Die juristische Presseschau vom 19. bis 21. November 2011: Sicherheitsbehörden vor Reform – NPD vor Verbot – Abfilmen vor Einreise

21.11.2011

Als Konsequenz aus dem Rechtsterrorismus-Skandal sollen die Sicherheitsbehörden reformiert werden. Von Gefahrenabwehrzentren, längerer Speicherdauer und Sonderermittlern ist die Rede. Außerdem in der Presseschau: die Diskussion um ein NPD-Verbot, die Extremismus-Klausel vor Gericht, Zwitschern aus Verhandlungen, holländische Grenz-Kameras und vieles andere.

Ermittlungsbehörden: Die FAS (Markus Wehner) gibt einen Überblick über die Taten der rechtsterroristischen NSU und das Versagen der Ermittlungsbehörden, die Samstags-SZ wartet mit einer Themenseite unter dem Titel "Deutscher Herbst"auf. In einem Interview mit der FR (Steven Gayer) bestreitet der frühere Generalbundesanwalt Kay Nehm derweil ein Versagen der Bundesanwaltschaft. Fehler seien allerdings von ostdeutschen Behörden begangen worden.

Ein umfassendes Interview mit Bundesinnenminister Friedrich (CSU) bringt heute der Spiegel (Vorabmeldung auf spiegel.de). Darin verteidigt dieser unter anderem den Einsatz von V-Leuten und kündigt die Gründung eines "gemeinsamen Abwehrzentrums", eine Stärkung der Bundesanwaltschaft sowie die Einrichtung einer Verbunddatei an. Über diese Pläne berichtete auch bereits die Samstags-FAZ (Günter Bannas/Peter Carstens/Thomas Holl), mit der geplanten längeren Speicherung von Daten Rechtsextremer durch den Verfassungsschutz beschäftigt sich zeit.de. Befürwortet werden diese Maßnahmen von Georg Paul Hefty (Samstags-FAZ), der einen umfassenden Informierensfluss zwischen den Behörden aber auch zur Bevölkerung fordert.

Nach Berichten der Montags-SZ (Susanne Höll) erwägen derweil die Fraktionsspitzen im Bundestag die Einsetzung von Sonderermittlern zur Untersuchung der NSU-Mordserie. Es gebe Überlegungen, das Parlamentarische Kontrollgremium mit dieser Aufgabe zu betrauen.

Verfassungsschutz: Bereits am Freitag sprach sich Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger für eine Zusammenlegung der Landesämter für Verfassungsschutz aus, so zeit.de.

Diesen Vorschlag hält Yassin Musharbash (spiegel.de) für eine "Scheinlösung". Entscheidend sei vielmehr eine strengere Kontrolle der Dienste durch die Parlamente.

Nils Minkmar analysiert im Feuilleton der FAS das "völlige Versagen"der Geheimdienste. Er folgert, es sei "Zeit, sie abzuschaffen", denn: "Die Dienste dienen nur sich selbst". Im "Streit der Woche" der Samstags-taz werden verschiedene Standpunkte zur Frage der Abschaffung des Verfassungsschutzes präsentiert.

Christian Rath (taz) fordert mit dem Blick auf die angedachten Reformen der Sicherheitsbehörden, Geheimdienste und Polizei weiterhin getrennt zu halten und analysiert die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen. Diese seien umstritten. Jedenfalls sei es eine "Lehre aus dem Faschismus", dass keine einzelne Sicherheitsbehörde zu viel Macht anhäufen darf.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Fluggastdaten: Wie die FR (Thorsten Knuf) berichtet, hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar ernste Bedenken gegen den Entwurf des Fluggastdatenabkommens der EU mit den USA. Diese erhielten dadurch Zugriff auf sensible Daten einzelner Passagiere.

Patientenrechte: Mehrere Bundesländer starten eine Gesetzesinitiative für mehr Patientenrechte. Dabei gehe es um besseren Schutz vor Behandlungsfehlern und überhöhten Honoraren, das Vorgehen gegen lange Wartezeiten sowie das Recht auf umfassende Aufklärung und die Einholung von Zweitmeinungen, berichtet die Samstags-SZ (Guido Bohsem).

Steuerabkommen: Die Samstags-taz (Malte Kreutzfeldt) berichtet über Einwände der EU-Kommission gegen das geplante deutsch-schweizerische Steuerabkommen. Die Kommission verlange umfangreiche Änderungen und prüfe für den Fall des unveränderten Abschlusses ein Vertragsverletzungsverfahren. Die Einwände stützen sich auf die EU-Zinsrichtlinie, über deren Ausweitung derzeit verhandelt wird, was in den Augen der Kommission zu einer "exklusiven EU-Kompetenz"auf diesem Gebiet führe.

5-Prozent-Hürde: In einem Gastbeitrag für zeit.de prognostizieren der Völkerrechtler Pierre Thielbörger und der Europarechtler Mark Dawson das Ende der 5-Prozent-Hürde bei Landtags- und Bundestagswahlen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit dieser Hürde bei Europawahlen entspreche dem Zeitgeist; eine solche Beschränkung für Landtags- und Bundestagswahlen werde künftig politisch immer schwieriger zu rechtfertigen sein.

Weitere Themen – Justiz

NPD-Verbot: Die FAS (Thomas Gutschker/Christiane Hoffmann/Eckart Lohse/Markus Wehner) stellt die Diskussion in den Unions-Parteien über ein neuerliches NPD-Parteiverbotsverfahren dar. Andreas Zielcke argumentiert in einer umfassenden Stellungnahme in der Samstags-SZ vehement für ein Verbot – bei der NPD handele es sich um einen "Hort der Terroristen".

Endlich dem öffentlichen Dienst zuordnen möchte die NPD dagegen in einem bissigen Kommentar André Mielke (FR). Diese sei inzwischen in einigen Ortsgruppen so mit V-Leuten durchsetzt, dass "richtige Rechtsradikale dort keine Chance mehr haben".

Heribert Prantl plädiert in der Montags-SZ dafür, die V-Leute des Verfassungsschutzes aus der NPD abzuziehen. Sie seien oft "Wichtigtuer, die für viel Geld wenig liefern"und schafften oft "mehr Probleme als sie zu lö̈sen". Zudem finanziere man über die NPD-V-Leute den Neonazismus mit.

Volker Rieble konstatiert in einem pointierten Kommentar im Feuilleton der FAS unter Hinweis auf das nationalsozialistische Konzept der "Rechtsgenossenschaft" den gesellschaftlichen Ausschluss Rechtsradikaler aufgrund ihrer Gesinnung. In seinen Augen ist die von ihm wahrgenommene "Gesinnungsgenossenschaft ... nicht besser als Rassegenossentum", da beide "Feindschaft zum Rechtsprinzip" erheben würden.

Extremismus-Klausel: Wie die Samstags-SZ (Matthias Winkelmann) berichtet, klagt das "Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz (Akubiz)" vor dem Dresdner Verwaltungsgericht nun gegen die umstrittene "Extremismus-Klausel"des Bundesfamilienministeriums. Das Zentrum habe die finanzielle Förderung einer als "demokratiefördernd" anerkannten Informationsbroschüre zum ehemaligen KZ-Außenlager Königstein beantragt, diese aber mangels Unterzeichnung der verlangten "Demokratieerklärung" nicht erhalten. In dieser hätte sich das Zentrum zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und dazu bekennen sollen, alle seine Partner auf deren entsprechendes Bekenntnis zu überprüfen. Auch ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages habe schon Bedenken an der Rechtmäßigkeit dieser Praxis aufgezeigt.

Um einen Hintergrund-Text ergänzt die Berichterstattung sueddeutsche.de (Sebastian Gierke).

Atomausstieg: In der rechtspolitischen Kolumne "Ein SPRUCH"der Samstagsausgabe des Tagesspiegel setzt sich Jost Müller-Neuhof mit der Verfassungsbeschwerde der Stromkonzerne gegen den Atomausstieg auseinander. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Vertrauensschutz "auch Großkonzerne beanspruchen dürfen"und die Bürgerinnen und Bürger aufgrund ihrer Wahlentscheidungen 2009 und 2011 selbst für das "Hin und Her"und gegebenenfalls damit verbundene Entschädigungsansprüche verantwortlich seien.

Erbschaftssteuer-Reform: Die Erbschaftssteuer-Reform wird dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das entschied der Bundesfinanzhof – und zwar zu Recht, wie der Rechtsanwalt Alexander Knauss in einem Gastbeitrag für lto.de meint. Verfassungsrechtlich problematisch sei der "Sonderstatus"der Erben des Jahres 2009, die von einem besonders hohen Mindeststeuersatz von 30 Prozent betroffen seien. Nur mittelbar relevant, aber vom BFH auch bezweifelt, sei die Verfassungsmäßigkeit der bevorzugten Besteuerung von Betriebsvermögen.

VW-Gesetz: Wie die FTD (Mark Schrörs) berichtet, wird die EU-Kommission aller Voraussicht nach am kommenden Donnerstag beschließen, gegen das VW-Gesetz erneut vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. Stein des Anstoßes sei die dort festgeschriebene 20 Prozent-Sperrminorität des Landes Niedersachsen.

Gerichts-Twittern: Mit der Zulässigkeit des Versendens von Kurznachrichten aus Gerichtssälen beschäftigt sich in einem Gastbeitrag für lto.de der Medienrechtler Martin W. Huff. Seiner Auffassung nach fehlt für eine derartige Beschränkung der Sitzungsöffentlichkeit eine entsprechende Rechtsgrundlage.

Liebes-Spionage: Samstags-FAZ und FAS (Caroline Freisfeld) geben in der Beilage "Beruf und Chance"einen Überblick über die (arbeits-)rechtlichen Fragen von Liebesbeziehungen zwischen Mitarbeitern. Das Spektrum reicht hier von der Kündigung des Mitarbeiters eines spionagegefährdeten Unternehmens wegen seiner Ehe mit einer Chinesin bis hin zur Versetzung einer Bundesrichterin wegen ihrer Beziehung zu einem Rechtsanwalt.

Bundesverfassungsrichter: Wie die Montags-FAZ (Thomas Holl) weiß, soll der ehemalige saarländische Ministerpräsident Peter Müller am kommenden Freitag vom Bundesrat zum Richter am Bundesverfassungsgericht gewählt werden.

Richterinnen in Bundesgerichten: Die Montags-SZ (Wolfgang Janisch) berichtet von einer Initiative des Deutschen Juristinnenbundes, den Frauenanteil in den Bundesgerichten zu erhöhen. Bei der nächsten Wahl sollten mindestens 30 Prozent Frauen vorgeschlagen werden.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Holländische Kameras: Nach einem Bericht der FTD (Claus Hecking) wollen die Niederlande an ihren Grenzen ein automatisches Kennzeichenerfassungssystem einrichten. Eine solche "systematische und totale Überwachung"verstoße nach der Rotterdamer Strafrechtlerin Inez Weski aber gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Der FTD-Leitartikel sieht darin einen "Angriff auf Europa": Durch die Einschränkung der Reisefreiheit werde eine der "wichtigsten Errungenschaften der Europäischen Union" angegangen.

Prozess in Libyen: Der in Libyen festgenommene Sohn des Ex-Diktators Muammar al-Gaddafi, Saif al-Islam al-Gaddafi, soll nach dem Willen der Übergangsregierung auch dort vor Gericht gestellt werden. Das berichtet die FTD (Astrid Frefel/Stefan Schaaf) und erläutert, dass gleichzeitig ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Unter anderem die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fordere deswegen seine Auslieferung.

Auch die Montags-FAZ (Rainer Hermann; Andreas Ross) berichtet von der Festnahme und erläutert, dass eine Verpflichtung zur Auslieferung an den Internationalen Strafgerichtshof nur dann besteht, wenn der eigentlich für den Prozess zuständige Staate "nicht willens oder nicht in der Lage" ist, diesen durchzuführen. Im Falle Libyens handele es sich um "Neuland", weil hier die Strafverfolgung durch eine de-facto-Staatsführung erfolge.

Die FR hält das nun anstehende Verfahren für eine "Nagelprobe"für Libyens Übergangsregierung; Dietrich Alexande (Die Welt) spricht von einem "Lackmustest" für die rechtsstaatliche Zukunft des Landes. Da das Land bislang als einzige Sanktion die Todesstrafe kennt, wäre eine Auslieferung an den Internationalen Strafgerichtshof "ein wichtiger Schritt".

Sonstiges

Habermas zu Europa: Die Montags-FAZ (Setfan Müller-Doohm) präsentiert im Feuilleton eine Rezension der politik- und rechtswisseschaftlichen Essaysammlung "Zur Verfassung Europas" von Jürgen Habermas. Sie dokumentiere die Auseinandersetzung des Philosophen mit dem Thema "Europa"; in ihrem zentralen, aktuellen Essay beschäftige sich Habermas mit dem europäischen Bundesstaat und der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Ein weiterer Text beschäftige sich mit den Menschenrechten in der Weltgesellschaft.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. bis 21. November 2011: Sicherheitsbehörden vor Reform – NPD vor Verbot – Abfilmen vor Einreise . In: Legal Tribune Online, 21.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4849/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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