Die juristische Presseschau vom 14. bis 16. Januar 2012: Kein Beamtenposten für muslimischen Lehrer – Wulff wohl strafbar – Duz-Verbot vor Gericht

16.01.2012

Ein muslimischer Lehrer darf in Bayern nicht verbeamtet werden, weil er nach Auffassung des Verfassungsschutzes islamistischen Gruppen nahesteht. Außerdem in der Presseschau: mehr Patientenrechte, Wulff wohl strafbar, Neues von den NSU-Ermittlungen, rechtmäßige Kündigung wegen HIV, ein arabischer Friedensrichter und warum man sich vor Gericht nicht duzen darf.

Verbeamtungsverbot: Ein Lehrer aus München darf wegen Islamismus-Verdachts nicht verbeamtet werden. Von dieser Entscheidung des hiesigen Verwaltungsgerichts berichtet die Montags-taz (Christian Rath). Die Begründung: Der Pädagoge engagiere sich in Vereinen, die in den Augen des bayerischen Verfassungsschutzes der islamistischen Muslimbruderschaft nahestehen. Er selbst bestreite diese Nähe und habe sich vor Gericht ausdrücklich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekannt.

Daniel Bax (Montags-taz) kritisiert das Urteil als Widerspruch zur Integrationspolitik und Beitrag zur "Ausgrenzung von unbequemen Muslimen aus der Mitte der Gesellschaft."

Weitere Themen – Rechtspolitik

Patientenrechte: Die Bundesregierung plant ein Patientenrechte-Gesetz. In der Samstags-SZ (Guido Bohsem/Charlotte Frank) findet sich dazu ein Interview mit Gesundheitsminister Daniel Bahr und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (beide FDP).

Die FTD (Maike Rademaker) stellt die zentralen Inhalte des Reformvorhabens dar, zu denen auch eine Beweislastumkehr zulasten der Ärzte bei "groben Fehlern" gehöre. Allerdings blieben auch Lücken; so solle es keine Fehler-Registrierungspflicht und auch keinen "Patientenbrief" geben, in dem Diagnosen verständlich beschrieben werden müssten.

Guido Bohsem (Montags-SZ) hält dem Gesetzentwurf ein erhöhtes Maß an Transparenz zugute, da er verstreute Regelung und Rechtsprechung bündele und kodifiziere, kritisiert ihn aber ebenfalls als insgesamt nicht weitgehend genug. Nach einem weiteren Bericht der Montags-SZ (Thomas Öchsner) geißelt die Opposition das Gesetz als "Mogelpackung", weil weitgehend nur bestehende Rechtsprechung in Gesetzesform gegossen werde – so bei der Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern.

Komplexität: Volker Rieble setzt sich im Feuilleton der FAS mit der Komplexität des Rechts auseinander. Überregulierung schade der Akzeptanz der Rechtsordnung; "nachgerade tragisch" wirke sich rechtliche Komplexität dort aus, wo sie "einfach strukturierte und unterlegene Menschen schützen" wolle, wie beispielsweise im teilweise unverständlichen Widerrufsrecht. Der Autor wünscht sich schließlich mehr "iRecht" – "keep it small and simple", wie bei Apple-Produkten.

Internet-Menschenrecht: Nun geht auch das Feuilleton der Montags-SZ (Niklas Hofmann) der Frage nach, ob der Zugang zum Internet (inzwischen) zu den Menschenrechten gezählt werden müsse. Immerhin sei der Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Internet eine "Schlüsselstellung" für die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit zukomme. Diese Stellungnahme habe jedoch eine heftige Kontroverse über die "Unveräußerlichkeit" dieses Rechts ausgelöst.

Weitere Themen – Justiz

Wulff-Affäre: Während der Rechtsanwalt Martin W. Huff auf lto.de den Versuch unternimmt, mit einer ausführlichen Analyse die Diskussion um die Veröffentlichung der an den Bundespräsidenten gerichteten Presse-Anfragen "zu versachlichen", verweist spiegel.de (Dietmar Hipp) auf ein Gutachten des Staatsrechtlers Hans Herbert von Arnim. Demnach habe Wulff durch die Annahme des Hausbau-Kredits "eindeutig" gegen das Ministergesetz Niedersachsens verstoßen und sich dadurch auch wegen Vorteilsnahme im Amt strafbar gemacht. Das Gutachten ist auf der Homepage der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht als Aufsatz veröffentlicht.

Wulff-Anwalt Lehr: Nun bringt auch die Samstags-SZ (Hans Leyendecker) ein Porträt von "Wulff-Anwalt" Gernot Lehr. Er sei ein Experte für Verdachtsberichterstattung und Persönlichkeitsrechte und gelte "als präziser Arbeiter", der Informantenschutz und das Anwaltsgeheimnis schätze.

Im Porträt der Montags-FAZ (Joachim Jahn) kommt er nicht ganz so gut davon; hier wird seine Rolle bei der Veröffentlichung der Journalisten-Anfragen kritisiert. Gleichzeitig bietet der Artikel einen guten Überblick über die bisherige anwaltliche Tätigkeit von Lehr – mal habe er auf der Seite der Pressefreiheit, mal auf der des Persönlichkeitsrechts gestanden.

NSU-Aufklärung: Der Skandal um die jahrelang unentdeckten Neonazi-Morde soll nun "doppelt" aufgeklärt werden. Wie die Samstags-SZ (Susanne Höll) berichtet, wird ein Untersuchungsausschuss des Bundestags und parallel dazu eine Expertenkommission von Bund und Ländern die Versäumnisse der Ermittlungsbehörden durchleuchten.

Die Montags-SZ (Hans Leyendecker) berichtet von strukturellen Konsequenzen beim Bundesamt für Verfassungsschutz: Die 2006 zusammengelegten Abteilungen für Links- und Rechtsextremismus würden wieder getrennt. jbb (Montags-SZ) kritisiert dies in einem Kommentar als "symbolisch" und fordert "tiefer greifende Änderungen" insbesondere hinsichtlich des Nebeneinander von Bundes- und Länderbehörden und der Polizei.

Daneben veröffentlicht zeit.de (Robert Birnbaum/Frank Jansen) ein ausführliches Interview mit Bundesinnenminister Friedrich (CSU), in dem es auch um die Ermittlungspannen und ein mögliches NPD-Verbot geht.

Unterdessen gehen die Ermittlungen gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe weiter. Wie Samstags-SZ (Hans Leyendecker) und der SWR-Terrorismus-Blog (Holger Schmidt) berichten, kämen immer mehr inkriminierende Details ans Tageslicht, die Beschuldigte müsse nun mit einer Erweiterung ihres Haftbefehls um versuchten Mord rechnen. Im von ihr in Brand gesetzten Gebäude habe sich eine Nachbarin befunden.

Medikamenten-Reimport: Nach einem Bericht der Samstags-SZ (Marlene Weiss) hat der Bundesgerichtshof den Reimport von Medikamenten aus Ungarn für zulässig erachtet. Der Streit um Apothekenpreise sei damit aber noch längst nicht geklärt – der gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe verhandele noch über die Preisbindung ausländischer Apotheken, und im Gesundheitsministerium werde ein Gesetz vorbereitet, das ausländische Versandapotheken beschränken soll.

Kündigung wegen HIV: Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Kündigung eines HIV-positiver Arbeitnehmers, der von einem Pharmaunternehmen wegen seiner Erkrankung entlassen wurde, bestätigt. Wie blog.beck.de (Markus Stoffels) berichtet, hatte das Unternehmen für die Arbeit in seinen "Reinbereichen" die Beschäftigung erkrankter Personen generell ausgeschlossen. Dies verstoße nicht gegen das Gebot von Treu und Glauben und auch nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), so das Gericht. Laut taz.de kritisierte die AIDS-Hilfe das Urteil. Sie fordere den Schutz chronisch Erkrankter durch das AGG.

Richter-Job: Janina Seyfert setzt sich auf lto.de mit dem "Jobprofil Richter" auseinander. Dazu dokumentiert sie ein Gespräch mit dem Hammer Oberlandesgerichts-Richter Thomas Vogt über die Herausforderungen des Berufs.

Sex mit Schülerin: Ein 32-jähriger Lehrer, der Sex mit einer 14 Jahre alten Schülerin hatte, ist vom Oberlandesgericht Koblenz vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs freigesprochen worden. Wie lawblog.de (Udo Vetter) berichtet, bestand in den Augen des Gerichts kein "Obhutsverhältnis", da der Lehrer mit der Schülerin nur als Vertretungslehrer zu tun hatte. Der Artikel gibt gleichzeitig einen Überblick über das deutsche Jugendsexualstrafrecht.

Winkeladvokaten: Wie internet-law.de (Thomas Stadler) berichtet, darf man als Rechtsanwalt einen Kollegen nicht als "Winkeladvokaten" bezeichnen. Dies sei eine unzulässige "Schmähkritik", so das Landgericht Köln.

Gerichtssicherheit: Die FAS (Karin Truscheit) wartet im "Gesellschaft"-Teil mit einer Zusammenfassung der bayerischen Diskussion rund um die Sicherheit in Justizgebäuden auf. Als Vorbild werde Nordrhein-Westfalen genannt, wo nach einem Bombenanschlag ein umfassendes Sicherheitskonzept für Gerichte erstellt worden sei.

Die Montags-SZ meldet im Bayern-Teil, dass nach Aussage der bayerischen Justizministerin Beate Merk (CSU) alle Gerichtsgebäude in Bayern zügig mit mobilen Metalldetektoren ausgerüstet werden sollen. Wie oft diese eingesetzt würden, sei aber Sache des jeweiligen Gerichts.

Schadensersatz für Steuertrick: Wie die FTD (Gerhard Hegmann/Angela Maier) aus Bankenkreisen berichtet, sieht sich die HypoVereinsbank einer Schadensersatzklage in Höhe von 124 Millonen Euro ausgesetzt. Hintergrund sei der misslungene Steuertrick eines Privatanlegers, der über einen Aktienhändler der Bank gelaufen sei.

Arabischer Friedensrichter: Die Montags-taz (Cigdem Akyol) berichtet heute vom "Friedensrichter" Hassan Allouche. Der Libanese schlichte in Berlin-Neukölln Streitigkeiten "jenseits der deutschen Justiz" und entscheide dabei "nach seinem persönlichem Empfinden". In den Augen des Journalisten Joachim Wagner eine "islamische Paralleljustiz" und "Bedrohung für den Rechtsstaat"; der Vizepräsident des Amtsgerichts Tiergarten Peter Scholz hingegen bestreite das Ausmaß des Phänomens. Der Text erläutert zudem die islamische Tradition der Friedensrichter.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Breivik-Gutachten: Ein Osloer Gericht hat entschieden, dass der norwegische Attentäter Anders Breivik erneut psychiatrisch begutachtet werden soll. spiegel.de (Gerald Traufetter) zitiert aus dem nicht veröffentlichten ersten Gutachten, das ihm Schuldunfähigkeit bescheinigte, und dokumentiert die norwegische Kontroverse über diese Einschätzung.

IStGH-Chefankläger: Die Montags-SZ (Ronen Steinke) veröffentlicht ein Interview mit dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, dem Argentinier Luis Moreno-Ocampo. Das Gespräch dreht sich um die rechtliche Aufarbeitung der Libyen-Diktatur, die Todesstrafe, Verhandlungen mit Autokraten, Moreno-Ocampos Ohnmacht bezüglich Syrien und das Verhältnis des Gerichts zu den USA.

Das Letzte zum Schluss

Duz-Verbot: Vor Gericht wird sich – gefälligst – gesiezt. Jedenfalls "gehört sich das" in den Augen einer Berliner Richterin so, wie Udo Vetter auf lawblog.de unter Berufung auf einen befreundeten Verteidiger berichtet. Dieser hatte sich doch tatsächlich erdreistet, den ihm persönlich gut bekannten Angeklagten beim Befragen zu duzen. Der "Affront" seitens der Richterin entbehre "natürlich" jeder rechtlichen Grundlage und rechtfertige wohl einen Befangenheitsantrag, so Vetter.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. bis 16. Januar 2012: Kein Beamtenposten für muslimischen Lehrer – Wulff wohl strafbar – Duz-Verbot vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 16.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5305/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen