Der zweite Strafkammertag zeigt weiteren Reformbedarf der StPO. Außerdem in der Presseschau: Abu Walaas Anwalt im Visier der Ermittlungsbehörden, Kritik an politisch aktivem Berliner Landgericht und saudische Frauen dürfen bald Auto fahren.
Thema des Tages
Reform der Strafprozessordnung: Fast 80 Strafsenats- und Strafkammervorsitzende setzen sich auf dem zweiten Strafkammertag dafür ein, dass der Gesetzgeber die Reform der Strafprozessordnung weiter verfolgt. Sie erarbeiten Vorschläge, die bereits in die Koalitionsverhandlungen einfließen sollen. lto.de (Annelie Kaufmann) spricht mit Clemens Lückemann, dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Bamberg, über die Erfolge des ersten Strafkammertags und darüber, an welchen Punkten weiterhin Reformbedarf bestehe. Ziel sei ein praxisgerechtes Strafverfahren. Strafrichter hatten mit dem Strafkammertag im vergangenen Jahr einen Raum geschaffen, um über nötige Reformen der Strafprozessordnung zu diskutieren und Vorschläge für die damals anstehende Änderung auszuarbeiten.
Die Ministerialdirektorin des Bundesjustizministeriums stellte auf dem Strafkammertag ministeriale Reformideen zum Strafverfahren vor. Reformbedürftig seien etwa der Mündlichkeitsgrundsatz sowie die Konzentrationsmaxime, schreibt die FAZ (Constantin van Lijnden).
Rechtspolitik
Übergroßer Bundestag: Mangelnder Reformwille der Politiker habe dazu geführt, dass nun 709 Abgeordnete im Bundestag säßen: tagesschau.de (Jens Eberl) erklärt, welche Regelungen des deutschen Wahlsystems einen "XXL-Bundestag" bedingten und gibt Reformvorschläge des Politikwissenschaftlers Joachim Behnke wieder.
Mitbestimmung der Arbeitnehmer: "Ein heißes Eisen. Zur Entstehung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer" lautet der Titel des im vergangenen Mai erschienenen Buchs von Christian Testorf. In ihrer Rezension erinnert die FAZ (Guido Thiemeyer) daran, wie deutsche Arbeitnehmer ihre Mitbestimmungsrechte erlangten. Testorfs Argumentation überrasche teilweise, allerdings sei es "kein geringes Verdienst", dass der Autor die politischen Verhandlungen um das Gesetz "in überzeugender Weise in die lange Debatte um die Wirtschaftsdemokratie in Deutschland" einzuordnen wisse.
Justiz
OLG Celle – Abu Walaa: Abu Walaas Anwalt hat am ersten Verhandlungstag im Verfahren gegen den mutmaßlichen IS-Repräsentanten und vier weitere Angeklagte Akteneinsicht in das Verfahren gegen den Kronzeugen Anil O. beantragt. Nachdem sich dessen Aussage gegen Walaa strafmildernd auf ein gegen ihn ergangenes Urteil ausgewirkt hatte, bestünden Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit. Die Anklage sieht Walaa als "Deutschlandrepräsentanten" des sogennannten "Islamischen Staats" (IS). Die FAZ (Alexander Haneke) fasst die Vorwürfe gegen die Angeklagten zusammen. Auch die taz berichtet.
BAW – Mutlu Günal: Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Abu Walaas Anwalt Mutlu Günal wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation. Den Verdacht brachte der Kronzeuge im Abu Walaa-Prozess Anil O. auf, der angab, Günal habe ihn bei der Ausreise zum IS nach Syrien beraten. spiegel.de (Jörg Diehl/Fidelius Schmid) und zeit.de (Daniel Müller) schildern die Vorwürfe und verweisen dabei auch auf Unstimmigkeiten bei O.s Aussage. So bestehe die Möglichkeit, dass er Günal aus Rache beschuldigte, weil dieser sein Mandat ablehnte.
LG Berlin zur Mietpreisbremse: "Wenn Richter entscheiden, machen sie manchmal damit zwangsläufig Politik. Aber es ist nicht ihre Aufgabe, Politik zu machen, ohne zu entscheiden", moniert Jost Müller-Neuhof (Tsp) anlässlich eines Beschlusses des Landgerichts Berlin zur Mietpreisbremse. Dieser habe kurz vor der Wahl "das sozialdemokratische Vorzeigeprojekt", so Müller-Neuhof, "zermahlen". "Möglich also, dass es vom Berliner Landgericht klüger und fairer gewesen wäre, sich in dieser politisch erhitzten Phase die Pressearbeit zu verkneifen."
BGH – Mieterschutz: Reichen Nachteile für die Schwestergesellschaft des Vermieters aus, um ihm ein Kündigungsrecht gegen seine Mieter zu gewähren? Mit dieser Frage wird sich der Bundesgerichtshof am heutigen Mittwoch befassen. Im vorliegenden Fall will eine Immobilienfirma ihren Mietern kündigen, um das streitgegenständliche Mietshaus abzureißen und für das Modehaus der Schwestergesellschaft Platz zu schaffen. Die Tragweite des Falls beschreibt die SZ (Wolfgang Janisch).
Krise in der Justiz: "Wird der Rechtsstaat kaputt gespart?" swr.de (Klaus Hempel) setzt sich damit auseinander, wie die Justiz durch Personalmangel in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt werde. Unter anderem der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Jens Gnisa, und Tobias Wagner, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Karlsruhe, teilen ihre Einschätzung zur Belastung der Justiz mit.
EGMR zu privater Internetnutzung: Rechtsanwalt Boris Dzida befasst sich für die FAZ mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur privaten Internetnutzung durch Arbeitnehmer vom Anfang dieses Monats. Er ermuntert Arbeitgeber dazu, das Transparenzgebot des EGMR bereits zu berücksichtigen, nachdem auch die ab Mai 2018 geltende EU-Datenschutzgrundverordnung mehr Transparenz fordern werde. Dzida erinnert zudem an das Sondervotum.
Recht in der Welt
Saudi-Arabien – Frauen am Steuer: Saudischen Frauen wird es ab Juni des kommenden Jahres voraussichtlich erlaubt sein, den Führerschein zu machen. Dies sieht ein Dekret des saudischen Königs vor, meldet zeit.de. Menschenrechtler kämpften seit mehr als 30 Jahren für dieses Recht.
EU/Vereinigtes Königreich – Brexit: Großbritannien will sich mit dem EU-Austritt auch von der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs lösen. Welche Probleme dies aufwirft, beschreiben die Rechtsanwälte Luidger Röckrath und Simon Fischer auf lto.de ausführlich.
EU – Rechtsstaatlichkeit: Auf verfassungsblog.de erläutert Ireneusz Paweł Karolewski, Professor für Politikwissenschaft, die Schwierigkeiten der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Es fehlten eine klare Definition sowie festgelegte Folgen, wenn ein Mitgliedstaat die Rechtsstaatlichkeit verletze.
Türkei – Säkularismus: "Rethinking Turkish Secularism: Towards 'Unofficial' Islamic Constitutionalism?" In englischer Sprache schildert Verfassungsrechtler Cem Tecimer auf verfassungsblog.de seine Vermutung, dass die Türkei ihren Säkularismus zugunsten einer säkularen Verfassung "with a flavor of Islam" wandele.
Türkei – Cumhuriyet: Auch die taz (Gülten Sari) teilt nun mit, dass ein türkisches Gericht den im Cumhuriyet-Prozess angeklagten Kolumnisten Kadri Gürsel am vergangenen Montag aus der Untersuchungshaft freiließ. Zudem habe das Gericht "Probleme bei den Anklageschriften" zugegeben. Die vernommenen Zeugen betonten, die angeklagten Cumhuriyet-Journalisten seien keine Gülen-Anhänger.
Spanien – katalanische Unabhängigkeit: Der Professor für Öffentliches Recht Andrés Boix Palop widmet sich auf verfassungsblog.de in einer dreiteiligen Serie Kataloniens Wunsch nach Unabhängigkeit. Im ersten Teil zeichnet er (in englischer Sprache) die bisherigen Versuche der katalanischen Separatisten nach.
Kroatien – "Kapetan Dragan": Ein kroatisches Gericht hat den ehemaligen serbischen Milizenführer Dragan Vasiljković, alias "Kapetan Dragan", zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Er soll verantwortlich sein für den Tod des deutschen Journalisten Egon Scotland im Jahr 1991 und für die Misshandlung von Gefangenen in Knin. Die SZ (Hans Holzhaider) fasst das Urteil zusammen.
Irland – Schwangerschaftsabbruch: Sollen irische Frauen grundsätzlich abtreiben dürfen? Irische Bürger dürfen im Mai oder Juni 2018 in einem Referendum über das Abtreibungsgesetz abstimmen. Bisher sind Abtreibungen in Irland verboten. zeit.de skizziert die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch.
Irak – kurdische Unabhängigkeit: Die Kurden im Nordirak haben in ihrem Referendum dafür gestimmt, sich mit der kurdischen Autonomieregion unabhängig zu machen. Die irakische Zentralregierung hatte die Abstimmung abgelehnt. Der türkische Präsident Erdoğan warnt vor einem "ethnischen Krieg" und wirtschaftlichen Sanktionen, wie focus.de meldet.
USA – Einreiseverbot: Nachdem US-Präsident Donald Trump nun die Einreiseverbote überarbeitet hat, wird sich der U.S. Supreme Court am 10. Oktober nicht mit der Verfassungsmäßigkeit der bisherigen Versionen der Einreisestopps befassen. Wie zeit.de notiert, sei dies allerdings noch zu einem späteren Zeitpunkt möglich.
Sonstiges
Neuer Bundestag: tagesschau.de (Frank Bräutigam) stellt in Frage-Antwort-Form vor, wie das Grundgesetz die Übergangszeit zwischen altem und neuem Bundestag regelt.
Neuwahlen wären "die Via Mala für die Demokratie, mit unberechenbaren Risiken", warnt Heribert Prantl (SZ). Um diesen Weg zu vermeiden, stellt er eine Lösung für die Krux der "Jamaika"-Koalition – die Flüchtlings-Obergrenze – vor.
Right Livelihood Award für Menschenrechtler: Der Right Livelihood Award, auch "Alternativer Nobelpreis", geht dieses Jahr an zwei Menschenrechtsanwälte, einen Umweltrechtler und eine investigative Journalistin. Die taz (Reinhard Wolff) porträtiert die Ausgezeichneten.
Das Letzte zum Schluss
Zur falschen Zeit am falschen Ort: Ein junger Mann aus Bremen wollte wohl gediegen in seine Studienfahrt starten und nutzte die Pause am Rastplatz, um sich einen Joint zu bauen. Dafür suchte er sich allerdings nicht den besten Ort aus – zwei Zollbeamte erwischten ihn direkt neben ihrem Dienstfahrzeug, meldet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. September 2017: Reformbedürftige StPO / Keine Politik durch Gerichte / Saudische Frauen am Steuer . In: Legal Tribune Online, 27.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24727/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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