Die juristische Presseschau vom 22. November 2011: Neue Verfassungsrichter – Überwachung von Neonazis – Streit um Renesse

22.11.2011

Wer wird neuer Verfassungsrichter? Neben dem umstrittenen Peter Müller sind auch drei Bundesrichterinnen im Spiel. Außerdem in der Presseschau: ein EU-Gesetzentwurf zur Euro-Krise, Überwachung als Konsequenz aus dem Nazi-Terror, Bürger und Bauvorhaben, Justizskandal um Jan-Robert von Renesse, Markenrechte im Internet und vieles andere.

Wahl von Verfassungsrichtern: Am kommenden Freitag will der Bundesrat zwei neue Richter am Bundesverfassungsgericht wählen. Als Nachfolge für Udo di Fabio ist der ehemalige saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) im Gespräch. Ob er gewählt werde, entscheide sich aber "erst am Freitagmorgen" heißt es in der SZ (Detlef Esslinger). Die SPD-regierten Länder hätten diverse Vorbehalte geäußert, unter anderem wegen der Rolle Müllers im Streit um den ZDF-Verwaltungsrat vor zwei Jahren.

Die FAZ (Thomas Holl/Reinhard Müller) nennt als Kandidatinnen für den Posten Rudolf Mellinghoffs (inzwischen Präsident des Bundesfinanzhofs) die Richterin am Bundesarbeitsgericht Anja Schlewing, die Richterin am Bundessozialgericht Elke Roos und die Richterin am Bundesgerichtshof Sibylle Kessal-Wulf. Im konservativen Lager herrsche jedoch "Unmut, dass die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts und damit der Einfluss auf die für die politische, gesellschaftliche und europäische Entwicklung bedeutsame Rechtsprechung aus der Hand gegeben wird".

Weitere Themen – Rechtspolitik

Euro-Krise: Der SZ (Cerstin Gammelin/Claus Hulverscheidt) liegt ein Gesetzentwurf der Europäischen Kommission vor, der von Präsident José Manuel Barroso am Mittwoch vorgestellt werden soll. Der Entwurf sehe vor, die Haushalte der Euro-Länder deutlich stärker zu kontrollieren. Außerdem spreche sich Barroso für Euro-Bonds aus. In einem Kommentar unter dem Kürzel aha (SZ) heißt es dazu, die Pläne aus Brüssel seien eine "gute Nachricht", es sei aber die Frage "was aus Barrosos Vorschlägen wird". Die FAZ (Werner Mussler) befasst sich mit den Forderungen von Bundeskanzlerin Merkel, die EU-Verträge zu ändern. Dies können vor allem drei mögliche Änderungen umfassen: die Möglichkeit, Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen den Stabilitätspakt vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, eine stärkere Kontrolle der nationalen Haushalte und das automatische Verhängen von Sanktionen.

Überwachung von Neonazis: Der Strafrechtler Mark A. Zöller kritisiert auf lto.de die Einrichtung einer zentralen Datei zum Rechtsextremismus. Gemeinsame Dateien von Polizei- und Nachrichtendienst führten "zusammen, was rechtlich nicht zusammen gehört". Torsten Krauel (Die Welt) fordert hingegen eine umfangreiche Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetdaten: "Die Terrorgruppe aus Zwickau ist ein Beispiel dafür, dass solches Vorratsspeichern auch ohne konkreten Tatverdacht eben doch sinnvoll ist."

Bürger und Bauvorhaben: Auf dem rechtspolitischen Symposium der "Bitburger Gespräche" in München ging es um die Beteiligung von Bürgern beim Bau von Großprojekten, wie dem Stuttgarter Bahnhof. Die FAZ (Caroline Freisfeld) fasst die Diskussion zusammen und stellt Vorschläge der Verwaltungsrechtler Wolfgang Durner und Martin Burgi vor.

Erbschaftssteuer: Einen Umbau des Erbschaftssteuersystems befürchten die Rechtsanwälte Hans Flick und Christian von Oertzen in einem Gastbeitrag für die FAZ, nachdem der Bundesfinanzhof vergangene Woche die Verfassungsmäßigkeit der Erbschaftssteuer in Frage gestellt hat. Die Autoren empfehlen, die verbleibende Zeit zu "nutzen, um ohnehin geplante Schenkungen zu vollziehen".

GWB-Novelle: Der Rechtsanwalt Carsten Grave erläutert im Handelsblatt Rechtsboard den Referentenentwurf zur Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Änderungen solle es insbesondere bei der Fusionskontrolle und bezüglich Kartellordnungswidrigkeiten geben.

Weitere Themen - Justiz

Jan-Robert von Renesse: Welt.de (Kristian Frigelj) schildert ausführlich den Streit um den Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Jan-Robert von Renesse. Der Richter war bis 2010 mit Rentenansprüchen von Arbeitern in den nationalsozialistischen Ghettos befasst, und hatte in diesem Zusammenhang umfangreiche Nachforschungen angestellt, auch in Israel. Später wurde Renesse in einen anderen Senat versetzt. In einem Brief wandte er sich nun an den nordrhein-westfälischen Landtag; er beklagt darin Mobbing, die Behinderung seiner Arbeit und Rechtsverstöße am Landessozialgericht.

Zwickauer Terrorzelle: Der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, hat vor dem Innenausschuss des Bundestages Versäumnisse eingestanden. Derweil gibt es neue Informationen zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter, die Tat soll möglicherweise einen persönlichen Hintergrund haben. spiegel.de (Annett Meiritz/Yassin Musharbash/Severin Weiland) gibt einen Überblick.

NPD-Verbot: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger äußert sich in einem Gastbeitrag für die FAZ skeptisch zur Debatte um ein NPD-Verbot: "Auf keinen Fall dürfen wir das Risiko eingehen, dass wieder ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert". Ressentiments müssten aus der Mitte der Gesellschaft bekämpft werden. Die taz (Christian Rath) erläutert detailliert die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu einem möglichen Verbot der NPD.

Streik und Kirchenrecht: Die "Recht"-Seite der FTD (Daniel Schönwitz) befasst sich mit dem Sonderarbeitsrecht der Kirchen und der Ankündigung der Gewerkschaft Verdi, das Streikrecht im Zweifel vor dem Bundesverfassungsgericht durchzusetzen. Die Arbeitsgerichte seien in den vergangenen Monaten bereits "zunehmend vom Selbstbestimmungsrecht der Kirchen über ihr Arbeitsrecht abgerückt".

Domaingrabbing: Der Rechtsanwalt Guido Aßhoff analysiert für lto.de die aktuelle Rechtssprechung zur Verantwortlichkeit von ausländischen Domaingrabbern. Der Bundesgerichtshof und der Europäische Gerichtshof hatten die Rechte von Markeninhabern im Internet stärkt. Demnach hafte der verbindlich vorgesehene Administrative Ansprechpartner (Admin-C) bei der Registrierung von Domains, auch wenn ihm die Rechtsverletzung nicht bekannt war.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Kambodscha-Tribunal: Vor dem UN-Tribunal in Kambodscha sind drei ehemalige Führer der Roten Khmer angeklagt worden. Die FR (Susanne Lenz) berichtet von den Schwierigkeiten eines Prozesses, den man "mit einem Theaterstück vergleichen" könne. Peter Sturm (FAZ) kommentiert: "Wer Jahrzehnte nach den Taten noch Recht sprechen will, begibt sich in schwieriges Terrain."

Sonstiges

Kelsen und Radbruch: In der FAZ führt Oliver Tolmein die Debatte um den Rechtspositivismus Hans Kelsens fort, die sich an die Äußerungen des Papstes im Rahmen seiner Bundestags-Rede anschloss. Tolmein schlägt vor, als Kelsens Antipoden nicht Carl Schmitt, sondern Gustav Radbruch heranzuziehen. lto.de begeht derweil Radbruchs gestrigen 133. Geburtstag und widmet dem Rechtsphilosophen ein Porträt.

Mördermann: Der Jurist und TV-Anwalt Uwe Krechel schildert in seinem Buch "Mördermann" Fälle aus seinem Berufsleben. Dazu Bild.de.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ak

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. November 2011: Neue Verfassungsrichter – Überwachung von Neonazis – Streit um Renesse . In: Legal Tribune Online, 22.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4862/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen