Die juristische Presseschau vom 2. Oktober 2018: Pech­stein und der EGMR / Boli­vien weiter ohne Meer / Gesun­genes Grund­ge­setz

02.10.2018

Straßburg muss über den Sportgerichtshof CAS entscheiden. Außerdem in der Presseschau: Der IGH gibt Bolivien keinen Hebel, Zugang zum Meer zu erzwingen. Eine Polin lässt am Brandenburger Tor das Grundgesetz singen.

Thema des Tages

EGMR  Pechstein/CAS: Am heutigen Dienstag wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über eine Beschwerde der deutschen Eisschnellläuferin Claudia Pechstein gegen die Schweiz entscheiden. Pechstein moniert, dass das Schweizer Bundesgericht eine Entscheidung des in der Schweiz ansässigen Sportgerichtshofs CAS aus dem Jahr 2009 nicht beanstandet hat. Pechstein hatte beim CAS gegen eine zweijährige Dopingsperre geklagt. Vor dem EGMR geht es vor allem um die Frage, ob der CAS ein wirklich unabhängiges Schiedsgericht ist. In einem zweiten Fall wird der EGMR parallel über eine ähnliche Beschwerde des rumänischen Ex-Profifußballers Adrian Mutu entscheiden. Vorab berichteten lto.de und spiegel.de.

Michael Reinsch (FAZ) hält die Kritik am CAS für gerechtfertigt: "Geführt von einem Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), finanziert von Organisationen des Sports und lange mit einer handverlesenen Gruppe von Richtern besetzt, schien der CAS eher den Interessen der Verbände zugeneigt als denen der Athleten. Längst ist klar, dass sie nicht im selben Boot sitzen; Verbände agieren als Veranstalter, Arbeitgeber, Monopolisten."

Rechtspolitik

Wirtschaftsrecht: In einem FAZ-Gastbeitrag kritisiert Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), die vorherrschende Wirtschaftspolitik, die den unternehmerischen Freiraum gefährde. Als Beispiele nennt sie die Einführung der Musterfeststellungsklage, die geplanten neuen Regeln für Unternehmenssanktionen, die neue EU-Datenschutzgrundverordnung und das diskutierte neue Wettbewerbsrecht für digitale Plattformen.

Immobilienkauf: Die Welt (Michael Fabricius) berichtet über einen Gesetzentwurf der Grünen-Bundestagsfraktion, die beim Immobilienkauf in § 653a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) das Bestellerprinzip einführen will. Der Makler wäre demnach von der Seite zu bezahlen, die ihn bestellt hat. Die Grünen-Fraktion kommt damit einem geplanten ähnlichen Gesetzentwurf von Justizministerin Barley (SPD) zuvor.

Abmahnungen: Die von Unternehmen und Verbänden getragene Wettbewerbszentrale kritisiert den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Eindämmung des Abmahnmissbrauchs, meldet die FAZ. Der Gesetzentwurf enthalte zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe.

Asylrecht: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Björnstjern Baade schlägt auf verfassungsblog.de vor, die rechtlichen Anforderungen an Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu verschärfen, um ihnen mehr Legitimität und Richtigkeitsgewähr zu verschaffen. Die Berichte sollten veröffentlicht werden und in der Regel Quellen angeben. Ein wissenschaftlicher Beirat solle geschaffen und eine wissenschaftliche Methodik der Lageberichtserstellung verfasst werden. Österreich könne hier Vorbild sein.

Drittes Geschlecht: lto.de (Hasso Suliak) berichtet über eine Tagung der Grünen-Bundestagsfraktion zur Eintragung eines Dritten Geschlechts im Personenstandsregister. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde kritisiert, weil er eine ärztliche Begutachtung fordert und weil der geplante Eintrag "divers" nur intersexuellen Menschen offen stehen soll. Ein Änderungsantrag der Länder Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg soll am Dienstag im Familienausschuss des Bundesrats behandelt werden.

Justiz

GBA  "Revolution Chemnitz": Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen sieben Personen wegen Gründung der rechtsterroristischen Vereinigung "Revolution Chemnitz". Die Beschuldigten wurden verhaftet, ihre Wohnungen durchsucht. Die Vereinigung soll erst seit wenigen Wochen bestehen. Es berichten u.a. FAZ (Stefan Locke), taz (Sabine am Orde/Konrad Litschko), deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) und tagesschau.de (Klaus Hempel).

BGH zu Unterlassungsanspruch gegen Medien: Wenn Medien bestimmte Äußerungen nicht mehr verbreiten dürfen, reicht es aus, dass diese die Äußerung von ihrer Internetseite bzw. aus ihrer Mediathek entfernen und auf gängigen Suchmaschinen löschen lassen. Sie müssen nicht verhindern, dass der Inhalt von Dritten bei Youtube oder ähnlichen Plattformen verbreitet wird. Das entschied jetzt laut lto.de der Bundesgerichtshof auf Klage des NDR.

BAG zu Einmalzahlungen: Wer im Arbeitsjahr überwiegend krankgeschrieben war, hat keinen vollen Anspruch auf eine tarifvertraglich ausgehandelte Einmalzahlung, so laut lto.de das Bundesarbeitsgericht. Grund: Die Einmalzahlung habe Entgeltcharakter.

OLG Frankfurt/M. zu "wrongful life": Wenn die fehlerhafte ärztliche Schwangerschaftsbetreuung kausal ist für die Geburt eines Kindes mit Trisomie 18, das sonst abgetrieben worden wäre, haben die Eltern gegen die Ärzte auch Anspruch auf Zwischenfinanzierungskosten für den behindertengerechten Neubau eines Hauses, entschied laut spiegel.de das Oberlandesgericht Frankfurt/Main bereits im August. Ohne das behinderte Kind hätte die Familie auch bei Geburt eines zweiten Kindes in der bisherigen Eigentumswohnung verbleiben können.*

OLG Köln zu Namensrechten der AfD: Thomas Stadler (internetlaw.de) kritisiert eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln aus der vergangenen Woche. Dort war es einem Blogger untersagt worden, die AfD auf der von ihm gebuchten Domain "wir-sind-afd.de" zu kritisieren. Es seien keine Interessen der AfD ersichtlich, so Stadler, nicht unter einer Domain wie "wir-sind-afd.de“ kritisiert zu werden. Außerdem habe im politischen Meinungskampf die Meinungsfreiheit besonders hohes Gewicht. 

EuGH zu Flüchtlingseigenschaft: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Nula Frei analysiert auf verfassungsblog.de eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von Mitte September. Für die Verweigerung von subsidiärem Schutz wegen Begehung einer Straftat dürfe nicht allein auf das Strafmaß abgestellt werden. Es sei vielmehr eine "umfassende Einzelfallprüfung" erforderlich. Damit erweitere der EuGH seine Rechtsprechung, die bisher für Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention galt, auf subsidiär Geschützte, und tendiere damit zu einem "erweiterten europäischen Flüchtlingsbegriff".

StA Kleve  tödlicher Polizeifehler: Die Staatsanwaltschaft Kleve hat gegen mehrere Mitarbeiter der Kreispolizeibehörde Kleve Ermittlungsverfahren wegen Freiheitsberaubung eingeleitet, berichtet spiegel.de. Ein Syrer, der sich Mitte September in seiner Zelle schwerste Verbrennungen zuzog und nun verstarb, wurde zwei Monate lang zu Unrecht inhaftiert, weil in Hamburg ein polizeilich gesuchter Mann aus Mali den Namen des Syrers als Alias-Namen benutzt hatte. Der Polizei wird vorgeworfen, sie habe die Identität nur zögerlich aufgeklärt.

Arbeitsgericht Stuttgart digitalisiert: Das Arbeitsgericht Stuttgart hat als erstes deutsches Gericht vollkommen auf elektronische Aktenführung umgestellt, berichtet lto.de.

Recht in der Welt

IGH  Bolivien/Chile: Der Internationale Gerichtshof lehnte einen Anspruch Boliviens ab, dem zufolge Chile mit Bolivien über einen Zugang zur chilenischen Küste verhandeln müsse. Begründung laut FAZ (Tjerk Brühwiller): "Chile könne nicht durch ein Gerichtsurteil zu Verhandlungen über sein Territorium verpflichtet werden. Die Verhandlungen müssten ein erreichbares Ziel verfolgen, was bei der Forderung Boliviens nach einem souveränen Meerzugang nicht möglich sei." Es berichtet auch zeit.de.

Griechenland  NGO/Schleuser: spiegel.de (Giorgos Christides) schildert die griechischen Ermittlungen gegen rund 30 Mitglieder von Flüchtlings-Hilfsorganisationen. die teilweise bereits inhaftiert sind. Beweismittel sind Whatsapp-Nachrichten mit Koordinaten ankommender Boote, die auf beschlagnahmten Telefonen sichergestellt wurden. Die Helfer betonten jedoch, sie hätten die Koordinaten nicht von Schleusern erhalten.

Freihandelsverträge: Winand von Petersdorff (FAZ) nimmt den Abschluss des Vertrags USMCA zwischen den USA, Mexiko und Kanada zum Anlass, um den Charakter angeblicher Freihandelsverträge in Frage zu stellen: "Wieso braucht Freihandel ein Abkommen? Ein Blick in derartige Verträge zeigt, dass die niedergelegten Regeln wirtschaftliche Aktivitäten nicht selten limitieren, statt sie zu beflügeln."

Sonstiges

Gesungenes Grundgesetz: Die polnische Regisseurin Marta Górnicka will in einer Performance am Brandenburger Tor mit einem Chor und zwei Fanfarenzügen das Grundgesetz aufführen. Im Interview mit der Welt (Hannah Lühman) erklärt sie: "Auch in Deutschland erleben wir jetzt den Kampf zweier verschiedener Vorstellungen von Gemeinschaft: auf der einen Seite die einer homogenen Gemeinschaft, auf der anderen die einer diversen, offenen Gesellschaft." Das Grundgesetz stehe im Zentrum dieses Konflikts.

Grundgesetz und deutsche Einheit: Heribert Prantl (SZ) kritisiert im Leitartikel zum Tag der deutschen Einheit, dass in der Präambel des Grundgesetzes behauptet werde, die Einheit Deutschlands sei "vollendet". Dies sei eine "schriftliche Lüge". Er kritisiert erneut, dass es nach 1990 keine neue deutsche Verfassung nach Artikel 146 Grundgesetz gegeben hat.

US-Sanktionen und EU-Reaktion: Die Anwälte Lothar Harings und Hartmut Henninger schildern in der FAZ das Dilemma deutscher Firmen, die mit dem Iran Handel treiben. "Den Unternehmen in der EU ist es somit einerseits nach amerikanischem Recht verboten, Geschäfte mit Iran zu tätigen, und andererseits ist es ihnen nach EU-Recht untersagt, dem amerikanischen Verbot Folge zu leisten." Die Anwälte empfehlen, "frei" zu entscheiden, dass man mit dem Iran keine Geschäfte mehr machen will.

Transparenzregister: Der Notar Heribert Hekschen zieht auf lto.de nach einjähriger Geltung des Transparenzregisters, das den wirtschaftlich Berechtigten eines Unternehmens benennen soll, eine skeptische Bilanz: Die Vorgaben hätten erheblichen bürokratischen Aufwand ausgelöst, die offenen Fragen seien kaum zu überblicken und der praktische Nutzen im Kampf gegen Geldwäsche bleibe eher eingeschränkt.

Anwalt Erich Frey: spiegel.de (Nathalie Boegel) stellt den Anwalt Erich Frey vor, der im Berlin der 1920er-Jahre ein bekannter und erfolgreicher Anwalt und Lebemann war. Beispielsweise habe er die Nackttänzerin Lola Bach vor einer härteren Strafe bewahrt, indem er das Gericht zu einem Ortstermin überredete.

Das Letzte zum Schluss

U-Haft-Verlängerung: lawblog.de (Udo Vetter) schildert einen für ihn verblüffenden Vorgang aus Bremen.  Ein Mandant sollte aus der U-Haft entlassen werden, bat jedoch um eine weitere Nacht im Gefängnis und kannte sogar eine passende Norm: § 10 des Bremer Untersuchungshaftgesetzes. Danach kann ein Gefangener "aus fürsorgerischen Gründen" bis zum übernächsten Tag in der Haftanstalt bleiben, wenn er dies wünscht.Die beteiligten Richter und Anwälte kannten die Norm nicht. Da es sie aber gab, wurde dem Wunsch des Beschuldigten stattgegeben.

*Am Erscheinungstag korrigiert.

 

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Am Donnerstag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. Oktober 2018: Pechstein und der EGMR / Bolivien weiter ohne Meer / Gesungenes Grundgesetz . In: Legal Tribune Online, 02.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31261/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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