Das Kammergericht verweigert der Mutter eines verstorbenen Kindes den Zugriff auf dessen Facebook-Account. Außerdem in der Presseschau: EU-Kommission mit Plänen für eine Maut, Urteil zu Hamelner Gewalttat und anwaltliche Unfallflucht.
Thema des Tages
KG Berlin zu digitalem Nachlass: Die Mutter einer 2012 verstorbenen Tochter hat keinen Anspruch darauf, die auf Facebook festgehaltenen Chat-Nachrichten der Verstorbenen einzusehen. Dies entschied, anders als die Vorinstanz, nun das Kammergericht Berlin. Der Schutz des grundgesetzlichen Fernmeldegeheimnisses stehe etwaigen erbrechtlichen Ansprüchen entgegen, erlaube aber auch keine Ausnahmen zugunsten letzterer. Dies gelte gleichermaßen für das Recht der elterlichen Sorge oder das Persönlichkeitsrecht der klagenden Mutter. Das Kammergericht ließ eine Revision zum Bundesgerichtshof zu. Berichte zur Entscheidung bringen unter anderem SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Hendrik Widuwilt), Welt (Moritz Seyffarth) und community.beck.de (Hans-Otto Burschel).
In einer Analyse des Urteils bedauert Rechtsanwalt Gordian Oertel auf lto.de, dass die in der Rechtsprechung bislang ungeklärte Frage, inwiefern die Inhalte eines Facebook-Accounts als Teil des Nachlasses zu behandeln sind, auch weiterhin offen bleibe. Mit der herrschenden Meinung sei es zweifelhaft, ob der digitale Nachlass eine andere rechtliche Bewertung erheische als verkörperte Kommunikation, etwa in Briefen.
Wolfgang Janisch (SZ) macht in seinem Kommentar "die Untätigkeit des Gesetzgebers" für die nach wie vor bestehende Offenheit und das auf dieser Grundlage ergangene "irritierende" Urteil verantwortlich. Bereits 2013 habe der Deutsche Anwaltverein "ebenjenes Problem präzise vorhergesagt". Gigi Deppe (swr.de) merkt zudem an, dass sich im entschiedenen Fall gerade Facebook, das "sich selbst ansonsten wenig um Datenschutz schert", um datenschutzrechtliche Belange besorgt gezeigt habe. Der ungeklärte Tod des eigenen Kindes sei "eines der denkbar schrecklichsten Ereignisse" im Leben von Eltern, gerade deshalb wäre eine Ausnahme von "einem allzu förmlich verstandenen Datenschutz" angezeigt gewesen.
Rechtspolitik
Maut: Straßennutzungsgebühren, die von EU-Mitgliedsstaaten erhoben werden, sollen nach Plänen der EU-Kommission streckenbasiert und nicht, wie im soeben in Deutschland eingeführten Modell, abhängig von einem bestimmten Zeitraum erhoben werden. Mittels eines elektronischen Systems solle ein derart europaweites Verfahren spätestens 2027 eingeführt werden, berichten FAZ (Hendrik Kafsack) und SZ (Markus Balser/Pia Ratzesberger). In einem separaten Kommentar begrüßt Hendrik Kafsack (FAZ) die Idee einer nach Schadstoffausstoß und tatsächlicher Nutzung differenzierten Heranziehung von Autofahrern. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) müsse sich fragen lassen, warum nicht auch hierzulande "gleich ein vernünftiges Maut-System" eingeführt werde.
Bund-Länder-Finanzen: Heute und morgen werden Bundestag und Bundesrat über die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern abstimmen. Kern des "größten Reformvorhabens der Legislaturperiode", für das 13 Grundgesetzartikel geändert werden, sei eine stärkere Zentralisierung, schreibt die SZ (Cerstin Gammelin). Nach Darstellung des Hbl (Daniel Delhaes) beinhaltet das Vorhaben im Bereich der neugeregelten Autobahnverwaltung einen Verfassungsverstoß. Diese werde dem Bund überantwortet, die Option, Planfeststellungen und -genehmigungen auch auf Länderebene durchzuführen, solle dagegen nur einfachgesetzlich geregelt werden. Dies widerspreche nach Einschätzung des früheren Verfassungsrichters Hans-Jürgen Papier gegen die Verfassung.
NetzDG: Kritik an dem von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) betriebenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz bezeichnet die Zeit (Heinrich Wefing) in einem ausführlichen Beitrag als "überzogen" oder auch "schlicht böswillig". Bisherige Versäumnisse auf Seiten von Polizei, Justiz und Politik berechtigten die Anbieter sozialer Netzwerke nicht dazu, "nichts gegen illegale Inhalte" zu unternehmen oder diese nur aufgrund ihrer "undurchsichtigen digitalen Hausordnungen" zu sanktionieren. Der jetzige Entwurf versuche dagegen bei allen Unklarheiten im Detail, "neues Recht für eine Realität zu setzen".
EU-Fördergelder: lto.de (Maximilian Amos) berichtet zu einem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums, nach dem geprüft werden solle, ob der Verletzung rechtsstaatlicher Standards in EU-Mitgliedsstaaten mit der Kürzung von Fördergeldern begegnet werden kann. Nach dem Bericht der FAZ (Konrad Schuller/Hendrik Kafsack) hat die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo die Idee als "offensichtlichen Blödsinn" bezeichnet.
Pauschalreise-Richtlinie: Das Umsetzungsgesetz der "skandalösen" EU-Pauschalreise-Richtlinie soll nach Darstellung von focus.de (Matthias Kowalski) in einer Mitternachtssitzung des Bundestags am morgigen Freitag vom Bundestag verabschiedet werden. Trotz zahlreicher Bedenken von Fachleuten, Reisebüros und Verbraucherschützern beharre sie SPD "mit ihren personellen Verflechtungen zu großen Reisekonzernen" auf dem Gesetz.
Makler: Nach Bericht der SZ (Benedikt Müller) hat sich die Große Koalition im Grundsatz darauf verständigt, dass Makler und Hausverwalter ihren Tätigkeiten künftig nur noch mit einer Gewerbeerlaubnis nachgehen dürfen. Ursprünglich geplante Sachkundenachweise seien hingegen "vom Tisch".
UrhWissG: Der aktuelle Entwurf des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes weckt Widerspruch in Teilen der Union. Die FAZ (Reinhard Müller) nennt Stimmen und Kritik.
Überwachung: In einem Kommentar spricht sich Kai Biermann (zeit.de) gegen die ständige Verabschiedung von Überwachungsgesetzen aus. Als ob es etwa den NSA-Untersuchungsausschuss nicht gegeben hätte, würden Geheimdiensten durch die Bundesregierung im Namen der Terrorismusbekämpfung immer neue Befugnisse eingeräumt. Diese schafften aber immer nur eine Simulation von Sicherheit und ließen ansonsten den Überwachungsstaat wachsen.
Justiz
OLG Düsseldorf zu Kampfdrohnen: Das Oberlandesgericht Düsseldorf wies die Beschwerde eines US-amerikanischen Anbieters sogenannter Kampfdrohnen gegen die Auftragserteilung der Bundeswehr an eine israelische Firma ab. Nach der Entscheidung, deren Begründung bisher nicht veröffentlicht wurde, kann die Bestellung, die Zustimmung des Bundestags vorausgesetzt, unmittelbar in die Wege geleitet werden, schreibt die taz (Tobias Schulze).
LG Hannover zu Gewalttat von Hameln: Wegen versuchten Mordes zulasten seiner Ex-Ehefrau hat das Landgericht Hannover Nurettin B. zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Verurteilte hat zudem ein erhebliches Schmerzensgeld an die Geschädigte zu leisten. Die von der Staatsanwaltschaft geforderte lebenslange Haft unterblieb unter anderem wegen des uneingeschränkten Geständnisses des Mannes. Berichte über das Urteil zu der Gewalttat von Hameln im vergangenen November bringen unter anderem SZ (Peter Burghardt), FAZ (Reinhard Bingener) und spiegel.de (Peter Maxwill).
LG Frankfurt/M. – "Lasermann": Das Landgericht Frankfurt/M. entscheidet demnächst über die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Mordes gegen einen schwedischen Rechtsextremen. Der in seiner Heimat als Lasermann bekannt gewordene Angeschuldigte soll im Jahr 1992 eine Garderobenfrau erschossen haben. In Schweden hat er bislang wegen Mordes und mehrfachen Mordversuchs eine langjährige Haftstrafe verbüßt. Die Zeit (Daniel Müller) stellt den Angeschuldigten, der dem NSU als Vorbild gedient haben soll, vor.
LG Düsseldorf zu Deutscher Umwelthilfe: Die Deutsche Umwelthilfe darf auch weiterhin nicht behaupten oder den Eindruck erwecken, dass die für den VW Golf gemessenen Abgaswerte im regulären Straßengebrauch gesetzliche Grenzwerte nicht einhielten. Die entsprechende Hauptsacheentscheidung des Landgerichts Düsseldorf bestätigte damit eine Ende März erlassene einstweilige Verfügung, schreibt die FAZ (Martin Gropp). Die Umwelthilfe wolle umgehend Berufung gegen die Entscheidung einlegen.
AnwG Köln zu Unfallflucht: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, begangen von einem Anwalt, kann nach einer Entscheidung des Anwaltsgerichts Köln auch als berufsrechtliche Pflichtverletzung sanktioniert werden. Es entspreche den anwaltlichen Berufspflichten, sich an die allgemeinen Gesetze zu halten. Bei der anzustellenden Einzelfallabwägung seien die Umstände der strafrechtlichen Sanktion so schwerwiegend, dass sie geeignet seien, Achtung und Vertrauen von Rechtssuchenden zu beeinträchtigen. Über Fall und Entscheidung berichtet lto.de.
StA Stuttgart – Daimler: Die Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen den Daimler-Konzern werden nach Bericht der SZ (Max Hägler/Stefan Mayr) nun auch wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung geführt. Ermittler hätten bei ihrer Durchsuchung mehrerer Standorte in der vergangenen Woche keinen Zugriff auf bestimmte digitale Daten bekommen, nach Angaben des Unternehmens habe dies aber auf einem kommunikativen Missverständnis beruht.
Recht in der Welt
Polen – Begnadigung: Eine unmittelbar nach der Vereidigung der jetzigen polnischen Regierung durch Präsident Andrzej Duda initiierte Begnadigung des heutigen Geheimdienstkoordinators erging nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts Polens ohne Rechtsgrundlage. Der begnadigte Mariusz Kaminski war zuvor wegen unzulässiger Ermittlungsmethoden in seinem früheren Amt als Chef der Antikorruptionspolizei zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, erläutert die FAZ (Konrad Schuller). Die anschließende Begnadigung sei jedoch vor Rechtskraft dieses Urteils erfolgt.
Spanien – Katalonien: Die zerrütteten Beziehungen zwischen der spanischen Zentralregierung und der Regionalregierung Kataloniens stellt anhand der hierzu ergangenen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen der wissenschaftliche Mitarbeiter Daniel Toda Castan auf juwiss.de dar. Der Autor bemängelt, dass die nationale Regierung "das Verfassungsgericht an die Front geschickt zu haben" scheine, statt selbst die Initiative zu ergreifen, um eine weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern.
Sonstiges
Stadionverbot: Die FAZ (Alexander Haneke) befasst sich eingehend mit den Ausschreitungen beim letzten Spiel des TSV 1860 München und erläutert in diesem Zusammenhang das Stadionverbot "als wirksames Mittel, um gewalttätige Fans da zu treffen, wo es ihnen weh tut". Ausgesprochen würden die Verbote von den Vereinen und dem DFB als Inhaber des Hausrechts bei Fußballspielen. Der von Fan-Initiativen geäußerten Kritik daran, dass für den Ausspruch eines Verbots bereits strafrechtliche Ermittlungen ausreichten, sei durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2009 der Boden entzogen. Dort sei klargestellt worden, dass ein Verbot nicht willkürlich erfolgen dürfe.
Das Letzte zum Schluss
Sex im Wald: Passend zu den steigenden Temperaturen widmet sich bild.de den wirklich wichtigen Fragen des Boulevards: Ist Sex im Freien eigentlich erlaubt? Nach der Einschätzung einer zitierten Rechtsanwältin hängt eine Strafbarkeit wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses vor allem davon ab, ob die Liebenden entdeckt werden wollten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. Juni 2017: Kein digitaler Nachlass / Maut europaweit? / Urteil zu Hamelner Gewalttat . In: Legal Tribune Online, 01.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22793/ (abgerufen am: 16.04.2024 )
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