Die juristische Presseschau vom 29. Oktober 2019: Re­form nach Thomas-Cook-Insol­venz? / Mit­tei­lungs­pflicht zu Steu­er­ge­stal­tungen / Pro­zess gegen Exxon Mobil

29.10.2019

Nach der jüngsten Reisekonzernpleite wird über adäquaten Versicherungsschutz nachgedacht. Außerdem in der Presseschau: Unternehmen müssen künftig extensive Steuergestaltungen melden und Exxon Mobil steht wegen Klimamodellen vor Gericht.

Thema des Tages

Versicherungsschutz nach Thomas-Cook-Pleite: Infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters Thomas Cook überprüft der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) nun die Erfolgsaussichten einer Musterfeststellungsklage gegen den Versicherer Zurich. Der VZBV wirft Zurich vor, der Versicherer müsse gewusst haben, dass die vorgesehene Deckungssumme von 110 Millionen Euro nicht für die Kostenerstattungs- und Rückbeförderungsansprüche der Reisenden ausreiche. Zurich sieht die Verantwortung dagegen bei Thomas Cook und beim Bund, gegen den aufgrund unzureichender Gesetze zum Schutz der Reisenden Staatshaftungsklage anzustrengen sei. Es berichtet die SZ (Anne-Christin Gröger/Nina Nöthling).

Dass die Bundesregierung jetzt eine Neuregelung der Entschädigungspflichten für Pauschalreisen auf den Weg bringen müsse, fordert Herbert Fromme (SZ). 2017, als zuletzt eine Gesetzesreform politisch möglich gewesen sei, habe sich die Bundesregierung zu sehr von der Versicherungswirtschaft beeinflussen lassen und die EU-Pauschalreiserichtlinie nur formal zugunsten der Reisebranche umgesetzt.

Rechtspolitik

Mitteilungspflicht für Steuergestaltungen: In einem Gastbeitrag für lto.de analysieren die Anwälte und Steuerberater Jörg Schrade und Martin Mohr ausführlich den aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, der die am 25. Juni 2018 in Kraft getretene EU-Richtlinie zur Meldepflicht für grenzüberschreitende Gestaltungen (DAC 6) umsetzt. Grenzüberschreitende Steuergestaltungen sind solche Fälle, in denen global tätige Unternehmen durch eine verknüpfte Anwendung der Steuergesetze verschiedener Länder, in denen sie tätig sind, die Steuerlast des Unternehmens insgesamt beträchtlich senken können. Um dem illegalen Ausnutzen von Gesetzeslücken vorzubeugen, hat der europäische Gesetzgeber nun sogenannte Intermediäre und Steuerpflichtige verpflichtet, "potenziell aggressive" grenzüberschreitende Steuergestaltungen den jeweiligen nationalen Steuerbehörden zu melden, wobei Verstöße mit Bußgeld geahndet werden sollen.

Aktives Behördeninformationsgesetz: Wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet, hat die Grünen-Fraktion im Bundestag einen Antrag zur Änderung des bestehenden Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) eingebracht. Demnach sollen Bundesbehörden, Ministerien und Kanzleramt künftig verpflichtet werden, amtliche Dokumente laufend im Internet zu veröffentlichen. Als einzige Bundestagsfraktion hält die Union hingegen an den bestehenden Regelungen fest, wonach die Daten nur auf Antrag an Einzelne zu übermitteln sind. Die Berliner Initiative für einen Volksentscheid zu einem Landestransparenzgesetz hat inzwischen ausreichend Unterschriften für einen Volksentscheid zu den entsprechenden Regelungen auf Landesebene gesammelt.

Unternehmenssanktionen: Wie das Hbl (Heike Anger) berichtet, sieht der aktuelle Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität nun nicht mehr die Möglichkeit der Firmenauflösung vor, wenn aus dem Unternehmen heraus beharrlich Straftaten begangen werden. Dagegen sollen bei Vergehen wie Betrug, Korruption oder Umweltdelikten Bußgelder von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes drohen. Umstritten ist weiterhin der Passus, wonach Unternehmen eine Milderung der Sanktionen erreichen können, wenn sie mit Strafverfolgungsbehörden kooperieren.

Mietrecht: Michael Fabricius (Welt) nimmt sich differenzierend nochmals die Diskussion um den Gesetzentwurf des Berliner Senats zum sogenannten Mietendeckel vor und hält fest: "Das Vorsorgeinteresse von Mietern und Vermietern ist verfassungsrechtlich gleich zu gewichten." Begrüßen würde er überdies, wenn nicht bundesweit das identische Mietrecht gelten würde, sondern insbesondere in Großstädten den Problemen im Spannungsfeld von Verdrängung und Modernisierung mit besonderen Regeln begegnet werden könne.

Justiz

OLG Koblenz zu Auslaufmodell: Laut lto.de hat das Oberlandesgericht Koblenz entschieden, dass kein Anspruch auf Ersatzlieferung aus einer aktuellen Modellreihe besteht, wenn sich der Autokäufer aus finanziellen Gründen bewusst für ein Auslaufmodell entscheidet. Im konkreten Fall betroffen war ein Wagen, in dem eine verbotene Abschalteinrichtung verbaut ist. Der Käufer hat die Nachlieferung eines Wagens aus der aktuellen Produktionsreihe gefordert, laut Gericht bezieht sich die vertraglich vereinbarte Beschaffungspflicht des Verkäufers jedoch auf das erworbene Modell.

AG Hamburg-Altona zu Cansu Özdemir: Das Amtsgericht Hamburg-Altona hat Cansu Özdemir, die Co-Vorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, verwarnt und ihr auferlegt, eine Geldspende 1.000 Euro an die "Hilfe für das behinderte Kind" zu leisten. Die Politikerin hatte im Jahr 2017 in einem Tweet die Flagge der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gepostet, was einen Verstoß gegen das Vereinsgesetz darstellte. Das Gericht sprach die Verwarnung unter dem Vorbehalt aus, dass, sollte Özdemir die Flagge innerhalb der nächsten zwei Jahre nochmals zeigen, eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen, in Summe 4.500 Euro, fällig würde. Es berichtet die taz-Nord (Gernot Knödler).

AG Würzburg zu Todesfahrt eines Heranwachsenden: Thomas Fischer mahnt auf spiegel.de an, die Entscheidung des Amtsgerichts Würzburg, das einen Heranwachsenden, der betrunken eine junge Frau mit seinem Auto getötet hatte, zu einer Geldstrafe verurteilte, möglichst nüchtern zu betrachten. Fischer erklärt ausführlich die Begründung des Schuldspruchs und korrigiert die zum Teil missverständliche Urteilsberichterstattung der Presse.

LG Berlin zu Arbeitnehmermitbestimmung: Der Rechtsanwalt Cornelius Wilk bespricht auf community.beck.de eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts Berlin aus dem vergangenen Monat, in der es um die Frage der Mitbestimmungsrechte im Aufsichtsrat eines Medienunternehmens, hier der Axel Springer SE, ging. In dem Fall war von der Rechtsform der Aktiengesellschaft (AG) in eine Societas Europaea (SE) gewechselt worden, wobei im Aufsichtsrat der AG bereits keine Arbeitnehmermitbestimmung vorgesehen war. Nach Auffassung des Gerichts bleibe eine mitbestimmungsfrei errichtete Tendenz-SE auch dann dauerhaft mitbestimmungsfrei, wenn das Unternehmen nachträglich seinen Tendenzschutz verliere.

LG Augsburg – Hinterziehungsmodell "Goldfinger": Ab dem 13. November 2019 beginnt die Hauptverhandlung gegen zwei Steueranwälte aus München vor dem Landgericht Augsburg wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung. Die Anwälte sollen ein illegales Steuersparmodell namens "Goldfinger" über eine eigens gegründete Beratungsgesellschaft betrieben haben und dadurch laut Bundesrechnungshof für Steuerausfälle in dreistelliger Millionenhöhe verantwortlich sein. Wie die FAZ (Marcus Jung) berichtet, drohen den Juristen im Fall einer Verurteilung lange Haftstrafen.

LG Bonn – Cum-Ex: Wie das Hbl (René Bender/Sönke Mersen/Volker Votsmeier) berichtet, tritt ab dem heutigen Dienstag im Prozess um den Steuerskandal Cum-Ex vor dem Landgericht Bonn der Kronzeuge Benjamin Frey auf, für dessen Aussage drei Tage eingeplant sind. Frey war der erste, der den Behörden von dem Cum-Ex-Skandal ausführlich berichtete. Im Zuge des Skandals wurde Frey in anderen Verfahren selbst als Beschuldigter geführt.

EGMR zu verweigerter Notfallbehandlung: Laut taz Nord (Jan Zier) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Beschwerde wegen einer verweigerten Notfallbehandlung im Klinikum Bremen-Ost und daraufhin eingestellten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft als unzulässig abgelehnt. Der Sohn der Geschädigten hatte wegen mutmaßlich mangelhafter Ermittlungen gegen die Bundesrepublik geklagt.

Tod von Klaus Offerhaus: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) meldet den Tod des Steuerrechtlers und Finanzrichters Klaus Offerhaus. Dieser war von 1994 bis 1999 Präsident des Bundesfinanzhofs, wobei er sich vor allem für einen effektiven Rechtsschutz einsetzte. Als anerkannter Steuerrechtswissenschaftler habe er außerdem immer wieder für eine Vereinfachung des Steuerrechts plädiert.

Recht in der Welt

USA – Exxon Mobil: In New York hat der Prozess gegen den Mineralölkonzern Exxon Mobil wegen des Verdachts der Anlegertäuschung begonnen. Laut Anklage hat der Konzern intern und öffentlich mit zwei unterschiedlichen Szenarien operiert, was künftige Einbußen bei den Unternehmensgewinnen durch staatliche Klimaschutzpolitik betrifft. Der Prozess werde von Klimaschutzaktivisten als Verhandlung über das Ausmaß der Haftung des Konzerns für die Erderwärmung angesehen, so spiegel.de (Ines Zöttl).

Türkei – Justizreform: Die türkische Regierung hat nun laut spiegel.de (Anna-Sophie Schneider) eine erneute Justizreform angekündigt, wonach Strafprozesse schneller durchgeführt, das Recht auf Akteneinsicht für die Verteidigung verbessert und lange Untersuchungshaft künftig vermieden werden sollen. Für Fälle, die die Meinungsfreiheit betreffen, soll grundsätzlich die Berufung zugelassen werden.

Großbritannien – Brexit und EUV: Auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) nimmt der schwedische Politikberater Andreas Eka in den Blick, ob das Austrittsabkommen der EU mit Großbritannien in seiner derzeitigen Form überhaupt mit Art. 50 Vertrag über die Europäische Union (EUV), der den Austritt von Mitgliedstaaten regelt, vereinbar ist. Er betrachtet dabei insbesondere die Frage, ob ein Abkommen nach Art. 50 Abs. 2 EUV nur den Austritt als solchen regelt und die Regelung der künftigen Beziehungen möglicherweise den Rechtsgrundlagen unterfällt, die Abkommen der EU mit Drittstaaten vorsehen.

Belgien – Marc Dutroux: Im Fall des 2004 wegen Mordes an zwei Mädchen und einem Komplizen sowie mehrfachen sexuellen Missbrauchs verurteilten Verbrechers Marc Dutroux hat ein Gericht in Brüssel nun auf Antrag des Anwalts Bruno Dayez ein neues psychiatrisches Gutachten zugelassen. Der Anwalt strebt darüber eine vorzeitige Haftentlassung nach 25 Jahren Haft an, was in der belgischen Öffentlichkeit auf Kritik stößt. Es berichtet spiegel.de.

Sonstiges

BRAK und beA: lto.de (Hasso Suliak) stellt das neue Präsidium und insbesondere den neuen Vizepräsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer, Christian Lemke, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Informationstechnologierecht und auch Mitglied der Fachausschüsse Europa und IT-Recht der BRAK, vor. Mit seiner neuen Rolle als Vizepräsident falle auch das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) in Lemkes Zuständigkeit. Damit sei hier mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit zu erwarten, auch und insbesondere, was die geschlossenen Verträge mit dem künftigen Dienstleister für das beA betreffe.

Brexit und Staatsangehörigkeitsrecht: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt-Rechtsboard befasst sich der Anwalt Gunther Mävers mit Fragen des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts im Hinblick auf einen möglichen Brexit. So sei etwa unklar, ob Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit nach einem Austritt Großbritanniens eine Beibehaltungsgenehmigung nach § 25 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz beantragen müssten. Er nimmt dabei auch das Brexit-Übergangsgesetz vom 27. März 2019 in den Blick und hält fest, dass das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht sowohl für einen geregelten als auch für einen ungeregelten Brexit gerüstet sei.

EZB-Politik: Aus Anlass der Erneuerung von Europäischem Parlament, Kommission und Europäischer Zentralbank in diesem Jahr mahnt der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof im FAZ-Einspruch an, dass sich die Institutionen dringend einigen Grundfragen stellen müssten. Er kritisiert die bisherige Politik der EZB, da diese Grundsatzfragen der Demokratie aufwerfe. Die EZB nehme parlamentarische Aufgaben der Umverteilung von Geldeigentum wahr, organisiere neuartige Finanzstrukturen in der Europäischen Union, die einer Vertragsänderung vorbehalten seien und verändere ihren eigenen, ihr rechtlich zugewiesenen Auftrag in einer Art Selbstermächtigung. Außerdem übe sie eine Bankenaufsicht und damit typische Verwaltungstätigkeiten aus. Für all diese Tätigkeiten fehle der EZB die Kompetenz.

KI und Recht: In einem Gastbeitrag auf lto.de weist Rechtsprofessor Karsten Gaede auf die Herausforderungen hin, die sich aus der Entwicklung sogenannter starker Künstlicher Intelligenz (KI) ergeben können. Der Status der KI, die möglicherweise ihre Autonomie behauptet, sei zu klären. Der Autor statuiert: "Verweigern wir der starken KI Rechte, müssten wir damit rechnen, dass sie uns unablässig mit ihrer Forderung nach Gleichstellung konfrontieren wird." Auch deshalb könne die intensive Forschung an Künstlicher Itelligenz nicht weiter dem privaten Sektor überlassen bleiben.

Geschmackssache: lto.de berichtet über einen Streit der italienischen Behörden mit dem britischen Chipshersteller Pringles über die Geschmacksrichtung "Prosecco", einer geschützten Ursprungsbezeichnung. Die Behörde beschlagnahmte die Dosen und stützte ihr Vorgehen auf die EU-Verordnung über die Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (VO 1151/2012).

Das letzte zum Schluss

AG München zu Trunkenheit an Bord: Wer nicht mehr gehen kann, kann auch nicht fliegen. lto.de berichtet über ein Urteil des Amtsgerichts München, das die Entscheidung einer Airline, einen sichtlich alkoholisierten und entsprechend torkelnden Passagier für fluguntauglich zu erklären und daher nicht auf einen Langstreckenflug zu lassen, für rechtmäßig erklärt hat.


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lto/man/cc

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. Oktober 2019: Reform nach Thomas-Cook-Insolvenz? / Mitteilungspflicht zu Steuergestaltungen / Prozess gegen Exxon Mobil . In: Legal Tribune Online, 29.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38433/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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