Die juristische Presseschau vom 5. August 2011: Geld für Gäfgen – Ermittlungen gegen Lagarde - Razzia gegen Ratingagenturen

05.08.2011

Im Zentrum der Berichterstattung steht die Entscheidung des LG Frankfurt/Main, dem wegen Mordes verurteilten Magnus Gäfgen als Entschädigung für die Androhung von Folter durch einen Polizisten 3000 Euro zuzuerkennen. Außerdem in der Presseschau: Ermittlungen gegen IWF-Chefin Lagarde, Razzien der italienischen Justiz gegen Ratingagenturen und vieles andere.

Geld für Gäfgen: Bei der Beurteilung der Entscheidung des Landgerichts (LG) Frankfurt/Main, Magnus Gäfgen 3000 Euro für erlittene Folter zu gewähren, gehen die Meinungen stark auseinander. Heribert Prantl (SZ) kritisiert die "falsche Genugtuung für einen Kindermörder". Die im Urteil zum Ausdruck kommende und auch für einen Mörder geltende Achtung der Menschenwürde mache eine Entschädigung aus Billigkeitserwägungen trotzdem nicht erforderlich. Ein ähnlicher Text Prantls ist online zu finden.

Als "rechtens, aber nicht richtig" stellt Christian Denso (zeit.de) die Entscheidung in die "beunruhigende Serie von Richter-Entscheidungen 'im Namen des Volkes', die zwar Recht darstellen mögen, aber von diesem Volk zu großen Teilen nicht verstanden werden."

Christian Rath (taz) nennt das Urteil dagegen "unpopulär, aber richtig" und sieht in der zivilgerichtlichen Bekräftigung des Folterverbots einen wichtigen Schutz gegen polizeiliche Übergriffe in Extremsituationen wie Kindesentführungen. Der Leitartikel in der FTD nennt das Urteil "weise", da es Gäfgen die Möglichkeit nehme, sich auch weiterhin als Opfer der Justiz zu stilisieren. Ähnlich argumentiert spiegel.de (Johannes Korge, Hendrik Ternieden)

Weitere Themen – Rechtspolitik

Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensbünde: Die Kritik aus den Reihen der Union am Vorhaben von Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, gleichgeschlechtliche Partnerschaften der (heterosexuellen) Ehe vollständig gleichzustellen, kritisiert Christian Bommarius (FR) als "unproduktiv und vorgestrig". Er verweist auf die Aussage des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier (CSU), von vor einem Jahr, dass es "grundsätzlich keine Grenzen der Gleichbehandlung" mehr gebe.

Reinhard Müller (FAZ) stellt im Leitartikel die konservative Kritik in den Kontext der Selbstfindungsdebatte der Union. Er konstatiert zwar, die Ehe sei faktisch am Ende, wirft Papier allerdings die Preisgabe der Ehe als "Strukturprinzip" mit Verfassungsrang vor, das er im Jahr 2002 noch verteidigt habe.

Klagerecht gegen Kartelle: In einem Gespräch mit der FTD (Maike Rademaker) kritisiert Gerd Billen, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, das geplante Klagerecht gegenüber Unternehmenskartellen als nicht ausreichend. Da die Verbände bisher finanziell und personell nicht gut genug ausgestattet seien, müsse der Gesetzesentwurf von Bundeswirtschaftsminister Rösler (FDP) um das Instrument einer Sammelklage für individuelle Verbraucher erweitert werden.

Thierse verteidigt Demonstrationsrecht: Im Nachgang zur Überprüfung von mehr als einer Million Telefondaten durch die die sächsische Polizei anlässlich einer Demonstration gegen Neonazis in Dresden stellt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) in einem Interview mit der taz (Martin Kaul) den Wert der Freiheitsrechte und die Verpflichtung des Staates zur Verhältnismäßigkeit heraus. Er verlangt vom sächsischen Innenminister, Rechenschaft über die Vorgehensweise der Polizei abzulegen.

Weitere Themen – Justiz

Klageerzwingung in Sittensen: Nachdem das Verfahren gegen den 77-jährigen Rentner Ernst B. wegen der Tötung eines 17-Jährigen unter der Annahme von Notwehr zum Schutz vor einem Raubüberfall durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wurde, strebt die Familie des Getöteten nun ein Klagerzwingungsverfahren an. Darüber berichtet die taz (Emilia Smechowski) und untersucht, ob die kosovarische Herkunft des Getöteten die Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung beeinflusst haben könnte.

Kampf um Koblenz: Als "Juristen-Aufstand gegen Beck" tituliert zeit.de (Armin Lehmann) den Konflikt um die geplante Schließung des Oberlandesgerichts im rheinland-pfälzischen Koblenz, und greift dabei auf einen im Berliner Tagesspiegel erschienen Artikel zurück. Die Richter, die für ihr Anliegen bereits 39.000 Unterschriften gesammelt hätten, fühlten sich durch die rot-grüne Koalitionsvereinbarung übergangen und würden durch Koblenzer Sozialdemokraten unterstützt.

Whistleblowing als Menschenrecht: Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Juli 2011, die öffentliche Kritik einer Altenpflegerin an den Missständen in einem Pflegeheim als Menschenrecht auf Meinungsfreiheit einzustufen, hält Georg Mikes (ftd.de) für falsch. Die Entscheidung betone einseitig die freie Meinungsäußerung und gewähre Unternehmen nur unzureichenden Schutz davor, "verpetzt" zu werden.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Ermittlungen gegen Lagarde: Die formal eröffneten Ermittlungen gegen die IWF-Vorsitzende Christine Lagarde durch die französische Justiz werden von zahlreichen Medien aufgegriffen. Im Zusammenhang mit der Entschädigung in Höhe von 285 Millionen Euro für den Geschäftsmann Bernard Tapie wird Lagarde Amtsmissbrauch zur Last gelegt.

Christian Schubert (FAZ) befürchtet negative Auswirkungen für den IWF, spiegel.de (Yasmin Al-Sharif, Christian Teevs, Sven Böll) erläutert die Details im Streit zwischen Tapie und der französischen Bank Credit Lyonnaise im Jahr 2008, als Lagarde Finanzministerin war. Michael Kläsgen (SZ) konstatiert "Ermittlungen zum Schaden aller", ein Kommentar, der in abgewandelter Form auch online zu finden ist.

Razzien gegen Ratingagenturen: Die Durchsuchung der Geschäfträume der Ratingagenturen Moody's und Standard & Poor's sowie der italienischen Börsenaufsicht Consob durch die Staatsanwaltschaft der süditalienischen Stadt Trani nimmt spiegel.de (Stefan Kaiser) zum Anlass, nach einem möglichen Interessenkonflikt angesichts der angeschlagenen Bonität des Mittelmeerstaates zu fragen. Die FTD (Reinhard Hönighaus) meint, tendenziöses Verhalten erkennen zu können, wenn sie feststellt, damit hätten die Attacken der italienischen Justiz einen neuen Höhepunkt erreicht.

Bilanz des US Supreme Courts: Anlässlich des Ablaufs der jüngsten Sitzungsperiode des US Supreme Courts zieht Katja Gelinsky (FAZ) unter der Überschrift "Meinungskampf statt Mitleid" eine Bilanz. Sie sieht die individuellen Freiheitsrechte, beispielsweise beim Erziehungsrecht der Eltern, durch die Entscheidungen der letzten Jahre gestärkt. Angesichts der mit großer Verve geführten innenpolitischen Diskussionen komme dabei vor allem dem Schutz kommunikativer Freiheit nach dem Ersten Zusatzartikel (First Amendment) überragende Bedeutung zu, beispielsweise bei der Möglichkeit für Eltern, Kinder gewalttätige Videospiele nach ihrem Gutdenken zur Verfügung stellen, da ein gesetzliches Verbot verfassungswidrig gewesen sei.

Sonstiges

Hitler und Einstein vor Gericht: Leo Rosenthal war einer der wichtigsten Gerichtsberichterstatter der Weimarer Republik. Zur Veröffentlichung eines Teils seiner Fotografien in einem Bildband findet sich bei zeit.de eine Diashow, die Sensationsprozesse dieser Epoche ebenso dokumentiert wie berühmte oder berüchtigte Zeugen.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ro

 

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. August 2011: Geld für Gäfgen – Ermittlungen gegen Lagarde - Razzia gegen Ratingagenturen . In: Legal Tribune Online, 05.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3946/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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