Die juristische Presseschau vom 9. September 2011: Karls­ruher Orakel – Ber­liner Sicher­heits­de­batte – Katho­li­sche Kün­di­gung

09.09.2011

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Euro-Rettung tobt in den Medien der Kampf um die Deutungshoheit des Urteils. Was meinen die Karlsruher Richter eigentlich? Außerdem in der Presseschau: Terrorbekämpfung und Sicherheitsgesetze, Gegenwind für Johannes Schmalzl bei der Berufung zum Generalbundesanwalt, katholisches Arbeitsrecht und vieles andere.

Euro-Rettung: Diverse Kommentare befassen sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Euro-Rettung. Das Gericht habe "wieder einmal den großen Konflikt mit der Politik vermieden", schreibt Heinrich Wefing (Die Zeit), "Die Richter haben lediglich den Bundestag verpflichtet, sich selbst ernst zu nehmen". Georg Paul Hefty (FAZ) hingegen "sticht ins Auge, dass das ringsum so sehr begrüßte Mitwirkungsrecht des Bundestages - bei anderen schwerwiegenden Entscheidungsfällen wird von Parlamentsvorbehalt gesprochen - nur in bemessener Form eingefordert wird".

Umstritten ist vor allem die Auswirkung auf die Ausgabe von europäischen Gemeinschaftsanleihen, den sogenannten Euro-Bonds. Wolfgang Janisch (SZ) erklärt: "Freilich bedeutet die sorgsame Vermeidung des Wortes Euro-Bonds nicht, dass die Richter dazu geschwiegen hätten". Eine "unbeschränkte Ausgabe" von europäischen Gemeinschaftsanleihen, ohne Vetorecht des Parlaments, sei mit dem Urteil aber jedenfalls nicht vereinbar.

Die FAZ (Joachim Jahn) befragt die Verfassungsrechtler Frank Schorkopf und Matthias Ruffert zum Thema Euro-Bonds, die beide zu dem Schluss kommen, dass die Gemeinschaftsanleihen ohne eine Änderung der EU-Verträge nicht zulässig seien. Die FTD (Sarah Mühlberger/Fabian Herrmann/André Kühnlenz) titelt hingegen: "Juristen glauben weiter an Euro-Bonds". Nach Ansicht des Europarechtlers Ralph Alexander Lorz sei lediglich eine "umfassende Haftungsgemeinschaft" ausgeschlossen. Joachim Wieland von der Verwaltungshochschule Speyer wird mit den Worten zitiert: "Das Urteil verringert nur die deutsche Flexibilität."

Weitere Themen – Rechtspolitik

Sicherungsverwahrung: Die SZ (Heribert Prantl) befasst sich mit der Reform der Sicherungsverwahrung. Das Bundesjustizministerium und die Länder seien sich "bislang erstaunlich einig". Ungeklärt sei jedoch noch die Frage, ob die Sicherungsverwahrung bei einer "psychischen Störung" nachträglich angeordnet werden könne oder ob sie im Urteil angeordnet oder vorbehalten werden muss.

Hauseigentümer: Das Handelsblatt (Christian Hunziker) gibt eine Übersicht darüber, inwiefern Hauseigentümer von Vorschriften zum Umweltschutz und Energiesparmaßnahmen betroffen sind. Umstritten sei insbesondere die sogenannte Dichtheitsprüfung, nach der Hauseigentümer ihre Abwasserleitungen überprüfen müssen.

Terrorbekämpfung: Nach der Festnahme zweier Terrorverdächtiger in Berlin fordert Steffen Hebestreit (FR) in einem Kommentar, "die Festnahmen nicht für eine neuerliche Debatte über Sicherheitsgesetze zu instrumentalisieren. Die Gesetze reichen aus, muss die Lehre lauten." Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger greift die Sicherheitsdebatte in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt anlässlich des Jahrestages der Anschläge vom 11. September 2001 auf. Die Sicherheitsgesetzgebung müsse überprüft, die Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten verdeutlicht werden.

Weitere Themen - Justiz

Generalbundesanwalt: Die SPD-geführten Länder sperren sich gegen die Berufung des FDP-Politikers Johannes Schmalzl zum Generalbundesanwalt, berichtet die SZ (Susanne Höll). Der Bundesrat soll dem Vorschlag der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger am 23. September zustimmen. Bis jetzt sei jedoch unklar, ob sich eine Mehrheit für Schmalzl finde.

Katholisches Arbeitsrecht: Das Bundesarbeitsgericht hat am Donnerstag die Kündigung eines Arztes aufgehoben, der in zweiter Ehe verheiratet war. Grundsätzlich dürften kirchliche Arbeitgeber Beschäftigten kündigen, wenn ihr Privatleben mit der katholischen Lehre nicht vereinbar sei, allerdings nur nach sorgfältiger Abwägung. Die taz (Christian Rath) erläutert das Urteil und schildert die Umstände des Einzelfalles. In der FAZ (Daniel Deckers) heißt es: "Dem Urteil könnte eine Abkehr von der bisherigen Rechtssprechung auf dem Gebiet des kirchlichen Arbeitsrechts zugrundeliegen." Bisher habe das Selbstbestimmungsrecht der Kirche die Rechte der Arbeitnehmer stets überwogen.

Claassen gegen Solar Millenium: Heute beginnt der Prozess des Managers Utz Claassen gegen seinen früheren Arbeitgeber, das Solarthermie-Unternehmen Solar Millenium, vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth. Claassen hatte nach 74 Tagen als Chef des Unternehmens gekündigt und fordert eine Abfindung in Höhe von sieben Millionen Euro. In einem doppelseitigen Interview mit dem Handelsblatt (Gabor Steingart/Georg Weishaupt) stellt Claassen seine Auffassung dar.

RAF-Prozesse: Die SZ (Wolfgang Janisch) führt ein Interview mit dem Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger. Er plädiert dafür, den Strafverfolgungsdruck auf ehemalige RAF-Terroristen zu verringern, um die historische Aufarbeitung der Geschehnisse zu ermöglichen.

U-Bahn-Schläger: Die Welt (Miriam Hollstein) schildert die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung im Strafprozess gegen Torben P. Der 18-Jährige hatte im April dieses Jahres im Berliner U-Bahnhof Friedrichstraße einen Mann niedergeschlagen. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Jugendstrafe von vier Jahren wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung.

Prinz gegen Ex-Anwalt: Prinz Ernst August von Hannover verlangt von seinem ehemaligen Anwalt Schmerzensgeld, weil dieser 2004 in einem Verfahren wegen Körperverletzung ohne Absprache ein Geständnis präsentiert hatte. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtet von dem Prozess vor dem Oberlandesgericht Celle. Dabei gehe es um die Frage: "Wie weit darf ein Verteidiger sich aus reiner Prozesstaktik von den Wünschen seines Mandanten entfernen?".

Weitere Themen – Recht in der Welt

Libyen-Krieg: Der Völkerstrafrechtler Reinhard Merkel beschäftigt sich in einem Gastbeitrag für Die Zeit mit dem Nato-Einsatz in Libyen. Er hält das Vorgehen der Nato für illegitim: "Allein zum Schutz einer Bevölkerung vor dem Fortbestand einer Diktatur darf auch der Sicherheitsrat keinen Krieg autorisieren."

Weitere Themen – Sonstiges

Krise und Wirtschaftskanzleien: lto.de spricht mit dem Rechtsanwalt Markus Hartung über die Aussichten von Wirtschaftskanzleien in der Krise. Viele Anwälte müssten ihr Geschäftsmodell überdenken.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ak

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. September 2011: Karlsruher Orakel – Berliner Sicherheitsdebatte – Katholische Kündigung . In: Legal Tribune Online, 09.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4248/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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