Über das Rechtsmittel von Marine Le Pen wird bereits ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl geurteilt. BAMF-Präsident Sommer fordert eine umfassende Asylrechtsreform. LG Berlin lehnt Klage von Vater wegen Nichtumsetzung von EU-Richtlinie ab.
Thema des Tages
Frankreich – Marine Le Pen: Das Instanzgericht in Paris will bis zum Sommer 2026 über die Berufung der potenziellen französischen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen gegen ihre Verurteilung wegen Veruntreuung von EU-Geldern entscheiden. Es bliebe dann noch ein Jahr bis zu den Präsidentschaftswahlen - so dass Le Pen noch teilnehmen könnte, wenn ihre Berufung Erfolg hat. Dies berichtet u.a. die SZ (Karoline Meta Beisel).
Rechtsprofessorin Charlotte Schmitt-Leonardy erläutert auf dem Verfassungsblog das Urteil gegen Marine Le Pen, ebenso LTO (Max Kolter). Im Mittelpunkt stehen der fünfjährige Verlust des passiven Wahlrechts und die Anordnung der sofortigen Wirkung des Urteils. Im Interview mit der Welt (Ronan Planchon) nennt der französische Politologe und Verfassungsrechtler Benjamin Morel Möglichkeiten, Le Pen doch noch eine Wahlteilnahme zu ermöglichen. Des Weiteren spricht Morel über mögliche Folgen der heftigen Urteilskritik für den Rechtsstaat und die Zukunft des Rassemblement National. Im aktuellen Lexikon erläutert die SZ (Detlev Esslinger), dass Le Pen in Deutschland nicht die Wählbarkeit verloren hätte. Gem. § 45 StGB sei hierfür die Verurteilung wegen eines Verbrechens erforderlich, die Veruntreuung von Geld sei jedoch nur ein Vergehen.
Mark Schieritz (zeit.de) hält es für wenig stichhaltig, die Verurteilung Le Pens angesichts ihrer Wahlerfolge für problematisch zu halten. "Recht ist die Abwesenheit von Politik" und müsse ohne Ansehen der betroffenen Person gesprochen werden, wie dies die Augenbinde der Justitia ausdrücke. Für Michaela Wiegel (FAZ) offenbart Le Pens Reaktion "ihr Verständnis der rechtsstaatlichen Ordnung" und, "wie dünn der Firnis der Seriosität" bei ihrer Partei ist. Die taz bringt Pro- und Kontra-Kommentare zur Frage der Angemessenheit der Bestrafung. Während Bernd Pickert meint, das "politische Justiz" dort einsetzte, wo politische – statt juristische – Erwägungen den Verfahrensausgang bestimmten, erinnert Dominic Johnson an die Verfolgung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu. Der Ausschluss von Frankreichs populärster Politikerin von der nächsten Präsidentschaftswahl stehe in keinem Verhältnis zur Schwere ihrer Straftaten.
Rechtspolitik
Asyl: Hans-Eckard Sommer, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, sprach sich für die Abschaffung des individuellen Asylanspruchs und eine großangelegte Reform des Asylrechts aus. Die als "persönliche Einschätzung" deklarierte Rede auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung ähnelt einem früherem Vortrag, der nun in der Fachzeitschrift ZAR veröffentlicht wurde. Die Kernaussagen fasst LTO (Tanja Podolski) zusammen: Aufhebung der meisten Asyl-Rechtsakte der EU, ggf. Anpassungen des EU-Primärrechts und eine umfassende Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener. In einer einzigen EU-Verordnung solle dann die Aufnahme von Flüchtlingen entsprechend ausgehandelter Kriterien abschließend geregelt werden.
Bei der Vorstellung der migrationspolitischen Bilanz ihrer Amtszeit stellt Innenministerin Nancy Faeser (SPD) klar, dass das individuelle Asylrecht für ihre Partei nicht zur Disposition stehe. Es berichten FAZ (Mona Jaeger), taz (Kai Vogt), Hbl (Dietmar Neuerer) und beck-aktuell.
Tilman Steffen (zeit.de) analysiert, dass der von Ministerin Faeser als Erfolg präsentierte Rückgang von Asylfallzahlen nicht nur ihr Verdienst sei, sondern auch auf externen Faktoren, wie neuen serbischen Sperrzäunen, beruhe. Nach Meinung von Daniel Deckers (FAZ) treffen Sommers Einschätzungen über "Fehlanreize" des geltenden Rechts zu. Dieses bevorzuge "junge Männer und unbegleitete Minderjährige" zulasten von Frauen und Kindern.
Asyl/Zurückweisungen an der Grenze: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Sebastian Korsch und Killian Umbach untersuchen auf dem Verfassungsblog die rechtlichen und tatsächlichen Beschränkungen der Idee umfassender Zurückweisungen an der Grenze. Angesichts der "im Raum stehenden Unionsrechtswidrigkeit" des Vorhabens sei mit einer großen Menge verwaltungsgerichtlicher Verfahren zu rechnen, die schließlich am Europäischen Gerichtshof landen würden. Im nationalen Alleingang sei keine rechtssichere Lösung zu erwarten.
Asyl/Herkunftsstaaten: Nach Bericht der Welt (Ricarda Breyton) hat sich die Arbeitsgruppe "Innen" der schwarz-roten Sondierungsgespräche darauf verständigt, die Bestimmung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten bei geringen Anerkennungsquoten künftig auch durch Rechtsverordnung der Bundesregierung zu ermöglichen. Ob dies rechtlich zulässig ist, sei umstritten.
Volksverhetzung: In den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD wurde vereinbart, dass eine mehrfache Verurteilung wegen Volksverhetzung den Entzug des passiven Wahlrechts nach sich ziehen soll. Laut bild.de (Jan Schumann) dürfte eine solche Neuerung vor allem den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in Bedrängnis bringen. Nach einem neuerlichen Social-Media-Ausfall Höckes beginne dessen nächster Strafprozess am Landgericht Mühlhausen in den nächsten Monaten.
Lieferketten und Menschenrechte: Mit klarer Mehrheit hat sich das EU-Parlament für Änderungen der EU-Lieferketten-Richtlinie ausgesprochen. Vorbehaltlich der Zustimmung durch den Rat müssten die EU-Mitgliedstaaten die Richtlinie erst ein Jahr später und damit bis Juli 2027 umsetzen. Für die verpflichteten Unternehmen soll der Geltungsbeginn ebenfalls ein Jahr nach hinten verschoben werden, sodass die größten EU-Unternehmen erst ab Juli 2028 verpflichtet würden. Auch inhaltliche Abschwächungen sind vorgesehen. LTO berichtet.
Commercial Courts: Zum April ist das Justizstandort-Stärkungsgesetz in Kraft getreten. Die hierin vorgesehene Möglichkeit der Einrichtung spezialisierter Commercial Courts ist u.a. von den Bundesländern Hessen und Berlin wahrgenommen worden, so beck-aktuell.
Richterwahl in Thüringen: Am Freitag steht im Thüringer Landtag erneut die Wahl der Abgeordneten in die Wahlausschüsse für Richter:innen und Staatsanwält:innen auf der Tagesordnung. Diese wird wohl auch weiter von der AfD mit ihrer Sperrminorität blockiert werden, um Sitze im parlamentarischen Kontrollgremium und der G-10-Kommission zu erpressen. Die Landtags-Mehrheit verweigert dies bisher unter Verweis auf die nachrichtendienstliche Einstufung des AfD-Landesverbandes als rechtsextrem. Unterstützt durch Gutachten setzt die Landesregierung zwar darauf, die Ausschüsse der letzten Wahlperioden mit den im Landtag verbliebenen Mitgliedern geschäftsführend im Amt zu lassen, einberufen wurden die Ausschüsse aber noch nicht. LTO (Markus Sehl) berichtet.
Justiz
LG Berlin II zu Vaterschaftsurlaub: Das Landgericht Berlin II wies die Schadensersatzklage eines Vaters ab, der Deutschland eine unzureichende Umsetzung der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie vorwarf. Nach dieser Richtlinie sollen Väter oder zweite Elternteile nach der Geburt eines Kindes Anspruch auf eine zehntägige, bezahlte Freistellung haben. Das LG hielt es jedoch für ausreichend, dass Väter Anspruch auf bezahlte Elternzeit haben, wenn sie diese für mindestens zwei Monate nutzen. LTO berichtet. spiegel.de (Anna Lindemann) stellt zudem den unterlegenen Kläger vor.
BVerfG zu Atom-Haftung: Gute sieben Jahre nach Einlegung wies das Bundesverfassungsgericht zwei Kommunalverfassungsbeschwerden gegen das Atom-Nachhaftungsgesetz zurück, nach dem auch bisher nicht haftende Gesellschafter für die Kosten von Abbau und Entsorgung von Atomkraftwerken herangezogen werden können. Der aus baden-württembergischen Landkreisen gebildete Zweckverband der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke sei schon nicht beschwerdefähig. Der Alb-Donau-Kreis konnte eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltung nicht substanziieren. FAZ (Katja Gelinsky) und LTO berichten.
BGH zu militanter Antifa/Lina E.: Der SWR-RadioReportRecht (Alena Lagmöller) rekapituliert das Verfahren gegen die Studentin Lina E., die wegen der Beteiligung an Überfällen einer kriminellen Antifa-Vereinigung auf Rechtsextreme zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt worden war. Vor zwei Wochen bestätigte der Bundesgerichtshof die Verurteilung von Lina E. und lehnte eine Verschärfung des Urteils ab.
BGH zu Aussagen über Ryanair: Der Bundesgerichtshof hat eine Auseinandersetzung über die Zulässigkeit bestimmter negativer Aussagen über die Fluglinie Ryanair durch das Portal Flightright an das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg zurückverwiesen. Intensiver als zuvor müsse sich das OLG mit der Frage auseinandersetzen, ob das von der Fluglinie auf ihrer Webseite angebotene Passagierrechte-Formular ein Konkurrenzverhältnis mit dem Portal begründet. beck.aktuell berichtet.
BGH zu Wiedereinsetzung: Die floskelhafte Erwähnung einer "bis dahin stets zuverlässigen Kanzleiangestellten" und deren Kontrolle der Erledigung aller Fristsachen reicht nach Ansicht des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nicht für die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags. Über den beschwerdeabweisenden Beschluss des BGH von Ende Februar berichtet beck-aktuell.
OLG Frankfurt/M. zu anwaltlicher Haftung: Die Rechtsanwältin Tanja Geber berichtet auf beck-aktuell nun auch über ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. vom vergangenen August. In Fortschreibung höchstrichterlicher Rechtsprechung hatte das OLG der Regressklage einer Rechtsschutzversicherung gegen eine Anwältin weitgehend stattgegeben, weil diese eine Berufung trotz zwischenzeitlicher Entscheidung der strittigen Frage durch den BGH nicht zurückgenommen und ihre Mandantin auch nicht entsprechend beraten hatte.
LG Verden – Daniela Klette: Das Landgericht Verden hat den zeitweiligen Umzug des Strafverfahrens gegen Daniela Klette nach Celle mit Kapazitätsengpässen begründet. Die von der Verteidigung Klettes kritisierten Sicherheitsvorkehrungen unterlägen einer fortlaufenden Prüfung, so ein Gerichtssprecher laut beck-aktuell.
LG Schwerin – German Pellets: Im Strafprozess um eine Insolvenzverschleppung beim Holzverarbeitungsunternehmen German Pellets haben die Beteiligten am Landgericht Schwerin für eine Bewährungsstrafe des angeklagten früheren Geschäftsführers plädiert. Dies folgt einer Verständigung, nach der der Angeklagte einen geringen Teil der gegen ihn erhobenen Vorwürfe einräumte. Die Welt berichtet.
StA München I – AfD-Politiker Petr Bystrom: Auf Antrag der Staatsanwaltschaft München I hat das EU-Parlament die Immunität seines Abgeordneten Petr Bystrom (AfD) aufgehoben. Zuvor hatte Bystrom Einspruch gegen einen Strafbefehl wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingelegt. Der Abgeordnete hatte zur Entlastung von Elon Musk Photos von Politiker:innen gepostet, die den rechten Arm nach Art eines Hitlergrußes gehoben hatten. FAZ (Thomas Gutschker) berichtet.
Cum-Cum-Ermittlungen: Der nordrhein-westfälische Landtag hat dem neu gegründeten Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität zusätzliche Stellen bewilligt. Diese sollen vor allem Ermittlungen wegen Cum-Cum-Steuertricksereien oder vergleichbaren Steuermanipulationsmodellen zum Einsatz kommen, schreibt die FAZ (Marcus Jung). In der Bewerbungsphase würden gezielt Quereinsteiger aus der Privatwirtschaft gesucht.
BAG-Vizepräsident Linck: Am Bundesarbeitsgericht wechselt der bisherige Vizepräsident, Rüdiger Linck, in den Ruhestand. Der Bericht von beck-aktuell erwähnt mehrere, maßgeblich von Linck in seiner Eigenschaft als Vorsitzender Richter des V. Senats miterarbeitete Entscheidungen.
Recht in der Welt
Ungarn – Auslieferung von polnischem Politiker: Der europäische Haftbefehl gegen den früheren polnischen Vizejustizminister Marcin Romanowski wird weiterhin nicht vollstreckt. Ein neues Gesetz in Ungarn – Romanowskis Aufenthaltsort – überträgt dem Obersten Gericht des Landes die Befugnis, Auslieferungsentscheidungen niederer Instanzen aufzuheben. Die FAZ (Stefan Locke) berichtet.
IStGH/Ungarn – Haftbefehl gegen Netanjahu: FAZ (Löwenstein/Meier) und SZ (Kristiana Ludwig/Verena Mayer) berichten über den am heutigen Mittwoch startenden Staatsbesuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orban hat angekündigt, dass der vom Internationalen Strafgerichtshof ausgestellte Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen in Gaza für Netanjahu "keine Konsequenzen" haben werde.
Israel – Spionage für Katar: Über den Fortgang der sogenannten Katargate-Affäre in Israel berichtet u.a. spiegel.de (Thore Schröder). Zwei enge Mitarbeiter von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu werden verdächtigt, Gelder aus Katar angenommen zu haben. Sie wurden vorläufig festgenommen, was Netanjahu als "Hexenjagd" abtat.
USA – Mord an UnitedHealthcare-Chef: Die US-amerikanische Justizministerin Pamela Bondi hat die zuständigen Bundesanwälte angewiesen, im anstehenden Bundesverfahren gegen Luigi Mangione die Todesstrafe zu fordern. Mangione wird vorgeworfen, im Dezember 2024 den Chef der Krankenversicherung UnitedHealth Brian Thomsen erschossen zu haben. Parallel wird gegen den Schützen auch im Bundesstaat New York ermittelt. bild.de berichtet.
Juristische Ausbildung
NS-Belastete Begriffe: Aus Anlass der Verwendung des Begriffs "Richtigkeitsgewähr" in einer zivilrechtlichen Examensklausur räsoniert Rechtsprofessor Nils Jansen in der FAZ über die nationalsozialistische Belastung von Rechtsbegriffen und beklagt mangelhafte Vermittlung dieser Problematik in der juristischen Ausbildung.
Das Letzte zum Schluss
Beef: Rap-Konkurrenten tragen zumindest in deutschen Gefilden Differenzen nicht mehr handgreiflich aus, sondern lassen die Anwaltschaft für sich arbeiten. Für den gerichtserfahrenen Bushido hat sich die jahrelange Verfolgung von Rechtsverletzungen seines ehemaligen Protegés Fler nun tatsächlich gelohnt: bild.de (Andreas Bachner) schreibt, dass das Landgericht München I Bushido im Streit um die Verletzung von Markenrechten am Album "Carlo Cokxxx Nutten" recht gab. Somit kann Bushido von Fler vertriebene Fanartikel zurückrufen und vernichten lassen und darüber hinaus auch knapp 140.000 Euro Schadensersatz verlangen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 2. April 2025: . In: Legal Tribune Online, 02.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56920 (abgerufen am: 21.04.2025 )
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