Die juristische Presseschau vom 2. Februar 2012: Deutschland immun? – Sachsen versucht Versammlungsgesetz – Leipzig kippt Altersgrenze

02.02.2012

Diese Woche wird der Internationale Gerichtshof darüber entscheiden, ob die Staatenimmunität bei der Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen nach Kriegsverbrechen unbeachtlich ist. Außerdem in der Presseschau: In Sachsen versucht man sich wieder an einem Versammlungsgesetz, keine Zwangsrente für Sachverständige, dafür Steuer- und Heizkostengerechtigkeit für alle und die Rätselhaftigkeit des Verfassungsrechts.

Staatenimmunität vor IGH: Morgen entscheidet der Internationale Gerichtshof über eine Klage der Bundesrepublik gegen Italien aus dem Jahr 2008, in der es um die Verletzung der Staatenimmunität Deutschlands geht. Anlass waren Verurteilungen der Bundesrepublik zu Entschädigungszahlungen an italienische und nicht-italienische NS-Opfer durch italienische Gerichte. Die Zeit (Michael Thumann) widmet den Hintergründen des Verfahrens in historischer und völkerrechtlicher Hinsicht, aber auch mit Blick auf den Einzelfall, einen umfassenden Beitrag. Das oberste italienische Gericht habe im Jahr 2004 geurteilt, bei "schwersten Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht" müsse die Staatenimmunität zurücktreten.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Versammlungsgesetz Sachsen: Seit 2006 besteht für die Bundesländer die Möglichkeit, eigene Versammlungsgesetze zu erlassen. Sachsen hat im Jahr 2010 davon Gebrauch gemacht. Das Sächsische Versammlungsgesetz sei dann aber wegen erheblicher Mängel beim Gesetzgebungsverfahren durch den Sächsischen Verfassungsgerichtshof für nichtig erklärt worden, so Regierungsdirektor Klaus Weber auf lto.de. Das im Wesentlichen gleiche Gesetz sei nun am 25. Januar unter Behebung des formellen Defizits erneut im Sächsischen Landtag verabschiedet worden. Inhaltlich problematisch sei vor allem § 15 des Gesetzes, der Versammlungsverbote "für historisch herausragende Orte" vorsehe, etwa für das Völkerschlachtdenkmal. Erneut stehe wohl eine Verfassungsklage durch die Opposition, SPD, Grüne und Linke ins Haus.

De-lege-lata.blogspot.com (Roman Kaiser) zitiert den § 15 im Wortlaut und informiert, die antragstellenden Fraktionen hätten bereits im Jahr 2011 die Unvereinbarkeit der Regelung mit der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit gerügt.

Staatliches Gewaltmonopol: Mit Sorge betrachtet Klaus Staeck (FR) die Privatisierung des Straf- bzw. Maßregelvollzugs als "schleichende Flucht aus der staatlichen Verantwortung" und rügt dabei auch die kürzlich gefallene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach für Privatisierungen "finanzielle Erwägungen" nicht "ausschlaggebend" sein dürften.

Weitere Themen – Justiz

Höchstaltersgrenze unzulässig: Die generelle Altersgrenze für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in der Satzung einer Industrie- und Handelskammer sei eine "nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz unzulässige Benachteiligung wegen des Alters". Über die gestern gefallene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts informiert de-lege-lata.blogspot.com (Roman Kaiser) und verlinkt auf die Pressemitteilung des Gerichts. Den zu Grunde liegenden Sachverhalt fasst welt.de zusammen.

Datenschutz am BFH: Die Zuteilung einer Steueridentifikationsnummer sowie die Speicherung von Daten beim Bundeszentralamt für Steuern stellen einen Eingriff in die "informationelle Selbstbestimmung" dar, so der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Urteil vom Mittwoch. Wie die SZ (Malte Conradi) im "Geld"-Teil berichtet, sei dieser laut BFH aber gerechtfertigt: Das "Allgemeininteresse an einer (…) gerechten Besteuerung gehe vor". Präsident Rudolf Mellinghoff habe sich für "mehr Steuergerechtigkeit stark gemacht". Er hege "starke Zweifel" an der Gerechtigkeit des Steuerrechts, so die SZ weiter.

Heizkosten vorm BGH: Heizkosten für Mehrfamilienhäuser, so ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mittwoch, müssen künftig "nach dem tatsächlichen Verbrauch" abgerechnet werden, informiert die SZ (Wolfgang Janisch). Die Umlage der Vorauszahlung des Vermieters an den Versorger, die sich am Vorjahresverbauch orientiere, auf die Mietparteien sei unzulässig. Die SZ befindet: "Mehr Gerechtigkeit bei der Heizkostenabrechnung – billiger wird es für den Mieter in der Regel nicht".

Über die Entscheidung des BGH, wonach Abrechnungen "nach dem Abflussprinzip" der Heizkostenverordnung widersprechen, informiert auf lto.de Rechtsanwalt Dominik Schüller.

Verhinderung von Grundsatzurteilen: Wohl um ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zu "Ausschüttungen von Lebensversicherungen" zu verhindern, zahlt der Versicherer Clerical Medical einer Klägerin vermutlich doch noch die geforderte Geldsumme, berichtet die FTD (Anja Krüger). Die Klägerin habe die bei Abschluss ihrer Versicherung mit dem Vermittler "besprochene Summe" verlangt. Das Gericht hätte u.a. darüber entscheiden müssen, ob ein Versicherer für "falsche Versprechungen" seitens eines Vermittlers haften müsse.

Keine Börsenfusion: Die EU-Kommission hat den geplanten Börsenzusammenschluss von Deutscher Börse und NYSE Euronext untersagt. Laut spiegel.de steht den Betroffenen der Gang vor den Europäischen Gerichtshof offen; NYSE habe diesen Schritt "nicht ausgeschlossen".

NSU: Über die gestrige Verhaftung von Carsten S. durch die GSG9 berichtet der SWR-Terrorismus-Blog (Holger Schmid) ausführlich. Dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer werde Beihilfe zum Mord in sechs Fällen zur Last gelegt. Möglicherweise habe er auch Kontakt zu einem V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes gehabt.

Anlässlich der Verhaftung fasst Heribert Prantl (SZ) in einem Kommentar die Eckdaten der laufenden Ermittlungen rund um rechtsextreme Gewalt zusammen: U.a. werte das BKA neuntausend Gigabyte "Festplattenmaterial" aus. Ergäben sich neue Verbindungen zwischen "NPD und Gewalt", "kann darauf ein neuer Verbotsantrag aufbauen", so Prantl.

Das Letzte zum Schluss

Rätselhaftes Verfassungsrecht: Je verfassungswidriger ein Urteil, desto schwieriger gehe wohl eine Verfassungsbeschwerde dagegen durch, musste Max Steinbeis (verfassungsblog.de) bei der Lektüre einer gestern veröffentlichten Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts feststellen. Dächten Gerichte bei ihren Entscheidungen "gar nicht groß über Grundrechte nach", müsse dies erst mal mit einer "Anhörungsrüge" vor den Instanzgerichten beanstandet werden, bevor das Verfassungsgericht sich damit befasse. Egal, ob ein Beschwerdeführer sich tatsächlich in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt fühle oder es, wie im konkreten Fall eines womöglich freizulassenden Gefängnisinsassen, um ganz andere Grundrechte gehe.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dc

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. Februar 2012: Deutschland immun? – Sachsen versucht Versammlungsgesetz – Leipzig kippt Altersgrenze . In: Legal Tribune Online, 02.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5468/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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