Die juristische Presseschau vom 04. bis 06. Juni 2011: Wahlrecht kaputt - ZDF-Staatsvertrag verfassungswidrig - Gemeinnützige Gesellschaft korrupt

06.06.2011

Das bislang nicht reformierte Wahlrecht beschäftigt die Medien weiterhin. Am 30. Juni wird die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist ergebnislos verstreichen, Deutschland hat dann kein verfassungsgemäßes Wahlrecht mehr. Außerdem in den Medien: Ein Gastbeitrag zur Organspende-Debatte, korrupte Beschäftige bei der Linde AG und vieles andere.

Wahlrecht: Ende Juni läuft die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gesetzte Frist zur Neuregelung des 2008 für verfassungswidrig erklärten Wahlrechts aus und bislang liegt kein Gesetzentwurf vor. In einer gründlichen Darstellung in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Markus Wehner) werden das bislang geltende Wahlrecht, der Auslöser des Urteils, das so genannte negative Stimmgewicht, und die zwischen den Parteien besonders streitigen Überhangmandate sowie die unterschiedliche Vorstellungen der Parteien zur Neuregelung eben dieser erklärt. Zu viele Überhangmandate könnten unklare Mehrheiten im Bundestag schaffen: Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, sprich laut FAS von einer drohenden "Verfassungskrise". Wahlrechtsforscher Joachim Behnke wird mit der Prognose zitiert, bei einer vorgezogenen Bundestagswahl ohne neue Gesetzesgrundlage könne "das Verfassungsgericht selbst eine Übergangsregelung festsetzen".

Darauf geht Max Steinbeis (Verfassungsblog) direkt ein und fragt polemisch: "Karlsruhe als wohlwollender Diktator?". Dass das BVerfG überhaupt so eine lange Frist gesetzt habe, hält er für einen "Riesenfehler".

Deutscher Anwaltstag: Unter dem Titel "Europäischer Richterstaat" berichtet die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) über Diskussionen zur Gesetzes-Evaluierung im Zusammenhang mit Befugnissen der Geheimdienste zu Grundrechtseingriffen. Weiterhin fasst der Bericht ein "freundlich-ironisches Fachgespräch" zwischen Andreas Voßkuhle, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, und Vassilios Skouris, dem Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs, über das Verhältnis der beiden Gerichte zueinander kurz zusammen.

Eine Debatte zum Thema "Bürgerbeteiligung" bei Bauvorhaben stellt die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) vor. Zur Frage der Tauglichkeit von Plebisziten bei großen Infrastrukturprojekten äußerte sich der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Wolfgang Ewer, kritisch.

In Specials zum Anwaltstag berichtet Legal Tribune Online (Martin Rath) zum einen über den Code Civil in der Deutschen Rechtsprechung unter dem Titel "Reichsgerichtsräte, schlauer als die Franzosen" und liefert dabei kuriose Urteile und mehr. Zum anderen schreibt Pia Lorenz einen ausführlichen Kommentar zur Frage, ob die "Anwaltsmoral" geregelt werden müsse.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Sicherheitsgesetze: Neben dem deutschen Anwaltstag beschäftigt auch die Medien die Gesetzesevaluierung. Dass es trotz der Berichterstattung unter dem Motto "Verlängerung der Antiterrorgesetze" gar nicht um alle Sicherheitsgesetze und gerade die - bislang nicht stattfindende - Evaluation einzelner Geheimdienst-Befugnisse gehe, schildern die Montags-taz (Christian Rath) und Marco Buschmann, FDP-Bundestagsabgeordneter, in einem Gastbeitrag in der FR. Nach Buschmann, der die irreführende Betitelung einen "listigen Propaganda-Spin" nennt, geht es um die Bewertung des "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes", welches Geheimdiensten den Zugriff auf Daten aus dem Post-, Bank-, Flugreise- und Internetverkehr ermögliche. Aus rechtstaatlicher Sicht sei eine Evaluierung von Grundrechtseingriffen durch das Parlament geboten, die Entscheidung solle gerade nicht der Exekutive überlassen werden.

Energiewende: Eine kommentierte Auflistung aller in Frage kommenden Gesetzesänderungen zur Umsetzung der "Energiewende" bringt die Samstags-FAZ (Andreas Mihm). Änderungen an bis zu zehn Gesetzen und Verordnungen, vom Atomgesetz über das Netzausbaubeschleunigungsgesetz bis hin zum Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz, könnten heute von der Bundesregierung beschlossen werden.

Die SPD möchte den Atomausstieg im Grundgesetz oder einem Staatsvertrag festschreiben, meldet Focus.de.

Organspende: Unionsfraktionschef Volker Kauder stellt in einem Gastbeitrag auf Spiegel.de seinen Vorschlag für eine mögliche zukünftige gesetzliche Regelung der Organspende in Deutschland vor. Kauder plädiert, statt einer Widerspruchslösung, wie es sie bereits in anderen Staaten gebe, für eine so genannte Entscheidungslösung.

Weitere Themen – Justiz

Deutsche Bank: Wie das Handelsblatt (R. Bender, P. Köhler, R. Landgraf) meldet, könnte der Deutschen Bank eine neu Klage in den USA bevorstehen. Laut Handelsblatt gingen Experten davon aus, dass der Deutschen Bank bald eine Vorladung der Manhattaner Staatsanwaltschaft ins Haus stünde. Ein Bericht zur Untersuchung der Finanzkrise des US-Senats erhebe unter anderem gegen die Deutsche Bank ähnliche Vorwürfe wie gegen Goldmann Sachs.

Spendenbetrug: Wegen "gemeinschaftlichen Spendenbetrugs und Untreue" hat die Staatsanwaltschaft Hannover gegen die Geschäftsführerin der gemeinnützigen Gesellschaft "VFK Krebsforschung", die Spenden in Millionenhöhe gesammelt habe, gegen einen Verantwortlichen der Werbefirma "SAZ Marketing Services GmbH", welche die für die Werbemaßnahmen zum Spendensammeln verantwortlich war, sowie einen Rechtsanwalt und SAZ-Steuerberater Anklage erhoben. Der Spiegel (Michael Fröhlingsdorf) schildert den "besonders krassen Fall". Laut dem Spiegel ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen sechs weitere Organisationen wegen der Zweckentfremdung von Spendengeldern in Höhe von 30 Millionen Euro.

Korruptionsverdacht: Gegen Beschäftigte des Gas-Konzerns Linde AG ermittelt die Staatsanwaltschaft München. Grund ist der Verdacht auf "Korruption im geschäftlichen Verkehr". Linde-Vorstandschef Wolfgang Reitzle hatte "selbst (...) die internen Untersuchungen angestoßen", so die Samstags-SZ (Klaus Ott). Laut SZ sei dafür eine Kooperation mit Turbo, einer Tochter des LKW-Konzerns MAN, der Anlass gewesen.

Kika-Skandal: Am heutigen Montag beginnt der erste Prozess im Kika-Skandal. Darüber berichten die Montagsausgaben von FAZ (Olaf Sundermeyer) und SZ (Christiane Kohl). In diesem "bislang größten Betrugsskandal in der Geschichte der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten", so die SZ, ist ein ehemaliger Produktionsleiter des Kinderkanals (Kika) angeklagt, Scheinrechnung - in Höhe von insgesamt etwa 4,6 Millionen Euro - erstellt zu haben, die der MDR arglos bezahlt habe. Über die Hintergründe und Tatvorwürfe informiert die FAZ detailliert.

ZDF-Staatsvertrag: Die Rheinland-Pfälzische Regierung hat dem BVerfG den ZDF-Staatsvertrag zur Prüfung vorgelegt, dieser ist möglicherweise wegen fehlender Staatsferne der Gremien verfassungswidrig. In einem Interview mit der Samstags-FAZ (Michael Hanfeld) kritisiert Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, die fehlende Staatsferne von ZDF-Fernseh- und Verwaltungsrat. In verfassungswidriger Weise seien diese annähernd ausschließlich mit Politikern besetzt, die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei es jedoch gerade, "politisches Handeln kritisch zu begleiten".

Weitere Themen – Recht in der Welt

Mladic: Die Samstags-Ausgabe der taz widmet dem angelaufenen Verfahren gegen Ratko Mladic vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien einen Schwerpunkt. Neben einem Bericht über den Verhandlungsbeginn (Tobias Müller) stellt sie (Christian Rath) den Jugoslawien-Gerichtshof vor und bilanziert dessen bisherige Arbeit, etwa 60 Verurteilungen habe es in 18 Jahren gegeben.

John Edwards: Der ehemalige US-amerikanische demokratische Präsidentschaftskandidat John Edwards sei unter anderem wegen illegaler Parteispenden angeklagt, meldet die Samstags-SZ. Er solle Spendengelder dazu mißbraucht haben, ein außereheliches Verhältnis "zu verschleiern".

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dc

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 04. bis 06. Juni 2011: Wahlrecht kaputt - ZDF-Staatsvertrag verfassungswidrig - Gemeinnützige Gesellschaft korrupt . In: Legal Tribune Online, 06.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3444/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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