Die juristische Presseschau vom 16. Juni 2011: Risiken der Teldafax-Insolvenz - Kongressabgeordnete zeigen Obama an - Prozesse als notwendige Inszenierung

16.06.2011

Mögliche Folgen der Insolvenz von Teldafax für Bayer Leverkusen und das weiter verfassungswidrige Wahlrecht sind die Hauptthemen. Außerdem in der Presseschau: Zehn Kongressabgeordnete zeigen Obama wegen der Angriffe auf Libyen an, der EuGH bremst Aussagebereitschaft in Kartellverfahren, Verfassungsrichterin Baer analysiert Theatralik im Prozess und vieles andere.

Teldafax-Insolvenz: Das Handelsblatt (Jürgen Flauger, Sönke Iwersen) sieht die Ursache für die Insolvenz des Stromanbieters Teldafax in der anhaltenden Untätigkeit von Staatsanwaltschaft, Bundesnetzagentur und Werbepartner Bayer Leverkusen und veröffentlicht einen ähnlich lautenden Text auf handelsblatt.de. Der Bundesligaverein, der öffentlich immer wieder die zuverlässige Zahlungsmoral seines Trikotsponsors betont habe, müsse bereits erhaltene Millionenbeträge eventuell zurückzahlen, da kein Gläubiger unmittelbar im Vorfeld eines Insolvenzantrags zulasten anderer Gläubiger befriedigt werden dürfe. Aus der Sicht von Daniel Bergner, Geschäftsführer des Verbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands, sei diese Konstellation "ein Klassiker für das Insolvenzanfechtungsrecht". Die Süddeutsche Zeitung (Hans-Willy Bein) gibt einen Überblick, welche Probleme jetzt auf die nach Angaben von Teldafax 800.000 Kunden zukommen. Für diejenigen, die Vorauszahlungen geleistet hätten, gebe es praktisch keine Chance mehr, das Geld zurück zu erhalten. Die notwendigen Entscheidungen muss Biner Bär treffen. Den vom Amtsgericht Bonn bestellten Insolvenzverwalter, Partner der Düsseldorfer Kanzlei White & Case, porträtiert ebenfalls das Handelsblatt (Christoph Schlautmann).

Wahlrecht bleibt verfassungswidrig: Christian Bommarius (fr-online.de)spricht von Wählerverhöhnung, die Süddeutsche Zeitung (Nico Fried) zitiert Bundestagspräsident Norbert Lammert mit den Worten "ärgerlich und peinlich". Wieder einmal führt die verschleppte Reform des Bundeswahlgesetzes, die auch in der LTO-Presseschau bereits thematisiert wurde, zu deutlichen Äußerungen. Während Lammert den Begriff der Staatskrise für eine unzulässige Dramatisierung hält, prognostiziert Bommarius genau dies. Deutschland stehe vor einem "politischen Fukushima, dessen Folge- und Langzeitschäden nicht abzusehen sind."

Weitere Themen – Rechtspolitik

Nanosubstanzen zu klein für Sicherheitsstandards: Die Süddeutsche Zeitung (C. Meier, A. Romero, D. Trescher) erläutert auf ihrer Wissenschaftsseite, warum es so schwierig ist, Sicherheitsrichtlinien für Chemikalien zu formulieren und durchzusetzen, die sich in Nanoprodukten befinden. Ungeklärt ist die Frage, ob die Konzentration chemischer Substanzen durch Wiegen (der Masse) oder durch das Zählen der Kleinstteilchen festgestellt werden soll, ob Nanosubstanzen eine eigene chemische Stoffklasse darstellen, und ob es zum Schutz von Endverbrauchern eine Nanoproduktregister braucht, wie es Bundesumweltminister Röttgen und die Sprecherin des Europäischen Verbraucherschutzverbandes Beuc, Sylvia Maurer, in die Diskussion gebracht haben. Kleinstteilchen könnten durch ihre größere Gesamtoberfläche eine besonders hohe toxische Wirkung entfalten. Industrievertreter, so kritisiert der Beitrag, spielten lediglich auf Zeit und verweigerten sich einer konstruktiven Lösung, damit möglichst wenige Substanzen als Nano eingestuft würden.

Bundesjustizministerium für kurzzeitige Datenspeicherung: Axel Spies (beck-blog) setzt sich mit einem Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums zur kurzzeitigen Datenspeicherung ("Quick Freeze") auseinander. Durch Änderungen des Telekommunikationsgesetzes (TKG) sowie des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes könnten Individualrechtsgüter entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts besser geschützt werden. Der neue § 113 TKG sehe beispielsweise vor, die Speicherungspflicht von IP-Adressen auf sieben Tage zu begrenzen. Internet-Provider als Kleinstunternehmen, die nur 100 bis 200 Kunden haben, würden von der Speicherungspflicht befreit werden.

Rechtsrat für Jugendliche: Legal Tribune Online berichtet über eine kostenlose Rechtberatungsstelle speziell für Jugendliche, die der Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins Ulrich Schellenberg am gestrigen Mittwoch im Bezirk Hellersdorf zusammen mit Justizsenatorin von Gisela von der Aue eröffnete. Nach einer ähnlichen Institution im Bezirk Wedding ist dieses Angebot das zweite, mit dem Kinder aus sozial schwachen Familien mit ihren juristischen Problemen nicht allein gelassen werden sollen.

Weitere Themen – Justiz

Kronzeugen in Kartellverfahren unter Druck: Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) könnte die Aussagebereitschaft von Kronzeugen in Wettbewerbsverfahren unterminieren, meint FTD.de (Mark Schrörs). Die Frage, inwieweit durch ein Kartell Geschädigte mit Blick auf Schadensersatzklagen Einblick in die Anträge und Beweise der Kronzeugen und anderer Antragsteller erhalten soll überlässt der EuGH der Abwägung der nationalen Gerichte. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit für Aussagewillige, die Gefahr laufen, den zugesicherten Vertrauensschutz zu verlieren, bezeichnet Michael Holzhäuser, Kartelljurist bei Dewey & LeBoeuf in Frankfurt als "schweren Schlag für die Kronzeugenregelung".

Inszenierung im Prozess: Susanne Baer (taz.de), Richterin am Bundesverfassungsgericht, arbeitet in ihrer Rezension des Buchs "Medien der Rechtsprechung" von Cornelia Visman den Punkt heraus, an dem ein Prozess durch ein hohes Maß an Medialisierung die Grenze zum Tribunal überschreitet. Um die Verfahrensförmigkeit nicht gefährden, müsse die Theatralik im Prozess erhalten bleiben. Klaus Lüdersen (FAZ) warnt davor, Strafprozesse immer "opferfreundlicher" zu gestalten und wirft die Frage auf, mit welchem Strafzweck sich der Respekt vor dem Genugtuungsbedürfnis des Opfers eigentlich verbinden soll. Er lehnt es ab, Resozialisierung und Opferinteresse gegeneinander auszuspielen und weist darauf hin, dass es trotz der zahlreichen prozessualen Möglichkeiten des Nebenklägers - Nebenklage, Privatklage, Strafantrag und Klageerzwingungsverfahren - der Staat ist, der Sühne verlangen könne, nicht das Individuum wie auch immer sublimierte Rache durchsetzen dürfe.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Kongressmitglieder zeigen Obama an: Zehn Abgeordnete im US-Kongress haben Präsident Obama wegen der Luftangriffe gegen Libyen angezeigt. Das berichten spiegel.de und handelsblatt.de übereinstimmend. Sowohl Demokraten als auch Republikaner werfen Obama vor, die "War Powers Resolution" missachtet zu haben. Obama verteidigt sich, die US-Aktion sei begrenzt und unterstütze die Kampfeinsätze der NATO in Libyen lediglich. US-Truppen seien nicht dauerhaft in Kämpfe verwickelt, die Resolution daher nicht einschlägig.

England modifiziert Kartei für Sexualstraftäter: Wie die FAZ (lt.) berichtet, folgt die britische Regierung jetzt einem Urteil des Obersten Gerichtes in London, und gestattet Sexualstraftätern, nach Ablauf bestimmter Fristen die Löschung ihrer Daten aus einer öffentlich zugänglichen Sexualtäter-Datei zu beantragen. Bei knapp zwei Dritteln der 45.000 Personen sei eine lebenslange Speicherung verfügt worden. Nach der neuen Verordnung des britischen Innenministeriums können diese Täter nach 15 Jahren die Überprüfung ihrer Registrierung beantragen. Mehr als 1.000 Täter würden jährlich wohl von der neuen Möglichkeit Gebrauch machen. Der Oberste Gerichtshof sieht in der Speicherung von Personendaten in der Sexualtäterdatei ohne Überprüfungsmöglichkeit einen Verstoß gegen die Grundsätze des "Human Rights Act", der die Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention im britischen Recht zur Anwendung bringt.

Das Wassergericht tagt in Valencia: In ihrem Reiseteil berichtet die FAZ über das Wassergericht in Valencia, einen mit acht Bauern besetzten Spruchkörper, der darüber urteilt, ob Wasserrechte missachtet oder missbraucht wurden. Das Gericht, dessen Wurzeln in der islamischen Epoche auf der iberischen Halbinsel liegen, führt seit 2009 den Titel eines Weltkulturerbes der Unesco und verhandelt im Jahr 15 bis 25 Fälle.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

lto/ro

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. Juni 2011: Risiken der Teldafax-Insolvenz - Kongressabgeordnete zeigen Obama an - Prozesse als notwendige Inszenierung . In: Legal Tribune Online, 16.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3516/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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