Die juristische Presseschau vom 26. bis 28. November 2011: Fluggastdaten auf Vorrat – Neuner-Gremium vor Gericht – Parma-Schinken aus China

28.11.2011

Die EU will den USA umfangreichen Zugang zu europäischen Fluggastdaten gewähren – und plant ihre eigene Vorrats-Datenbank gleich mit. Die Presseschau informiert heute außerdem über die neuen Verfassungsrichter, die anstehende Verhandlung über das "Neuner-Gremium" vor dem BVerfG und klärt die Frage, warum es wohl bald Parma-Schinken aus China geben wird.

Fluggastdaten: Wie die Montags-taz (Christian Rath) berichtet, haben EU-Kommission und die USA vergangene Woche einen Vertragsentwurf unterzeichnet, nach dem europäische Fluggastdaten "praktisch unbegrenzt" gespeichert werden können. 19 Einzelinformationen würden danach von jedem Fluggast an das US-Heimatschutzministerium weitergegeben, eine unwiderrufliche Anonymisierung solle erst nach 15 Jahren erfolgen. Der bislang unveröffentlichte Vertrag müsse noch vom Ministerrat und vom Europäischen Parlament gebilligt werden.

In einem Kommentar kritisiert Christian Rath (Montags-taz) den "Trend zum Überwachungsstaat"; die Fluggastdaten-Sammlung sei "eine gewaltige Vorratsdatenspeicherung", auf die bereits im Vorverdachtsfall zugegriffen werden könne. Angesichts ähnlicher Planungen in Europa und der jüngsten Staatsversagen-Debatte rund um den rechten Terror der NSU fürchtet er, das gesellschaftliche Klima könne sich zugunsten "eines allwissenden Präventivstaats" drehen.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Volksabstimmungen: Die gestrige Volksabstimmung zu "Stuttgart 21" nimmt die FAS zum Anlass, in ihrem Feuilleton eine Diskussion Pro (Claudius Seidl) und Contra (Peter Körte) Volksabstimmungen zu präsentieren. Im Focus fordert Volker Köppel, Chefredakteur der Schweizer Weltwoche, sich an der Alpenrepublik zu orientieren und mehr direkte Demokratie einzuführen.

Warum die konkrete Volksabstimmung in Baden-Württemberg gegenüber den Gegnern des Bahnhofsprojekts "unfair" war, stellt Christian Rath (Samstags-taz) dar.

Die gesamte Abstimmung für "unzulässig" hält dagegen der Staatsrechtler Mario Martini in einem Gastbeitrag auf lto.de. Der im abgestimmten Gesetz vorgesehene nachträgliche mittelbare Eingriff in das Staatshaushaltsgesetz sei ein verfassungsrechtliches Tabu, da die Landesverfassung von Baden-Württemberg dieses Gesetz ausdrücklich aus den Volksabstimmungen ausnehme.

Weitere Themen – Justiz

Neuner-Gremium: Die Montags-FAZ (Günter Bannas) kündigt die am morgigen Dienstag anstehende Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit des "Neuner-Gremiums" mit dem Grundgesetz an. Dieses sei im Eurostabilisierungs-Gesetz als Entscheidungsorgan bei Rekapitalisierungen und dem Ankauf von Staatsanleihen vorgesehen; dem Gremium gehörten neun Mitglieder des Haushaltsausschusses an. Die zwei klagenden SPD-Abgeordneten hielten dies für unvereinbar mit den Rechten des Bundestages. Der entsprechende Teil des Gesetzes sei vom Gericht per einstweiliger Anordnung bereits im Oktober ausgesetzt worden. Joachim Jahn hält dies in einem weiteren Artikel bereits für einen "halben Sieg"; immerhin hätte das Gericht Gesetze, die einstweilen für nicht anwendbar erklärt worden seien, dann auch immer korrigiert.

Reinhard Müller (Montags-FAZ) kommentiert das Karlsruher Vorgehen wohlwollend. Die Kritik, das Verfassungsgericht überschreite seine Grenzen und mache eine eigene Europapolitik, gingen fehl; vielmehr verlören Regierung und Parlament "zunehmend das Gespür für ihre grundgesetzlichen Pflichten". Immerhin gehe es um "existentielle Entscheidungen".

Der Spiegel sieht im Hintergrund einen Machtkampf toben – es gehe um nicht weniger als "die Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts selbst", das von Teilen der Politik im Zusammenhang mit der Euro-Rettung zunehmend "als Störfaktor" wahrgenommen werde.

Verfassungsrichter-Wahl: Bereits am Freitag hat der Bundesrat mit Ex-Ministerpräsident Peter Müller und der bislang am Bundesgerichtshof tätigen Sybille Kessal-Wulf zwei neue Verfassungsrichter gewählt. Während die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch/Susanne Höll) Porträts der beiden neuen Richter bietet, setzt sich die Samstag-FAZ (Reinhard Müller) noch einmal detailliert mit der vorangegangenen Diskussion um die Wahl Müllers auseinander. Gerüchten zufolge sei Kessal-Wulf "der Preis" der SPD für seine Wahl gewesen.

Wolfgang Janisch (Samstags-SZ) kritisiert die Wahl des ehemaligen Ministerpräsidenten denn auch als "schädlich". Der "böse Schein", den ein Spitzenpolitiker auf die Unabhängigkeit des Gerichts werfe, sei "mehr als ein Kratzer im Image". Anders sieht das Georg Paul Hefty (Samstags-FAZ). Er hält diese Kritik für "von historischer Unkenntnis getragen". Mit Verweis auf den ehemaligen Richter Gebhard Müller betont er, wie sehr ehemalige Politiker das Gericht geprägt hätten. Sie alle hätten "dem Gericht gutgetan".

Rechtsterrorismus/Vorratsdatenspeicherung: Der heute erscheinende Spiegel (Thomas Heise/Maximilian Popp/Sven Röbel/Holger Stark/Steffen Winter) stellt noch einmal umfassend die Ermittlungspannen bei thüringischer Justiz und Bundesanwaltschaft bei der Fahndung nach den Neonazis der NSU dar. In der FAS relativiert Reinhard Müller hingegen die Kritik: Es seien Mängel aufgetreten, aber "kein Totalschaden". Weder seien schärfere Gesetze noch neue Sicherheitsbehörden notwendig.

Laut Samstags-SZ (Joachim Käppner) ist dagegen die fehlende Vorratsdatenspeicherung mitverantwortlich für die schleppende Aufklärung des Terror-Netzwerks. In einem Interview mit der Welt am Sonntag (J. Gaugele/M. Lutz/C.C. Malzahn) fordert Bundesinnenminister Friedrich (CSU) entsprechend ihre Wiedereinführung. Sie sei ein "wichtiges Instrument im Kampf gegen Terroristen und Schwerverbrecher".

Die Kronzeugenregelung will die Bundesanwaltschaft laut einem Bericht der Montags-taz (Andreas Wyputta) bei der festgenommenen Beate Zschäpe dagegen nicht zur Anwendung bringen.

Über das in diesem Zusammenhang erneut erwogene Parteiverbot der NPD spricht die FR (Christian Bommarius) mit dem Ex-Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer.

Weinvermarktung: Das Bundesverwaltungsgericht hat die zentrale Vermarktung des deutschen Weines für zulässig erklärt. Wie die Montags-FAZ (Lukas Weber) berichtet, hatten drei Winzer und vier Kellereien gegen Zwangsabgaben an den deutschen Weinfonds und regionale Vermarktungsorganisationen geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht habe die vom Bundesverfassungsgericht 2009 aufgestellten Kriterien für Sonderabgaben als erfüllt angesehen.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Strauss-Kahn: spiegel.de berichtet von neuen Gerüchten um die Vergewaltigungs-Affäre des Ex-IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn. Ein Artikel des US-Journalisten Jay Epstein im New York Review of Books setzt sich intensiv mit der Frage auseinander, ob "DSK" Opfer eines Komplotts möglicherweise der französischen Regierungspartei UMP geworden ist. Dies legten verschiedene Ungereimtheiten nahe, unter anderem der verschwundene Blackberry des Politikers; allerdings fehle es bislang an Beweisen.

Auch die FTD (Leo Klimm/Matthias Ruch) berichtet ausführlich und veröffentlicht eine Übersetzung des von Epstein angefertigten Protokolls des fraglichen Vormittags.

Mafia-Ermittler: Die Montags-FAZ (Jörg Bremer) präsentiert ein Porträt des italienischen Staatsanwalts und Mafia-Ermittlers Raffaele Mazzotta und erklärt, warum die Mafia auch für Deutschland ein Thema ist: Der erfolgreichste Geldwäschemarkt der "'Ndrangheta" sei das Gebiet der früheren DDR.

Versammlungsverbot für Homosexuelle: Die Samstags-taz (Klaus-Helge Donath) berichtet von einem Gesetz der russischen Stadt St. Petersburg, das empfindliche Geldbußen für "öffentliche Aktionen" vorsieht, mit denen Homo-, Bi- oder Transsexualität "propagiert" wird. Um einer internationalen Verurteilung zu entgehen, stellten die Verantwortlichen das Gesetz als Jugendschutzmaßnahme dar; es komme jedoch einem generellen Versammlungsverbot für Homosexuelle gleich.

Sonstiges

Parma-Schinken aus China: Wie blog.beck.de (Fabian Reinholz) berichtet, wird es wohl bald chinesischen Parma-Schinken geben. Dort sei in einer Industriezone ein Ort namens Parma gegründet worden; der chinesische Markt werde schon mit dem Schinken beliefert. Markenrechtlich habe man kaum eine Handhabe – jedenfalls nicht, wenn der Schinken eine vergleichbare Qualität aufweise.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. bis 28. November 2011: Fluggastdaten auf Vorrat – Neuner-Gremium vor Gericht – Parma-Schinken aus China . In: Legal Tribune Online, 28.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4910/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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