Die juristische Presseschau vom 31. Mai 2011: Zeitarbeitsfirmen müssen nachzahlen – Ärzte gegen Selbsttötung – Energiekonzerne prüfen Klagen

31.05.2011

Den Zeitarbeitsfirmen drohen mehrere Milliarden Euro an Lohnnachzahlungen. Die abgeschlossenen Dumping-Tarifverträge sind nach einem Urteil des Berliner Arbeitsgerichts allesamt nichtig. Außerdem in der Presseschau: der Ärztetag und das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung, Klage-Erwägungen der Energiekonzerne angesichts des Atomausstiegs und vieles andere.

Zeitarbeits-Tarifvertrag: "Tausende von Zeitarbeitsfirmen" müssen "Nachzahlungen in Milliardenhöhe befürchten", so die FAZ (caf.). Nach einem Urteil des Berliner Arbeitsgerichts habe die "Tarifgemeinschaft christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen" (CGZP) in den vergangen Jahren keine wirksamen Tarifverträge abschließen können, weswegen die Beschäftigten nun Anspruch auf Gleichstellung mit der Stammbelegschaft und damit auf Lohnnachzahlungen hätten. Überraschend käme das Urteil allerdings nicht: Es gehe auf ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP zurück.

So sieht Corinna Budras (FAZ) den Anwalt der Arbeitgeberseite, Mark Lembke, denn auch "auf verlorenem Posten", der sich auf "Nebenkriegsschauplätze" verlegt und "Horrorszenarien" heraufbeschworen habe. Nichtsdestotrotz könne dieses Verfahren "wieder bis zum Bundesarbeitsgericht gehen". In einem weiteren Kommentar bezeichnet Corinna Budras das Urteil als "bittere Pille", die wohl zu einigen Insolvenzen führen würde, was sich die Zeitarbeitsbranche aber selbst zuzuschreiben habe. Eine kurze Zusammenfassung des Urteils findet sich auch auf beck-blog (Markus Stoffels).

Unabhängig vom konkreten Fall kritisiert Jobst-Hubertus Bauer in der heutigen Ausgabe des Handelsblatts scharf die in seinen Augen mangelnde Rechtssicherheit im deutschen Arbeitsrecht. Schon der Wechsel eines Senatsvorsitzes beim Bundesarbeitsgericht könne zu "spektakulären Volten" führen.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Ärztetag und Selbsttötung: Wie die taz (Christian Rath) ausführlich berichtet, will die Bundesärztekammer in ihrer Berufsordnung ein Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung festschreiben. Die Regelung solle auf dem heute beginnenden 114. Deutschen Ärztetag beschlossen werden; vereinzelt werde sie als unverhältnismäßig und als unzulässiger Eingriff in die Patientenrechte kritisiert. In einem ebenfalls in der taz erscheinenden Interview rechtfertigt der Medizinrechtler Oliver Tolmein die Regelung. Harry Nutt (FR) findet dafür deutliche Worte: Es handele sich um eine Anmaßung und "ständischen Paternalismus" der Ärzteschaft, mit der diese zu konservativen Mustern zurückkehre und hinter eine seit Jahrzehnten andauernde Debatte zurückfiele.

Spritpreis-Gesetz: Nach Berichten der SZ will Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) die "bisherige Benzinpreispolitik der Ölkonzerne gesetzlich unterbinden". Er habe dabei das "australische Modell" im Auge, wonach Spritpreis-Änderungen jeweils 24 Stunden vorab angekündigt werden müssten. Die FAZ (Christoph Hein) zeigt hingegen auf, dass ein entsprechendes Gesetz 2008 in Australien gescheitert sei und eine entsprechende Regelung nur in der Provinz Westaustralien gelte. Laut FTD kritisiert die Mineralölwirtschaft die Pläne scharf und macht die Steuerlast für die hohen Preise verantwortlich.

Weitere Themen – Justiz

Kachelmann-Prozess: Im Vorfeld des für heute erwarteten Urteils gibt spiegel.de (Simone Utler) noch einmal einen Überblick über den Prozessverlauf; eine eher reportageartig gehaltene Schilderung der Geschehnisse bietet die FR.

Der Deutschlandfunk (Brigitte Baetz) nimmt das bevorstehende Urteil zum Anlass, sich mit dem Problem medialer Vorverurteilungen auseinanderzusetzen: Medien übernähmen "immer mehr die Rolle eines modernen Prangers". Auch die taz (Marlene Streeruwitz) greift das Thema der medialen Inszenierung von Strafprozessen auf, allerdings am Beispiel des US-Gerichtsfernsehens und der Berichterstattung zum Fall Strauss-Kahn.

Klagedrohung der Energiekonzerne: Im Zusammenhang mit den Atomausstiegsplänen der Bundesregierung prüfen die Energiekonzerne offenbar Klagen auf Schadensersatz, so die FTD (Michael Gassmann, Friederike von Tiesenhausen, Heimo Fischer). Werner Sturbeck (FAZ) kritisiert den Ausstieg bei gleichzeitigem Festhalten an der Brennelementesteuer als Vermögenseingriff "ohne belastbare Begründung eines unakzeptablen Risikos", der solche Prozesse "zwangsläufig" provoziere. Als "unbrauchbare Drohungen" kanzelt hingegen der Leitartikel der FTD dieses Vorgehen der Konzerne ab: Diese verkannten die Zeichen der Zeit und erweckten den Eindruck einer Fundamentalopposition, statt sich auf die neuen Gegebenheiten einzulassen.

Sicherungsverwahrung: LTO weist auf das erste BGH-Urteil zur Sicherungsverwahrung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Anfang Mai hin. Der 5. Strafsenat hatte über die weitere Gefangennahme eines seit inzwischen über zehn Jahren Inhaftierten zu entscheiden. Eine Entlassung sei nun unter Anwendung der vom Verfassungsgericht gebilligten Kriterien wegen einer psychischen Störung und der darin begründeten hochgradigen Gefährlichkeit des Verwahrten unterblieben.

Razzia bei MAN: Wie die FTD berichtet, kam es in der vergangenen Woche beim LKW- und Maschinenbauer MAN auf Geheiß der EU-Kommission zu Durchsuchungen der Geschäftsräume wegen des Verdachts auf Wettbewerbsverstöße. Ebenfalls ermittelt werde gegen Caterpillar und General Electric.

Betriebsrenten-Auswahl: Im Wege der Vorberichterstattung beschäftigt sich die SZ (Daniela Kuhr) mit einem heute erwarteten Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Haftung von Arbeitgebern für die von ihnen für ihre Beschäftigten ausgewählten Anbieter von Betriebsrenten. Im konkreten Fall geht es um einen Bäckereibetriebsstättenleiter, der eine in seinen Augen ungerechtfertigte Vermittlungsprovision für den Versicherungsabschluss begleichen musste.

Ausländische Notare: In einem ausführlichen Artikel widmet sich die FTD (Mareeke Buttjer) einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus der vergangenen Woche, in dem dieser festgestellt hatte, dass es auch Ausländern freistehen muss, in Deutschland den Notarberuf zu ergreifen. Zwar seien deutsche Notare durch viele Privilegien, insbesondere den Konkurrenzschutz des Nur-Notariats, weiterhin weitgehend vor dem "eisigen Wind der Moderne" geschützt, jedoch sei dies ein "kleiner Schritt zur Öffnung einer abgeschotteten Branche".

Weitere Themen – Recht in der Welt

Gentests bei Schwangeren: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass die Verweigerung eines Gentests zur Diagnose von Erbkrankheiten im Vorfeld einer potentiellen Abtreibung menschenrechtswidrig sein kann, so der Verfassungsblog (Max Steinbeis). Im konkreten Fall war einer polnischen Frau ein rechtzeitiger Gentest nicht gewährt worden.

Sonstiges

Gerichtsfotografie: Die FAZ (Marc Otto) stellt heute eine ungewöhnliche Ausstellung im Rathaus Schöneberg in Berlin vor: Gerichtsfotografien von Leo Rosenthal, dem Gerichtsreporter des sozialdemokratischen "Vorwärts" in der Weimarer Zeit. Auszeichnen würde viele Fotografien die Heimlichkeit ihrer Aufnahme und ihr politischer Hintergrund. Dabei zeigten sie zugleich "den Justizalltag in einem Rechtsstaat, wie es die Weimarer Republik war".

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 31. Mai 2011: Zeitarbeitsfirmen müssen nachzahlen – Ärzte gegen Selbsttötung – Energiekonzerne prüfen Klagen . In: Legal Tribune Online, 31.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3400/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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