Die juristische Presseschau vom 16. September 2011: Väter im Recht – Ex-Terrorist im Schweigen – Doktor in Unwürde

16.09.2011

Bestimmendes Thema ist heute das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Umgangsrecht leiblicher Väter. Die Bundesrepublik wurde verurteilt, weil sie leibliche Väter gegenüber Ehepaaren rechtlos stellt. Außerdem in der Presseschau der schweigende Christian Klar, ein unwürdiger Doktor, ein Aufenthaltsverbot wegen des Papst-Besuchs und vieles andere.

Väterrechte: Wie unter anderem die taz (Christian Rath) berichtet, ist Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt worden, weil leibliche Väter hierzulande keine Chance auf Umgang mit ihrem Kind hätten, wenn dieses in eine Ehe geboren werde. Der EGMR habe nun bemängelt, dass nach deutschem Recht keine vom Kindeswohl geleitete Abwägung zwischen dem Interesse des leiblichen Vaters und des Ehepaars stattzufinden habe.

Wie diese im konkreten Fall ausfiele, habe das Gericht offen gelassen, dem Vater aber wegen Verletzung seines "Rechts auf Privatleben" 5.000 Euro Schadensersatz zugesprochen. Die Zeitung berichtet weiter, dass in den kommenden Monaten zwei weitere Entscheidungen des Gerichts anstünden, in denen sogar ein Anfechtungsrecht leiblicher Vätern im Raum stehe; im Anschluss an diese Urteile wolle die Bundesregierung über Reformen nachdenken.

Nach einem Bericht der FR (Matthias Thieme), der verschiedene Reaktionen auf das Urteil darstellt, fordern Väterinitiativen nun auch Gesetzesänderungen.

Georg Paul Hefty (FAZ) kritisiert das Urteil und die Gegenüberstellung "biologischer" und "rechtlicher" Elternschaft. Immerhin stehe dem Vater mit der Mutter auch ein "biologisch gleichberechtiger" Elternteil gegenüber. Das Gericht hätte begründen müssen, warum der Widerspruch der Mutter übergangen werde.

Dagegen begrüßt der Notar Jörn Heinemann in einem Gastbeitrag auf lto.de das Urteil und meint, dass in Zukunft bei der Frage nach dem Umgangsrecht biologischer Väter eine Einzelfallprüfung stattzufinden habe. Die Bundesregierung solle das Urteil anerkennen und kein Rechtsmittel einlegen.

Auch Max Steinbeis (verfassungsblog.de) schließt sich dem Urteil an: "Unterkomplexes Väterrecht ist menschenrechtswidriges Väterrecht" – die deutschen Gerichte hätten es versäumt, sich mit den konkreten Umständen des Falles auseinanderzusetzen.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Stuttgart 21: Am Freitag bringt die baden-württembergische Landesregierung ihr "Ausstiegsgesetz" in den Landtag ein. Die SZ (Wolfgang Janisch) nimmt dies zum Anlass, nochmals die juristischen Bedenken gegen das Vorgehen der Landesregierung zusammenzufassen. Solche bestünden sowohl hinsichtlich der Zulässigkeit eines "kalkulierten Scheiterns" des Gesetzes im Landtag als auch der Rechtmäßigkeit einer Volksabstimmung über Finanzierungsfragen. Außerdem sei umstritten, ob eine erfolgreiche Volksabstimmung überhaupt ein Aussteigen des Landes aus dem Finanzierungsvertrag rechtfertige.

Stasi-Unterlagengesetz: Evelyn Finger springt in der Zeit dem neuen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde Roland Jahn und seinen Reformforderungen für das Stasi-Unterlagengesetz bei. Es sei ein "symbolpolitisches Desaster", dass ehemalige Stasi-Mitarbeiter ausgerechnet in der Behörde arbeiteten, die für einen der "sensibelsten Aktenbestände dieses Landes" zuständig sei. Dass die von Jahn geforderte Gesetzesänderung nun als Rechtsbruch angeprangert werde, kritisiert die Autorin als "klassischen Fall einer starken Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit".

Glücksspielrecht: Das liberalisierte schleswig-holsteinische Glücksspielrecht wird in einem Kommentar in der heutigen SZ (rtw) scharf kritisiert. Hier solle auf Kosten der Ländersolidarität "mitkassiert" werden – die Kieler Regierungskoalition habe so nämlich einen Maßstab geschaffen, an dem der Europäische Gerichtshof einen künftigen Staatsvertrag der übrigen Länder messen werde.

Weitere Themen – Justiz

Buback-Prozess: Gestern wurde der Ex-RAF-Terrorist Christian Klar im Strafprozess gegen Verena Becker um das Attentat auf Siegfried Buback als Zeuge vernommen – und schwieg, wie erwartet. Das berichtet unter anderem die taz (Christian Rath), die die eindringliche, aber erfolglose Befragung durch den Richter schildert und zudem kurz den Hintergrund des Prozesses zusammenfasst. Klar stehe nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, weil er sich selbst belasten könnte.

Diese Auffassung kritisierte Nebenkläger Michael Buback, der Sohn des Opfers, laut focus.de scharf. Er könne diese Entscheidung nicht verstehen; immerhin sei Klar wegen der Ermordung seines Vaters bereits verurteilt worden.

Unwürdiger Doktor: In einem Gastbeitrag auf lto.de stellt der Verwaltungsrichter Paul Tiedemann ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vor, in dem dieser die Entziehung eines Doktortitels wegen "Unwürdigkeit" durch die Universität Konstanz bestätigt. In dem Urteil werde die Entziehung des akademischen Grades erstmals mit wissenschaftlichem Fehlverhalten begründet; bislang seien Doktortitel nur aufgrund von Straftaten aberkannt worden. Der betroffene Wissenschaftler hatte sich zudem nicht in seiner Dissertation, sondern erst in seiner späteren wissenschaftlichen Arbeit Verfehlungen zuschulden kommen lassen. Erstaunlich ist in den Augen des Autors, wie "leichtfüßig" das Gericht dabei über die Unbestimmtheit des Begriffs "Unwürdigkeit" hinweggegangen sei.

Eislaufhallen-Prozess: Wie die FR berichtet, wird vor dem Landgericht Traunstein der Prozess wegen des Einsturzes der Eislaufhalle Reichenhall im Jahr 2006 neu aufgerollt. Nachdem der Bundesgerichtshof einen Freispruch aufgehoben habe, müsse sich ein Gutachter erneut wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung von 15 Menschen vor Gericht verantworten. Der Statiker habe die Begutachtung nicht pflichtgemäß ausgeführt, so der Vorwurf. Die Verteidigung werfe der Staatsanwaltschaft dagegen eine "Sündenbockstrategie" vor.

Papst-Besuch: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat entschieden, dass ein ehemaliger Terrorhelfer der sogenannten Sauerland-Gruppe wegen des Papst-Besuchs die Stadt Freiburg verlassen muss, so die Welt. Dem auf Bewährung Entlassenen sei eine entsprechende Auflage erteilt worden, um die örtlichen Polizeibehörden zu entlasten.

Honorarverlust: blog.beck.de (Hans Jochen Meyer) weist auf ein Urteil des OLG Düsseldorf hin, wonach ein Rechtsanwalt den Anspruch auf sein Honorar verlieren kann, wenn er ein Mandat nur schleppend bearbeite und ihn deswegen ein "primäres Auflösungsverschulden" hinsichtlich des Anwaltsvertrags treffe.

Weitere Themen – Recht in der Welt

UBS-Skandal: Wie neben anderen Medien auch die taz berichtet, wurde in der Nacht zum Donnerstag in London ein Händler der schweizerischen Bank UBS wegen Betrugsverdachts verhaftet. Er soll der Bank durch unautorisierte Investment-Geschäfte einen Schaden von 2 Milliarden US-Dollar zugefügt haben.

In ihrem Leitartikel macht die FTD für den Vorfall die Bank selbst verantwortlich: Zum einen werde in "manchen Großbanken noch immer zu schludrig mit bestehenden Regeln" umgegangen und das "Kontrollmanagement sträflich vernachlässigt", zum anderen sei ein "systemischer Fehler" festzustellen: Die Banken machten ihren Gewinn hauptsächlich mit hochriskanten Investment-Geschäften und böten ihren Mitarbeitern dazu über Boni starke Anreize.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

 

lto/thd

 

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. September 2011: Väter im Recht – Ex-Terrorist im Schweigen – Doktor in Unwürde . In: Legal Tribune Online, 16.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4310/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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