Die juristische Presseschau vom 14. Dezember 2021: Haft für Bet­reiber des Cyberbun­kers / BVerfG ver­han­delt über BayVSG / Faeser wet­tert gegen Tele­gram

14.12.2021

Die Betreiber des Cyberbunkers wurden wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Das BVerfG verhandelt über das bayrische Verfassungsschutzgesetz. Innenministerin Nancy Faeser attackiert Telegram-Unternehmen.

Thema des Tages

LG Trier zu Cyberbunker: Das Landgericht Trier hat in einem der bundesweit größten Prozesse im Bereich der Cyberkriminalität acht Personen wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu Haftstrafen verurteilt, wobei die höchste knapp sechs Jahre beträgt. Die sieben Männer und eine Frau haben über Jahre hinweg in einem ehemaligen Bundeswehrbunker an der Mosel ein Rechenzentrum für illegale Webseiten betrieben und dabei rund 240.000 Straftaten ihrer Kund:innen billigend in Kauf genommen. Dazu zählen Datenhehlerei, Computerangriffe, Falschgeldgeschäfte und Drogendeals. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hatte auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zu den begangenen Straftaten gefordert und erwägt eine Revision. Das Gericht konnte keinen hinreichend konkreten Gehilfenvorsatz feststellen. Die Verteidigung will Rechtsmittel einlegen, weil kein Geschäftsmodell und keine kriminelle Vereinigung vorlägen. Da es sich um "juristisches Neuland" handele, müsse der Bundesgerichtshof entscheiden. Es berichten die FAZ (Julian Staib), LTO und spiegel.de.

Rechtspolitik

Justizminister Buschmann: Das Hbl (Heike Anger) kommentiert den Start von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) als "ruckelig". Er gelte in der Sache als fachkundiger Politiker und scharfsinniger Analytiker. Aus den Reihen der FDP höre man — ohne Namensnennung — jedoch von Sorgen hinsichtlich seiner Kommunikationsfähigkeiten in der Coronakrise, in der eine gut kommunizierte Rechtspolitik unerlässlich sei. Er wirke "eher belehrend statt empathisch". Zudem neige er zum "Mikromanagement, was in einem Ministerium gefährlich werden könne."  

Corona – Triage: Die Welt (Frederik Schindler) berichtet, dass es Rufe aus der Ampel-Koalition gebe, die Triage von Intensiv-Patienten für den Fall einer Covid-bedingten Überlastung gesetzlich zu regeln. In der Rechtswissenschaft sei man sich nahezu einig, "dass der Staat die zur Rettung verpflichteten Ärzte nicht mit einem Hinweis auf eine Gewissensentscheidung alleinlassen darf". Der Deutsche Ethikrat wolle den Gesetzgeber hingegen keine Entscheidung dazu treffen lassen. Überblicksartig werden mögliche Kriterien anhand der Positionen von Jurist:innen dargestellt: Rechtsprofessor Tonio Walter würde das Los entscheiden lassen. Rechtsprofessorin Elisa Hoven würde als Kriterium auf das Alter der Patient:innen abstellen. Rechtprofessor Karsten Gaede halte es für verfassungsmäßig, bei gleicher Dringlichkeit auf die Erfolgsaussichten abzustellen. 

Auf dem Verfassungsblog spricht sich die Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle dafür aus, den Impfstatus bei der Triage zu berücksichtigen.

Corona – Impfpflicht: Jost Müller-Neuhof (Tsp) hält es nicht für richtig, die Entscheidung des Bundestages über eine allgemeine Impfpflicht als Gewissensentscheidung zu behandeln. Die Fraktionsdisziplin sei nach demokratischen Maßstäben angebrachter, da die Entscheidung dann eher auf das Volk zurückzuführen sei.  

Login-Falle: Die SZ (Christoph Koopmann) erörtert die im Koalitionsvertrag geplante Login-Falle, die als Instrument gegen Hate-Speech im Internet eingesetzt werden soll. Nutzer von Plattformen könnten Beiträge direkt bei der Polizei melden, die bei einem Anfangsverdacht die Betreiber der Plattformen dazu veranlasst, die Login-Falle scharf zu stellen: Loggt sich der Verfasser dann erneut mit seinem Account ein, wird die IP-Adresse abgefangen, mit der die Polizei dann vom Telekommunikationsanbieter die Identität erfragen kann. Die Login-Falle ist eine Alternative zur viel diskutierten Klarnamenpflicht und würde die im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) geregelte Kontrollpflicht für rechtswidrige Beiträge teilweise von den Anbietern zum Staat verlagern.  

Bürgergeld: Im Interview mit der SZ (Roland Preuß) spricht sich der Wirtschaftsprofessor Ulrich Walwei dafür aus, auch bei dem von der Ampel-Koalition angestrebten Bürgergeld Sanktionsmechanismen beizubehalten. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die möglichen Hartz-IV-Sanktionen vor zwei Jahren stark beschränkt hat, seien geringe Sanktionen erforderlich, um Leute nicht zu verlieren, die den Druck brauchten.

Justiz

BVerfG – BayVSG: An diesem Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde gegen das 2016 vollständig neu gefasste bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG). Geprüft werden unter anderem die Befugnisse zu Wohnraumüberwachung, Onlinedurchsuchung, Ortung von Mobilfunkendgeräten, der Abruf von Vorratsdaten und der Einsatz von verdeckten Mitarbeitern und V-Leuten. Beschwerdeführer ist unter anderem der Kommunist Kerem Schemberger, der selbst vom Verfassungsschutz überwacht wird und nun von der GFF (Gesellschaft für Freiheitsrechte) unterstützt wird. spiegel.de (Dietmar Hipp) berichtet.  

OVG NRW – Politische Beamte/Polizeipräsident: Vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen will der ehemalige Polizeipräsident von NRW, Wolfgang Albers, in zweiter Instanz gegen seine Entlassung klagen. Er wurde von der Landesregierung nach den Vorfällen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015/2016 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Albers hält dies einerseits für sachlich nicht gerechtfertigt. Außerdem verstoße die Einstufung von Polizeipräsident:innen als politische Beamt:innen gegen die Verfassung. LTO berichtet.

LSG Nds-Bremen zu Widerspruch per Email: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat geurteilt, dass eine einfache E-Mail für einen Widerspruch gegen einen Hartz IV-Bescheid nicht ausreicht. Erforderlich sei eine qualifizierte elektronische Signatur oder eine absenderauthentifizierte Übersendung. LTO berichtet.

OLG Hamburg zur Herausgabe von Sperma: Nach einer Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts muss eine Klinik das von einem verstorbenen Patienten eingefrorene Sperma zum Zwecke einer postmortalen künstlichen Befruchtung an seine Lebensgefährtin herausgeben, wenn der Wille des Toten zur Herausgabe bereits vor dessen Ableben deutlich geworden ist. LTO berichtet.   

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: spiegel.de (Wiebke Ramm) beschreibt einen Prozesstag im Verfahren gegen die Berliner Untergrundgröße Arafat Abou-Chaker, der die Beendigung der Geschäftsbeziehungen mit dem Rapper Anis Ferchichi (Bushido) nicht akzeptiert haben soll und nun u.a. wegen Nötigung angeklagt ist. Dabei kam es hinsichtlich der Bedrohungslage im Jahr 2018 zu zwei sich widersprechenden Aussagen von Bushidos Frau Anna-Maria Ferchichi und einem ehemaligen Freund Bushidos.

AG Hamburg-Altona – HSV-Profi Jatta: Der Rechtsprofessor Helmut Grothe erörtert auf LTO die sportrechtlichen Konsequenzen für den Hamburger SV, falls der Fußball-Profi Bakery Jatta vom Amtsgericht Hamburg Altona wegen Identitätstäuschung und Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz verurteilt würde. Grothe geht davon aus, dass Spiele unter Beteiligung Jattas nicht gegen den HSV gewertet werden, selbst wenn Jatta rückwirkend von der Deutschen Fußballliga (DFL) die Spielberechtigung entzogen würde. Dies liege maßgebend an den Funktionen der "Spielberechtigungsliste", die zum Zeitpunkt der Spiele aus Perspektive der Clubs richtig war und einen Vertrauenstatbestand schaffe, der nicht rückwirkend beseitigt werden dürfe.

Recht in der Welt

Dänemark – Strafe für Asylpolitik: Dänemarks frühere Integrations- und Ausländerministerin Inger Støjberg ist wegen Amtsvergehens zu einer Haftstrafe von 60 Tagen ohne Bewährung verurteilt worden. In ihrer von 2015 bis 2019 währenden Amtszeit hatte sie widerrechtlich angeordnet, Asylpaare im Fall der Minderjährigkeit eines Teils ausnahmslos getrennt unterzubringen. 23 Paare waren davon betroffen. Die FAZ (Matthias Wyssuwa), taz (Reinhard Wolff) und LTO berichten.

Hongkong – Haft für Aktivist:innen: Ein Hongkonger Gericht hat acht prominente Aktivist:innen aufgrund ihrer Teilnahme an einem verbotenen Gedenken an die Opfer der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 in China zu Haftstrafen verurteilt. Die längste Strafe beträgt 14 Monate. Es berichten die SZ, taz, Welt und spiegel.de.

Frankreich – UBS: Die Schweizer Großbank UBS muss wegen illegalen Anwerbens und der Beihilfe zur Geldwäsche 1,8 Milliarden Euro zahlen, so die Berufungsentscheidung eines Pariser Gerichts. In erster Instanz wurde UBS noch zur Zahlung von 4,5 Milliarden  Euro verurteilt. Die UBS erwägt eine Revision. Es berichten die FAZ (Niklas Záboji), SZ (Isabel Pfaff/Meike Schreiber), Hbl (Jakob Blume/Felix Holtermann) und spiegel.de.

Niklas Záboji (FAZ) wertet die Entscheidung als "Ohrfeige" für die UBS. Die enormen Summen seien für den weltgrößten Vermögensverwalter weniger brisant als der Schuldspruch wegen Geldwäsche. Das schlechte Image laste auf der Bank.

USA – Abtreibungsgesetz Texas: Wie die SZ (Hubert Wetzel) berichtet, hat der Präsident des US-Supreme Courts John Roberts sein eigenes Gericht kritisiert. Wenn es Staaten (wie Texas) erlaubt werde, vom Supreme Court definierte Rechte einzuschränken, werde die US-Verfassung zum Gespött. Roberts bezieht sich auf das Verhalten von fünf (der neun) Richter:innen, die sich bisher geweigert haben, das strenge texanische Abtreibungsgesetz auszusetzen, obwohl dieses eindeutig gegen das Supreme Court-Urteil Roe vs. Wade verstößt.

Juristische Ausbildung

Digitale Lehre: Im Interview mit LTO (Pauline Dietrich) berichten die Richter Hans Oehlers und Günter König über die Vorteile der digitalen Lehre bei der Ausbildung von Referendar:innen. Neben der örtlichen Flexibilität gebe es durch On-Demand-Formate auch mehr zeitlichen Gestaltungsspielraum, was etwa eine parallele Kinderbetreuung vereinfache.

Sonstiges

Telegram: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat ein entschlosseneres Durchgreifen gegen den Messenger Telegram angekündigt. Telegram falle aufgrund der öffentlichen Gruppen mit bis zu 200.000 Teilnehmenden in den Anwendungsbereich des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG). Unklar bleibt jedoch, wie Faeser Telegram dazu bringen will, den deutschen Gesetzen zu folgen. Das in Dubai ansässige Unternehmen hat das letzte Schreiben des Bundesamts für Justiz aus dem April bisher ignoriert. "Das wird diese Bundesregierung so nicht hinnehmen", so Faeser. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) brachte im Falle einer weiteren Untätigkeit von Telegram eine Einbindung der Software-Hersteller ins Spiel: "Andernfalls muss die EU, muss die Bundesregierung, müssten Apple und der Android-Hersteller Alphabet einschreiten." Es berichten die taz (Konrad Litschko), FAZ (Gustav Theile/Corinna Budras) und spiegel.de.

Jost Müller-Neuhof (Tsp) sieht in der Kampfansage Faesers eine "dokumentierte Hilflosigkeit". Rechtsstaatliche Maßnahmen würden sich schnell erschöpfen und es sei vielmehr an eine neue "Konsumentenmoral" zu appellieren, um einen Klimawandel in der politischen Streitkultur zu erreichen.

EU-Vertragsverletzungsverfahren/EZB-Urteil: Die Einstellung des EU-Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland wegen des PSPP-Urteils des Bundesverfassungsgerichts sieht Rechtsprofessor Jörn Axel Kämmerer im FAZ-Einspruch nicht als makellosen Sieg des Rechtsstaats. Der Streit zwischen EuGH und BVerfG um das letzte Wort schwele weiter. Der Einzug von Nachhaltigkeitskriterien in die Anleihe-Ankaufpolitik der EZB könne "neue Verfassungsbeschwerden und damit auch Ultra-vires-Prüfungen nach sich ziehen."

Impfpassfälschung: Die SZ (Markus Grill/Florian Flade u.a.) berichtet in einer Seite-3-Reportage über die Praxis der Impfpassfälscher:innen. Gefälschte Impfpässe kosteten zurzeit rund 25 Euro und würden aufgrund ihrer leichten Fälschbarkeit in erheblichem Ausmaß in Umlauf gebracht. Die Kontrolle sei allein den Apotheker:innen überlassen und die Politik reagiere empörend langsam.  

Weihnachtsamnestie: Die deutsche Justiz entlässt im Rahmen der traditionellen Weihnachtsamnestie kurz vor Weihnachten mindestens 921 Gefangene aus der Haft. Meistens handele es sich bei den früheren Entlassungen nur um einige Tage und es kämen nur Personen in Betracht, die nicht negativ aufgefallen sind. LTO berichtet.

 

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lto/tr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. Dezember 2021: Haft für Betreiber des Cyberbunkers / BVerfG verhandelt über BayVSG / Faeser wettert gegen Telegram . In: Legal Tribune Online, 14.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46920/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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