künftigen Of-Counsel bei der Kanzlei Höcker, Hans-Georg Maaßen, wird nun auch von lto.de (Tanja Podolski) ausführlich vorgestellt. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet ebenfalls zur beruflichen Neuorientierung des Juristen.

Das Letzte zum Schluss

Deutliche Worte: Wenig angetan zeigte sich ein Kölner Richter vom Ausbleiben des Betroffenen in einer Bußgeldsache. Nach Bericht von bild.de kommentierte der Richter den Vorschlag der Verteidigung, doch ohne den angeblichen Raser – seines Zeichens Fußballprofi in der 2. Liga und Mitglied der deutschen U 21-Nationalmannschaft – zu verhandeln, mit den Worten: "Wenn dieser Pisser nicht mal kommt, diese Pissnelke!"

 

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Am Freitag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. Oktober 2019: Cookie-Urteil des EuGH / Kameras im Gericht? / Lebenslang für "Rocker" . In: Legal Tribune Online, 02.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37955/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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