Die juristische Presseschau vom 11. bis 14. Juni 2011: Keine türkische Präsidialverfassung - Korruptionsbekämpfung bei Siemens - Versuchte Erpressung bei Ergo

14.06.2011

Nach den Wahlen in der Türkei wird es keine in der Verfassung verankerte präsidiale Machtzentrale geben. Außerdem in der Presseschau: Die Frage nach der Unabhängigkeit des Syndikusanwaltes, ein Gesetzentwurf für eine kleine Vorratsdatenspeicherung, ein neuer Umgang mit Korruptionsfällen bei Siemens und vieles andere.

Türkei: Keine verfassungsändernde Mehrheit hat die Partei des türkischen Ministerpräsidenten, Tayyip Erdogan, bei der Wahl am Sonntag erlangt. Der Wunsch Erdogans nach einer "Präsidialverfassung" werde damit wohl nicht erfüllt. Dies sei für die Türkei, die dennoch dringend eine neue Verfassung benötige, aber gut, meint Gerd Höhler in seinem Leitartikel in der FR und liefert viele Hintergründe zum Wahlergebnis und zur "Verfassungswirklichkeit" in der Türkei.

Jürgen Gottschlich (Dienstags-taz) bilanziert die Wahl: Erdogans Plan, aus dem Präsidentenamt eine "Machtzentrale nach französischem Vorbild" zu machen, sei gescheitert.

Syndikusanwälte: Zur Frage, ob es sich beim Syndikusanwalt um einen "selbständigen Beruf" oder einen "Teil der allgemeinen anwaltlichen Tätigkeit" handele, äußert sich Konrad Redeker, Anwalt für Verwaltungsrecht aus Bonn, in der Dienstags-Ausgabe des Handelsblatts. Laut überwiegender Rechtsprechung fehle dem Syndikus die nötige Unabhängigkeit. In diese Richtung habe auch der EuGH in einer Entscheidung aus dem letzten Jahr argumentiert. Dabei sei die Unabhängigkeit, so Redeker, als eine gegenüber "der öffentliche[n] Hand", nicht gegenüber dem Mandaten, bereits im 19. Jahrhundert "erstritten worden".

Weitere Themen – Rechtspolitik

Vorratsdatenspeicherung: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat dem Bundesinnenministerium einen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung vorgelegt, berichtet Legal Tribune Online. Die Samstags-taz (Wolf Schmidt) spricht von einer "klitzekleine[n]" Speicherpflicht, die die Union keinesfalls akzeptieren werde.

Die Samstags-Ausgabe der SZ (Wolfgang Janisch) erläutert das vorgesehene "Quick-Freeze-Verfahren" zur kurzfristigen Speicheranordnung von Telefon- und Mobilfunkdaten im Verdachtsfall. IP-Adressen sollen von den Internetprovidern dagegen anlasslos, aber lediglich für sieben Tage, gespeichert werden.

Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts, betont in einem Interview mit dem Focus (H. Gude, G. Schattauer), wie wichtig die Vorratsdatenspeicherung zur Terrorbekämpfung sei und erklärt, die "Anwendungsfrequenz" von Polizeibefugnissen sei kein geeignetes Kriterium zur Bewertung von deren Notwendigkeit.

Die heutige Ausgabe des Handelsblatts (H. Anger, T. Sigmund) zitiert aus einem Schreiben mehrerer Wirtschaftsverbände, darunter dem BDI, an die Bundesregierung, "die Vorgaben der EU abzuwarten, bevor eine neue Gesetzesinitiative (…) auf den Weg gebracht wird". Die Wirtschaft wolle sich vor erneuten Fehlinvestitionen schützen.

Heribert Prantl (Dienstags-SZ) findet den Gesetzentwurf brauchbar und erinnert an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung aus 2010.

Kommentiert werden der Gesetzentwurf zur "zentrale[n] kriminalpolitische[n] Auseinandersetzung der Legislaturperiode" sowie das Kompromiss- und Kommunikationsverhalten von Leutheusser-Schnarrenberger und Union auch von Christian Rath auf taz.de.

Glücksspiel: Das Glücksspiel muss für Deutschland neu geregelt werden. Dazu liegt ein Entwurf für einen geänderten Glücksspielstaatsvertrag der Länder vor. So soll es beispielsweise künftig nicht mehr möglich sein, über das Internet bei ausländischen Wettanbietern zu spielen. Gesichert werden solle dies über Netzsperren, informiert Udo Vetter im Lawblog und erläutert die Pläne der Länder insgesamt anhand eines verlinkten Gutachtens des Heidelberger Rechtsprofessors Bernd Grzeszick zum Vertragsentwurf. Grzeszick stufe die Pläne zu Recht als "verfassungs- und europarechtswidrig" ein.

Weitere Themen – Justiz

Ehec: Viele Unternehmen, die Gemüsesorten vertreiben, vor denen staatlicherseits im Zuge der Ehec-Krise gewarnt wurde, haben erhebliche Verluste gemacht. Warnen durfte der Staat, meint Hans Peter Bull, Rechtsprofessor und ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter, in einem Gastbeitrag in der Dienstags-SZ. Zu überlegen sei jedoch, ob Entschädigungen nicht aus einem gewohnheitsrechtlich geltenden – und bereits im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 kodifizierten- "allgemeine[n] Aufopferungsgrundsatz" zu zahlen seien.

Atomwende: Mit einer "Juristischen Schlacht gegen die Atomwende" rechnet der Spiegel (F. Dohmen, A. Neubacher), insbesondere hinsichtlich der Abschalttermine. Die Samstags-FAZ (Werner Sturbeck) legt den Fokus der ausführlichen Berichterstattung auf mögliche Klagen betroffener Energieunternehmen gegen die Brennelementesteuer.

Euro-Rettungsschirm: Wie bereits berichtet, verhandelt das Bundesverfassungsgericht Anfang Juli über den so genannten Euro-Rettungsschirm. Zu den Erfolgsaussichten äußert sich der Spiegel (Dietmar Hipp) in einem detaillierten Beitrag. In Bezug genommen wird u.a. eine Aussage des Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle, die vermuten lasse, einen Verstoß gegen Europarecht werden das Gericht jedenfalls nicht unbedingt bejahen. Eine mögliche Stärkung der Parlamentsrechte, insbesondere gehe es um das Haushaltsrecht, durch das Gericht würde der Spiegel für "nicht überraschend" halten.

Rainer Hank (FAS) sieht in der "Griechenrettung" eine "Katastrophe für Rechtsstaat und Demokratie": "Diese Art Solidarität beschädigt die Parlamente Europas". Für Deutschland beklagt er den "Solidaritätspathos" von "Euromantikern" und links-intellektuellen Eliten. Als Hoffnung bleibe nur das Bundesverfassungsgericht.

"Nicht ohne den Bundestag" solle die Regierung bei künftigen Zahlungen im Euro-Raum agieren, meint die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) und erinnert an die im Karlsruher Lissabon-Urteil angemahnte "Integrationsverantwortung" des Parlaments.

Deutsche Bank: Der Deutschen Bank stehen weitere juristische Streitigkeiten ins Haus: Es werde nun in den Staaten New York und Delaware gegen die Bank ermittelt. Laut spiegel.de geht es um die Funktion der Bank als Treuhänder in der Finanzkrise.

Die Samstags-FAZ (Markus Frühauf) hatte bereits berichtet, dass die Deutsche Bank in Konflikt mit der thailändischen Bankenaufsicht sowie der südkoreanischen Justiz geraten sei. In Südkorea werde wegen möglicher Marktmanipulationen ermittelt.

Ergo: Im Zusammenhang mit den jüngsten Enthüllungen durch das Handelsblatt hinsichtlich fehlerhafter Riester-Formulare und so genannter "Incentives-Reisen" beim Ergo-Konzern hat dieser nun Anzeige wegen versuchter Erpressung durch zwei Anwälte und einen Geschäftsmann erstattet. Über die Hintergründe informiert ftd.de (Herbert Fromme).

Siemens: Einen Wandel im Umgang mit hauseigenen Korruptionsfällen bei Siemens stellt die Samstags-SZ (Klaus Ott) fest. Konzern-Manager sollen jüngst versucht haben, Schmiergelder an Mitarbeiter im kuwaitischen Energieministerium zu zahlen, um so an Aufträge zu gelangen. Dies habe das Unternehmen selbst angezeigt, nun ermittele die Staatsanwaltschaft. Ein letzter Fall aus der alten Siemens-Zeit, als man noch "kollektiv weggeschaut" habe, läuft gegen Uriel Sharef, ein ehemaliges Zentralvorstands-Mitglied bei Siemens. Er sei während seiner Tätigkeit im Konzern u.a. gemeinsam mit dem damaligen argentinischen Staatspräsidenten Carlos Menem in einen Schmiergeldskandal verwickelt gewesen. Sharef bestreitet die Vorwürfe.

Die "Seuche Korruption" kommentiert Rüdiger Köhn (Samstags-FAZ).

Weitere Themen – Recht in der Welt

Italien: Mit Spannung erwartet wurde der Ausgang der Volksabstimmung über drei Referenden in Italien. Es ging um den Wiedereinstieg in die Atomenergie, die Privatisierung der Wasserversorgung sowie um ein Gesetz, wonach Mitglieder der Regierung "Gerichtsvorlagen aus Termingründen" vermeiden konnten. Darüber informiert u.a. fr.de. Alle Vorhaben seien abgelehnt worden.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

lto/dc

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. bis 14. Juni 2011: Keine türkische Präsidialverfassung - Korruptionsbekämpfung bei Siemens - Versuchte Erpressung bei Ergo . In: Legal Tribune Online, 14.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3495/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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