Die juristische Presseschau vom 4. August 2011: Mubarak im Käfig – Ärzte aufs Land – Fluglotsen ohne Streikrecht

04.08.2011

Die Pressewelt dreht sich heute um den Prozessauftakt gegen Ägyptens Ex-Präsident Mubarak. Millionen konnten im Fernsehen verfolgen, wie dem "Pharao" im Bett liegend und eingesperrt in einem Käfig die Anklage verlesen wurde. Außerdem in der Presseschau: Der Gesetzentwurf zur Landärzte-Förderung, ein Urteil gegen die Fluglotsen, unfreie Anwaltswahl und vieles andere.

Mubarak-Prozess: Der Prozess gegen Ägyptens Ex-Präsident Husni Mubarak ist nach Verlesung der Anklage auf den 15. August vertagt worden, so neben vielen anderen die SZ. Neben Korruption und Amtsmissbrauch werde ihm vor allem vorgeworfen, den Einsatz scharfer Munition gegen friedliche Demonstranten angeordnet zu haben, was zum Tod von mehr als 800 Menschen geführt habe. Mubarak habe alle Anklagepunkte bestritten. Er verfolge den Prozess wegen seines Gesundheitszustands in einem von einem Käfig umgebenen Bett. Neben dem Ex-Präsidenten müssten sich seine Söhne Alaa und Gamal wegen Korruption vor Gericht verantworten; wegen der Tötung von Demonstranten werde zudem seinem ehemaligen Innenminister Habib el-Adly der Prozess gemacht.

Eine ausführliche Reportage über den Prozessauftakt, dessen Vorgeschichte und Bedeutung liefert die FAZ (Christoph Ehrhardt); die SZ (Sonja Zekri) stellt die Schwierigkeiten der Beweisführung sowie die Strategie der Anklage dar, amtierende Militärs als Zeugen in den Prozess zu verwickeln.

Christiane Schlötzer (SZ) betont, es sei das erste Mal, dass einem "arabischen Autokraten im eigenen Land der Prozess gemacht" werde. Wolfgang Günter Lerch (FAZ) hofft auf einen "einigermaßen rechtsstaatlichen und fairen" Prozess und führt das Verfahren gegen den tunesischen Ex-Diktator Ben Ali als Negativ-Beispiel an. Michael Stürmer (Welt) hält dies nach dem "demütigenden Bild" Mubaraks im Käfig kaum mehr für möglich.

Karim El-Gawhary (taz) sieht den Richter von zwei Seiten unter Druck: Einerseits durch Forderungen nach einem fairen Prozess, andererseits durch die öffentliche Meinung in Ägypten – und die Erinnerung an die gewaltsame Niederschlagung einer Richter-Demonstration 2006.

Steffen Richter (zeit.de) vermutet dagegen einen Alibi-Prozess. Der demokratische Übergang stagniere, die Gemüter der Bevölkerung sollten beruhigt werden. Ähnlich beurteilen die Situation Ulrike Putz/Volkhard Windfuhr (spiegel.de): Der Prozess sei ein "Reinigungsritual, mit dem sich die Militärs der Übergangsregierung von aller Schuld an den Toten" reinwuschen. Mathias Brüggmann (Handelsblatt) will in dem Verfahren einen "Lackmustest" für den Wandel Ägyptens zu einer rechtsstaatlichen Demokratie sehen.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Landärzte: Wie lto.de berichtet, hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf gegen den Ärztemangel auf dem Land verabschiedet. Dabei sollten finanzielle Anreize junge Mediziner „aufs flache Land“ locken, um einem drohenden Ärztemangel entgegenzuwirken.

Die FAZ (Andreas Mihm) fasst die Kritik aus Koalition, Opposition und von Verbandsseite zusammen. Insbesondere werde die Wirksamkeit bloßer finanzieller Anreize kritisiert. "Das Landarztproblem ist im weitesten Sinne ein Landstrukturproblem" betont auch Simone Schmollack (taz). Da der Gesetzentwurf dies nicht angehe, sei er "erneut saubere Klientelpolitik" des Gesundheitsministers. Corinna Nohn (SZ) kritisiert zudem, dass der Entwurf noch nicht einmal eine Definition des förderungswürdigen "Landarztes" enthalte.

Stuttgart 21: Städte-, Gemeinde- und Landkreistag Baden-Württembergs halten das von der Landesregierung beschlossene Ausstiegsgesetz zu Stuttgart 21 für verfassungswidrig. Wie die FAZ (Rüdiger Soldt) berichtet, seien die Vertretungskörperschaften überzeugt, dass eine Lösung von den Verträgen nur über gesetzliche oder vertragliche Kündigungsrechte möglich sei; alles andere verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip. Die Frist zur vertraglichen Kündigung sei aber abgelaufen; ein gesetzliches Kündigungsrecht ließe sich mit der von den Projektgegnern bemühten "politischen" Argumentation nicht begründen. Die Landesregierung dagegen berufe sich auf eine Änderung der Geschäftsgrundlage.

Weitere Themen – Justiz

Fluglotsenstreik: Nach einer Niederlage vor dem Frankfurter Arbeitsgericht hat die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) ihren für heute angekündigten Streik abgesagt, berichtet das Handelsblatt (Jens Koenen). Das Gericht habe den Streik untersagt, weil die Gewerkschaft Forderungen gestellt habe, die noch der Friedenspflicht unterlagen, so faz.net. Nach der Absage des Streiks habe die Deutsche Flugsicherung ihren Antrag auf eine einstweilige Verfügung zurückgenommen, so dass über die von der GdF eingelegte Berufung nicht mehr verhandelt wurde.

In einem Gastkommentar auf focus.de hält der Berliner Arbeitsrechtler Steinau-Steinrück es für einen "unhaltbare[n] Zustand", wie Betriebsgruppengewerkschaften "Minderheiteninteressen durchsetzen". Die "Kampfparität" sei nicht mehr gegeben, da den Arbeitgebern hier "kaum Gegenmittel" zur Verfügung stünden. Er spricht sich "für ein neues Tarifrecht" aus; insbesondere könne der Gesetzgeber "eine Pflicht zur Bildung von Tarifgemeinschaften statuieren".

Unterhaltsrecht: Wolfgang Janisch (SZ) greift heute nochmals das Urteil des Bundesgerichtshofs zu Unterhaltsansprüchen alleinerziehender Mütter auf. Er sieht die Richter "als Erzieher der Mütter" mit dem Ehrgeiz, "die Wirklichkeit in vielen Familien zu ändern". Zwar sei eine Änderung im Rollenverhalten vom Gesetzgeber angestrebt. Allerdings steuere der Gerichtshof dabei nicht behutsam um, sondern wolle im "Furor" "das Steuer herumreißen".

Auch lto.de (Herbert Grziwotz) beschäftigt sich mit dem Urteil und stellt die Entwicklung des Unterhaltsrechts sowie die Folgen der jüngsten Rechtsprechung dar.

Mediziner-BAföG: lto.de (Andreas Brickwell) berichtet von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der das BAföG für teilweise verfassungswidrig erklärt wurde. Die Teilerlass-Regelungen hätten gegen den Gleichheitssatz verstoßen, weil es Medizinstudierenden aufgrund der hohen Mindeststudienzeit "objektiv unmöglich" gewesen sei, durch zügiges Studieren den sogenannten "großen Teilerlass" des Studiendarlehens zu erlangen. Das Gericht habe dem Gesetzgeber aufgegeben, nun für ein gleichheitsgerechtes Gesetz zu sorgen.

Steuerberater: Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass ein Bankenvorstand nicht gleichzeitig als Steuerberater tätig sein darf, so die FAZ (Joachim Jahn) und lto.de. Die Tätigkeiten seien aufgrund des Steuerberatungsgesetzes miteinander unvereinbar, weil die Tätigkeit als Bankvorstand "gewerblich" sei. Die Vorschrift diene der Vorbeugung von Interessenkonflikten.

Anwaltswahl: Die SZ (Daniela Kuhr) schildert die Einflussnahme von Rechtsschutzversicherungen auf die Anwaltswahl. Diese versuchten durch den Verzicht auf die Selbstbeteiligungen oder Beitragserhöhungen Versicherte dazu zu bewegen, von der Versicherung ausgewählte Anwälte zu beauftragen. Dies stehe im Widerspruch zur freien Anwaltswahl und könne zu Interessenkonflikten führen.

Gutmenschen-Betrug: Unter der Überschrift "Bisschen grün zwischen den Ohren" stellt die FAZ (Klaus Ungerer) im Feuilleton den Fall der Betrügerin Verena H. vor, die die Inhaber einer Berliner Öko-Beratungsfirma mittels "hochkomplexer Lügengebäude" um gut 170.000 Euro geprellt und dafür nun viereinhalb Jahre Haft kassiert habe.

Sonstiges

Eric Stein: Die FAZ (Alexandra Kemmerer) veröffentlicht heute im Feuilleton einen Nachruf auf den vergangene Woche verstorbenen Völker- und Europarechtler Eric Stein. Der 1940 in die USA emigrierte böhmische Jurist sei ein "Pionier der transnationalen Rechtsentwicklung" gewesen und habe in seinem "langen und immens produktiven Gelehrtenleben" großen Einfluss insbesondere auf das Völker- und Europarecht gehabt. In Deutschland habe er sich im Zusammenhang mit dem Verbot der Auschwitzlüge auch in den "Historikerstreit" eingeschaltet.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. August 2011: Mubarak im Käfig – Ärzte aufs Land – Fluglotsen ohne Streikrecht . In: Legal Tribune Online, 04.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3935/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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