Die juristische Presseschau vom 2. Juli 2020: Höhere Strafen für Kin­des­miss­brauch? / Ines Härtel ans BVerfG / Kos­ten­tra­gung für Schön­heits­re­pa­ra­turen?

02.07.2020

Justizministerin Lambrecht plant eine deutliche Verschärfung der Strafen für sexuellen Missbrauch. Die Rechtsprofessorin Ines Härtel wird neue Richterin am BVerfG. Der BGH verhandelte zur Kostentragung für Schönheitsreparaturen. 

Thema des Tages

Kindesmissbrauch: Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) plant eine erhebliche Anhebung der Mindeststrafen bei sexuellem Missbrauch von Kindern und beim Besitz von Missbrauchsdarstellungen. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder solle "ohne Wenn und Aber ein Verbrechen sein". Sie möchte den Begriff "sexueller Missbrauch von Kindern" durch "sexualisierte Gewalt gegen Kinder" ersetzen. Der Strafrahmen für "sexualisierte Gewalt gegen Kinder" soll auf ein Jahr bis 15 Jahre Freiheitsstrafe erhöht werden. Auch der Besitz von Missbrauchsdarstellungen soll künftig stets ein Verbrechen sein. Schließlich soll in Fällen "schwerer sexualisierter Gewalt gegen Kinder" der Täter künftig regelmäßig in Untersuchungshaft kommen. Eine eindeutige Flucht- oder Verdunkelungsgefahr soll nicht mehr notwendig sein. Um präventiv gegen Kindesmissbrauch vorzugehen, sollen Familienrichter über belegbare Kenntnisse im Familienrecht und über psychologische und pädagogische Grundkenntnisse verfügen. Die Anhörung von Kindern unter 14 Jahren soll im Gesetz festgeschrieben werden. Es berichten die FAZ (Helene Bubrowski), die taz (Christian Rath) und spiegel.de. Im Bericht von lto.de (Hasso Suliak/Manuel Göken) kommen auch kritische Stimmen von Strafrechtsprofessoren zu Wort. bild.de (Ralf Schuler) erwähnt weitergehende Forderungen aus der CDU/CSU-Fraktion. Unter anderem solle auch bei Kinderpornographie die Untersuchungshaft erleichtert werden.

Reinhard Müller (FAZ) weist auf das geringe Entdeckungsrisiko der Täter hin. Wer nicht fürchten muss, erwischt zu werden, der werde auch nicht abgeschreckt. Man müsse über die Vorratsdatenspeicherung neu nachdenken, um "Licht in den finstersten Teil des Netzes zu bringen". Matthias Drobinski (SZ) meint, noch nötiger als die Strafandrohung wäre ein Schutzkonzept. Es brauche eine neue Kultur des Hinsehens, mehr Zusammenarbeit von Ämtern, Polizei und Justiz sowie den Mut, ein Kind bei Gefahr aus der Familie zu nehmen. Christian Rath (rnd.de) meint, Lambrechts Paket sei Symbolpolitik. Mit härteren Mindeststrafen sei sicher kein besserer Schutz vor sexuellem Missbrauch verbunden. Die Vorschläge könnten kontraproduktiv sein, weil es im Gesetz für leichtere Fälle keine angemessene Strafdrohung mehr gebe.

Rechtspolitik

Neue BVerfG-Richterin Härtel: Die SPD-Ministerpräsidenten haben sich nach monatelangen Verhandlungen auf die Rechtsprofessorin Ines Härtel als Nachfolgerin für den Verfassungsrichter Johannes Masing geeinigt. Sie ist eine Überraschungskandidatin, erfüllt jedoch zwei zuletzt wesentliche Kriterien der Suche: Sie kommt aus Ostdeutschland und ist Expertin für Digitalisierungsfragen. Die Wahl im Bundesrat soll an diesem Freitag stattfinden. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), lto.de (Christian Rath), rsw.beck.de (Joachim Jahn) und ausführlich zeit.de (Anne Hähnig u.a.)

Gutachtenverfahren für das BVerfG: Der CSU-Politiker Winfried Bausback plädiert in der FAZ für Änderungen am Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), um ein Gutachtenverfahren einzuführen. Bundesregierung und Bundesrat sollten gemeinsam die Möglichkeit bekommen, in Ausnahmesituationen wie der Corona-Pandemie Schwerpunktfragen frühzeitig und proaktiv durch das BVerfG klären zu lassen. Dies könne einen Beitrag zum Rechtsfrieden und zur gesellschaftlichen Stabilität leisten. 

StVO: spiegel.de (Gerald Traufetter) berichtet über die Initiative von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), die erst Ende April in Kraft getretene Reform der Straßenverkehrsordnung nun wieder abzumildern. Scheuer kritisiert die neuen Regeln, die ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 21 km/h innerorts und 26 km/h außerorts einen Monat Führerscheinentzug vorsehen. Es bestünden "gravierende rechtliche Bedenken". Es gelte "mit Blick auf das Grundgesetz rechtlichen Risiken vorzubeugen". Nach Einschätzung des ADAC, über die die FAZ (Constantin van Lijnden) schreibt, fehlt in der Präambel der jüngsten Reform der Verweis auf denjenigen Teil der Verordnungsermächtigung, der die Änderung der Schwellenwerte für Fahrverbote erlaubt. Die Reform könnte demnach wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot unwirksam sein. 

Frauenquote: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich für eine Ausweitung der Frauenquote in Dax-Unternehmen ausgesprochen. Offen blieb bislang, ob Merkel eine feste gesetzliche Quote für Unternehmensvorstände befürwortet, wie sie Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) vorgeschlagen hatte. Dies melden SZ und FAZ (Dietrich Creutzfeldt)

Insolvenzrecht: Plänen des Justizministeriums zufolge sollen sich überschuldete Unternehmen und Verbraucher künftig schneller aus der Insolvenz befreien können. Dazu soll das Restschuldbefreiungsverfahren von bislang sechs Jahren auf drei Jahre verkürzt werden. Die Regelung soll für alle Insolvenzverfahren gelten, die ab dem 1. Oktober 2020 beantragt werden, wie die FAZ (Corinna Budras) berichtet. 

Justiz

BGH – Schönheitsreparaturen: Der Bundesgerichtshof verhandelte über die Frage, wer die Instandhaltung zahlt, wenn eine Wohnung unrenoviert vermietet wurde. 2015 hatte der BGH entschieden, dass Mieter, die eine unrenovierte Wohnung beziehen, diese nicht auf eigene Kosten renovieren müssen. Nun tendiert das Gericht dazu, dass der Mieter im Falle einer wesentlichen Verschlechterung der Wohnung nach vielen Jahren der Nutzung den Vermieter zum Renovieren verpflichten könne, sich aber an den Kosten beteiligen müsse. Dies berichten SZ (Wolfgang Janisch) und lto.de. Das Urteil wird am 8. Juli verkündet.

BVerfG zu generischem Maskulinum: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde einer Frau nicht angenommen, die sich dagegen wehrte, dass manche Banken in ihren Formularen bislang auf ausdrückliche weibliche Personenbezeichnungen verzichten. Die Beschwerde sei unzureichend begründet, so das Gericht, ohne über die rechtliche Frage zu entscheiden. Es berichten die FAZ (Corinna Budras), der Tsp (Jost Müller-Neuhof) und lto.de

BVerfG zu Suizidhilfe: Nun berichtet auch die FAZ (Marlene Grunert) über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem dieses Vorlagen des Verwaltungsgerichts Köln zum Betäubungsmittel Natriumpentobarbital als unzulässig abgewiesen hat. 

BVerfG zu EZB-Anleihekauf: Als Kritik am EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai plädieren elf Rechtsprofessoren in der FAZ dafür, bei der Auseinandersetzung um europarechtliche Fragen am Europarecht selbst anzusetzen. In einer europäischen Rechtsgemeinschaft könnten Auslegungsfragen – etwa zur Verhältnismäßigkeit – nicht einfach nach deutschem Rechtsverständnis beantwortet werden, ohne das Unionsrecht auch nur zu befragen. Auch das Bild der Unabhängigkeit der EZB derjenigen, die das Urteil verteidigen, sei von der grundgesetzlichen Vorstellungswelt beherrscht.

VGH Hessen zu Sonntagarbeit: Einem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zufolge ist Sonn- und Feiertagsarbeit bei industriellen Getränke- und Eisherstellern sowie dem angeschlossenen Großhandel in Hessen unzulässig. Eine bisher bestehende Ausnahmeregelung des Landes sei unwirksam, so das Gericht laut lto.de

LG Essen zu Germanwings-Unglück: Die Lufthansa AG muss den Hinterbliebenen der Opfer des Germanwings-Absturzes von März 2015 nach einer Entscheidung des Landgerichts Essen kein zusätzliches Schmerzensgeld zahlen. Die fliegerärztliche Untersuchung gehöre zum Kernbereich der Flugsicherheit, welche eine staatliche Aufgabe ist. Etwaige Pflichtverletzungen wären nicht der Lufthansa anzulasten, so das Gericht. Es berichten FAZ (Constantin van Lijnden) und lto.de.

LG Hamburg – KZ-Wachmann Stutthof: Im Verfahren gegen einen ehemaligen Wachmann des KZ Stutthof vor dem Hamburger Landgericht will das Gericht laut zeit.de die Anklage auf die Beihilfe zum vollendeten Mord beschränken. Zuvor hatte dies die Staatsanwaltschaft angeregt, da sie befürchtete, das Verfahren gegen den 93-Jährigen könnte nicht zu Ende gebracht werden. 

LG Regensburg – Mord an Maria Baumer: Seit dem gestrigen Mittwoch steht ein 35-Jähriger vor dem Landgericht Regensburg. Er soll seine Verlobte 2012 mit Medikamenten getötet und danach vergraben haben. Zu Prozessauftakt schwieg der Angeklagte. Sein Verteidiger will einen Freispruch erwirken, wie spiegel.de berichtet.

Recht in der Welt

USA – Harvey Weinstein: Ex-Filmproduzent Harvey Weinstein hat sich mit einigen Klägerinnen auf einen 18,8 Millionen Dollar schweren Vergleich geeinigt. Mit dem Geld soll ein Fond für die Opfer von Weinstein geschaffen werden. Es berichten lto.de sowie die SZ (Anika Blatz) in ihrem "Aktuellen Lexikon". 

USA – Entlassung von Spitzenbeamten: Rechtsprofessor David Diesen schreibt auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) über ein Urteil des Supreme Court, das dem US-Präsidenten ein Recht einräumt, Spitzenbeamte aus politischen Gründen zu entlassen. Dies sei eine weitgehende Neuerung, die die bereits bislang bestehende Macht des Präsidenten bedenklich vergrößere. 

China/Hongkong – Sicherheitsgesetz: Am Tag nach Inkrafttreten des neuen Sicherheitsgesetzes in Hongkong haben Sicherheitskräfte auf seiner Grundlage bereits mehr als 300 Menschen festgenommen. Das Gesetz ist schärfer ausgefallen als erwartet. Als Höchststrafe ist lebenslange Haft vorgesehen. Chinesische Stellen können in Hongkong künftig eigenmächtig ermitteln und Rechtshoheit ausüben. Es berichten die FAZ (Friederike Böge), das Hbl (Dana Heide) und zeit.de

Türkei – Hagia Sophia: Die FAZ (Rainer Hermann) schreibt über die für den heutigen Donnerstag erwartete Entscheidung eines hohen türkischen Gerichts über die Rechtmäßigkeit der Rückumwandlung der Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee.  

Juristische Ausbildung

Verlorene Examensklausuren: In einem Beitrag für lto.de erläutert der Rechtsanwalt Christian Reckling ausführlich, was man tun kann, wenn Examensklausuren verloren gehen und welche Ansprüche gegebenenfalls gegen das Prüfungsamt bestehen.

Sonstiges

Glücksspielrecht: community.beck.de (Marc Liesching) schreibt über die immer noch heterogene Praxis der Länderaufsicht beim Glücksspiel vor dem Inkrafttreten des neuen Glücksspielstaatsvertrags 2021.

Legal Tech: lto.de (Anja Hall) bringt ein Gespräch mit dem Mitgründer des Legal-Tech-Unternehmens Bryter, Michael Grupp. Er erläutert seine Geschäftsidee und Herausforderungen beim Unternehmenswachstum. Bryter ist ein Software-Baukasten mit dem Anwender selbst Legal Tech-Apps entwickeln können.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jng

(Hinweis für Journalisten)  

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. Juli 2020: Höhere Strafen für Kindesmissbrauch? / Ines Härtel ans BVerfG / Kostentragung für Schönheitsreparaturen? . In: Legal Tribune Online, 02.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42071/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen