Strafrechtsprofessor Klaus Lüderssen ist tot. Außerdem in der Presseschau: Justizminister Maas wird bedroht, Schutz für Whistleblower, lieber Apartment als Knast und Hartz IV für arbeitslose Ausländer?
Thema des Tages
Lüderssen: Der renommierte Frankfurter Strafrechtsprofessor Klaus Lüderssen ist am Samstag gestorben. Er war auch Herausgeber der Zeitschrift "Strafverteidiger". Die Montags-FAZ (Reinhard Müller) bringt einen kurzen Nachruf.
Rechtspolitik
Whistleblowing: blog.beck.de (Markus Stoffels) gibt den Beschluss wieder, den die Justizministerkonferenz zum Schutz von Hinweisgebern gefasst hat. Die darin zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, Deutschland sei zur gesetzlichen Gewährleistung eines Schutzniveaus verpflichtet, sei nicht unumstritten.
Steuervereinfachung: In der FAS spricht sich der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof für ein einfaches Steuerrecht aus. Nur ein solches lasse sich mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Bestimmtheit und demokratische Repräsentation verbinden.
Steuern im Wahlkampf: Das Hbl (Heike Anger/Donata Riedel) kennt einige Positionen zur im Wahlkampf 2017 zu vertretenden Steuerpolitik. Einig seien sich Linke, Grüne und die derzeitigen Koalitionsparteien darin, dass es mehr Entlastungen statt weitere Belastungen geben müsse.
EU-Leitlinien zur Internetwirtschaft: Die Gesetze vieler EU-Mitgliedsländer sind den neuen Ideen der Internetwirtschaft, wie etwa dem Fahrdienstvermittler Uber, nicht gewachsen. Nun hat die EU Leitlinien veröffentlicht, mit denen zukünftig verhindert werden soll, dass die Anbieter sich in jedem Mitgliedsland mit anderen Regeln auseinandersetzen müssen. So solle auch ein einheitlicher Zugang für die Verbraucher gewährleistet werden, schreibt die FAS (Corinna Budras).
Erneuerbare Energien: Eine derzeit erarbeitete grundlegende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes könnte dessen Erfolge außer Kraft setzen, meinen der Leiter der Forschungsanstalt Nachhaltigkeit und Klimapolitik Felix Ekardt und Rechtsanwältin Bettina Hennig auf lto.de und geben einen Überblick über die geplanten Neuerungen.
Netzneutralität: Die neuen EU-Hinweise zur Umsetzung der Netzneutralitätsrichtlinie wurden von einem französischen Magazin vorab veröffentlicht. Wie der Anthropologe Thomas Lohninger in englischer Sparche auf netzpolitik.org schreibt, bleiben dabei viele Fragen offen.
Bauvertragsrecht: Trotz der Bedenken des Bundesrates hat die Bundesregierung das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts nur mit begrenzten Nachbesserungen in den Bundestag eingebracht. Die nun zur Debatte stehenden Änderungen stellt der Rechtsanwalt Oliver Kerpen auf lto.de vor.
DAT zum Strafrecht: Auch Christian Bommarius (BerlZ) kommentiert jetzt den diesjährigen Deutschen Anwaltstag. Er begrüßt, dass sich der DAT gegen den Missbrauch des Strafrechts als "Allheilmittel" positionierte und zeigt anhand aktueller Gesetzesinitiativen (etwa der Kriminalisierung von Gaffern), wie das Strafrecht nicht eingesetzt werden sollte.
Justiz
EuGH – Arzneimittelpreisbindung: Im Verfahren um die Vereinbarkeit der Arzneimittelpreisbindung mit EU-Recht hat der zuständige Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs die Schlussanträge gestellt. Wie der Rechtsanwalt Arne Thiermann auf lto.de schreibt, geht es um die Frage, ob sich die Abschottung des deutschen Apothekenmarktes mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbaren lasse. Der Generalanwalt habe sich dagegen ausgesprochen.
BVerfG – Leistungsausschluss: Mit der Frage, ob arbeitslose Ausländer, die allein zur Arbeitssuche in Deutschland sind, von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossen werden dürfen, wird sich das Bundesverfassungsgericht befassen. Das vorlegende Sozialgericht Mainz sei der Auffassung, der Ausschluss sei nicht mit dem Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vereinbar, schreibt die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch).
BGH – IS-Verdächtige: Dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof wurden die drei mutmaßlichen IS-Anhänger vorgeführt, denen die Planung eines Anschlags in der Düsseldorfer Altstadt vorgeworfen wird. In allen drei Fällen sei Untersuchungshaft angeordnet worden, schreibt die Samstags-SZ (Georg Mascolo).
OLG Düsseldorf – Reker-Attentat: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf hat der Reker-Attentäter kundgetan, er hätte eigentlich Angela Merkel als Zeichen gegen ihre Flüchtlingspolitik töten wollen. Dies meldet die Samstags-SZ.
LG Koblenz – Sturmgewehr G36: Im Streit um das Sturmgewehr G36 mit dem Waffenhersteller Heckler & Koch droht dem Bundesverteidigungsministerium eine Niederlage. Wie spiegel.de (Matthias Gebauer) berichtet, seien die festgestellten Präzisionsmängel bei längeren Schusswechseln nach einer ersten Einschätzung des Landgerichts Koblenz kein Mangel. Zudem hätte vor der Ausmusterung über eine Nachbesserung verhandelt werden müssen.
LG München – Versuchter Mord: Der Spiegel (Gisela Friedrichsen) schildert den Fall einer Frau, die sich auf dem Münchener Oktoberfest mit einem Taschenmesser gegen obszöne rassistische Äußerungen zur Wehr setzte und sich nun vor dem Landgericht München wegen versuchten Mordes verantworten muss.
Recht in der Welt
EU-Türkei-Deal: Die Türkei soll das Rücknahmeabkommen mit der EU suspendiert haben, bis die EU türkischen Bürgern eine visafreie Einreise gewährt, schreibt die Montags-taz (Jürgen Gottschlich) unter Berufung auf türkische Medien. Die EU hingegen verweigert die Visafreiheit, bis die Türkei ihre Anti-Terrorgesetze anpasst. Die taz betont, die Entscheidung sei Ende Mai gefallen, demnach keine Reaktion auf die Armenien-Resolution.
Jürgen Gottschlich (Montags-taz) moniert in einem separaten Kommentar, dass der gesamte Deal ohnehin auf "rechtsstaatlicher Skrupellosigkeit" beruhe und die EU erst Skrupel entdeckt habe, als es um einen Punkt ging, der auch normalen türkischen Bürgern helfen würde. Er versteht daher, dass die Türkei sich von der EU betrogen fühlt und hofft, dass der vorerst geplatzte Deal letztlich eine menschenwürdige Flüchtlingslösung bedingt.
Schweiz – Bedingungsloses Grundeinkommen: Am gestrigen Sonntag hat in der Schweiz die Mehrheit der Abstimmenden (78 Prozent) abgelehnt, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. Damit ist die weltweit erste Volksabstimmung zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens gescheitert. Die Montags-taz (Andreas Zumach) beschreibt den Vorschlag; die Initiatoren seien mit 22 Prozent Zuspruch zufrieden. Auch die Montags-FAZ (Johannes Ritter) schreibt über die Initiative. Die Montags-Welt (Jan Dams) zeichnet die Debatte nach.
Polen – Verfassungskrise: Für eine Verfassungskrise, wie die polnische, gibt es keine politische Lösung, meint verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis). Jeder Kompromiss sei ein Fehler. Die EU-Kommission dürfe daher nicht locker lassen bis zur vollständigen Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit.
Russland – EGMR-Urteil: Auf verfassungsblog.de befasst sich die Studentin Alsu Galiautdinova mit den Folgen einer Entscheidung des russischen Verfassungsgerichts, welches das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, auch Inhaftierten stehe ein Wahlrecht zu, für nicht vollstreckbar erklärte.
Türkei – Abgeordnetenimmunität: Das türkische Verfassungsgericht hat die Klagen einiger Oppositionspolitiker, welche gegen die Aufhebung ihrer Immunität vorgehen wollten, abgewiesen. Noch seien die Gründe der Richter unbekannt, meldet spiegel.de.
Sonstiges
Morddrohungen gegen Maas: Justizminister Heiko Maas (SPD) sieht sich mit Morddrohungen konfrontiert, wie zeit.de unter Berufung auf ein Interview in der BamS meldet. Maas' Angreifer kämen laut eigenen Angaben aus der rechten Szene. Er betont allerdings: "Unsere Demokratie ist stark genug, um auch Rechtspopulisten auszuhalten."
Politische Beleidigung: Die Bundesregierung stellte unter Konrad Adenauer hunderte Strafanträge wegen politischer Beleidigung, die allein bis Ende 1952 zu mehreren Dutzend Gefängnisstrafen von durchschnittlich drei Monaten führten. Das geht aus Akten im Bundesarchiv hervor, aus denen der Spiegel (Felix Bohr/Klaus Wiegrefe – verkürzte Onlinefassung) zitiert.
Wohnungseinbrüche: In einem Gastbeitrag für die Montags-SZ erklärt Kriminologe Christian Pfeiffer, warum es nicht zweckmäßig ist, die Strafandrohung für Wohnungseinbrüche zu erhöhen – dies hatte Volker Kauder (CDU) gefordert. Kriminologisch belegt ist, dass nicht die Höhe der möglichen Strafe potentielle Straftäter abschreckt, sondern die vermutete Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden. Pfeiffer erläutert, warum er daher ein "taugliches Präventionskonzept" begrüßen würde.
Interview mit EU-Wettbewerbskommissarin: Der Focus (Daniel Goffart/Mirjam Moll) spricht mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager über Brexit, den (teilweise) kritischen Zustand der EU, über ihren Einsatz für fairen Wettbewerb, über den Fall Google sowie über Steuerabsprachen und mögliche Steuerreformen.
Fall Corelli: Angesichts neuer Fundstücke im Fall Corelli, die den NSU-Ermittlern schon vor Jahren ausgehändigt hätten werden müssen, hat sich Verfassungsschutzpräsident Maaßen vor den Ausschüssen über die Missachtung von Dienstanweisungen in seiner Behörde beschwert, schreibt die FAS (Peter Carstens). Im Interview mit der Samstags-SZ (Ronen Steinke) spricht der ehemalige Grünen-Abgeordnete Jerzy Montag, der vom Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags erneut als Sonderermittler eingesetzt wurde, darüber, warum ihm zuvor nicht die ganze Wahrheit gesagt wurde.
NSA-Untersuchungsausschuss: Der Bundestag hat sich darauf geeinigt, den Untersuchungsauftrag für den NSA-Untersuchungsausschuss zu erweitern. Wie netzpolitik.org (Anna Biselli) schreibt, soll es dabei um die Aufklärung der BND-eigenen Selektoren gehen.
Freiheitsberaubung: Angesichts des Vorfalls im sächsischen Arnsdorf, bei dem vier Männer einen Iraker an einen Baum banden, beantwortet die Samstags-SZ (Jan Heidtmann) die Frage, ob Bürger einen anderen Menschen fesseln dürfen. Grundsätzlich sei dies eine Freiheitsberaubung und damit ein gravierender Grundrechtseingriff, der jedoch durch das sogenannte Jedermannsrecht gerechtfertigt sein könne.
Affen als Person? Anlässlich eines sogenannten Affenprozesses in New York befasst sich der Lektor Martin Rath auf lto.de mit den juristischen Auseinandersetzungen (insbesondere in den USA) darüber, ob Affen als Person gesehen werden können.
Das Letzte zum Schluss
Lieber Apartment als Knast: Ein reicher Geschäftsmann möchte vor einem Gericht in New York Sonderkonditionen für seine Zeit in U-Haft aushandeln. Statt im Gefängnis möchte er lieber in einem bewachten Apartment auf den Beginn seines Prozesses warten. Bei einem Fluchtversuch würde er auf sich schießen lassen, schreibt spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ml/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. bis 6. Juni 2016: Lüderssen ist tot / Schutz für Whistleblower / Drohungen gegen Maas . In: Legal Tribune Online, 06.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19556/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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