Das OLG Koblenz verurteilte einen syrischen Geheimdienstler zu einer lebenslangen Haftstrafe. Die StA München I hat gegen einen Geschäftspartner von Jan Marsalek Anklage erhoben. Hamburger Referendar:innen erhalten wegen Corona mehr Geld.
Thema des Tages
OLG Koblenz zu Folter in Syrien: Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 27-fachen Mordes und weiterer Delikte hat das Oberlandesgericht Koblenz den Syrer Anwar Raslan, der für die "Vernehmungen" und damit auch die Folter in einem vom Geheimdienst betriebenen Gefängnis verantwortlich war, zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Angeklagte sei für die Folterung von mindestens 4.000 Menschen in den Jahren 2011 und 2012 mitverantwortlich, bei denen mindestens 27 Menschen starben. Weil er hierdurch seine privilegierte Stellung zu erhalten trachtete, sei das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe erfüllt. Für den von der Verteidigung geltend gemachten entschuldigenden Notstand spreche nichts. R. hätte sich – früher, als dies tatsächlich geschehen ist – dem Regime entziehen können. Über die Entscheidung berichten FAZ (Julian Staib), SZ (Moritz Baumstieger/Lena Kampf), taz (Sabine am Orde), tagesschau.de (Frank Bräutigam) und LTO.
Reaktionen zur Entscheidung fassen LTO und spiegel.de zusammen. Die SZ (Ronen Steinke) stellt Klaus Zorn vor. Dessen Arbeit als Chef der "Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen" beim Bundeskriminalamt habe das jetzige Urteil maßgeblich ermöglicht. Die taz (Sabine am Orde/Dominic Johnson) beschreibt in einem weiteren Beitrag, wie der französische Kassationshof die Eröffnung eines vergleichbaren Verfahrens abgelehnt hatte, weil das syrische Recht "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" nicht kenne. Daneben wird darauf verwiesen, dass am Oberlandesgericht Frankfurt/M. in der nächsten Woche der Prozess gegen einen syrischen Arzt eröffnet werde, der an Folterungen beteiligt gewesen sein soll.
Dominic Johnson (taz) bezeichnet die Verurteilung "unumgänglich". Gleichzeitig sei es "beschämend", dass es zehn Jahre gedauert habe, "die internationale Straffreiheit für Syriens staatlichen Mordapparat zu brechen." Ronen Steinke (SZ) begrüßt die im Urteil zum Ausdruck gekommene Durchsetzung des Weltrechtsprinzips. Zwar sei dessen Einsatz durch die deutsche Justiz "durchaus nicht frei von politischen Eigeninteressen", wie das Unterlassen von Ermittlungen wegen Folter in Guantanamo belege. Gleichwohl gelte: "Je mehr, desto besser," weil nur so Risiken entstünden "für die Foltermeister, sich auf dem Globus frei zu bewegen." Auch für Reinhard Müller (FAZ) ist das Weltrechtsprinzip "ein Fortschritt". Verfahren wie das nun beendete seien aufwendig und stellten "eine rechtsstaatliche Herausforderung" dar. Doch immerhin müssten sich "mächtige Schlächter" die Gefahren vergegenwärtigen, sollten sie ihre Macht verlieren. Christian Rath (BadZ) hält die Wirkung des Urteils für "zwiespältig". Da derzeit nur syrische Deserteure mit Strafverfolgung zu rechnen haben, schrecke dies "zweifelnde Schergen der Diktatur" ab, überzulaufen.
Rechtspolitik
Innenpolitik: Für die Arbeit des Bundesministeriums des Innern und für Heimat sind im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition zahlreiche neue Projekte vorgesehen. Neben "kleinteiligen" Regelungen wie einer Kennzeichnungspflicht für Bundespolizisten steche hier vor allem eine mit den Ländern in Angriff zu nehmende externe Evaluierung der Sicherheitsarchitektur in Deutschland heraus, schreibt der wissenschaftliche Mitarbeiter Luca Manns auf LTO. Er macht geltend, dass der neue Ansatz auch das Beharrungsvermögen etablierter Spitzenbeamter, die im Ministerium häufig als "robuste Sicherheitshandwerker" zu bezeichnen seien, überwinden müsse.
Taxonomie und Atomkraft: In einem ausführlichen Interview mit dem Hbl (Silke Kersting/Dietmar Neuerer) lässt die neue Umwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) offen, ob sich Deutschland einer (von Österreich und Luxemburg angekündigten) EuGH-Klage gegen die Einstufung der Atomkraft als nachhaltige Engergie anschließen werden. Im Moment stehe im Vordergrund, eine klare politische Ablehnung zu den Plänen der EU-Kommission zu formulieren.
Justiz
LG München I – Wirecard/Aleksander V.: Die Staatsanwaltschaft München I hat die erste Anklage im Zusammenhang mit der Wirecard-Insolvenz fertiggestellt. Aleksander V., einem früheren Geschäftspartner des weiterhin flüchtigen Jan Marsalek, wirft sie 26 Fälle des besonders schweren Betrugs und weitere Delikte vor, berichten FAZ (Marcus Jung/Henning Peitsmeier) und LTO. Der Angeschuldigte solle "spätestens im Jahr 2019" dem Unternehmen Millionenbeträge zum eigenen Verbrauch entzogen haben. Über die Zulassung der Anklage befinde nun das Landgericht München I.
LG München I – Wirecard/Schadensersatz: Nach Informationen der SZ (Meike Schreiber/Klaus Ott) hat Michael Jaffe als Insolvenzerwalter von Wirecard Markus Braun, den früheren Vorstandschef des Unternehmens, auf 140 Millionen Euro Schadensersatz verklagt. Der untergetauchte Jan Marsalek sei ebenfalls als Beklagter benannt worden. Die Forderung werde mit Darlehen von Wirecard an ein Unternehmen in Singapur begründet.
EuGH zu Diesel-Grenzwerten: Europäische Städte können auch weiterhin eigenständig Fahrverbote für besonders schadstoffintensive Dieselfahrzeuge verhängen. Zwar wies der Europäische Gerichtshof – anders als das Gericht der Europäischen Union – nun eine von den Hauptstädten Paris, Brüssel und Madrid erhobene Klage gegen die Neufestlegung von Grenzwerten durch eine Verordnung der EU-Kommission wegen fehlender unmittelbarer Betroffenheit als unzulässig ab. Das Recht zur Verhängung umweltbedingter Fahrverbote bliebe hiervon jedoch unberührt. LTO berichtet.
EuGH zu Mehrarbeitszuschlägen: Tarifvertragliche Bestimmungen, nach denen bei der Kalkulation von Mehrarbeitszuschlägen ein genommener bezahlter Jahresurlaub nicht berücksichtigt wird, können gegen Unionsrecht verstoßen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof nach Berichten von LTO und tagesschau.de (Bernd Wolf) in einem deutschen Fall. Die beanstandete Regelung im Manteltarifvertrag für Zeitarbeit könne Arbeitnehmer davon abhalten, in Monaten mit Überstundenanfall tatsächlich auch Urlaub zu nehmen.
BVerfG-Rechtsprechung: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch unterzieht Rechtsprofessor Karl-Heinz Ladeur die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer Generalkritik. Entscheidungen zur Triage, der Bundesnotbremse oder auch der Klima-Beschluss offenbarten ein "grundsätzliches Misstrauen der Karlsruher Richter" gegenüber gesellschaftlicher Macht bei einem gleichzeitig großzügigen Verständnis einer exekutiven "Einschätzungsprärogative". Angesichts steigender "Ungewissheitsbedingungen" könne sich der Staat so für ein "Handeln unter Komplexitätsbedingungen" auf das Mantra "Unwissen ist Macht!" verlassen.
BVerfG – Ausländerzentralregister: Mit mehreren Klagen und einer Verfassungsbeschwerde will die Gesellschaft für Freiheitsrechte die Rechtmäßigkeit der umfangreichen Datensammlungen im Ausländerzentralregister angreifen. Die GFF stütze sich dabei auch auf ein Gutachten von Rechtsprofessor Matthias Bäcker, schreibt die SZ (Jan Bielecki).
LG Bonn – Cum-Ex/Warburg-Bank: Über das Geständnis eines Fondsmanagers der Warburg-Bank im Cum-Ex-Strafprozess am Landgericht Bonn berichtet nun auch das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) ausführlich. Der Zeuge habe beschrieben, wie er sich aus Furcht über negative Auswirkungen für seine Karriere über zunächst bestehende Bedenken zu den Steuerdeals hinweggesetzt habe.
LG Köln – Kindesmissbrauch: In einem Missbrauchsverfahren gegen einen katholischen Priester versuchte der ehemalige oberste Kirchenrichter des Erzbistums Köln dem Landgericht Köln als Zeuge seine frühere Untätigkeit zu erklären. Im nun zur Verhandlung stehenden Fall hatte die Staatsanwaltschaft bereits 2010 ermittelt und dann eingestellt, nachdem die mutmaßlichen Geschädigten – minderjährige Nichten des Angeklagten – nicht mehr aussagten. Der nun vernommene Zeuge habe gleichwohl sowohl die Einleitung eines kirchenrechtlichen Verfahrens unterlassen als auch die Meldung eines Verdachtsfalls an den Vatikan, schreibt die FAZ (Daniel Deckers).
Recht in der Welt
Polen/EU – EuGH-Zwangsgelder: Nach Bericht des Hbl (Mathias Brüggmann/Christian Herwartz) hat die EU-Kommission in der vergangenen Woche Polen schriftlich aufgefordert, ausstehende Strafzahlungen bis zum Dienstag der nächsten Woche zu begleichen. Widrigenfalls würden die offenen Beträge mit laufenden Zuwendungen der EU verrechnet. Die Forderungen beruhten auf Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in Vertragsverletzungsverfahren wegen eines Kohlebergwerks im polnischen Südwesten sowie wegen der Disziplinarkammer für Richter. Zu einem neuen Streitpunkt zwischen der EU und Polen könnten sich soeben verkündete Steuersenkungen entwickeln.
USA – Prinz Andrew: Andrew, der zweitälteste Sohn der britischen Königin, wird sich in dem in den USA bevorstehenden Zivilverfahren zum möglichen Missbrauch einer Minderjährigen "als Privatmann" verteidigen. Nach spiegel.de gab dies das Königshaus nun bekannt. Die militärischen Zugehörigkeiten und königlichen Schirmherrschaften des Herzogs seien der Königin zurückgegeben worden. Zuvor hatte ein New Yorker Bezirksrichter bestimmt, dass eine Vereinbarung der jetzigen Klägerin und dem mittlerweile verstorbenen Jeffrey Epstein aus dem Jahr 2009 einem Verfahren nicht im Weg stehe.
Nicaragua – Oppositioneller: Die taz (Ralf Leonhard) macht auf das Schicksal von Hugo Torres Jimenez aufmerksam. Wegen des Vorwurfs des Vaterlandsverrats war Torres im vergangenen Juni festgenommen worden. Als junger Mann hatte Torres 1974 mit einer spektakulären Aktion politische Gefangene des damaligen Diktators Somoza freipressen können, unter ihnen den heutigen Präsidenten des Landes, Daniel Ortega.
China – Corona: Die FAZ (Friederike Böge) berichtet über Beispiele drakonischer Strafen wegen Corona-Verstößen in China. So seien Mitarbeiter einer Logistikfirma zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, weil sie bei der Abfertigung von Tiefkühlkost gegen Seuchenschutzbestimmungen verstoßen hätten. Die Strafen und ihre propagandistische Nachbereitung dienten dem Versuch, zu beweisen, dass die Null-Covid-Strategie des Landes auch gegenüber der Omikron-Variante standhalte.
Juristische Ausbildung
Sonderzahlung im Referendariat: Wegen der besonderen Belastung durch Corona sollen Hamburger Referendare und Referendarinnen eine einmalige Sonderzahlung von 650 Euro erhalten. Der noch von der Bürgerschaft zu bestätigende Vorstoß der Landesjustizbehörde orientiert sich der Höhe nach an der im vergangenen Herbst erzielten Tarifeinigung im öffentlichen Dienst. LTO-Karriere (Marcel Schneider) berichtet.
Sonstiges
Rechte der Natur: Das Konzept sogenannter Eigenrechte oder auch Rechte der Natur hat als rechtspolitisches Thema mittlerweile Einzug auch in das Feuilleton gehalten. Der UmweltImRecht-Blog (Stefan Knauß/Andreas Gutmann/Julia Zenetti/Klaus Bosselmann) wirft einen Blick auf jüngste Beiträge. Die Autor:innen bezeichnen Eigenrechte als einen "wichtigen Impuls für die Ökologisierung des Rechts". Diese wiederum sei Bedingung für die Bewältigung der "immensen bestehenden ökologischen Herausforderungen."
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 14. Januar 2022: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47202 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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