Das Betreuungsgeld könnte an der Zuständigkeit des Bundes scheitern – am gestrigen Dienstag war die erste Verhandlung vor dem BVerfG. Außerdem in der Presseschau: Strafrechtler kritisieren strengere Gesetze für Sterbehilfe, Thomas Fischer zur Bedeutung des Rechtsguts Ehre in Gesellschaft und Strafrecht, E-Books dürfen nicht einfach so weiter veräußert werden und ein Richter am LG lästert über den BGH – in seiner Urteilsbegründung.
Thema des Tages
BVerfG – Betreuungsgeld: Im Fokus der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zum Betreuungsgeld am gestrigen Dienstag standen Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelung. Der Bund kann auf dem Gebiet der "öffentlichen Fürsorge" Gesetze erlassen, wenn dies zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erforderlich ist, da diese Materie der konkurrierenden Gesetzgebung unterfällt. Mehrere Richter äußerten ihre Bedenken hinsichtlich des Vorliegens dieser Voraussetzung. So monierte Richter Reinhard Gaier beispielsweise, dass die Regelung zum Betreuungsgeld "gar nicht konstruiert" sei, um regionale Unterschiede bei der Kinderbetreuung auszugleichen und somit gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Die Vertreter der Bundesregierung hingegen sehen Betreuungsgeld und Kita-Förderung als Gesamtkonzept zur Behebung von Problemen bei der Kinderbetreuung und begründen so die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Auf die Frage der materiellen Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes gingen die Richter nur am Rande ein. Die SZ (Wolfgang Janisch) informiert über die in der Verhandlung vorgebrachten Argumente und erklärt die Kompetenzstreitigkeit. Die taz (Christian Rath), die FAZ (Helene Bubrowski) und spiegel.de (Dietmar Hipp) gehen zudem auch auf die Hamburger Begründung des Normenkontrollantrags ein. Der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) beantwortet relevante Fragen.
Auch Heribert Prantl (SZ) betont, das BVerfG habe in der mündlichen Verhandlung "wenig Zweifel" an der mangelnden Zuständigkeit des Bundes gelassen. Er hält fest, dass die Länder, natürlich auch Bayern, in Zukunft selbst ein Betreuungsgeld beschließen oder aber das Geld "in den Ausbau von Kitas stecken" könnten. Dabei sei allerdings zu beachten, dass eine entsprechende Länderregelung ebenfalls in Karlsruhe landen könnte, denn die materielle Verfassungswidrigkeit des Betreuungsgeldes, insbesondere ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, sei noch nicht geklärt. Joachim Jahn (FAZ) stellt unter dem Titel "mehr Macht den Ländern" heraus, "das Gericht täte gut daran", das "Grundgesetz beim Wort zu nehmen" und somit das Subsidiaritätsprinzip in der Gesetzgebungskompetenz durchzusetzen.
Rechtspolitik
Sterbehilfe: Der FAZ (Reinhard Müller) liegt eine Stellungnahme mehrerer Strafrechtler zur geplanten Reform der Sterbehilfe vor – darunter der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer, Claus Roxin und die ehemalige Generalbundesanwältin Monika Harms. Demnach sei eine Strafbarkeit von Ärzten wegen Beihilfe zum Suizid "entschieden abzulehnen". Mit einer entsprechenden Regelung würde unter anderem das Selbstbestimmungsrecht der Patienten unverhältnismäßig beeinträchtigt und das Verhältnis zwischen Arzt und Patient in einen "Graubereich möglicher Strafbarkeit" gelenkt. So würde in Palliativstationen täglich organisiert Sterbehilfe geleistet, denn die dortigen Maßnahmen gingen oftmals mit der Verkürzung der Lebenszeit einher – diese seien allerdings "uneingeschränkt positiv" zu bewerten und sollten daher nicht mit Strafbarkeitsrisiken bedroht werden.
Reinhard Müller (FAZ) hält fest, dass die Hilfe im Sterben wichtig sei. Dennoch schließe die Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten nicht aus, dass der Gesetzgeber "ein Zeichen gegen gewerbliche Sterbehilfe" setzt – und "damit auch gegen die professionelle Entsorgung von Alten und Kranken" vorgeht. Es liege zwar "im Trend, das scharfe Schwert des Strafrechts unnötig früh zu ziehen" – dies sei hier allerdings nicht der Fall.
Kommunale Konzessionsvergabe: Neue EU-Richtlinien zum öffentlichen Auftragswesen erfordern eine Novellierung des Kartellrechts. Die Rechtsanwälte Jana Michaelis und Peter Rosin legen in der FAZ dar, weshalb umfangreiche Neuregelungen im Rahmen der kommunalen Konzessionsvergabe nicht notwendig seien. Sie erklären zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, welche bestehende Unklarheiten im kommunalen Vergabeverfahren geklärt hätten und aus denen konkrete Vorgaben für die Auswahlentscheidung hervorgingen. So müssten kommunale Unternehmen im Verfahren den anderen gleichgestellt werden und dürften sich nicht auf "das Privileg einer internen Vergabe" berufen – dies diene der "sachgerechten Auswahl des besten Bieters".
Justiz
OLG Hamburg zu "gebrauchten" E-Books: Das Hanseatische Oberlandesgericht entschied vergangenen März, dass digitale Bücher nicht ohne die Zustimmung des Rechtsinhabers weiter verkauft werden dürfen, so eine Meldung vom gestrigen Dienstag auf irights.info (David Pachali). Online-Händler dürfen somit in ihren AGB die Weiterveräußerung digitaler Inhalte verbieten – Verbraucherschützer hingegen hatten argumentiert, für digitale Bücher müsse das gleiche gelten, wie für analoge. Das OLG hat damit die Berufung der Verbraucherzentrale Bundesverband gegen eine entsprechende Entscheidung des Landgerichts Hamburg abgewiesen. Auf europäischer Ebene sei diese Frage allerdings noch nicht geklärt, ein niederländisches Gericht habe dem Europäischen Gerichtshof einen entsprechenden Fall zur Vorabentscheidung vorgelegt.
VG Stuttgart zu Winnenden: Das Verwaltungsgericht Stuttgart sprach einer ehemaligen Lehrerin an der Albertville-Realschule in Winnenden wegen des Amoklaufs im Jahr 2009 eine Entschädigung in Höhe von 80.000 Euro zu, außerdem werde sie künftig 80 statt 71 Prozent Ruhegehalt, ein erhöhtes "Unfallruhegehalt", erhalten. Das Land Baden-Württemberg hafte hier wegen eines "qualifizierten Dienstunfalls". Die Betroffene habe sich damals in Lebensgefahr befunden und sei nun dienstunfähig – im Jahr 2013 ging sie in den Ruhestand. Laut spiegel.de plane das Land gegen die Entscheidung vorzugehen. Auch die FAZ (Rüdiger Soldt) informiert über die Entscheidung.
LG Traunstein – Mord an Rentner: Am gestrigen Dienstag begann das Strafverfahren vor der Jugendkammer des Landgerichts Traunstein gegen einen damals 20-jährigen ehemaligen Bundeswehrsoldaten wegen des Verdachts des Mordes und des Mordversuchs. Der Angeklagte soll im Juli vergangenen Jahres einen Rentner durch mehrfache Messerstiche in Kopf und Oberkörper getötet und dessen Portemonnaie entwendet haben. Des Weiteren wird er verdächtigt, eine junge Frau mit einem Messer von hinten angegriffen zu haben – sie überlebte schwerverletzt. Der Heranwachsende werde sich, laut Verteidigung, nicht zu den Tatvorwürfen äußern. Dies schreibt die FAZ (Karin Truscheit).
Recht in der Welt
USA – Blackwater-Mitarbeiter: Das Bundesgericht in Washington hat vier ehemalige Mitarbeiter des US-Sicherheitsunternehmens Blackwater wegen der Tötung 14 irakischer Zivilisten im Jahr 2007 bei einem Einsatz in Bagdad verurteilt. Drei der Männer erhielten wegen Totschlags Freiheitsstrafen von jeweils 30 Jahren, der vierte Täter soll wegen Mordes lebenslänglich in Haft bleiben. Der Schuldspruch gegen die Verurteilten erging bereits im Oktober vergangenen Jahres – alle bekundeten bis zuletzt ihre Unschuld und kündigten an, in Berufung zu gehen. Dies berichten die SZ (Nicolas Richter), die FAZ (Andreas Ross) und die taz (Bernd Pickert).
Sonstiges
Fischer zu Ehrverletzungen: Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer stellt in seiner Kolumne auf zeit.de die Straftatbestände zur Ehrverletzung – insbesondere die Beleidigung – vor. Er erläutert, die Bedeutung des Rechtsguts "Ehre" für Gesellschaft und Strafverfolgung sowie dessen Wandel. Fischer moniert zudem, dass trotz der Relevanz der Ehre als "wichtiger Teil des normativen Kitts, der Gesellschaften zusammenhält", entsprechende Strafverfahren wohl auch bereits an "genervten Polizeibeamten" scheitern können. Er beleuchtet zudem die "Zeichen der Entehrung" im gesellschaftlichen Kontext.
Das Letzte zum Schluss
Richter am LG Stuttgart lästert über BGH: justillon.de (Arnd Diringer) weist auf ein Urteil mit "Kultstatus" des Landgerichts Stuttgart aus dem Jahr 1996 hin. Das Gericht wendet sich in der Entscheidung gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – die entsprechenden Argumente haben es ganz schön in sich. So bekundet der Stuttgarter Richter unter anderem, beim BGH handele es sich "um ein von Parteibuch-Richtern der gegenwärtigen Bonner Koalition dominierten Tendenzbetrieb, der als verlängerter Arm der Reichen und Mächtigen allzu oft deren Interessen zielfördernd in seine Erwägungen einstellt und dabei nicht davor zurückschreckt, Grundrechte zu missachten, wie kassierende Rechtsprechung des BVerfG belegt."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. April 2015: Betreuungsgeld verfassungswidrig? – Thomas Fischer zu Ehrverletzungen – Richter lästert über BGH . In: Legal Tribune Online, 15.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15237/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag