Die juristische Presseschau vom 7. Oktober 2011: Psychische Störung definiert – Selbstherrliche Investition beanstandet – NS-Prozesswelle prognostiziert

07.10.2011

Manche fühlen sich an Ostblock-Methoden erinnert, wenn gesunde Straftäter psychiatrisiert werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte jedoch im Fall eines Sicherungsverwahrten keine Bedenken.  Außerdem in der Presseschau: der verfassungswidrige Kauf von EnBW-Anteilen in Baden-Württemberg, eine mögliche Prozesswelle gegen KZ-Wachleute und vieles andere.

Nach der Sicherungsverwahrung I: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat den Begriff der "psychischen Störung" definiert, der die zwangsweise Unterbringung von Straftätern erlaubt, die aus rechtlichen Gründen aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen. Als "psychische Störung" gelten demnach nicht nur echte Krankheiten, sondern auch sonstige Persönlichkeitsstörungen und gefährliche Sexualpräferenzen wie Sadismus und Pädophilie. Das berichten unter anderem die SZ (Wolfgang Janisch) und die taz (Christian Rath).

In einem separaten Kommentar bezeichnet Wolfgang Janisch (SZ) das Urteil als riskant. "Indem es den Begriff 'psychische Störung' nobilitiert, verlässt das Gericht den festen Boden des Strafrechts, das entweder Schuld oder Krankheit kennt". Auch Max Steinbeis (Verfassungsblog) fühlt sich mit Blick auf das Urteil "ein bisschen flau im Magen".  Henning Ernst Müller (blog.beck.de) weist jedoch darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Begriff des "psychisch Kranken" bisher durchaus im Sinne einer weitgefassten psychischen Störung auslegte. 

Nach der Sicherungsverwahrung II:  Die FAZ (Robert von Lucius) berichtet über zwei entlassene Sicherungsverwahrte, die sich in der Ortschaft Insel bei Stendal niederließen. Nach mehrwöchigen Protesten der Dorfbewohner und erfolgloser Vermittlung von Politik und Kirche versprachen die Männer jetzt wegzuziehen. 

Weitere Themen – Rechtspolitik

Festung Europa: Die taz dokumentiert ein Manifest von zehn Menschenrechtsorganisationen – unter anderem amnesty international und Pro Asyl -, die besseren Zugang von Flüchtlingen nach Europa fordern. In der ersten Jahreshälfte seien bereits 1674 Menschen allein im Kanal von Sizilien ertrunken. Für Migranten wird ein "Recht auf Mobilität" gefordert.

Weitere Themen – Justiz

EnBW-Kauf verfassungswidrig: Der Staatsgerichtshof von Baden-Württemberg entschied, dass die damalige CDU/FDP-Landesregierung beim Kauf eines 45 Prozent-Anteils am Energieversorger EnBW die Haushaltsrechte des Stuttgarter Landtags verletzt hat. Dies berichtet unter anderem die FAZ (Rüdiger Soldt). Das Notbewilligungsrecht des Finanzministers gelte laut Landesverfassung nur, wenn die Ausgabe unvorhergesehen und unabweisbar sei. Die Kaufentscheidung sei aber durchaus aufschiebbar gewesen, so die Richter. In seinem Kommentar wertet Roman Deininger (SZ) das Urteil als "Sieg für die politische Kultur", auch wenn das Geschäft wirksam bleibe. 

BGH zu OEM-Software: Windows-Recovery-CDs dürfen nicht zusammen mit Echtheitszertifikaten verkauft werden, wenn diese nicht vom dazugehörigen Computer stammen. Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH) laut einer Meldung von lto.de. Andernfalls seien Markenrechte von Microsoft verletzt. 

BGH zu GbR-Grundbucheintragungen:  Im Handelsblatt-Rechtsboard beschreibt die Anwältin Sabine Pitroff  eine Entscheidung des BGH aus dem April 2011. Für die Eintragung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ins Grundbuch genüge es, wenn die GbR und ihre Gesellschafter in der notariellen Auflassungsurkunde genannt sind und die für die GbR Handelnden erklären, dass sie die alleinigen Gesellschafter sind. Weitere Nachweise, zum Beispiel über die Existenz der GbR seien nicht erforderlich. 

EuGH-Generalanwältin zum Emissionshandel:  Ab 2012 soll der Emissionshandel auf Fluggesellschaften - auch solche aus Nicht-EU-Staaten - ausgeweitet werden. Dagegen klagten mehrere US-Fluggesellschaften, die ihre Einbeziehung in den Emissionshandel für völkerrechtswidrig halten. Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) Kokott lehnte diese Argumentation nun ab, berichtet unter anderem das Handelsblatt (Jens Koenen/Thomas Ludwig). Ein Flugplatz im Hoheitsgebiet der EU als Start- oder Zielort sei ein hinreichender territorialer Anknüpfungspunkt, um den Flug ins EU-Emissionshandelssystem einzubeziehen.

Prozesse um Telekom-Auskunft: Das Handelsblatt (Sönke Iwersen) gibt einen Überblick über Verfahren, die von Konkurrenten im Markt der Telefon-Auskunft gegen die Deutsche Telekom angestrengt wurden. Die Konkurrenten halten die Kosten für die Überlassung der Rufnummern für überhöht. 2011 habe es bereits 22 Urteile gegen die Telekom gegeben, weil diese sich weigere, ihre Kosten offenzulegen. 

Prozesse gegen KZ-Wachleute: Das Simon-Wiesenthal-Zentrum hofft auf eine Welle neuer Strafprozesse gegen NS-Täter. Das berichtet die SZ (Peter Münch). Nachdem das Landgericht München II im Mai den ukrainischen KZ-Wachmann John Demjanjuk wegen seiner bloßen Tätigkeit im KZ Sobibor wegen Mordes verurteilte, könnten auch gegen viele andere KZ-Wachmänner Verfahren eingeleitet werden. Die BGH-Entscheidung über das Münchener Urteil stehe aber noch aus.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. Oktober 2011: Psychische Störung definiert – Selbstherrliche Investition beanstandet – NS-Prozesswelle prognostiziert . In: Legal Tribune Online, 07.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4486/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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