NRW-Landtag lehnt schnelle Verabschiedung des Epidemiegesetzes ab. Hans-Jürgen Papier äußert sich im SZ-Interview zu Grundrechten in der Coronakrise. Das Bundeskabinett verabschiedet die Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.
Thema des Tages - Corona und Recht
Corona – Kontaktbeschränkungen: Bund und Länder haben sich darauf verständigt, die bestehenden Kontaktbeschränkungen wegen der Coronakrise mindestens bis zum Ende der Osterferien zu verlängern. Dies berichtet u.a. spiegel.de (Matthias Gebauer u.a.).
Corona – Epidemiegesetz NRW: Die schnelle Verabschiedung eines geplanten Epidemie-Gesetzes der schwarz-gelben Landesregierung ist in Nordrhein-Westfalen am Widerstand der Opposition gescheitert. Der Gesetzentwurf wurde nicht, wie ursprünglich von der Regierung geplant, im Eiltempo durch den Landtag gebracht, sondern auch wegen massiver verfassungsrechtlicher Bedenken zunächst in Ausschüsse überwiesen. Dies berichten u.a. SZ (Christian Wernicke), taz (Christian Rath) und lto.de. Der Entwurf, den die wissenschaftliche Mitarbeiterin Lamia Amhaouach auf juwiss.de vorstellt, sah unter anderem Zwangsverpflichtungen von Ärzten im Notfall vor. Außerdem sollten Behörden berechtigt werden, medizinisches Material sicherzustellen.
In einem gesonderten Kommentar konstatiert Christian Wernicke (SZ), NRW-Ministerpräsident Armin Laschet habe sich verzockt. Der Gesetzentwurf, "voller rechtsstaatlicher Zumutungen" und grundrechtsverletzend, sei ein "dreister Verstoß gegen die eigene, besonnene Linie" von Laschet. Jasper von Altenbockum (FAZ) meint hingegen, es werde den Ländern künftig nicht verwehrt werden können, "notfalls unter Zwang für die Mittel zu sorgen, die gewährleisten, dass nach der Krise nicht doch noch alles anders ist in Deutschland".
Corona – drohende Justizüberforderung: Der Rechtsanwalt Jörg Risse erläutert in einem Beitrag für FAZ-Einspruch Vorschläge dazu, wie sich die absehbare Überlastung der Ziviljustiz in der Zeit nach der Coronakrise verhindern ließe. Der Gesetzgeber müsse nun ein Coronagesetz erlassen, das dem Richter Rahmenvorgaben für Entscheidungen gibt. Als weitere Maßnahmen werden eine zwingende Mediation für größere Streitigkeiten, eine Förderung der Schiedsgerichtsbarkeit, sowie Corona-Spruchkammern an den Landgerichten vorgeschlagen, die keine Überprüfungsinstanz vorsehen. Schließlich solle in bestimmten Fallkategorien nach dem Entscheidungsmaßstab der Billigkeit entschieden werden, ohne weitere Rückkoppelung an gesetzliche Vorgaben.
Corona – Entschädigung bei Kita-Schließung: community.beck.de (Markus Stoffels) erläutert den neuen § 56 Infektionsschutzgesetz, der als Bestandteil des in der letzten Woche verabschiedeten Corona-Krisenpakets eine Entschädigung für Eltern vorsieht, die wegen der notwendigen Kinderbetreuung während einer Pandemie Verdienstausfälle erleiden.
Corona – IfSG und Strafrecht: Der Richter Simon Pschorr schreibt in einem Beitrag für juwiss.de über die Konsequenzen der Reform des § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) für das Strafrecht. Verstöße gegen verhängte Ausgangssperren seien, vom Gesetzgeber wohl nicht intendiert, nunmehr bloße Ordnungswidrigkeiten. Demgegenüber werde das Zusammenkommen mit mehr als zwei Personen im öffentlichen Raum nach §§ 75 Abs. 1 Nr. 1, 28 Abs. 1 S. 2 IfSG strafrechtlich sanktioniert. Dies sei jedoch als "materiell verfassungswidrig, weil nicht angemessen" anzusehen, da hier der mildere Eingriff, der bereits zur Abwehr geringerer Gefahren erfolgen kann, mit den Mitteln des Strafrechts bewehrt werde.
Corona – Zahlungsaufschub: Die SZ (Andreas Jalsovec) erläutert eine von Bundestag und Bundesrat beschlossene Regelung, die die Möglichkeit einräumt, Kredite wegen durch Corona bedingter Geldnöte nicht zu bedienen sowie Rechnungen für Strom, Gas, Wasser, Telefon oder Internet vorerst nicht zu bezahlen.
Corona – Staatshaftung: Die FAZ (Timo Kotowski) berichtet über ein Gutachten der Kanzlei Beiten Burkhardt, wonach der Bund für durch Reiseveranstalter abgesagte Reisen haftet. Dies folge aus einer nicht europarechtskonformen Umsetzung der Pauschalreiserichtlinie in Deutschland. Eine Insolvenzversicherung in gesetzlicher Höhe reiche nicht, um alle Kundenforderungen zu bedienen. Das Gutachten schlägt die Ausgabe von durch den Bund abgesicherten Gutscheinen statt Barauszahlungen vor.
VG Potsdam – Zweitwohnungs-Nutzung: Einer Entscheidung des Potsdamer Verwaltungsgerichts zufolge dürfen zwei Berliner trotz des vom Landkreis Ostprignitz-Ruppin verhängten Reisestopps zur Eindämmung der Corona-Ansteckungsgefahr zu ihren Zweitwohnsitzen reisen. Ein Einreiseverbot sei nach Auffassung des Gerichts zur Verhinderung der Virusverbreitung derzeit nicht erforderlich. Es berichtet lto.de.
VG Minden – Hundesalon: Das Verwaltungsgericht Minden hat laut lto.de entschieden, dass angesichts des in Nordrhein-Westfalen geltenden Kontaktverbots auch die Schließung eines Hundesalons über § 28 Infektionsschutzgesetz rechtmäßig ist. Die Gesundheit gehe den wirtschaftlichen Interessen der Betreiberin klar vor, so das Gericht, das einen Eilantrag gegen die ergangene Ordnungsverfügung ablehnte.
Corona – Strafprozesse: Die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet über den Umgang der deutschen Strafjustiz mit dem grassierenden Coronavirus, den Streit zwischen Verteidigern und Gerichten über die Zumutbarkeit von Prozessen sowie über die neu geschaffene Möglichkeit, Strafprozesse mehr als drei Monate zu unterbrechen.
Österreich – Skiurlauber-Sammelklage: lto.de (Markus Sehl) berichtet ausführlich über eine mögliche Sammelklage des Verbraucherschutzvereins (VSV) in Österreich gegen die Tiroler Behörden und gegen private Skiliftbetreiber, Après-Ski-Bars und Hotels. Ihnen wird vorgeworfen, zu spät und nicht gut organisiert auf den Beginn der Coronavirus-Pandemie reagiert zu haben. Mittlerweile haben sich rund 2.700 Tirol-Skiurlauber beim VSV registriert, darunter etwa 2.300 deutsche Urlauber.
Frankreich – Corona-Maßnahmen: Die Rechtsprofessorin Catherine Haguenau-Moizard kritisiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die von Frankreich zur Pandemiebekämpfung ergriffenen Maßnahmen. Die Regierung scheine sich daran zu gewöhnen, durch Angst zu führen und den Ausnahmezustand zum Dauerzustand zu machen. Der bestehende Mangel an parlamentarischer Kontrolle sei besorgniserregend.
Türkei – Gefangenenamnestie: In der Türkei plant die Regierung laut taz (Jürgen Gottschlich) angesichts der Coronavirus-Pandemie die Freilassung von etwa 100.000 Gefängnisinsassen. Angehörige von Risikogruppen sowie Straftäter im offenen Vollzug und solche, deren Haftstrafe ohnehin bald endet, sollen ihre Reststrafe im Hausarrest verbringen.
Corona – Mietzahlungen: Adidas will nun doch weiter Miete zahlen, wie u.a. lto.de meldet. Jost Müller-Neuhof (Tsp) meint, der Konzern sei zu Unrecht an den Pranger gestellt worden. Der beschlossene Kündigungsschutz bei Zahlungsrückständen bis zum September komme auch Gewerbemietern und gegebenenfalls auch zahlungskräftigen Unternehmen zugute, die derzeit unter Umsatzeinbrüchen leiden.
Corona – Denunziantentum: spiegel.de (Ansgar Siemens) berichtet über durch die Coronakrise geschaffene Anreize zur Denunziation. Es zeige sich bereits jetzt punktuell "eine Art informelle Moralüberwachung", wird im Beitrag der Polizeiforscher Rafael Behr zitiert. Die neuen Regeln böten bisher unbekannte Möglichkeiten, auch persönliche Rechnungen zu begleichen.
Corona – Kurzarbeit und Strafrecht: In einem Beitrag für lto.de weisen die Rechtsanwälte Matthias Brockhaus und Sebastian Maiß auf das durch das reformierte Kurzarbeitergeld geschaffene Risiko einer Strafbarkeit wegen Subventionsbetrugs hin. Dieses bestehe, wenn die Antragsvoraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld nicht vorliegen. Der Tatbestand des Subventionsbetrugs (§ 264 Strafgesetzbuch) stelle auch leichtfertiges Handeln unter Strafe. Daneben komme auch eine Strafbarkeit wegen Betruges in Betracht, wenn die Angaben bei der Antragstellung durch den Arbeitgeber unrichtig oder unvollständig sind.
Corona – Grundrechte: Im Gespräch mit der SZ (Wolfgang Janisch/Nicolas Richter) äußert Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier Sorge um den Grundrechtsschutz in der Coronakrise. Zwar genieße die Politik wegen der herrschenden Ungewissheit einen großen Spielraum. Dennoch müssten Politik und Verwaltung "immer wieder prüfen, ob es weniger einschneidende Maßnahmen gibt". Wenn sich die angeordneten Ausgangsbeschränkungen über längere Zeit hinzögen, habe "der liberale Rechtsstaat abgedankt". Zudem plädiert Papier für eine Verankerung von Ausgleichsregelungen im Infektionsschutzgesetz, da Unternehmen für die gegenwärtigen "ausgleichspflichtigen Sozialbindungen" zu entschädigen seien. Kritisch zeigt er sich in Bezug auf die Triage-Empfehlungen der Medizinischen Fachgesellschaften und die verpflichtende Nutzung einer Corona-App.
Corona – Fatalismus: Die Rechtsprofessorin Anuscheh Farahat plädiert auf verfassungsblog.de für "praktische Hoffnung in Zeiten der Krise". Es drohe derzeit unterzugehen, dass "politische Entwicklungen ebenso wenig zwangsläufig und alternativlos sind wie Krisenreaktionsmaßnahmen". Welchen Schaden das politische System nach Corona nehmen werde, hänge entscheidend von der aktiven Auseinandersetzung mit den sozialen Folgen der Krise, von den Konsequenzen für die Organisation transnationaler Solidarität sowie der Widerstandskraft des europäischen und nationalen Verfassungsrechts ab.
Corona – Gefangenenrechte: Auf verfassungsblog.de schreiben der Doktorand Emre Turkut und der Rechtsanwalt Ali Yildiz (in englischer Sprache) über Gefangenenrechte in Zeiten von Corona.
Corona – Forschungsprivileg: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Tristan Radtke erläutert auf juwiss.de, inwiefern Maßnahmen wie die Untersuchung des Bewegungsverhaltens der Bevölkerung mithilfe von Mobilfunkdaten datenschutzrechtlich Forschungsprivilegien unter Datenschutzgrundverordnung und Bundesdatenschutzgesetz erfahren können.
Corona – Taylor Wessing: Die FAZ (Marcus Jung) schreibt ausführlich über die Schwierigkeiten, die die Coronakrise auch den Anwaltskanzleien bereitet sowie über Kritik an der Entscheidung der Kanzlei Taylor Wessing, allen wissenschaftlichen Mitarbeitern zu kündigen.
Rechtspolitik
NetzDG: Das Bundeskabinett hat eine Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) verabschiedet. Dadurch sollen Nutzer von großen sozialen Netzwerken rechtswidrige Inhalte schneller und einfacher melden können. Zudem soll ein geplantes Gegenvorstellungsverfahren dabei helfen, ungerechtfertigt gelöschte Inhalte wiederherzustellen. Schließlich sollen die Plattformen die Aussagekraft ihrer Transparenzberichte erhöhen. Die Novelle folgt auf eine erste Änderung des NetzDG, über die der Bundesrat noch berät, wonach Plattformen beanstandete Inhalte auch an das Bundeskriminalamt melden sollen. Über die Entscheidung des Bundeskabinetts schreiben die FAZ (Helene Bubrowski), netzpolitik.org (Tomas Rudl) und lto.de.
Constantin van Lijnden (FAZ) meint, der Reformentwurf lasse ein gewisses Problembewusstsein für die Gefahren erkennen, die das NetzDG für die Meinungsfreiheit bedeutet. Zwar bleibe das fundamentale Problem, dass Netzwerke im Zweifel lieber zu viel als zu wenig löschen. Immerhin werde nun aber den Verfassern von zu Unrecht gelöschten Posts ein Wiederherstellungsanspruch zugestanden.
Justiz
BGH zu Anwaltshonorar: Nun schreibt auch Rechtsanwalt Martin Huff in einem Beitrag für lto.de ausführlich über das Urteil des Bundesgerichtshofs von Anfang der Woche, in dem dieser eine vorformulierte Honorarvereinbarung für unwirksam erklärte, nach der ein Anwalt von seinem Mandanten u.a. mehr als das Dreifache seiner gesetzlichen Vergütung erhalten hätte.
OLG Düsseldorf – Rizin-Anschlag: Im Prozess gegen eine mutmaßliche islamistische Rizin-Bombenbauerin vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht hat die Angeklagte eine 170 Seiten starke Einlassung abgegeben. Darin äußert sie, sie habe einen Anschlag mit Rizin weder geplant noch durchführen wollen. Ihr Ehemann habe sie getäuscht und hintergangen. spiegel.de berichtet.
OLG Koblenz – Folter in Syrien: Die Zeit (Mohamed Amjahid/Holger Stark) schreibt ausführlich über einen Ende April vor dem Oberlandesgericht Koblenz beginnenden Prozess gegen den ehemaligen Kommandanten eines syrischen Gefängnisses sowie einen ehemaligen Geheimdienstmann des Regimes. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, für den Tod von 58 Menschen und die Folterung von mindestens 4.000 Häftlingen verantwortlich zu sein.
LG Köln zu Lufttrockner-Werbung: Nun schreibt auch community.beck.de (Christian Alexander) über ein noch nicht rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Köln, wonach es dem Hersteller eines Lufttrockners untersagt ist, sein Produkt mit dem Hinweis zu bewerben, es gewährleiste – anders als Papier – das hygienische Händetrocknen.
LG Potsdam zu Kindesmissbrauch: Ein 59-jähriger Mann ist laut spiegel.de vom Landgericht Potsdam wegen des schweren Missbrauchs eines Mädchens zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Wegen einer Alkoholabhängigkeit des Mannes wurde verminderte Schuldfähigkeit festgestellt sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Deutsche Richterakademie: Der Bund wird auch künftig 50 Prozent der Finanzierung der Deutschen Richterakademie übernehmen. Dies meldet lto.de.
Juristische Ausbildung
Corona – Digitale Lehre: community.beck.de (Martin Fries) präsentiert ein "ABC der digitalen Lehre".
Sonstiges
Juli Zeh: Die Zeit (Sabine Rückert) bringt ein Gespräch mit der Juristin und Autorin Juli Zeh. Sie äußert sich unter anderem zu ihrer Entscheidung, doch keine Strafrichterin zu werden, sowie dem Verhältnis von Recht und Moral.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/jng
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 2. April 2020: . In: Legal Tribune Online, 02.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41187 (abgerufen am: 03.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag