Die juristische Presseschau vom 14.10.2011: Recht und Nachtruhe – Rundfunk und App – Rechtsstaat und Sachsen

14.10.2011

Das Bundesverwaltungsgericht hat über das Nachtflugverbot in Berlin entschieden – und vor allem Verwirrung gestiftet. Das Urteil wird in den Medien kontrovers diskutiert, richtig glücklich ist aber offenbar niemand. Außerdem in der Presseschau: Streit um die Tagesschau-App, Details aus der EnBW-Affäre, scharfe Kritik an Sachsens Justiz und vieles andere.

Nachtflugverbot: Das Bundesverwaltungsgericht hat ein strengeres Nachtflugverbot für Berlin abgelehnt. Bis 24 und ab 5 Uhr seien Starts und Landungen erlaubt. Die taz (Svenja Bergt/Marlene Halser) erläutert das Urteil des BVerwG und schildert einen ähnlichen Konflikt in München.

Die SZ (Jens Flottau) richtet den Blick nach Frankfurt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hatte vor einigen Tagen entschieden, dass auf dem Frankfurter Flughafen keine Nachtflüge mehr erlaubt sind. Diese Urteil könnte nun gekippt werden – zwangsläufig sei das jedoch nicht. Darauf geht auch die FTD (Jennifer Lachmann) ein. Das Urteil habe die "Unsicherheit in der Luftfahrtbranche verstärkt", heißt es in dem Bericht.

Jens Koenen (Handelsblatt) fordert: "Soll Deutschland eine der weltweit führenden Industrienationen bleiben, darf das Land die weitere Entwicklung seiner Infrastruktur nicht alleine den Gerichten überlassen." Die Bundesregierung müsse nun gesetzliche Rahmenbedingungen für Nachtflüge schaffen.

Richard Rother (taz) ruft ebenfalls nach dem Gesetzgeber, allerdings in gegenteiliger Absicht. Er plädiert für ein "Recht auf Ruhe" – dazu gehörten auch "Nachtflugverbote in Ballungsräumen".

Dagegen kritisiert der Rechtsprofessor Felix Ekardt auf lto.de die Entscheidung des BVerwG: "Der Eindruck bleibt, dass das Gericht seinem für den deutschen Rechtskreis traditionellen begrenzten Interesse an Schutzgrundrechten und ihrer Wirksamkeit treu bleibt", meint er.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Wahlrechtsreform: Die FR (Karl Doemens) befasst sich mit dem neuen Wahlrecht. Die Reform mildere zwar das Problem des "negativen Stimmgewichts", die Überhangmandate blieben aber erhalten und könnten bei der nächsten Wahl auf eine Rekordzahl ansteigen.

Trojaner: Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger kann sich nun doch eine gesetzliche Regelung für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung vorstellen, das meldet die SZ (jan). Die für den Einsatz solcher Späh-Software maßgebliche Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2008 erläutern die Datenschutzrechtler Karsten Kinast und Sebastian Schreiber auf lto.de.

Weitere Themen - Justiz

Tagesschau App: Vor dem Landgericht Köln streiten sich acht Zeitungsverlage mit der öffentlich-rechtlichen ARD um die Tagesschau-App. Nach Ansicht der Verleger ist die textlastige App ein presseähnliches Angebot und deshalb nicht vom Rundfunkstaatsvertrag gedeckt. Die SZ (Caspar Busse) erklärt den Hintergrund des Verfahrens. Auch die FTD (Bernhard Hübner) berichtet von dem Prozess. Das Gericht versuche zunächst die Parteien zu einem Vergleich zu bewegen. Eine "klare Entscheidung zu Gunsten der Verleger" sei damit "unwahrscheinlich".

EnBW-Affäre: In der EnBW-Affäre geraten nach Darstellung des Handelsblatts (Martin Buchenau/Jürgen Flauger/Wolfgang Reuter) die Investmentbank Stanley Morgan und die Kanzlei Gleiss Lutz "immer stärker unter Druck". Nach dem verfassungswidrigen Rückkauf von Aktien des Energieversorgers durch die baden-württembergische Landesregierung, habe Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid nun angekündigt: „Wir holen Rechtsgutachten ein, ob wir gegen Morgan Stanley und Gleiss Lutz Schadensersatz geltend machen können“. Der Zeitung liege ein Gutachten der Anwaltskanzlei vor, das den Deal rechtfertigen solle, offenbar aber erst im Nachhinein erstellt wurde.

Strafverfahren gegen Abgeordneten: Der sächsische Landtag hat die Immunität des Fraktionsvorsitzenden der Linken, André Hahn, aufgehoben und damit den Weg frei gemacht für ein Strafverfahren. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Abgeordneten vor, bei Protesten gegen eine Nazi-Demo gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben. Das berichtet die Welt (Jörg Schurig) auf Grundlage einer Agenturmeldung.

Christiane Kohl (SZ) meint, "der rechtliche Boden, auf dem sich die Justiz bewegt" sei "wackelig". Sie sieht eine "Strafbarkeitslücke", weil das Versammlungsgesetz zum angeblichen Tatzeitpunkt nicht gültig gewesen sei, und fragt: " Handelt es sich womöglich auch um eine 'Rechtsstaatslücke'?"

Auch Johannes Radke (Zeit.de) kritisiert das Vorgehen der sächsischen Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Protesten gegen Nazis: "Das Wort Rechtsstaat klingt in Sachsen bisweilen wie Hohn. Stattdessen: Rechtsbrüche, Willkür und eine gezielte Kriminalisierung von friedlichen Protesten gegen den größten Naziaufmarsch Europas."

EGMR zu Ausweisung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass ein in Deutschland geborener tunesischer Staatsbürger ausgewiesen werden darf, nachdem er mehrfach Straftaten begangen hatte. Die taz (Christian Rath) erläutert das Urteil. In einem gesonderten Kommentar kritisiert Christian Rath (taz) die Entscheidung: "Ein biografisches Detail rechtfertigt nicht, dass solche De-facto-Inländer nach schweren Straftaten nicht nur ins Gefängnis müssen, sondern anschließend auch aus ihrem Heimatland verwiesen werden."

Reemtsma-Entführer: Die SZ (Hans Holzhaider) berichtet vom Fortgang des Prozesses gegen Thomas Drach. Der Entführer des Millionärs Jan Philipp Reemtsma steht erneut vor Gericht, weil er aus dem Gefängnis heraus, die Entführung seines Bruders geplant haben soll.

Udo Vetter (lawblog.de) kritisiert die Anordnung des Gerichts, Drach zwangsweise und mit einer Binde über den Augen vorzuführen. Das werfe zwei Fragen auf: "Die nach der Verhältnismäßigkeit. Und ob Augenbinden noch mit dem Anrecht eines jeden Menschen vereinbar sind, vom Staat nicht zu einem bloßen Objekt herabgewürdigt zu werden."

Steuerhinterziehung: Wie die FTD (Sven Clausen) berichtet, könnten erneut umfangreiche Steuerermittlungsverfahren bevorstehen. Das Land Nordrhein-Westfalen und der Bund hätten bereits vor einigen Monaten eine CD mit Daten deutscher Kunden der luxemburgischen HSBC-Bank. Im Leitartikel der FTD wird der Deal begrüßt, er bringe nicht nur Geld in die Staatskassen: "Vor allem aber verhilft er dem deutschen Steuerrecht zur Geltung. Ein Gesetz ist nur gut, wenn es auch durchgesetzt werden kann."

Schiedsverfahren: Der Rechtsanwalt Peter Homberg erläutert auf blog.handelsblatt.de die von der Internationalen Handelskammer überarbeiteten Schiedsregeln. Grundsätzlich seien Schiedsverfahren eine "sinnvolle Alternative zu Verfahren vor den ordentlichen Gerichten".

Weitere Themen – Recht in der Welt

Richterwahl in Bolivien: Die taz (Jürgen Vogt) berichtet über die Richterwahl in Bolivien: "Erstmals in der Geschichte eines Landes werden die wichtigsten und höchsten Richterämter in freien, geheimen und direkten Wahlen vergeben."

Hedge-Fonds-Manager verurteilt: Der Gründer des Hedge-Fonds Galleon, Raj Rajaratnam, ist in den USA wegen Insiderhandels zu elf Jahren Haft und 10 Millionen Dollar Geldstrafe verurteilt worden. Das berichtet unter anderem die FTD (Eike Radszuhn).

Weitere Themen – Sonstiges

Hans Kelsen: Im Feuilleton der FAZ beschäftigt sich Raphael Gross mit der breiten Ablehnung des Rechtswissenschaftlers Hans Kelsen. Er plädiert dafür, den historischen "Hintergrund, aus dem heraus Kelsen seine Theorie des modernen Rechts und der Demokratie entwickelt hat", stärker in den Blick zu nehmen.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ak

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14.10.2011: Recht und Nachtruhe – Rundfunk und App – Rechtsstaat und Sachsen . In: Legal Tribune Online, 14.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4553/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen