Die juristische Presseschau vom 15. Juni 2011: Freispruch für Brechmittel-Arzt - Kriegsverbrecherprozess in Stuttgart - Gagfah gegen Dresden

15.06.2011

Der erneute Freispruch für einen Bremer Polizeiarzt beschäftigt heute viele Medien. Ein Verdächtiger war 2004 im Zuge eines zwangsweisen Brechmittel-Einsatzes gestorben. Außerdem in der Presseschau: der Prozess gegen einen mutmaßlichen ruandischen Kriegsverbrecher in Stuttgart, die Schadensersatzklage des Wohnungskonzerns Gagfah gegen Dresden und vieles andere.

Brechmittel-Prozess: "Wir werden dafür Schläge einstecken" - mit diesen Worten des vorsitzenden Richters Helmut Kellermann beginnt die taz (Christian Jakob) ihren detaillierten Bericht über den Freispruch des Landgerichts Bremen im Fall Laya Condé. Diesem war vom angeklagten Polizeiarzt 2004 durch eine Nasensonde zwangsweise Brechsirup und Wasser eingeflöst worden, weil die Polizei bei ihm verschluckte Kokain-Bällchen vermutete. Der Verdächtige fiel im Zuge dieser Behandlung ins Koma und verstarb später. Zur Begründung des Freispruchs führte das Gericht an, dass die Todesursache nicht zweifelsfrei habe festgestellt werden können. Zwar sei es wahrscheinlich, dass der Tod infolge der vom Arzt veranlassten Wassergabe eingetreten sei, jedoch könne eine andere Todesursache aufgrund eines bei der Obduktion festgestellten Herzfehlers nicht ausgeschlossen werden. Der erste, 2008 ergangene Freispruch sei hingegen noch auf die subjektive Unvorhersehbarkeit des Todes aufgrund mangelnder Erfahrung des Arztes gestützt worden. Diese Begründung hätte der BGH jedoch "mit harschen Worten aufgehoben".

Harsche Worte findet auch Christian Jakob (taz) in seinem Kommentar, in dem er von "Opfer[n] zweiter Klasse" spricht und Staat und Gesellschaft Rassismus im Umgang mit Drogenkriminellen vorwirft. Die SZ (Ralf Wiegand) findet es "schwer zu ertragen, dass am Ende niemand schuld gewesen sein soll" und kritisiert, dass neben dem Arzt nicht andere Verantwortliche angeklagt worden seien. Unmittelbare Kritik am Urteil selbst übt Eckhard Stengel (FR): Dieses sei "nicht nachvollziehbar", insbesondere da der Arzt die Behandlung trotz Warnzeichen fortgesetzt habe.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Wahlrechts-Reform: Das Handelsblatt (Heike Anger, Daniel Delhaes) greift heute nochmals ausführlich die in den Medien schon diskutierte Frage der Reform des Bundestags-Wahlrechts auf. Dieses müsse nach einem Urteil des BVerfG eigentlich bis zum 30. Juni reformiert werden, was die Koalition aber nicht schaffen werde. Allerdings hoffe man, bis dahin immerhin einen Gesetzesentwurf vorlegen zu können. In einem weiteren Artikel stellt Heike Anger die "komplexe Rechnerei" vor, die mit dem Bundestagswahlrecht verbunden sei und geht kurz auf die verschiedenen Lösungsvorschläge der Parteien ein. In einem Kommentar erklärt Daniel Delhaes (Handelsblatt) die Schwierigkeit der Reform damit, dass jede Änderung sich unmittelbar auf die Wahlchancen der Parteien auswirke. Um so wichtiger ist es in seinen Augen, dass sich die Parteien auf eine gemeinsame Lösung einigten.

Energiewende - Atomausstieg: Bei LTO findet sich heute eine pointierte Stellungnahme des Verfassungsrechtlers Joachim Wieland zu den Entschädigungsforderungen der Atomkonzerne: Diese seien nicht begründet, da Entschädigungen vom Atomgesetz bei einer nach Genehmigung eingetretenen erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit ausdrücklich ausgeschlossen seien. Eine solche liege vor, weil die Anlagen nicht gegen den Absturz schwerer Flugzeuge gesichert seien.

Energiewende - Stromnetz: In einem Gastbeitrag stellt Linklaters-Anwalt Markus Appel in der heutigen FAZ die im Zusammenhang mit der Energiewende von der Regierung vorgesehenen gesetzlichen Beschleunigungsmaßnahmen für den Stromnetzausbau vor. Zentrale Punkte seien dabei die "enge Verzahnung" der Verfahrensschritte und die Rolle der Netzagentur, die Synergieeffekte versprächen.

Weitere Themen – Justiz

Kriegsverbrecher-Prozess: Einen ausführlichen Bericht über den vor dem OLG Stuttgart stattfindenden Prozess gegen den mutmaßlichen ruandischen Kriegsverbrecher Ignace Murwanashyaka präsentiert die heutige SZ (Michael Bitala). Ihm werde vorgeworfen, aus Deutschland heraus die ruandische Hutu-Miliz FDLR im Ostkongo befehligt zu haben und sich dadurch in 39 Fällen Kriegsverbrechen und in 26 Fällen Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht zu haben. Als problematisch stelle sich dabei bislang trotz umfangreicher Abhöraktionen des BKA und des Einsatzes von UN-Sonderermittlern die Beweislage dar. Jedoch sei der Prozess erst am Anfang; mit einem Urteil sei frühestens in einem Jahr zu rechnen.

Gagfah-Prozess: Der Wohnungskonzern Gagfah hat im Prozess mit der Stadt Dresden nun Widerklage auf Schadensersatz erhoben und zugleich den Finanzbürgermeister der Stadt, Hartmut Vorjohann, wegen Sorgfaltspflichtsverletzungen im Aufsichtsrat eines Tochterunternehmens verklagt, so die FR. Hintergrund ist eine Klage der Stadt Dresden gegen diese Tochterfirma auf über eine Milliarde Euro wegen angeblicher Vertragsverstöße bei der Weiterveräußerung von Wohnungen, die die Landeshauptstadt 2006 an diese verkauft hatte. Die Gagfah-Tochter soll die damals vereinbarten Mieterschutzklauseln gebrochen haben. Im Handelsblatt wird der nicht prozessbeteiligte Wirtschaftsanwalt Dirk Plagemann mit der Analyse zitiert, bei der Widerklage handele es sich um ein prozesstaktisches Manöver, durch das dem Gericht "ein Vergleich nahegelegt werden soll".

Conergy-Manager angeklagt: Wie die SZ (Kristina Läsker) berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen sechs Ex-Manager des angeschlagenen Solarkonzerns Conergy Anklage wegen Bilanzfälschung, Kursmanipulation und Insiderhandels erhoben; es drohten bis zu fünf Jahre Haft. Die Angeklagten sollen sich mithilfe geschönter Bilanzen bereichert haben.

Haftbedingungen: Der lawblog (Udo Vetter) macht auf eine Entscheidung des BGH zu Schadensersatzforderungen wegen menschunwürdiger Haftbedingungen aufmerksam: Diese Ansprüche seien vom Staat weder pfänd- noch aufrechenbar, da ansonsten die "Funktion der Genugtuung, der Sanktion und der Prävention" ins Leere laufen würde. Das Land Nordrhein-Westfalen hätte versucht, Verfahrenskosten gegen die Schadensersatzansprüche eines Häftlings geltend zu machen.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Spanische Verfassungsrichter: Nach einem Bericht der FAZ (Leo Wieland) bleiben drei Richter des spanischen Verfassungsgerichts trotz Ablaufs ihrer Amtszeit und mittlerweile erfolgtem Rücktritt im Amt. Der Vorsitzende Richter habe die Rücktritte mit dem Verweis auf die "Stabilität des Gerichtshofes" abgelehnt. Die beiden spanischen Volksparteien seien sich bislang über eine Nachfolge nicht einig geworden, obwohl bereits seit 2008 aufgrund eines Todesfalls eine Richterstelle unbesetzt sei.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

 lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. Juni 2011: Freispruch für Brechmittel-Arzt - Kriegsverbrecherprozess in Stuttgart - Gagfah gegen Dresden . In: Legal Tribune Online, 15.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3508/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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