Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. November 2025: Pro­zess­be­ginn gegen Mann­heimer Amok­fahrer / EU-Rückzug bei Chat­kon­trolle / VG Berlin zu Bun­des­tags-Haus­aus­weis

03.11.2025

Alexander S. ist am LG Mannheim wegen Mordes angeklagt. Die dänische EU-Präsidentschaft verzichtet auf eine EU-Regelung zur verpflichtenden Chatkontrolle. Der Entzug des Bundestags-Hausausweises eines AfD-Mitarbeiters bleibt bestehen.

Thema des Tages

LG Mannheim – Amokfahrt von Mannheim: Am Landgericht Mannheim hat der Strafprozess gegen den Amokfahrer begonnen, der am Rosenmontag mit mindestens 80 Stundenkilometern durch die Mannheimer Fußgängerzone raste und dabei zwei Menschen tötete und vierzehn weitere verletzte. Alexander S. ist angeklagt wegen zweifachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes. Laut seinem Verteidiger handelte er aus einer seelischen Krise heraus, getrieben von Wut und Selbstzweifeln, S. habe erwartet, bei der Tat selbst getötet zu werden. Es wird eine psychische Erkrankung vermutet, die seine Schuldfähigkeit beeinflussen könnte. S. soll auch an Reichsbürger-Versammlungen teilgenommen haben. Bei einer Verurteilung droht lebenslange Haft oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Es berichten Sa-FAZ (Rüdiger Soldt), spiegel.de (Julia Jüttner), tagesschau.de (Christoph Kehlbach u.a.) und beck-aktuell.

Rechtspolitik

Chatkontrolle: Die dänische EU-Ratspräsidentschaft verzichtet auf die Einführung einer verbindlichen Chatkontrolle von verschlüsselter Kommunikation zur Suche nach Kinderpornografie. Stattdessen soll die seit vier Jahren von der EU übergangsweise erlaubte freiwillige Chatkontrolle von unverschlüsselter Kommunikation durch die Internetprovider von der EU dauerhaft erlaubt werden. Ob es hierfür eine Mehrheit gibt, ist unsicher. Sa-FAZ, Sa-taz (Svenja Bergt) und netzpolitik.org (Andre Meister) berichten.

Justizausgaben: Eine Studie des ifo-Instituts im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, über die LTO berichtet, zeigt, dass Deutschland bei den Justizausgaben im europäischen Mittelfeld liegt, die Entwicklung der Justizhaushalte dabei aber weitgehend undynamisch verläuft. Trotz wachsendem Personalbedarf und strukturellen Problemen wie Personalmangel und langsamen Verfahren fehle eine gezielte politische Steuerung der Mittelverwendung. 

Kinder-Umweltrechte: Laut einer Studie des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (Ufu) setzt Deutschland umweltbezogene Kinderrechte aus völkerrechtlichen Verträgen nicht ausreichend um. Die Studie verweist auf die Allgemeine Bemerkung Nr. 26 des UN-Kinderrechtsausschusses, der ein Recht von Kindern auf eine gesunde Umwelt, auf Information und Beteiligung in Umweltbelangen postuliert. Christian Rath (Mo-taz), der die Ufu-Studie vorstellt und bewertet, kommt zum Schluss, dass eine mächtige Jugendumweltbewegung wie "Fridays for Future" aus vielen Gründen an Relevanz verloren hat, aber nicht, weil Deutschland Kinderrechte zur Beteiligung in Umweltfragen nicht korrekt umgesetzt hat. 

Justiz

VG Berlin zu Bundestags-Hausausweis: LTO (Hasso Suliak) berichtet über die Eil-Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin, mit der bestätigt wurde, dass dem ehemaligen AfD-Abgeordneten Ulrich Oehme der Bundestagsausweis zu Recht verweigert wurde, weil dessen enge Kontakte zu russischen Staatsangehörigen als sicherheitskritisch eingestuft wurden. Das Gericht sah durch diese Verbindungen konkrete Risiken für die Arbeitsfähigkeit des Bundestags und bestätigte die Ablehnung der Zugangsberechtigung durch die Parlamentsverwaltung. Oehme ist heute Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Edgar Naujok.

EuGH – Leistungsstreichung für Dublin-Flüchtlinge: Rechtsprofessor Constantin Hruschka begrüßt auf LTO die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH, die einen angemessenen Lebensstandard für Asylsuchende auch im Dublin-Verfahren einfordern. Er kritisiert die deutsche Praxis des automatischen Leistungsausschlusses nach Zustellung eines Dublin-Bescheids als unionsrechtswidrig, da sie grundlegende Bedürfnisse wie Kleidung, Unterkunft und Geldleistungen missachtet. Hruschka warnt, dass geplante Regelungen im Rahmen des reformierten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ebenfalls gegen EU-Recht verstoßen könnten, wenn sie diesen Mindeststandard nicht sicherstellen.

BVerfG zum kirchlichen Arbeitsrecht: Nun analysiert auch die wissenschaftliche Mitarbeiterin Linda Krewerth im Verfassungsblog die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht. Das BVerfG versuche, die Anforderungen des EuGH in sein eigenes Prüfprogramm zu integrieren, ohne dabei die Autonomie der Kirchen grundlegend infrage zu stellen. Dabei werde das bisherige Modell der "Dienstgemeinschaft" relativiert, indem nun ein objektiver Zusammenhang zwischen Religionszugehörigkeit und konkreter Tätigkeit gefordert wird. Die Autorin sieht in der Entscheidung einen Balanceakt zwischen unionsrechtlicher Anpassung und dem Festhalten an verfassungsrechtlichen Traditionen, wobei Rechtsunsicherheiten für kirchliche Beschäftigte bestehen bleiben.

OLG Bremen zu Einziehung bei illegalem Glücksspiel: Das Oberlandesgericht Bremen hat entschieden, dass bei illegalem Glücksspiel nicht nur der Nettogewinn, sondern die gesamte Summe der Einsätze eingezogen werden darf. Maßgeblich ist das sogenannte Bruttoprinzip, wonach alle Vermögenswerte, die dem Täter in irgendeiner Phase der Tat tatsächlich zugeflossen sind, als "erlangt" gelten. Auch ausgezahlte Gewinne ändern nichts an der Verfügungsgewalt des Täters über die Einsätze, da Spieler keinen einklagbaren Anspruch auf Auszahlung haben. beck-aktuell berichtet.

OLG Frankfurt/M. zu Handy-Mobilfunk-Bundle-Vertrag: Wenn ein Handy-Anbieter beim Verkauf eines Handys im Bundle auch den Abschluss eines Mobilfunkvertrags ermöglicht, haftet der Handy-Anbieter nicht für Vertragsklauseln, die ausschließlich den Mobilfunkvertrag betreffen. Das hat laut beck-aktuell das Oberlandesgericht Frankfurt/M. entschieden. Verwender dieser Klauseln sei das Mobilfunkunternehmen.

OLG Rostock zu Rücknahme der Berufung des Streithelfers: Das Oberlandesgericht Rostock hat laut beck-aktuell entschieden, dass die Hauptpartei eine Berufung, die allein vom Streithelfer eingelegt wurde, wirksam zurücknehmen kann. Die Berufung gilt prozessual als Rechtsmittel der Hauptpartei, weshalb sie auch über deren Rücknahme entscheiden darf. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt in diesem Fall der Streithelfer, da er das Risiko der Prozessführung übernommen hat.

LG Fulda zu Tötung des eigenen Babys: Das Landgericht Fulda hat eine 35-jährige Frau wegen Totschlags an ihrem neugeborenen Kind zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie das Baby kurz nach der Geburt in einer öffentlichen Toilette tötete und die Leiche in einer Gefriertruhe versteckte. Die Kammer ging von einem minderschweren Fall aus und berücksichtigte dabei die psychische Ausnahmesituation der Mutter sowie ihre schwierige familiäre Lage. spiegel.de und beck-aktuell berichten. 

LG Hamburg zu Rammstein: Das Landgericht Hamburg hat der Konzertbesucherin Shelby Lynn verboten, weiterhin zu behaupten, ihr seien bei einem Rammstein-Konzert in Vilnius im Mai 2023 bei einer von der Band organisierten Party Drogen in den Drink gemischt worden. Da die Behauptung ehrverletzend sei, treffe Shelby Lynn die Darlegungs- und Beweislast für die Richtigkeit der Aussage und dieser sei sie nicht nachgekommen. t-online.de berichtet. 

LG Köln zu Wegerecht mit Tor: Das Landgericht Köln hat entschieden, dass ein Tor auf einem Weg mit eingetragenem Wegerecht keine unzulässige Beeinträchtigung darstellt, solange der Zugang weiterhin möglich ist. Soweit das Tor jedoch den im Grundbuch garantierten Zugang von 1,5 Meter Breite beschränke, galt die allgemeine Gewährleistungsfrist, so dass ein Abhilfe-Anspruch im konkreten Fall wegen Verjährung ausgeschlossen war. LTO berichtet.

StA Berlin – "Deutschland erwache": Ex-Bundesrichter Thomas Fischer kritisiert auf spiegel.de die pauschale Empörung über die Ermittlungsmaßnahmen der Berliner Staatsanwaltschaft im Fall Norbert Bolz und fordert eine differenzierte rechtliche Prüfung, insbesondere zur Verhältnismäßigkeit. In dem Fall geht es um die Nutzung des Ausdrucks "Deutschland erwache" in einem Social-Media-Post. Angesichts der aktuellen Debatte warnt Fischer allerdings auch davor, NS-Symbole durch ironische oder kritische Nutzung im gesellschaftlichen Diskurs zu normalisieren.

Recht in der Welt

Lettland – Istanbul-Konvention: Das lettische Parlament hat in der vergangenen Woche beschlossen, dass das Land die so genannte Istanbul-Konvention des Europarats zum Schutz von Frauen vor Gewalt verlässt. Begründet wird der Schritt damit, dass das Übereinkommen Ausdruck einer Gender-Ideologie sei, die Geschlecht als gesellschaftliches Konstrukt und nicht als biologische Realität betrachte, erläutert die Sa-FAZ (Niklas Zimmermann).

Stephan Löwenstein (Sa-FAZ) zeigt ein gewisses Verständnis für die Entscheidung des lettischen Parlamentes, auch wenn es "keine schöne Nachbarschaft" sei, in die sich Lettland nun begebe, weil auch die Türkei unter dem zunehmend despotisch agierenden Präsidenten Erdoğan diesen Schritt gegangen sei und Russland und Aserbaidschan gar nicht erst unterzeichnet hätten. Löwenstein weist darauf hin, dass es aber auch in anderen europäischen Ländern Vorbehalte in Bezug auf die Definition eines sozialen Geschlechtes gebe. "Man hätte gut daran getan, dieses wichtige Dokument damit nicht zu überfrachten", schreibt er.

Estland – russisch-orthodoxe Kirche: Diplom-Jurist Frederik Looft beschreibt auf LTO, wie Estland mit einem neuen Gesetz versucht, den Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche zu begrenzen, da diese als potenzielles Propagandainstrument Moskaus gilt. Die Regierung will die kirchenrechtliche Bindung der Estnischen Orthodoxen Kirche an das Moskauer Patriarchat kappen, stößt dabei aber auf Widerstand der Geistlichen und verfassungsrechtliche Bedenken des estnischen Präsidenten, der in dem Gesetz einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Glaubensfreiheit sieht und es dem Staatsgericht zur Prüfung vorgelegt hat. 

USA – KI-Training/Game of Thrones: Über eine aktuelle Sammelklage, in der mehrere US-Autorinnen und Autoren OpenAI und Microsoft vorwerfen, ihre urheberrechtlich geschützten Werke ohne Erlaubnis zum Training von KI-Modellen verwendet zu haben, berichtet beck-aktuell. Es geht um KI-generierte Fortsetzungen des Fantasy-Hits "Game of Thrones". Die Kläger argumentieren, dass die KI-Ausgaben den Originalwerken in wesentlichen Punkten ähnelten. Das US-Bundesgericht prüft nun, ob die Nutzung unter die "Fair Use"-Doktrin fällt.

Catarina de Albuquerque: Rechtsprofessor Pierre Thielbörger würdigt in seinem Nachruf im Verfassungsblog das Lebenswerk von Catarina de Albuquerque, die als UN-Sonderberichterstatterin maßgeblich zur Anerkennung der Menschenrechte auf Wasser und Sanitärversorgung beitrug. Thielbörger betont ihren praktischen Einsatz, ihre Zusammenarbeit mit Staaten und privaten Akteuren sowie ihren nachhaltigen Einfluss auf die globale Menschenrechtspolitik.

Sonstiges

Prozessfinanzierer und Anwaltskanzleien: Christopher Bogart, CEO des weltgrößten Prozessfinanzierers Burford Capital, erklärt im Interview mit dem Hbl (Laura de la Motte), warum sein Unternehmen künftig verstärkt in Anwaltskanzleien investieren will: Der technologische Wandel zwinge Kanzleien zu hohen Investitionen, die mit traditioneller Partnerfinanzierung kaum zu stemmen seien. Burford strebe dabei langfristige, passive Beteiligungen an, ohne Einfluss auf die juristische Arbeit nehmen zu wollen.

"Deutsche Dogmen": Ex-Bundesrichter Thomas Fischer verreißt auf LTO Reinhard Müllers Buch "Deutsche Dogmen" als eine lose Sammlung persönlicher Meinungen. Nur drei der 20 angeblichen Dogmen könnten tatsächlich als Dogmen eingestuft werden. Fischer bemängelt den fehlenden analytischen Tiefgang und sieht in Müllers Texten eher Frustration als fundierte Kritik. Insgesamt hält er das Werk für unstrukturiert und wenig erhellend – eine Sammlung von Spontaneinfällen unter dem Motto "Was mir heute missfallen hat". 

Juristische Karrieren: beck-aktuell (Jannina Schäffer) stellt das Buch "Neue Briefe an junge Juristinnen und Juristen" vor, in dem persönliche Lebenswege und Ratschläge von 33 Juristinnen und Juristen gesammelt wurden, die neue Perspektiven auf juristische Karrieren eröffnen. Die Beiträge reichen von motivierenden Lebensgeschichten bis hin zu reflektierten Essays über Recht, Gesellschaft und persönliche Entwicklung. Autor:innen sind u.a. EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott, BGH-Präsidentin Bettina Limperg und Fußball-Schiedsrichter Felix Brych. 

Lea Beckmann: Lea Beckmann spricht im "Most Wanted"-Interview mit LTO (Stefan Schmidbauer) über ihre Arbeit bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die Reformbedürftigkeit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und die Herausforderungen beim Schutz vor Diskriminierung, insbesondere durch staatliches Handeln und Künstliche Intelligenz. Sie betont die Bedeutung einer gerechten Gesellschaft, kritisiert strukturelle Defizite in der juristischen Ausbildung und plädiert für mehr Ressourcen zur wirksamen Bekämpfung von Diskriminierung.

Rechtsgeschichte – "Reichsbanner": Martin Rath beschreibt auf LTO die Geschichte und rechtliche Nachwirkungen des "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", eines republikanischen Wehrverbands der Weimarer Republik, dessen Mitglieder nach 1945 teils Wiedergutmachung für NS-Verfolgung erhielten. Er zeigt anhand juristischer Einzelfälle, wie komplex und teils widersprüchlich die Anerkennung politischer Verfolgung im Beamten- und Entschädigungsrecht verlief.

 

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LTO/pf/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. November 2025: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58517 (abgerufen am: 07.11.2025 )

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