Die juristische Presseschau vom 1. Juni 2017: Kein digi­taler Nach­lass / Maut euro­pa­weit? / Urteil zu Hamelner Gewalttat

01.06.2017

Das Kammergericht verweigert der Mutter eines verstorbenen Kindes den Zugriff auf dessen Facebook-Account. Außerdem in der Presseschau: EU-Kommission mit Plänen für eine Maut, Urteil zu Hamelner Gewalttat und anwaltliche Unfallflucht.

 

 

Thema des Tages

KG Berlin zu digitalem Nachlass: Die Mutter einer 2012 verstorbenen Tochter hat keinen Anspruch darauf, die auf Facebook festgehaltenen Chat-Nachrichten der Verstorbenen einzusehen. Dies entschied, anders als die Vorinstanz, nun das Kammergericht Berlin. Der Schutz des grundgesetzlichen Fernmeldegeheimnisses stehe etwaigen erbrechtlichen Ansprüchen entgegen, erlaube aber auch keine Ausnahmen zugunsten letzterer. Dies gelte gleichermaßen für das Recht der elterlichen Sorge oder das Persönlichkeitsrecht der klagenden Mutter. Das Kammergericht ließ eine Revision zum Bundesgerichtshof zu. Berichte zur Entscheidung bringen unter anderem SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Hendrik Widuwilt), Welt (Moritz Seyffarth) und community.beck.de (Hans-Otto Burschel).

In einer Analyse des Urteils bedauert Rechtsanwalt Gordian Oertel auf lto.de, dass die in der Rechtsprechung bislang ungeklärte Frage, inwiefern die Inhalte eines Facebook-Accounts als Teil des Nachlasses zu behandeln sind, auch weiterhin offen bleibe. Mit der herrschenden Meinung sei es zweifelhaft, ob der digitale Nachlass eine andere rechtliche Bewertung erheische als verkörperte Kommunikation, etwa in Briefen.

Wolfgang Janisch (SZ) macht in seinem Kommentar "die Untätigkeit des Gesetzgebers" für die nach wie vor bestehende Offenheit und das auf dieser Grundlage ergangene "irritierende" Urteil verantwortlich. Bereits 2013 habe der Deutsche Anwaltverein "ebenjenes Problem präzise vorhergesagt". Gigi Deppe (swr.de) merkt zudem an, dass sich im entschiedenen Fall gerade Facebook, das "sich selbst ansonsten wenig um Datenschutz schert", um datenschutzrechtliche Belange besorgt gezeigt habe. Der ungeklärte Tod des eigenen Kindes sei "eines der denkbar schrecklichsten Ereignisse" im Leben von Eltern, gerade deshalb wäre eine Ausnahme von "einem allzu förmlich verstandenen Datenschutz" angezeigt gewesen.

Rechtspolitik

Maut: Straßennutzungsgebühren, die von EU-Mitgliedsstaaten erhoben werden, sollen nach Plänen der EU-Kommission streckenbasiert und nicht, wie im soeben in Deutschland eingeführten Modell, abhängig von einem bestimmten Zeitraum erhoben werden. Mittels eines elektronischen Systems solle ein derart europaweites Verfahren spätestens 2027 eingeführt werden, berichten FAZ (Hendrik Kafsack) und SZ (Markus Balser/Pia Ratzesberger). In einem separaten Kommentar begrüßt Hendrik Kafsack (FAZ) die Idee einer nach Schadstoffausstoß und tatsächlicher Nutzung differenzierten Heranziehung von Autofahrern. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) müsse sich fragen lassen, warum nicht auch hierzulande "gleich ein vernünftiges Maut-System" eingeführt werde.

Bund-Länder-Finanzen: Heute und morgen werden Bundestag und Bundesrat über die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern abstimmen. Kern des "größten Reformvorhabens der Legislaturperiode", für das 13 Grundgesetzartikel geändert werden, sei eine stärkere Zentralisierung, schreibt die SZ (Cerstin Gammelin). Nach Darstellung des Hbl (Daniel Delhaes) beinhaltet das Vorhaben im Bereich der neugeregelten Autobahnverwaltung einen Verfassungsverstoß. Diese werde dem Bund überantwortet, die Option, Planfeststellungen und -genehmigungen auch auf Länderebene durchzuführen, solle dagegen nur einfachgesetzlich geregelt werden. Dies widerspreche nach Einschätzung des früheren Verfassungsrichters Hans-Jürgen Papier gegen die Verfassung.

NetzDG: Kritik an dem von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) betriebenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz bezeichnet die Zeit (Heinrich Wefing) in einem ausführlichen Beitrag als "überzogen" oder auch "schlicht böswillig". Bisherige Versäumnisse auf Seiten von Polizei, Justiz und Politik berechtigten die Anbieter sozialer Netzwerke nicht dazu, "nichts gegen illegale Inhalte" zu unternehmen oder diese nur aufgrund ihrer "undurchsichtigen digitalen Hausordnungen" zu sanktionieren. Der jetzige Entwurf versuche dagegen bei allen Unklarheiten im Detail, "neues Recht für eine Realität zu setzen".

EU-Fördergelder: lto.de (Maximilian Amos) berichtet zu einem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums, nach dem geprüft werden solle, ob der Verletzung rechtsstaatlicher Standards in EU-Mitgliedsstaaten mit der Kürzung von Fördergeldern begegnet werden kann. Nach dem Bericht der FAZ (Konrad Schuller/Hendrik Kafsack) hat die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo die Idee als "offensichtlichen Blödsinn" bezeichnet.

Pauschalreise-Richtlinie: Das Umsetzungsgesetz der "skandalösen" EU-Pauschalreise-Richtlinie soll nach Darstellung von focus.de (Matthias Kowalski) in einer Mitternachtssitzung des Bundestags am morgigen Freitag vom Bundestag verabschiedet werden. Trotz zahlreicher Bedenken von Fachleuten, Reisebüros und Verbraucherschützern beharre sie SPD "mit ihren personellen Verflechtungen zu großen Reisekonzernen" auf dem Gesetz.

Makler: Nach Bericht der SZ (Benedikt Müller) hat sich die Große Koalition im Grundsatz darauf verständigt, dass Makler und Hausverwalter ihren Tätigkeiten künftig nur noch mit einer Gewerbeerlaubnis nachgehen dürfen. Ursprünglich geplante Sachkundenachweise seien hingegen "vom Tisch".

UrhWissG: Der aktuelle Entwurf des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes weckt Widerspruch in Teilen der Union. Die FAZ (Reinhard Müller) nennt Stimmen und Kritik.

Überwachung: In einem Kommentar spricht sich Kai Biermann (zeit.de) gegen die ständige Verabschiedung von Überwachungsgesetzen aus. Als ob es etwa den NSA-Untersuchungsausschuss nicht gegeben hätte, würden Geheimdiensten durch die Bundesregierung im Namen der Terrorismusbekämpfung immer neue Befugnisse eingeräumt. Diese schafften aber immer nur eine Simulation von Sicherheit und ließen ansonsten den Überwachungsstaat wachsen.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. Juni 2017: Kein digitaler Nachlass / Maut europaweit? / Urteil zu Hamelner Gewalttat . In: Legal Tribune Online, 01.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22793/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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