Am Montag soll der NSU-Prozess beginnen. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt letzte Hoffnungen auf eine Videoübertragung für Journalisten zerstört. Außerdem in der Presseschau: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fordert einen Minister gegen Rechtsextremismus, Heribert Prantl verliert die Grundgeborgenheit im Rechtsstaat und was mit einem Zahnarzt passiert, der einem Patient ungefragt zwanzig Zähne zieht.
BVerfG zu Videoübertragung im NSU-Prozess: Beim NSU-Prozess muss keine Videoübertragung in einen zweiten Saal stattfinden. Das entschied am Mittwochnachmittag das Bundesverfassungsgericht. Der Vorsitzende Richter am OLG München habe einen "erheblichen Ermessensspielraum" wie er Öffentlichkeit herstellen will. Abgelehnt wurde damit ein Eilantrag des Rechtsanwalts Ernst Fricke, berichten die SZ (Annette Ramelsberger) und die taz (Christian Rath).
Ex-BVerfG-Präsident Hans-Jürgen Papier plädierte derweil im Interview mit welt.de (Jochen Gaugele/Thorsten Jungholt) für eine Videoübertragung. Sie sei zwar kein rechtliches Gebot, aber eine Frage pragmatischer Klugheit. Dagegen hält der Rechtsprofessor Heiner Alwart auf lto.de die Übertragung in einen separaten Raum für rechtswidrig. Dort entstehe "ein weiterer, anonymer Sitzungssaal und damit eine Art – im wahrsten Sinne des Wortes – Parallel-Schauprozess".
NSU-Prozess – Kritik an Losverfahren: Bertold Kohler (FAZ) verbindet seine Kritik an der "verfassungsrechtlich bedenklichen" Verlosung der Presseplätze mit der Ankündigung, dass die FAZ nun doch nicht klagen werde. Man wolle verhindern, dass durch eine "erfolgreiche Verfassungsbeschwerde" der NSU-Prozess erneut verschoben werden müsste. Karin Truscheit (FAZ) kritisiert die unernste Stimmung bei der Bekanntgabe der Los-Ergebnisse durch das OLG München. Die FAZ (Michael Hanfeld) beschreibt, wie Medienkonzerne mit vielen parallelen Anträgen ihre Chancen bei der Auslosung der Presseplätze erhöhen konnten. Es sei deshalb kein Zufall, dass gerade konzernunabhängige Medien wie die FAZ und die taz leer ausgingen.
NSU-Prozess – Nachverlosung eines Presseplatzes: Am Donnerstag oder Freitag wird am OLG München noch ein Platz für deutsche Medien ausgelost, berichtet spiegel.de. Am Montag war ein WDR-Journalist ausgelost worden, obwohl er seinen Antrag bereits zurückgezogen hatte.
NSU-Prozess – Türkisches Fernsehen: Der Münchener OLG-Präsident Karl Huber geht gezielt auf die türkische Öffentlichkeit zu, berichtet spiegel.de (Julia Jüttner). Dem öffentlich-rechtlichen türkischen Fernsehsender TRT gab er ein langes Interview, was er deutschen Medien zuvor verweigert habe. Außerdem habe TRT als erstes ausländisches Medium eine Drehgenehmigung in der Vollzugsanstalt Stadelheim erhalten, wo Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte des NSU-Prozesses, einsitzt.
NSU-Prozess – Gutachten über Zschäpe: Der Gerichtspsychiater Henning Naß hat Beate Zschäpe begutachtet. Er halte sie für voll schuldfähig, es gebe keine Anhaltspunkte für eine psychische Störung, berichten die SZ (Tanjev Schultz) und bild.de (Kayhan Özgenc/Olaf Wilke).
NSU-Prozess – Zeugen: spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet, dass derzeit die Vernehmung von 606 Zeugen vorgesehen sei und listet einige Namen auf.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Interview mit Leutheusser-Schnarrenberger: Die Welt (Karsten Kammholz) sprach mit Justizministerin und FDP-Vize-Chefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vor allem über allgemeinpolitische Themen wie die Steuerpolitik der Grünen. Im rechtspolitischen Teil des Interviews schlug die Ministerin vor, alle Programme gegen Rechtsextremismus zu bündeln und dazu einen Staatsminister im Kanzleramt zum Regierungsbeauftragten gegen Rechtsextremismus zu ernennen. Außerdem lehnte sie Änderungen am Institut der steuerrechtlichen Selbstanzeige ab.
In einem Kommentar kritisierte Reinhard Müller (FAZ) die Idee, einen Rechtsextremismus-Beauftragten einzusetzen. "Das ist offenbar der Beitrag der FDP zum Bürokratieabbau."
Weitere Themen - Justiz
Rechtskultur und Justiz: In einem Leitartikel kritisiert Heribert Prantl (SZ), dass "das Gefühl der Grundgeborgenheit im Rechtsstaat" nachlasse. Er begründet den Vertrauensverlust in die Justiz assoziativ mit dem Fall Mollath, der Zulässigkeit von Bagatellkündigungen im Arbeitsrecht, der Vergabe der Presseplätze im NSU-Prozess und Indiskretionen in Steuerverfahren. Prantls Schlussfolgerung: "Man wünscht sich, dass sich die Justiz lernfähig zeigt."
Voßkuhle: Heinrich Wefing (Die Zeit) portraitiert Andreas Voßkuhle, den BVerfG-Präsidenten, und fragt, woher die "neue Giftigkeit" gegenüber dem Gericht komme. Er macht sie an der Europa-Rechtsprechung des BVerfG fest und an Voßkuhles Weigerung, Bundespräsident zu werden. Voßkuhle sei inzwischen aber "mehr denn je zu einem politischen Akteur" geworden.
BVerfG zum Zypern-Paket: Das Bundesverfassugnsgericht hat jetzt begründet, warum es Mitte April eine einstweilige Anordnung gegen die Zustimmung des Bundestag zum Zypern-Hilfspaket ablehnte. Der Antrag von einzelnen Bürgern sei nicht zulässig gewesen, weil auf das Wahlrecht keine inhaltliche Kontrolle der Arbeit des Bundestags gestützt werden könne, berichtet die taz (Christian Rath).
BAG zu Antidiskriminierung: Die Anwältin Eva Wißler stellt auf dem Handelsblatt-Rechtsblog ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von Ende April vor. Danach müssen Bewerbungsunterlagen von Konkurrenten nicht an abgelehnte Mitbewerber herausgegeben werden, damit diese Ansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz prüfen können. So hatte zuvor auch schon der EuGH entschieden. Arbeitgeber seien deshalb, so Wißler, nach wie vor gut beraten, wenn sie in ihren Absageschreiben keine Begründungen angeben.
LVerfG zu Kita-Kosten: Das Land Brandenburg hat die Gruppengrößen in Kindertagesstätten verkleinert, beim Ausgleich der Mehrkosten aber Fehler gemacht. Das stellte laut Berliner Zeitung (Gerold Büchner) nun das Landesverfassungsgericht von Brandenburg fest. Den Kommunen müssten ihre tatsächlichen Kosten ersetzt werden, nicht die Durchschnittskosten.
LG Frankfurt zu Sal. Oppenheim: In einem Zivilprozess am Landgericht Frankfurt wurde die Bank Sal. Oppenheim wegen schlechter Beratung verurteilt. Sie muss einem Anleger für seine Anteile an einem Immobilienfonds 2,1 Millionen Euro zurückzahlen, berichtet das Handelsblatt (Massimo Bognanni).
LG Hamburg – HSH-Nordbank: Das Hamburger Landgericht hat die Anklage gegen sechs ehemalige Vorstände der HSH-Nordbank zugelassen, darunter den ehemaligen Bankchef Dirk Jens Nonnenmacher. Das berichten SZ (Kristina Läsker/Klaus Ott) und FAZ (Johannes Ritter) in ausführlichen Hintergrundartikeln. Der Prozess wegen Veruntreuung von Bankvermögen soll Mitte Juli beginnen. Es geht um die Auslagerung von Kreditpapieren in ungesicherte Zweckgesellschaften.
StA Lübeck – Ermittlungen wegen Titelmissbrauchs: Im Interview mit lto.de (Ludwig Hogrebe) erläutert Rechtsprofessor Florian Jeßberger eine Hausdurchsuchung, die die Lübecker Staatsanwaltschaft bei einer Bloggerin durchführen ließ. Ihre Kinder hatten ihr einen gekauften Fantasietitel geschenkt. Die Verleihungsurkunde hatte die Frau spaßeshalber in ihrem Büro aufgehängt. Nach dem StGB dürfe niemand unbefugt akademische Grade führen, so Jeßberger. Dies gelte auch für Bezeichnungen, die echten Graden zum Verwechseln ähnlich sind. Die Durchsuchung wäre aber rechtswidrig gewesen, betont Jeßberger, wenn die Staatsanwaltschaft gewusst hat, dass sich die Bloggerin in ihrem Blog über den Titelkauf lustig gemacht hatte.
Mordfall Peggy: Die Journalisten Ina Jung und Christoph Lemmer haben das Buch "Der Fall Peggy. Die Geschichte eines Skandals" geschrieben. Im Interview mit der Welt (Lars-Marten Nagel) begründet Ina Jung, warum sie glaubt, dass der als Mörder verurteilte Ulvi K. das Mächen Peggy nicht umgebracht hat und eine Wiederaufnahme erforderlich ist.
Weitere Themen – Recht in der Welt
EGMR – Timoschenko vs. Ukraine: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Ukraine verurteilt, weil die Oppositionsführerin in einem Gerichtsverfahren "willkürlich" in Untersuchungshaft genommen worden war. Klagen über Misshandlungen und schlechte Haftbedingungen lehnte der EGMR jedoch ab, berichtet taz.de (Christian Rath). Die SZ (Cathrin Kahlweit) bringt ein Interview mit Timoschenkos Anwalt Sergej Wlassenko: "Wir haben immer gesagt, dass ihre Verhaftung aus politischen Gründen geschah - das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt", behauptet er.
Schweiz – Wirtschaftlicher Nachrichtendienst: Der Informatiker Lutz O. sitzt in Bern in Haft, weil er Kundendaten der Privatbank Julius Bär auf eine CD brannte und für 1,26 Mio Euro an Steuerbehörden in Nordrhein-Westfalen verkaufte. Ende Mai soll die Anklage fertig sein, berichtet die SZ (Hans Leyendecker) und geht dabei auch auf das Schicksal anderer Datenlieferanten ein.
Weitere Themen – Juristische Ausbildung
Wissenschaft im Studium: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Hannah Birkenkötter plädiert auf dem Juwiss-Blog für ein wissenschaftlicheres Jurastudium. Derzeit werde Studierenden vorgegaukelt, "die Falllösung in Form der Hausarbeit stelle wissenschaftliches Arbeiten dar".
Grundlagenfächer: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Florian Meinel kritisiert auf dem Juwiss-Blog die "kitschige" Verwendung des Begriffs "Grundlagenfächer" im Bericht des Wissenschaftsrats zur Perspektive der Rechtswissenschaft. Die Annahme, das einfache Recht basiere auf wissenschaftlichen Grundlagen, diene nur dazu, den Einfluss der Rechtswissenschaft auf die Rechtsprechung zu steigern. Tatsächlich sei Grundlagenforschung auch dazu da, das einfache Recht zu kritisieren.
Sonstiges
DSL-Drosselung der Telekom: Die Anwälte Thomas Weimann, Daniel Nagel und Martin Beutelmann setzen sich auf lto.de mit den Plänen der Deutschen Telekom auseinander, die Internetverbindung bei Überschreiten eines gewissen Datenvolumens zu drosseln. Sie müssten datenschutzrechtlich und kartellrechtlich genau geprüft werden. Geschildert wird die Situation in anderen Staaten, insbesondere in Schottland, Finnland, Spanien, der Türkei und Irland.
Das Letzte zum Schluss
VG Magdeburg zu gefährlichem Zahnarzt: Ein Zahnarzt, der einem Patienten ohne medizinischen Grund und ohne dessen Zustimmung während einer Vollnarkose zwanzig Zähne zieht, wird den Anforderungen an eine Arztpersönlichkeit nicht gerecht. Das entschied das Verwaltungsgericht Magdeburg und billigte, dass dem Zahnarzt die Approbation entzogen wurde, berichtet mdr.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. - 2. Mai 2013: Keine Übertragung im NSU-Prozess – Keine Geborgenheit für Heribert Prantl – Grundlagen-Kitsch im Jurastudium . In: Legal Tribune Online, 02.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8648/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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