Die juristische Presseschau vom 12. Dezember 2019: Bald Eck­punkte für Lie­fer­ket­ten­ge­setz / Anzeige wegen Rüs­tungs­ex­porten / Fischer zu Augs­burg

12.12.2019

Unternehmen sollen künftig menschenrechtlich verpflichtet werden. Außerdem in der Presseschau: Anzeige gegen Waffenhersteller beim IStGH und Ex-Bundesrichter Fischer kritisiert Polizei und Medien nach dem tödlichen Angriff von Augsburg.

Thema des Tages

Lieferkettengesetz: Wie FAZ Wirtschaft (Manfred Schäfers), SZ (Caspar Dohmen), taz (Hannes Koch) und zeit.de (Zacharias Zacharakis) berichten, haben Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angekündigt, Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz zu erarbeiten, wodurch deutsche Unternehmen und Tochtergesellschaften mit Produktionsstätten im Ausland verpflichtet werden sollen, gegen Menschenrechtsverletzungen in Produktionsländern durch Einhaltung von menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltspflichten vorzugehen. Konkret geht es um die Verhinderung von Kinderarbeit, existenzsichernde Löhne und die Vermeidung ökologischer Schäden. Bei Verstößen sollen die Unternehmen haftbar gemacht werden können. Hintergrund ist, dass laut einer Befragung der Unternehmensberatung Ernst & Young die freiwilligen Sorgfaltspflichten nur durch 20 Prozent der Unternehmen eingehalten werden. Bevor ein Gesetzentwurf erarbeitet wird, soll eine erneute Umfrage abgewartet werden.

Rechtspolitik

Urheberrecht/Amtliche Werke: Mehrere Journalisten-Organisationen fordern in einem offenen Brief an Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt Gemeinfreiheit für alle "amtlichen Werke". Dadurch soll verhindert werden, dass das Urheberrecht genutzt wird, um staatliche Informationen nicht an Journalisten herausgeben zu müssen. Hintergrund ist ein Rechtsstreit zwischen der Plattform "FragDenStaat" und der Bundesregierung um ein Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung zu Auswirkungen des Glyphosat-Einsatzes vor dem Landgericht Köln. Es berichten spiegel.de und netzpolitik.org (Christopher Hamich).

Presseauskunftsgesetz: Wie die taz (Christian Rath) erläutert, fordert ein breites Medienbündnis ein Presseauskunftsgesetz auf Bundesebene zu schaffen, wobei es Anträge von Grünen und FDP unterstützt. Seit 2013 bestehe eine Gesetzeslücke. Damals hatte des Bundesverwaltungsgericht für Presseauskünfte gegen Bundesbehörden ein Bundesgesetz für erforderlich erachtet. Inzwischen garantiere das BVerwG zwar einen Auskunftsanspruch direkt aus dem Grundgesetz, der dem Niveau der Landesgesetze entspricht. Mit einem Bundesgesetz könnten aber Zusatzwünsche wie ein Akteneinsichtsrecht umgesetzt werden.

Antidiskriminierungsgesetz Berlin: Laut taz (Susanne Memarnia) wird Berlin als erstes Bundesland ein Antidiskriminierungsgesetz verabschieden, auf dessen Grundlage sich Betroffene direkt gegen die Behörden richten können. Wie beim Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sollen Ansprüche auf Schadensersatz geschaffen werden. Außerdem soll ein Verbandsklagerecht geschaffen werden sowie eine Ombudsstelle, an die sich Betroffene außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens wenden können.

Justiz

IStGH – Rüstungsexporte Jemen: Die SZ (Ronen Steinke) berichtet über die Strafanzeige des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit europäischer Waffenproduzenten im Jemen-Krieg. Dabei werden Waffenlieferungen an die Konfliktpartei Saudi-Arabien, etwa durch Rheinmetall und Airbus, als Beihilfe zu Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht gewertet. Kernfrage werde sein, ob sich die Hersteller auf die staatlichen Einschätzungen bei Genehmigung der Exporte verlassen durften. Sollten die Haager Ankläger die Anzeige zur Anklage bringen, wäre es das erste Mal seit den Nürnberger Prozessen, dass sich ein internationales Strafverfahren gegen Unternehmen richtet.

BVerfG zu Auslieferungen nach Russland: Laut FAZ (Marlene Grunert) hat das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in zwei Beschlüssen Auslieferungen nach Russland beschränkt. Die Bundesrepublik dürfe solche Personen nicht ausliefern, denen ein Strafverfahren in der Teilrepublik Tschetschenien bevorsteht, das nicht den rechtsstaatlichen Mindeststandards genügt, oder wenn ihnen dort politische Verfolgung droht. Die einseitige Formulierung deutscher Erwartungen an die Rechtstaatlichkeit russischer Verfahren genüge nicht.

BVerwG – Grundrechtsfähigkeit eines Unternehmensverbandes: Auf lto.de macht der Rechtswissenschaftler Frederik Ferreau auf eine heute anstehende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Grundrechtsfähigkeit eines Arbeitsgeberverbandes aufmerksam. Dieser vertritt in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins ca. 100 Mitgliedsunternehmen aus dem Bereich des Öffentlichen Personenverkehrs und schloss zahlreiche Tarifverträge mit Gewerkschaften ab. Diese hat das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium nun für nicht repräsentativ erklärt, wodurch sich der Verband in seiner Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz verletzt sah. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf und das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hatten die Klage mangels Grundrechtsfähigkeit als unzulässig abgewiesen mit dem Argument, die Mitgliedsunternehmen des Verbands seien mehrheitlich durch die öffentliche Hand beherrscht. Im Kern wird es um die Frage der Konfusion gehen.

BVerwG – Jahresrückblick: lto.de (Hasso Suliak) bringt den nächsten Jahresrückblick in Gestalt einer Liste der zehn wichtigsten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2019. An erster Stelle steht das Verfahren gegen die deutsche Fußball Liga (DFL) zur Kostenübernahme bei Hochrisikospielen.

LAG Berlin-Brandenburg zu Lehrer mit Nazi-Tattoo: Nach Berichten von spiegel.de, taz (Jonas Julino) und SZ (Jan Heidtmann) hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Berufungsverfahren entschieden, dass die Kündigung eines Lehrers mit Nazi-Tattoos wegen eines Formfehlers nicht rechtmäßig war. Der Kündigung hätte eine Abmahnung unter Mitteilung des Kündigungsgrundes vorausgehen müssen. Der Kläger trägt die Losung der SS "Meine Ehre heißt Treue", sowie das nationalsozialistische Ersatzsymbol "Schwarze Sonne" als Tattoo auf dem Oberkörper und hatte diese auch öffentlich gezeigt, weshalb er sich auch strafrechtlich verantworten muss.

LG München I zu Bushido/Fler: Das Landgericht München I hat in der Klage der Ehefrau des Rappers Bushido, Anna-Maria Ferchichi, und deren vier Kindern gegen den Rapper Fler entschieden. Dieser hatte sich in einem Songtext abfällig über Ferchichi geäußert und angezweifelt, dass Bushido Vater der Kinder sei. In der Abwägung von Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit gab das Gericht dem Antrag auf einstweilige Verfügung statt. Ausschlaggebend waren die Persönlichkeitsrechte der Kinder, die sich – anders als die Ehefrau Bushidos – nicht an dem Konflikt beteiligt hatten. Es berichten FAZ (Sebastian Eder), SZ (Stephan Handel), spiegel.de und lto.de.

LG Köln zu Helmut Kohl: Das Landgericht Köln hat einer weiteren Klage der Witwe des Ex-Bundeskanzlers, Maike Kohl-Richter, zum Teil stattgegeben (FAZ (Reiner Burger), spiegel.de (Christian Parth) und lto.de). Danach darf der Autor Heribert Schwan weitere Passagen aus seinem Buch "Die Kohl-Protokolle" nicht weiter verbreiten und muss eventuelle bereits mit dem Buch erzielte Gewinne offenlegen, um eventuelle Schadensersatzansprüche darauf zu stützen. Nicht in Anspruch genommen werden können laut Gericht der Ko-Autor und der Verlag Random House, da es an hier einer vertraglichen Bindung fehle und das postmortale Persönlichkeitsrecht Helmut Kohls im konkreten Fall nicht verletzt worden sei. Beide Parteien wollen in Berufung gehen.

VGH München zum Bayerischen Integrationsgesetz: Ahmad Mansour (Zeit) greift nochmals das Urteil des bayerischen Verfassungsgerichtshofs auf, der das bayerische Integrationsgesetz für zum Teil für nicht mit der Landesverfassung vereinbar erklärte. Das Urteil sei ein Fehler. Es sei die "Bringschuld" der Zugewanderten, sich in das Land einzufügen, und dies erfordere Konsequenz.

BVerfG: Die BadZ (Christian Rath) berichtet von einem lebhaften Streitgespräch zwischen dem Freiburger Anwalt Kleine-Cosack und der Verfassungsrichterin Yvonne Ott über einen von Kleine-Cosack behaupteten Bedeutungsverlust des Bundesverfassungsgerichts und darüber, wie das Gericht – gegebenenfalls durch grundgesetzliche Änderungen – vor populistischen Einflussnahmen geschützt werden kann.

Recht in der Welt

Österreich – Staatstrojaner: netzpolitik.org (Alexander Fanta) erläutert das Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, wonach der Einsatz eines sogenannten Staatstrojaners sowie das Betreten von Räumlichkeiten zur Installation anderer Überwachungssoftware sowie die massenhafte Erhebung und Speicherung von Daten im Straßenverkehr unverhältnismäßig und daher verfassungswidrig sei.

Polen – Rechtsstaatlichkeit: Die Zeit (Olivia Kortas/Heinrich Wefing) nimmt den Verfassungskonflikt in Polen in den Blick und geht auf die Folgen ein, die eine vom Obersten Gericht in Warschau getroffene Entscheidung für die Rechtsstaatlichkeit im Land haben könnte. Das Oberste Gericht hatte sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gestützt und die Disziplinarkammer am obersten Gericht und den Landesjustizrat für unrechtmäßig, da politisch abhängig, erklärt. Die Zeit hält fest, es "stünde die Herrschaft des Rechts in Europa infrage", sollte sich die polnische Regierung über diese Entscheidung hinwegsetzen.

Auf verfassungsblog.de richten die Rechtswissenschaftler Laurent Pech, Kim Lane Scheppele und Wojciech Sadurski einen offenen Brief (in englischer Sprache) an die Präsidentin der Europäischen Kommission, in der sie die Notwendigkeit, umgehend Maßnahmen gegen Polen im Rahmen des Rechtsstaatsverfahren gegen das Land zu ergreifen, darlegen.

EuGH – Kroatien/Slowenien: Laut lto.de hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof nun seine Schlussanträge in einem Verfahren um den Grenzverlauf zwischen Kroatien und Slowenien vorgelegt. Er legt darin dar, dass die beiden Staaten die Frage der Abgrenzung des jeweiligen Hoheitsgebiets völkerrechtlich zu klären hätten. Die Zuständigkeit der EU und damit des Europäischen Gerichtshofs sei nicht berührt.

IGH – Rohingya: Unter anderem FAZ (Till Fähnders), SZ (Arne Perras) und spiegel.de (Katrin Kuntz) haben den Auftritt der Regierungschefin Myanmars, Aung San Suu Kyi, vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verfolgt. Gambia hatte Klage gegen Myanmar wegen Völkermordes an der muslimischen Minderheit der Rohingya erhoben. Insbesondere soll es vorerst um die Frage gehen, ob unmittelbare Schritte zum Schutz der Rohingya einzuleiten sind. Die Regierungschefin habe vor den UN-Gericht alle Vorwürfe gegen das Militär ihres Landes abgestritten und sich auf die Aussage gestützt, es habe sich bei den Aktionen der Militärs um Vertreibungen Aufständischer gehandelt.

Indien – Staatsangehörigkeitsgesetz: Die beiden Kammern des indischen Parlaments haben trotz vielfacher Proteste einer umstrittenen Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts zugestimmt, wonach es illegalen Einwanderern aus Afghanistan, Bangladesch und Pakistan, die vor 2014 nach Indien gekommen sind, künftig erleichtert werden soll, die indische Staatsangehörigkeit zu erhalten – allerdings nur, wenn sie nicht-muslimischen Minderheiten angehören. spiegel.de und zeit.de berichten.

USA – Impeachment: In der Zeit (Kerstin Kohlenberg) ist ein Interview mit dem US-Rechtsprofessor Jeffrey Rosen zu lesen, worin dieser die für das Impeachment-Verfahren vorgesehenen Regeln, insbesondere im Unterschied zu einem Gerichtsverfahren, erläutert und aufzeigt, warum die Anklage gegen Trump zuletzt auf zwei Punkte reduziert wurde.

USA – Exxon Mobil: Laut spiegel.de hat ein New Yorker Gericht in einem Verfahren wegen Anlegertäuschung durch Falschangaben zum Klimawandel den US-Ölkonzern Exxon Mobil mangels ausreichender Beweise freigesprochen.

Sonstiges

Tödlicher Angriff von Augsburg: Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer kritisiert in seiner spiegel.de-Kolumne, dass das Tötungsdelikt von Augsburg von der Polizei als "Totschlag" und nicht als "Körperverletzung mit Todesfolge" eingestuft wurde. Für bedenklich hält er auch die von der Polizei betonte Solidarität innerhalb des "Blaulichtsektors". Das Tatopfer sei als Privatperson, nicht als Feuerwehrmann angegriffen worden. Fischer konstatiert abschließend: "Auf der Strecke bleiben dabei die Betroffenen: Die Tatopfer, aber auch die Beschuldigten. Sie werden zu Spielbällen einer willkürlich, zufällig und zynisch erscheinenden Konstruktion von Medien-Wirklichkeit erniedrigt."

E-Scooter: Laut SZ (Wolfgang Janisch) könnte künftig das Abstellen von Leihrollern am Straßenrand über das straßenrechtliche Instrument der Sondernutzungserlaubnis reguliert werden. Die Stadt Bremen habe als erste Kommune auf dieser Grundlage befristete Genehmigungen erteilt, Düsseldorf und Berlin prüften die Möglichkeit.

 

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lto/cc

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 12. Dezember 2019: Bald Eckpunkte für Lieferkettengesetz / Anzeige wegen Rüstungsexporten / Fischer zu Augsburg . In: Legal Tribune Online, 12.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39197/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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