Die juristische Presseschau vom 18. Januar 2012: EU gegen Ungarn – Spanien gegen Garzón – Störsender gegen Schummler

18.01.2012

Die EU legt harte Bandagen an und leitet drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein. Demokratische Werte und Prinzipien seien in Gefahr. Außerdem in der Presseschau die Neonazi-Datei, das EGMR-Urteil zu Folterstaaten, der Börsenbrief- und der Badewannen-Fall, der in Spanien angeklagte Richter Garzón – und was Störsender auf Schultoiletten verloren haben.

EU vs. Ungarn: Die EU hat wie erwartet drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Das berichten neben anderen SZ (Martin Winter) und FAZ (Nikolas Busse). Es gehe um die in den Augen der Kommission nicht mehr gewährleistete Unabhängigkeit von Zentralbank, Justiz und Datenschutzbehörde. Nach einer verkürzten Korrektur-Frist von einem Monat drohten eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und Strafzahlungen in Millionenhöhe.

Laut FR (Thorsten Knuf) äußerte Kommissionspräsident Barroso bei der Begründung "Zweifel an der Beachtung demokratischer Werte und Prinzipien". Nach einem Bericht der FTD (Claus Hecking) fordern einige europäische Staaten noch weitergehende Maßnahmen; das EU-Parlament wolle "eine schwere Verletzung europäischer Grundwerte" nach Artikel 7 des EU-Vertrags prüfen.

Martin Winter (SZ) begrüßt das scharfe Vorgehen der EU, auch wenn die Entschlossenheit spät komme. Man dürfe die ungarische Regierung nicht "einfach davonkommen" lassen, sonst sei "der europäische Wertekanon das Papier nicht mehr wert, auf dem er steht." Es sei an der Zeit, "die Keule des Artikel 7 zu schwingen".

Weitere Themen – Rechtspolitik

Gläserne EU-Ageordnete: Der Parteienrechtler Sebastian Roßner stellt auf lto.de die neuen Transparenzregeln für Abgeordnete des Europäischen Parlaments und mögliche Sanktionen bei Verstößen vor. Kritisch merkt er an, der Bereich Lobbyismus und "Großverdiener" werde nur unzureichend erfasst.

Neonazi-Datenbank: Die SZ (Susanne Höll) stellt die "wichtigsten Fragen und Antworten" zu den Plänen der Bundesregierung für eine gemeinsame Datenbank von Polizei und Geheimdiensten über gewalttätige Neonazis zusammen.

Weitere Themen – Justiz

Privater Maßregelvollzug: Die FAZ (Reinhard Müller) weist kurz auf die heutige Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts zur Privatisierung des Maßregelvollzugs hin und erwartet eine "grundlegende Entscheidung" zur Privatisierung hoheitlicher Aufgaben.

BGH-Senatsvorsitz: Die FAZ (Reinhard Müller) fasst die "missliche Situation" rund um Vorsitz des zweiten Strafsenats am Bundesgerichtshof und den prominenten Richter Thomas Fischer nochmals zusammen und weist darauf hin, dass im Juni ein weiterer Senatsvorsitz vakant werden – und dann "das Ganze von Neuem losgehen" könne.

Auslieferung & Aufenthaltstitel: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass ein Aufenthaltstitel nicht erlischt, wenn eine Person an das Ausland ausgeliefert werde. Eine solche staatlich veranlasste Maßnahme stelle keine "Ausreise" dar. Darüber berichtet lto.de.

EGRM und Folterstaaten: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Auslieferung des Islamisten Omar Othman alias Abu Qatada von Großbritannien nach Jordanien gestoppt. Dort drohe ihm ein unfairer Prozess wegen der Verwendung erfolterter Geständnisse anderer Häftlinge, so die taz (Christian Rath). Eine mögliche Folterung des Angeklagten selbst hingehen drohe wegen einer entsprechenden diplomatischen Zusicherung Jordaniens nicht. Für die Anerkennung solcher Zusicherungen habe der Gerichtshof nun einen Kriterienkatalog erstellt, den die taz (Christian Rath) ebenfalls dokumentiert.

Delisting: Auf der "Recht und Steuern"-Seite bringt die FAZ (Joachim Jahn) heute einen ausführlichen Bericht über das Delisting-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und seine rechtlichen Hintergründe. Im Verfahren geht es um die Frage, ob der Rückzug eines Unternehmens von der Börse in das Eigentumsrecht der Aktionäre eingreift. Ein zehn Jahre altes Urteil des Bundesgerichtshofs nehme dies an; die Verfassungsrichter hätten in der mündlichen Verhandlung Zweifel deutlich werden lassen.

Börsenbrief-Prozess: Im Prozess gegen zwei Herausgeber von Börsenbriefen ist es gestern vor dem Münchner Landgericht zu einem Geständnis eines Angeklagten gekommen, sein Mitangeklagter war letzte Woche aufgrund eines Geständnisses zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Laut FTD (Antonie Klotz/Renate Daum) gelten beide als Hauptbelastungszeugen im nun anstehenden Prozess gegen den mutmaßlichen Kopf des Betrügerrings, Tobias Bosler.

Admin-C: internet-law.de (Thomas Stadler) dokumentiert auszugsweise die jetzt verfügbaren Urteilsgründe des Bundesgerichtshofs zur Haftung des sogenannten Admin-C für Inhalte von Websites.

Krailing-Mordprozess: SZ (Annette Ramelsberger) und spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichten heute ausführlich über den Prozessauftakt zum Doppelmord von Krailing. Bislang schweige der Angeklagte Thomas S.

Badewannen-Fall: Das Landgericht München hat nach Aufhebung eines ersten Urteils durch den Bundesgerichtshof einen wegen Mordes an einer Seniorin angeklagten Hausmeister zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) dokumentiert die Urteilsverkündung und meint, die "Überzeugung des Gerichts" ersetze nicht "Gewissheit": Nach wie vor blieben Zweifel, ob das Opfer ertränkt worden oder selbst in die Badewanne gestürzt sei.

Keine Wulff-Ermittlungen: Laut lto.de nimmt die Berliner Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen gegen Bundespräsident Wulff wegen der "Mailbox-Affäre" auf. Es bestehe kein Anfangsverdacht für eine versuchte Nötigung des Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Garzón-Prozess: Vor dem Obersten Gerichtshof Spaniens hat der erste von mehreren Prozessen gegen den Ermittlungsrichter Baltasar Garzón begonnen, so die SZ (Javier Cáceres). Die Anklage gegen den insbesondere wegen seiner Ermittlungen gegen Chiles Ex-Diktator Pinochet weltweit bekannten Richter laute auf Rechtsbeugung. Er soll in einem Korruptionsprozess illegale Abhörmaßnahmen angeordnet haben. In einem weiteren Prozess gehe es um die Missachtung einer Amnestie für Verbrechen während der Franco-Diktatur.

Der Prozess zeuge von einer "Krise der spanischen Justiz", wie Javier Cáceres in einem separaten Kommentar festhält. Man erkenne daran, "dass Spaniens Justizapparat für politischen Druck nicht unempfänglich ist". Der Vorwurf der Rechtsbeugung wegen seiner Ermittlungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Franco-Diktatur sei "eine sagenhafte Groteske".

lto.de (Constantin van Lijnden) stellt den Richter als "Hardliner für die gute Sache" vor.

Dink-Mord: Ein Rechtsnationalist ist in der Türkei wegen Beihilfe zum vor fünf Jahren begangenen Mord am Journalisten Hrant Dink zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. zeit.de und FTD (Markus Bernath) berichten und heben hervor, dass Kritikern zufolge die Hintergründe des Verbrechens und insbesondere eine mögliche Verwicklung staatlicher Stellen nach wie vor unzureichend aufgeklärt seien.

Das Letzte zum Schluss

Netzstörung: Über einen österreichischen "Schulleiter ohne Peilung" berichtet lawblog.de (Udo Vetter). Dieser hatte in seiner Schule einen legal erworbenen Handy-Störsender im Toilettenbereich eingesetzt, um Schüler während Prüfungen vom Schummeln per Smartphone abzuhalten. Der Haken: Ohne Genehmigung der Sicherheitsbehörden sei der Einsatz von Störsendern als Eingriff in den Telekommunikationsverkehr – wie auch in Deutschland – verboten und gegebenenfalls strafbar. Der arglose Pädagoge sei aber mit einer Ermahnung davongekommen.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. Januar 2012: EU gegen Ungarn – Spanien gegen Garzón – Störsender gegen Schummler . In: Legal Tribune Online, 18.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5329/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen