Die juristische Presseschau vom 5. bis 7. November 2011: Kuckuckskinder vor BGH – Steuersenkungen zum BVerfG – Stasi-Checks im öffentlichen Dienst

07.11.2011

Der BGH verhandelt diese Woche über Auskunftsansprüche gegen Kuckuckskinder-Mütter. Außerdem in der Presseschau: Gabriel will gegen Steuersenkungen klagen, ein neuer Generalbundesanwalt und BND-Chef, erweiterte Stasi-Checks nach Gesetzes-Novelle, Verwaltungsgerichte lehnen Abschiebungen ab, Reaktionen auf Hells-Angels Freispruch und vieles andere.

Kuckuckskinder: Über die Auskunftspflicht einer Mutter über den wahren Erzeuger ihres Kindes gegenüber dem Ex-Partner verhandelt am Mittwoch der Bundesgerichtshof. Im konkreten Fall, so der Spiegel (Dietmar Hipp), wolle der ehemalige Partner bereits geleisteten Unterhalt vom leiblichen Vater erstattet bekommen. Ob ein Auskunftsanspruch besteht, sei weder gesetzlich geregelt noch höchstrichterlich entschieden, erklärt der Spiegel in einem ausführlichen Beitrag rund um das Thema.

Klage gegen Steuersenkungen: Wie die Montags-taz (Christian Rath/Ulrike Winkelmann) berichtet, prüft SPD-Chef Gabriel eine Verfassungsklage gegen die mittlerweile beschlossenen Steuersenkungen. Diese stünden im Widerspruch zur grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse. Eine Klage habe "wenig Aussicht auf Erfolg", so die taz: Könne man zum Jahresende keinen "der guten Konjunktur angemessenen ausgeglichenen Haushaltabschluss" vorweisen, könne zwar geklagt werden; "wer oder was Schuld war", könne das Gericht jedoch nicht klären.

Laut der SZ vom Montag (Stefan Braun/Guido Bohsem) hängt die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Steuersenkungen von der "Art des Defizits" ab: Senkungen bei Verringerung des nominellen Defizits, nicht aber des strukturellen, könnten gegen das Grundgesetz verstoßen.

"Clever, aber nicht ungefährlich" findet Ulrike Winkelmann (Montags-taz) die Idee Gabriels. Jedenfalls würde mit einer Klage die Frage, "wie viel Kontrolle die Politik (...) darüber haben soll, wofür sie Geld ausgibt", debattiert werden.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Stasi-Unterlagen-Gesetz: Mit der Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes werde nicht nur der Zeitraum für "Stasi-Checks" erheblich verlängert, berichtet die Samstags-SZ (Constanze von Bullion). Auch der Anwendungsbereich der Überprüfung von Staatsdienern sei erweitert worden, "hinunter zur Besoldungsgruppe A 9". Die vom Leiter der Stasi-Akten-Behörde, Roland Jahn, erwünschte Versetzung von 45 ehemaligen Stasi-Leuten sei nun möglich.

Die Samstagsausgabe der taz (Anja Maier) fragt unter dem Titel "Wenn aus Tätern Opfer werden", ob es für die Novelle nicht zu spät sei. Eine Sammelklage der 45 Betroffenen gegen die Versetzung sei bereits angekündigt worden.

Demokratie: Bundesverfassungsrichter Peter M. Huber hat sich, so die taz (Christian Rath), am Wochenende für eine Grundgesetzänderung zur Einführung von Plebisziten auf Bundesebene ausgesprochen. Huber sehe darin auch eine Chance der repräsentativen Demokratie. Diese werde durch die Möglichkeit der direkten Demokratie "gestärkt", darin liege ihr "Charme".

Skeptisch bezüglich der Tauglichkeit von Volksabstimmungen über "europäische Fragen" äußert sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in einem ausführlichen Interview mit der Samstags-FR (Holger Schmale/ Daniel Vates).

Heribert Prantl (Samstags-SZ) kommentiert, die Griechenlandkrise habe eine "Krise der Demokratie" offenbart. Prantl ruft nach einem notwendigen "gesamteuropäischen Souverän" und einer EU-Verfassung. Der Weg dorthin führe nur über nationale Abstimmungen.

Voßkuhle-Interview: Über mögliche Wege in einen europäischen Bundesstaat und die Grenzen für die Übertragung nationaler Kompetenzen nach Brüssel unter dem geltenden Grundgesetz spricht der Focus (Hartmut Kistenfeger) (Vorabmeldung auf focus.de) mit Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Dieser betont, das Gericht sei kein "politisches Kontrollorgan", könne sich aber nicht "wegducken". Zur Nachfrage der Vereinbarkeit von Facebook-Funktionen mit Grundrechten verweist Voßkuhle auf den dafür zuständigen ersten Senat, nennt die Facebook-Nutzung indes eine "risikogeneigte Tätigkeit".

Weitere Themen – Justiz

Beweisverwertungsverbote: Wie lto.de meldet, hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt die Verwertung einer rechtswidrigen, weil ohne richterliche Anordnung erfolgten, Blutentnahme zugelassen. Das "eigenmächtige" polizeiliche Handeln führe nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, das "öffentliche Interesse" überwiege bei dieser "geringfügigen Beeinträchtigung". lto.de weist dazu auf eine Entscheidung des OLG Koblenz hin, die ein vergleichbares Vorgehen als "gravierenden Rechtsverstoß" gewertet habe, aus dem "grundsätzlich" ein Verwertungsverbot folge.

Hells-Angels-Freispruch: Über den umstrittenen Freispruch eines "Hells Angels" durch den Bundesgerichtshof spricht mit dem Spiegel der Münchener Rechtsprofessor Klaus Volk. Er hätte genauso entschieden; der Freigesprochene habe den Polizisten in "Putativnotwehr" erschossen und sei damit entschuldigt.

Für die FAS kommentiert Philip Eppelsheim und übt harte Kritik am "Freibrief" des BGH: Das Urteil sage den "Rockern", "dass sie schießen dürfen, sobald sie sich bedroht fühlen".

Papiere für Bares: Wie Asylbewerbern aus afrikanischen Staaten durch afrikanische "Gastbeamte" in Deutschland Staatsangehörigkeiten und Papiere zugeteilt würden, schildert die Samstags-SZ (Ronen Steinke). Erst mit Papieren vom angeblichen Heimatstaat könnten die "sans papiers" abgeschoben werden. Verschiedene deutsche Verwaltungsgerichte hätten sich dieser Praxis kritisch entgegengestellt und dabei festgestellt, dass Gastbeamte "Prämien" vom deutschen Staat für ausgestellte Papiere erhalten.

Kindesmissbrauch: Den Prozess gegen einen wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs angeklagten ehemaligen Kinderheimleiter vor dem Landgericht Kaiserslautern schildert der Spiegel (Gisela Friedrichsen). Unter den betroffenen Heimkindern seien auch solche, die im Laufe der "berüchtigten Wormser-Prozesse" in den 1990er Jahren im fraglichen Heim untergekommen seien. Damals habe der Vorwurf des "massenhaften Kindesmissbrauchs" im Raum gestanden, die Prozesse endeten indes mit Freisprüchen, so der Spiegel.

Stammzellenforschung: Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Patentierbarkeit der Gewinnung embryonaler Stammzellen befasst sich der Rechtsanwalt Peter Homberg auf dem Handelsblatt-Rechtsboard. Homberg erläutert die Bedeutung und Bindungswirkung von Vorabentscheidungsverfahren und zeichnet den zu Grunde liegenden Sachverhalt nach.

Neuer Generalbundesanwalt: Harald Range wird neuer Generalbundesanwalt. Die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) meint, er verstehe sein Handwerk. Auch wenn Range politisch nicht die "erste Wahl" gewesen sei: Gut vernetzt und als ehemaliger Generalstaatsanwalt anders ausgerichtet als seine Vorgängerin und ehemalige Bundesrichterin Monika Harms, könne er der Behörde ein neues Gepräge geben.

Neuer BND-Präsident: Den zukünftigen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, stellt der Focus (Josef Hufelschulte) vor und zeichnet den beruflichen Werdegang des "studierten Juristen" und derzeitigen Ministerialdirektors nach. Der "versierte Terrorexperte" habe entgegen einiger Kritiken auch die nötigen internationalen Kontakte für das neue Amt.

Neuer EGMR-Präsident: Der Brite Nicolas Bratza wird neuer Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, vermeldet das Handelsblatt (Heike Anger). Der bisherige Vize-Präsident genieße "unter Fachleuten hohes Ansehen", gehe jedoch bereits in einem Jahr in den Ruhestand.

Sonstiges

Bürger-Täuschung: Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) behauptet in in einer Informationsbroschüre zur anstehenden Volksabstimmung über das Gesetz gegen Stuttgart 21, dass die Neubaustrecke Stuttgart-Wendlingen-Ulm "unabhängig" von dem umstrittenen Bahnhofsprojekt sei. Die FAS (Michael Ohnewald) berichtet, Juristen der Deutschen Bahn prüften, "ob dem Land ein Täuschungsversuch bei der offiziellen Bürgerinformation nachgewiesen werden kann".

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dc

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. bis 7. November 2011: Kuckuckskinder vor BGH – Steuersenkungen zum BVerfG – Stasi-Checks im öffentlichen Dienst . In: Legal Tribune Online, 07.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4733/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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