Das BVerwG erlaubt Schwerkranken den Anbau von Hanf zur Eigentherapie. Außerdem in der Presseschau: EU-Kommission schlägt Reform des EU-Asylrechts vor, Verkehr mit Zwangsprostituierten künftig strafbar und Ermittlungen gegen Böhmermann.
Thema des Tages
BVerwG zu Cannabis-Eigenanbau: Ein Schwerkranker darf Cannabis für seine Eigentherapie anbauen, da die Pflanzen für seine medizinische Versorgung notwendig seien und es keine bezahlbare Alternative gebe. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil und verpflichtet damit das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Hanfanbau ausnahmsweise zu gestatten. Erfülle der Betroffene die nötigen Voraussetzungen, habe die Behörde hier kein Ermessen. Im vorliegenden Fall ist der Kläger durch seine Multiple Sklerose motorisch eingeschränkt, stellte allerdings fest, dass Cannabis seine Beschwerden lindert. Seine Rente würde den Bezug aus der Apotheke nicht decken, daher setzte er sich für eine Anbauerlaubnis ein. Über das Grundsatzurteil informieren SZ (Wolfgang Janisch) und taz (Heike Haarhoff).
Rechtspolitik
EU-Asylreform: Die EU-Kommission hat zwei Modelle für eine Reform des Asylverfahrens in der EU vorgestellt: Das erste umfasst das bisherige Dublin-System inklusive Verteilungsschlüssel, das zweite sieht ein neues System mit permanentem Verteilungsschlüssel vor. spiegel.de (Markus Becker) illustriert auch die Reaktionen von Politikern und Pro Asyl. Zudem schlägt die Kommission vor, der EU die Entscheidungsbefugnis über die Anträge zu übertragen. Dies teilen unter anderem SZ (A. Mühlauer/M Szymanski) und zeit.de (Till Schwarze/Michael Stürzenhofecker) mit.
Jasper von Altenbockum (FAZ) legt dar, weshalb er den Vorschlag einer Quote begrüßt; das Dublin-System sei zusammengebrochen und reformbedürftig. Allerdings sei fraglich, ob sich eine Verteilung schnell umsetzen lasse, zudem werden die EU "ohne hässliche Zäune" nicht auskommen. Unter dem Titel "verschlimmbessert" setzt sich Eric Bonse (taz) mit dem Vorschlag der EU-Kommission auseinander. Ein Fehler bestehe darin, dass die EU keine legalen Wege nach Europa eröffne. Zudem funktioniere die bürokratische Umverteilung nicht – daher gingen die Vorschläge ins Leere.
Zwangsprostitution: Bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe sollen Freier von Zwangsprostituierten erwarten, wenn sie deren Notlage ausnutzen, so der vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf. Straffreiheit sei unter Umständen möglich, wenn die Betroffenen den Fall zur Anzeige bringen. Verschärfungen seien auch im Bereich des Menschenhandels und der Zuhälterei geplant, schildern taz (Christian Rath), SZ (Constanze von Bullion) und FAZ (Johannes Leithäuser).
Simone Schmollack (taz) hält die Strafreform für richtig. "Zwangsprostitution sowie andere Formen des Menschenhandels sind eine Frage des Strafrechts, nicht der Moral." Dadurch, dass Freier, die den Fall melden, straffrei bleiben, könne "Zwangsprostituierten tatsächlich geholfen werden".
Wettbetrug: Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Strafbarkeit von Wettbetrug und Spielmanipulation verabschiedet. Die Reform solle die "Integrität des Sports" unter anderem dadurch schützen, dass Manipulationen (entgegen der bisherigen Regelung) künftig ohne Geschädigten strafbar sind. Die taz (Johannes Kopp) greift auch die Bedenken des Deutschen Richterbunds auf.
EU-Maghreb-Abkommen: Thomas de Maizière hat sich dafür ausgesprochen, für Nordafrika ein dem EU-Türkei-Deal gleichgeartetes Abkommen abzuschließen, schreibt zeit.de.
Finanzminister zu Steuerbetrug: Am Treffen der Finanzminister der Bundesländer am heutigen Donnerstag besprechen die Politiker, wie Deutschland konsequent gegen Steuerhinterziehung vorgehen kann. Die SZ (Cerstin Gammelin/Klaus Ott) sammelt bereits bekannt gewordene Vorschläge entsprechender Reformen.
Justiz
BGH zu Kannibalenmord: Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts Dresden gegen den Polizisten Detlev G. aufgehoben und den Fall zurückverwiesen. Die Richter schlossen sich der Verteidigung an, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass S., der sich von G. essen lassen wollte, Suizid begangen habe. Die taz (Hannah Weiner) zeichnet Fall und Verhandlung nach.
LG Bonn zu EnBW: Das Energieunternehmen EnBW hat keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 261 Millionen Euro, nachdem die Bundesregierung zwei Atomkraftwerke zwangsweise für drei Monate stilllegte, entschied das Landgericht Bonn. Die Richter wiesen die Klage ab, da EnBW mit einer sofortigen Klage gegen das Betriebsverbot aufschiebende Wirkung bedingt und Schäden vermieden hätte, schreibt die FAZ (Bernd Freytag). Das Unternehmen kann noch in Berufung gehen.
Joachim Jahn (FAZ) meint, die höheren Instanzen könnten anders entscheiden. Allerdings sei es für Energieunternehmen verlockender – angesichts der Erfolgschancen der Schadensersatzklagen aufgrund von Stilllegungen – einen "großen Deal mit der Politik" einzugehen.
OLG München – NSU: "Wie nahe waren Spitzel der verschiedenen deutschen Verfassungsschutzbehörden den Tätern?" Die Welt (Stefan Aust/Helmar Brüchel u.a.) berichtet unter Berufung auf die ARD ausführlich darüber, dass Uwe Mundlos zu Beginn der Mordserie des NSU im Unternehmen eines V-Mannes des Bundesverfassungsschutzes gearbeitet haben soll. Der Beitrag geht auch darauf ein, inwieweit BfV und Ermittlungsbehörden darüber informiert waren.
LG Duisburg* – Loveparade: Das Loveparade-Verfahren könnte noch zugelassen werden. Das Oberlandesgericht Düsseldorf** prüft die Anklageschrift und könnte zu einem anderen Ergebnis kommen, als das Landgericht, so die BadZ (Christian Rath). Der Beitrag resümiert auch die Entscheidungsgründe des LG.
StA Mainz – Jan Böhmermann: Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt gegen Jan Böhmermann wegen des Verdachts der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Eine juristische Prüfung der Bundesregierung habe ergeben, dass Böhmermann sich "höchst wahrscheinlich" strafbar gemacht habe. Unklar sei, ob die Türkei Strafverlangen stelle. Tsp (Stephan Haselberger/Hans Monath u.a.), spiegel.de (Matthias Gebauer/Sven Röbel) und SZ (Karoline Meta Beisel) befassen sich mit den Ermittlungen.
LG Aschaffenburg – tote Schwangere: Im Strafprozess vor dem Landgericht Aschaffenburg wegen Mordes an einer Schwangeren in Tateinheit mit Schwangerschaftsabbruch hat der Angeklagte Jens M. ein umfassendes Geständnis abgelegt, schreiben spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und FAZ (Leonie Feuerbach). Auch Benjamin E., mitangeklagt wegen Beihilfe, äußerte dazu - beide wehrten sich gegen die Mordvorwürfe.
*Das Landgericht Duisburg ist für das Loveparade-Verfahren zuständig. Zuvor stand hier Landgericht Dresden.
** Das Oberlandesgericht Düsseldorf überprüft die Anklageschrift. Zuvor stand hier Oberlandesgericht Duisburg.
Recht in der Welt
ICTY – Seselj: Der Chefankläger des Yugoslawien-Tribunals, Serge Brammertz, plant, gegen Seseljs Freispruch in Berufung zu gehen. Er moniert, die Richter seien "grundlegend mit der Erfüllung ihrer richterlichen Funktion gescheitert", schreibt spiegel.de.
Polen – Verfassungsgericht: Am gestrigen Verhandlungstag des polnischen Verfassungsgerichts fehlten Vertreter von Regierung und Parlament. Auch der Generalstaatsanwalt und gleichzeitige Justizminister Zbigniew Ziobro blieb dem Gericht fern und habe den Verfassungsrichtern mit rechtlichen Konsequenzen gedroht, sollten sie "Anweisungen" des Ministeriums zuwiderhandeln. Die SZ (F. Hassel/A. Mühlauer) und FAZ (Konrad Schuller) zeichnen den Konflikt zwischen Verfassungsgericht und Regierung nach.
Schweden – Panoramafreiheit: Das oberste schwedische Gericht hat dem schwedischen Wikipedia untersagt, Fotos öffentlicher Kunstwerke ohne Einwilligung der Rechteinhaber zu veröffentlichen. Als Begründung gab es an, dass ihre Seite kommerziellen Charakter habe. Das Urteil wirke sich auf die Debatte um die Panoramafreiheit aus, meldet die FAZ.
Frankeich – Strafe für Le Pen: Ein Pariser Strafgericht verurteilte Jean-Marie Le Pen zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 Euro wegen Leugnung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit; er verharmloste die NS-Verbrechen, meldet zeit.de.
Frankreich – Prostitution: Wie zeit.de meldet, werden Freier in Frankreich künftig mit Geldstrafen sanktioniert, wenn sie die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nehmen.
Niederlande – Referendum zu Ukraine: Die Niederländer haben in einem Referendum gegen das Ukraine-Assoziierungsabkommen gestimmt. Die Wahlbeteiligung liege knapp bei den geforderten 30 Prozent, meldet tagesschau.de unter Berufung auf die zu diesem Zeitpunkt neuesten Angaben. Wie die niederländische Regierung reagiere, sei noch unklar.
Sonstiges
NSU-Film: "Die Freiheiten der Kunst zu nutzen und gleichzeitig die Wahrhaftigkeit des Journalismus zu beanspruchen – das geht nicht", konstatiert die Zeit (Jochen Bittner) im Hinblick auf den NSU-Film und führt aus, weshalb es sich hier um eine unzulässige Vorverurteilung handele.
Grenzkontrollen: "Was sind offene Grenzen wert, wenn sie unter Dauer-Vorbehalt stehen?" Heribert Prantl (SZ) warnt vor einem "neuen Grenzregime" und befürwortet, dass Innenminister Thomas de Maizière ankündigt, die deutschen Grenzkontrollen würden ab Mai eingestellt. Prantl betont, Grenzkontrollen müssten ultima ratio bleiben und dürften kein Dauerzustand werden.
Legale Briefkastenfirmen: Die FAZ (Manfred Schäfers/Joachim Jahn u.a.) erläutert anhand verschiedener Fälle, unter welchen Umständen Briefkastenfirmen legal eingesetzt werden können.
Amnesty-Jahresbericht zu Hinrichtungen: spiegel.de (Benjamin Schulz) resümiert den Amnesty-Jahresbericht zu Hinrichtungen. Der Beitrag hebt hervor, dass – laut Bericht – die aufgeführten Staaten im Jahr 2015 50 Prozent mehr Menschen exekutiert hätten, als im Jahr davor.
Datenschutz: Die Zeit (Constantin van Lijnden) meint, die Angst vor Datenmissbrauch durch Unternehmen sei in der bestehenden Form nicht begründet. Die "Strenge hiesiger Datenschutzbehörden" schütze die Verbraucher vor Datenmissbrauch durch Unternehmen. Die Vorratsdatenspeicherung zeige allerdings, dass die Privatsphäre der Bürger disponibel sei: "Stehen [...] staatliche Interessen auf dem Spiel, werden Eingriffsbefugnisse ohne Federlesen geschaffen."
Einsichtsrechte in Krankenakten: Auf lto.de erklärt der Doktorand und Diplomjurist Thomas Bayer ausführlich, unter welchen Voraussetzungen eigene Krankenakten und entsprechende Unterlagen nächster Angehöriger eingesehen werden dürfen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. April 2016: Cannabis für Schwerkranke / Ermittlungen gegen Böhmermann / Arbeitete Mundlos für V-Mann? . In: Legal Tribune Online, 07.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18997/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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