Die juristische Presseschau vom 2. Dezember 2011: Polizeigewahrsam vor dem Aus – Wahlrecht vor Verfassungsgericht – Verteidiger für Kamera

02.12.2011

Unterbindungsgewahrsam für ein missverständliches Plakat? So nicht, liebe deutsche Justiz, meint der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Außerdem in der heutigen Presseschau: das Aus für Internetsperren, Normenkontrolle gegen das neue Wahlrecht, NPD vor dem Verbot, Inkasso am Pranger und warum sich Strafverteidiger manchmal mehr Videoüberwachung wünschen.

 

EGMR zu Polizeigewahrsam: lto.de (Alfred Scheidler) berichtet von einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach dem die präventive Inhaftierung zweier G8-Demonstranten 2007 gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. Diese hatten Transparente unter anderem mit der Aufschrift "free all prisoners" bei sich geführt, mit denen sie vor dem Gefängnis angeblich die Freiheit zuvor festgenommener Demonstranten fordern wollten. Zur Verhinderung einer Anstiftung anderer zur Gefangenenbefreiung wurden sie darauf selbst eingesperrt. Dieses Vorgehen habe sie in ihrem Recht auf Freiheit und der Versammlungsfreiheit verletzt.

Max Steinbeis (verfassungsblog.de) meint dem Urteil zudem entnehmen zu können, dass eine bloß präventive Haft gänzlich ohne vorangegangene Straftat nach der Konvention grundsätzlich unzulässig sei. Allerdings müsse nun befürchtet werden, dass als Reaktion eine weitere Ausdehnung des Strafrechts in das Vorfeld eigentlicher Rechtsgutsverletzungen erfolge.

Ulrike Winkelmann (taz) hält das Urteil für eine "Blamage für die Sicherheits- und Justizbehörden" und meint mit einem vergleichenden Blick auf die Castor-Proteste, das Verhalten deutscher Behörden sei entscheidend davon abhängig, wie gut diese ihre Gegenüber zu kennen glaubten.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Internetsperren: Von der Leyens "Stopp!-Schild" im Internet gehört der Vergangenheit an. Wie die FR berichtet, will der Bundestag künftig dem Ansatz "Löschen statt sperren" folgen und hat das umstrittene Sperrgesetz am gestrigen Donnerstag fast einstimmig aufgehoben.

Eurobonds: Der Verfassungs- und Europarechtler Michael Herdegen hält die diskutierten "Eurobonds" in einem Interview mit Welt Online für unvereinbar mit geltendem Europa- und Verfassungsrecht. Jedenfalls dann, wenn diese eine Haftung für die Schulden anderer Staaten vorsähen, verstießen solche Anleihen gegen die "No Bail Out-Klausel" des EU-Vertrags. Betroffen sei national auch das Haushaltsrecht des Bundestages, weswegen auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht möglich sei.

EU-Kaufrecht: Wie das Handelsblatt (Heike Anger) berichtet, hat der Bundestag gegen das geplante europäische Kaufrecht, wie zuvor schon Großbritannien, die "Subsidiaritätsrüge" erhoben. Der Kommission werde eine Überdehnung ihrer Kompetenzen vorgeworfen.

Weitere Themen – Justiz

Klage gegen Wahlrecht: Einen Tag nach seinem Inkrafttreten haben die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen beim Bundesverfassungsgericht einen Normenkontrollantrag gegen das neue Bundeswahlgesetz eingereicht, so die FAZ (Stephan Löwenstein). Dazu klage auch die grüne Partei, die sich in der Chancengleichheit verletzt sehe. Stein des Anstoßes sei das Fortbestehen des "negativen Stimmgewichts" und der Überhangmandate.

NPD-Verbot: lto.de (Daniel Schneider) setzt sich heute in einem Interview mit dem Verfassungsrechtler Hans Peter Bull und den Voraussetzungen für ein erfolgreiches weiteres NPD-Verbotsverfahren auseinander. Der Rechtswissenschaftler war 2003 Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung im damals gescheiterten ersten NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.

spiegel.de (Severin Weiland) meint, die Chancen für ein Verbot stiegen vor allem dann, wenn sich ein Zusammenhang zwischen der Zwickauer Terrorzelle und der NPD nachweisen ließen – und setzt sich mit den wichtigsten Fragen zu einem Verbot der Partei auseinander. zeit.de (Christian Denso) sieht das ähnlich. Robert Birnbaum (zeit.de) meint zwar, dass die Regierung um ein Verbotsverfahren nicht herumkommen werde, hält den Ausgang aber für offen.

Wie die FR zu berichten weiß, planen die Innenminister von Bund und Ländern, in der kommenden Woche ein entsprechendes Verbotsverfahren zu beschließen.

Tod in der Badewanne: Die SZ (Ronen Steinke/Hans Holzhaider) berichtet heute ausführlich über einen Mordprozess vor dem Münchner Landgericht, in dem es um den Tod einer alten Frau in der Badewanne geht. Der seit 3 Jahren in Untersuchungshaft sitzende angeklagte Hausmeister sei zunächst auf äußerst dünner Grundlage verurteilt worden, bevor der Bundesgerichtshof das Verfahren wegen eines Formfehlers wiederholen ließ. Jetzt könne der Angeklagte mit einem Freispruch rechnen.

Breuer-Prozess: Unter der Überschrift "Eine Pleite und viele Pannen" schildert die SZ (Klaus Ott) zum heutigen Beginn der Zeugenvernehmung im Prozessbetrugsverfahren gegen den früheren Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer verschiedene Verfahrensfehler, die dem Gericht bereits im Vorfeld unterlaufen seien. Bisherige Zwischenbilanz: Ein geplatzter Prozessauftakt im August und ein Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden.

Klagedrohung gegen abgeordnetenwatch.de: Laut einem Bericht von spiegel.de (Annett Meiritz) droht die CDU-Ratsfraktion von Wiesbaden dem Online-Dienst "abgeordnetenwatch.de" mit einer Klage. Das Bürgerbeteiligungsportal, das sich für Transparenz in der Politik einsetzt, verwende zu Unrecht die öffentlich zugänglichen Daten der Politiker.

Inkassounternehmen: Neben verschiedenen Printmedien berichtet heute lawblog.de (Udo Vetter) von einer Initiative der Verbraucherzentralen gegen Inkassounternehmen. So zeige eine Studie, dass diese Forderungen oft durch "Willkür und Phantasiegebühren" in "schwindelerregende Höhen" trieben.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Neue Chefanklägerin am IStGH: Die SZ (Arne Perras) porträtiert heute die designierte neue Chefanklägerin am Internationelen Strafgerichtshof in Den Haag, Fatou Bensouda. Die "unerschrockene und ausdauernde" Frau aus dem westafrikanischen Gambia und bisherige Stellvertreterin des amtierenden argentinischen Chefanklägers Ocampo habe das Gericht stets gegen Vorwürfe verteidigt, ein neokoloniales Werkzeug zu sein. Die taz (Dominic Johnson) bezeichnet sie in einem wohlwollenden Porträt als mit den "Realitäten in Afrika vertraut" und "die Richtige", die dortigen Aktivitäten des IStGH "zu lenken".

Skurril und Skandalös

Haussklavin: Unter anderem die FR berichtet von einem Prozess vor dem Mosbacher Landgericht, in dem einem Ehepaar vorgeworfen wird, eine mittlerweile 21-Jährige ein Jahr lang als "Haussklavin" gehalten und gepeinigt zu haben.

Polizeizeuge contra Kamera: strafrechtsblogger.de (Steffen Dietrich) schildert den Fall eines "perfekten" Belastungszeugen der Polizei – dessen Aussage allerdings nicht mit den Aufzeichnungen einer Überwachungskamera in Einklang zu bringen war. Ohne das Video wäre der Angeklagte wohl sicher verurteilt worden, so sei ein Freispruch erfolgt – dank Überwachungskamera.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. Dezember 2011: Polizeigewahrsam vor dem Aus – Wahlrecht vor Verfassungsgericht – Verteidiger für Kamera . In: Legal Tribune Online, 02.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4951/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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