Die juristische Presseschau vom 10 bis 12. September 2011: Rechtsstaat im Antiterrorkampf - NS-Verbrechen und Staatsimmunität - Geld in der Schweiz

12.09.2011

Zum Jahrestag des 11. September 2001 diskutieren viele Artikel den Zustand des Rechtsstaats nach zehn Jahren Terrorismusbekämpfung. Außerdem in der Presseschau: Deutschland klagt in Den Haag gegen die Verletzung seiner Staatsimmunität durch italienische Gerichte, Nordrhein-Westfalen will das Abkommen mit der Schweiz zur Steueramnestie verhindern und vieles andere.

Rechtsstaat im Antiterrorkampf: Heinrich Wefing (zeit.de) kritisiert "die Mär vom Polizeistaat" und hält es vor allem für einen Verdienst des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, dass der Rechtsstaat in Deutschland relativ gut durch die Dekade seit 9/11 gekommen sei. Dagegen konstatiert Christian Bommarius (FR): "Die Preisgabe der Menschenrechte ist die Voraussetzung ihrer erfolgreichen Verteidigung." Er misst der wissenschaftlichen Debatte über das "Feindstrafrecht", die auch zu einer Entwertung des Artikel 1 Grundgesetz im Maunz-Dürig-Herzog geführt habe, eine wesentlich gravierendere Bedeutung zu als Welfing.

Anlässlich der Festnahme von zwei Terrorverdächtigen in Berlin berichtet die Samstags-SZ (Jan Bielicki) über eine neue Runde im Streit um die Vorratsdatenspeicherung. Heribert Prantl (SZ) kommentiert dazu in der gleichen Ausgabe, die ständige Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung verharmlose den Terrorismus, da die Notwendigkeit einer Speicherung der Beliebigkeit anheimfalle.

Die Samstags-FAZ (Matthias Rüb) bilanziert die Folgen des "Patriot Act" und des Lagers Guantánamo für das Rechtsstaatsverständnis in den USA und geht dabei auch auf höchstrichterliche Rechtsprechung sowie Brüche und Kontinuitäten der Politik der Präsidenten Bush Jr. und Obama ein.

Weitere Themen - Rechtspolitik

Geld in der Schweiz: Über das Vorhaben des nordrhein-westfälischen Finanzministers Norbert Walter-Borjans (SPD), das Mitte August ausgehandelte Steuerabkommen mit der Schweiz über den Bundesrat zu stoppen, berichten FTD (Lutz Meier) und SZ (cbu) am Montag. Laut FTD haben sich die SPD-regierten Länder darauf geeinigt, gegen das Abkommen zu stimmen. Borjans erklärt in einem Interview im Spiegel (Barbara Schmid), er werde alles tun, "um diesen Ablasshandel für Steuerhinterzieher zu verhindern."

Handys in Sachsen: Der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig habe in einem Prüfbericht für den Landtag bei der Handy-Funkzellenabfrage im Zusammenhang mit Demonstrationen in Dresden am 13. und 19. Februar mehrfache Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben festgestellt. Dies berichtet am Samstag die taz (Michael Bartsch). Dabei habe Schurig das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft förmlich beanstandet. Wie ebenfalls die Montags-SZ (Christiane Kohl) ausführt, kritisiere Schurig, dass die Handy-Abfragen zwar richterlich angeordnet worden seien, jedoch die Staatsanwaltschaft einen vorformulierten Beschluss mit Briefkopf des Amtsgerichts zur Unterschrift vorgelegt habe. Die Landesregierung werde diese Woche das Gegengutachten eines Berliner Verfassungsrechtlers vorlegen.

Grenzkontrollen im Schengenraum: Wie die Montags-taz (Ruth Reichstein) berichtet, hat die Europäische Kommission einen Gesetzentwurf zu Grenzkontrollen im Schengenraum ausgearbeitet. Diese sollen innerhalb des Schengenraums in Zukunft auch dann möglich sein sollen, wenn ein Mitgliedsland einen Ansturm von Migranten befürchtet. Für die Dauer von fünf Tagen könne ein Staat diese Entscheidung alleine treffen, darüber hinaus sei eine qualifizierte Mehrheit der Länder des Schengen-Raums erforderlich. Diese könnten ein Land aus dem Schengen-Raum auch ausschließen, sollten seine Grenzen nicht sicher sein. Jürgen Gottschlich (taz) spricht in der gleichen Ausgabe von einer Anbiederung an den europäischen Rechtspopulismus. Er meint, das Gesetz fördere eine Politik, die für den Tod Tausender Flüchtlinge zumindest mitverantwortlich sei.

Volksentscheid zur Verfassungsänderung: Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hält in einem Gespräch mit dem Focus (Hartmut Kistenfeger) vor der Einführung der "Vereinigten Staaten von Europa" einen Volksentscheid nach Artikel 146 Grundgesetz über eine neue Verfassung für unerlässlich. Mit einer bloßen Änderung des Grundgesetzes sei es nicht getan.

Weitere Themen - Justiz

NS-Verbrechen und Staatsimmunität: Mit der Klage Deutschlands beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, über die ab heute bis Freitag verhandelt wird, befassen sich die Samstags-taz (Christian Rath) sowie die FAZ (Reinhard Müller) und die SZ (Robert Probst) vom Montag. Deutschland sehe das Prinzip der Staatsimmunität durch eine Entscheidung des italienischen Kassationsgerichts verletzt, das 2004 einem italienischen Zwangsarbeiter einen Schadenersatzanspruch gegen Deutschland zubilligte. Griechenland sei als Nebenintervenient zugelassen, da Überlebende des SS-Massakers von Distimo in Italien ebenfalls erfolgreich geklagt hätten. In drei Verfahren hätten italienische Gerichte bisher Schadenersatz in Höhe von 51 Millionen Euro ausgeurteilt, weitere 47 Verfahren seien anhängig. Andreas Fischer-Lescano (taz) kommentiert am Samstag, die Verabsolutierung der Staatsimmunität sei anachronistisch. Sowohl in internationalen Urteilen als auch in Artikel 12 der UN-Konvention zur Staatenimmunität sei rechtlich längst anerkannt, dass staatliche Delikte vor den Gerichten fremder Staaten verhandelt werden könnten. Eine Entscheidung werde erst in einigen Monaten erwartet.

Apple und Samsung: Wie die FAZ (Joachim Jahn) am Samstag berichtet, hat das Landgericht Düsseldorf in einer einstweiligen Verfügung das Verkaufsverbot für den Tablet-PC von Samsung am Freitag bestätigt. Samsungs Galaxy Tab 10.1 sehe dem iPad von Apple zu ähnlich. Jahn hält die Entscheidung in seinem Kommentar für fragwürdig. Er unterstützt die Argumentation Samsungs, ein ähnliches Gerät sei 1968 bereits in Stanley Kubricks Film "2001 - A Space Odyssey“ zu sehen gewesen. Die FTD (Nora Schlüter) berichtet heute, Samsung habe gegen die Entscheidung Einspruch eingelegt. Sie weist darauf hin, dass die Entscheidung für folgende Prozesse wesentliche Bedeutung haben dürfte. Das Landgericht Düsseldorf entscheide auch im Hauptsacheverfahren zwischen Samsung und Apple.

Grundrechte für europäische Unternehmen: taz und FAZ (Joachim Jahn) vom Samstag melden unter Berufung auf dpa, dass das Bundesverfassungsgericht europäischen Unternehmen mehr Grundrechte in Deutschland eingeräumt hat. Wenn sie hier aktiv seien, müssten sie auch den deutschen Grundrechtsschutz genießen. Dies ergebe sich aus den EU-Verträgen sowei dem allgemeinen Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit. Grundlage des Spruchs war die Klage eines Möbelproduzenten aus Italien.

Fahrverbotsfeindliche Verfahrensdauer verkürzt: Carsten Krumm (blog.beck.de), Richter am Amtsgericht Lüdinghausen, weist auf einen Beschluss des OLG Zweibrücken hin. Das Gericht habe die fahrverbotsfeindliche Dauer eines Verfahrens, das die erzieherische Erforderlichkeit eines Fahrverbots entsprechend § 25 StVG in Zweifel ziehe, auf ein Jahr neun Monate festgesetzt. Üblich sei bei Ordnungswidrigkeits-Sachen ansonsten eine Verfahrensdauer von zwei Jahren.

Weitere Themen - Recht in der Welt

Neues Patenrecht USA: Mit der Reformierung des Patentrechts in den USA befasst sich am heutigen Tage die FTD (Nora Schlüter). Mit dem am Donnerstag vom Kongress verabschiedeten "America Invents Act" strebe das Land nach sechzig Jahren eine Anpassung an internationale Standards und eine Beschleunigung der Patentierungsverfahren an. Radikalste Änderung sei die Abkehr vom weltweit einmaligen Prinzip des "first-to-invent" (Ersterfinder) und die Übernahme des in der EU längst üblichen "first-to-file" (Erstregistrierung), zur Klärung der Frage, wer Inhaber eines Patents sei. Der Leitartikel meint, das Gesetz sei "kein großer Wurf", da die Frage nach dem Schutzgegenstand ausgespart worden sei und die "fortschrittsfeindliche Patenteklagerei" wohl weitergehe.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.

lto/ro

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10 bis 12. September 2011: Rechtsstaat im Antiterrorkampf - NS-Verbrechen und Staatsimmunität - Geld in der Schweiz . In: Legal Tribune Online, 12.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4262/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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