Justizministerin Hubig plant die Einführung einer neuen Rechtsform "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen". Das LG Karlsruhe stellte das Verfahren gegen drei Sozialarbeiter ein. In Prüfungskommissionen sitzen überproportional viele Männer.
Thema des Tages
Verantwortungseigentum: Hbl (Heike Anger) und LTO berichten über einen Vorstoß von Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) zur Einführung einer "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen", die nachhaltiges und verantwortungsvolles Wirtschaften fördern soll. Vor allem mittelständische Betriebe ohne familiäre Nachfolge könnten von dieser Reform profitieren, da Gewinne im Unternehmen gebunden bleiben und nicht an Eigentümer ausgeschüttet werden müssen. Schon die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte sich mit dem sogenanntem Verantwortungseigentum befasst und eine neue Rechtsform für Unternehmen versprochen. Der damalige Justizminister Marco Buschmann (FDP) kündigte zwar ein Eckpunktepapier an und ließ an einer GmbH-Variante arbeiten, legte dann allerdings bis zum Bruch der Ampel nichts vor. Die aktuelle Regierung von Union und SPD will nun laut Koalitionsvertrag eine "neue, eigenständige Rechtsform" einführen.
Rechtspolitik
Wehrpflicht: Nun beleuchtet auch die Mo-taz (Christian Rath) die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Kontingent-Wehrpflicht per Losverfahren. Der innovativen Einschätzung von Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio, dass dies rechtmäßig wäre, weil der Zufall gegen Willkür schütze, wird die konventionelle Sichtweise von Rechtsanwalt David Werdermann gegenübergestellt, dass dies verfassungswidrig wäre, weil der Zufall willkürlich sei. Werdermann hat ein Gutachten für Greenpeace verfasst. Beide Positionen seien juristisch gut begründet, heißt es im Artikel, letztlich müsse das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Eine Grundgesetzänderung sei zwar der eleganteste Weg, es fehle dafür aber die Zwei-Drittel-Mehrheit.
Grundsicherung: Rechtsprofessor Gerhard Kilz analysiert auf LTO die geplante Umwandlung des Bürgergelds aus verfassungsrechtlicher Perspektive und fragt, ob die verschärften Sanktionen mit dem Grundrecht auf Menschenwürde vereinbar sind. Der Autor ist dabei der Auffassung, dass Leistungskürzungen zwar grundsätzlich zulässig seien, aber nur unter strengen Bedingungen – etwa, wenn Leistungsberechtigte zumutbare Arbeitsangebote bewusst ablehnen. Besonders kritisch sieht Kilz die geplante vollständige Streichung des Regelbedarfs bei mehrfachen Terminversäumnissen, da hier die verfassungsrechtlich garantierte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gefährdet sein könnte. Insgesamt bewertet der Autor die Reform nicht als Systemwechsel, sondern als technisches Update mit juristisch heiklen Konsequenzen, deren gerichtliche Überprüfung wohl unausweichlich ist.
Verbraucherkredite: Die Bundesregierung plant eine Verschärfung des Verbraucherdarlehensrechts, um insbesondere bei "Buy Now, Pay Later"-Krediten (BNPL) besseren Schutz vor Überschuldung zu gewährleisten. Die Sa-FAZ (Katja Gelinsky) stellt den Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium vor. Verbraucherschützer:innen kritisieren, dass die geplanten Prüfpflichten nicht ausreichen, um Risiken wie unübersichtliche Schulden bei jungen Erwachsenen zu verhindern. Wirtschaftsverbände und Zahlungsdienstleister hingegen warnen vor übermäßiger Bürokratie und fordern eine verhältnismäßige Kreditwürdigkeitsprüfung.
Bundestags-Wahlrecht: Ex-Bundesverfassungsrichter Peter Müller kritisiert in seiner Sa-SZ-Kolumne, dass die geplante erneute Wahlrechtsreform allein von Union und SPD ausgearbeitet wird, ohne Beteiligung der Opposition – ein Vorgehen, das er als undemokratisch und kontraproduktiv bezeichnet. Er warnt zudem vor den Folgen des aktuellen Mandatszuteilungsverfahrens, bei dem Wahlkreisgewinner:innen leer ausgehen können, während unterlegene Kandidat:innen über Listenplätze einziehen. Als Lösung schlägt er das Grabenwahlrecht vor, das Direktmandate und Verhältniswahl trennt und so eine gerechtere Repräsentation ermögliche.
Bundestags-GO: Der Bundestag hat seine Geschäftsordnung geändert und dabei insbesondere die Sanktionsmöglichkeiten verschärft. Das Ordnungsgeld, das Abgeordnete bei schwerwiegendem Fehlverhalten zahlen müssen, steigt damit von 1.000 auf 2.000 Euro, für den Wiederholungsfall von 2.000 auf 4.000 Euro. Die AfD kritisierte die von der Koalitionsmehrheit von CDU/CSU und SPD beschlossene Reform als gezielten Angriff auf die Opposition und warnt vor einem Missbrauch zur Mehrheitssicherung. Sa-FAZ (Mona Jaeger), Sa-SZ (Robert Roßmann) und LTO berichten.
Ronen Steinke (Sa-SZ) nimmt die GO-Änderung zum Anlass, um Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CSU) zu kritisieren. Sie belege immer wieder zulässige Aussagen mit Ordnungsrufen und belaste damit die Debattenkultur.
Gewalt gegen Frauen/Fußfessel: Die Kritik des Bundesrats am Gesetzentwurf der Justizministerin für Änderungen am Gewaltschutzgesetz fasst LTO (Hasso Suliak) zusammen. Stattdessen hat der Bundesrat am Freitag auf Initiative Nordrhein-Westfalens einen eigenen Gesetzentwurf beschlossen. Darin ist u.a. vorgesehen, in § 112a StPO die Möglichkeit einer sogenannten Deeskalationshaft für Gewaltschutzfälle einzuführen.
Geschlechtliche Selbstbestimmung/Meldewesen: Die Verordnung des Bundesinnenministeriums (BMI) zur Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes im Meldewesen ist im Bundesrat vorerst gescheitert. Die Abstimmung wurde abgesetzt, nachdem sich abzeichnete, dass es unter den Ländern keine Mehrheit gibt. Geplant war, dass künftig auch der alte Name und das frühere Geschlecht im Datensatz gespeichert werden. taz.de (Amelie Sittenauer) berichtet.
Justiz
LG Karlsruhe zu Fanprojekt-Mitarbeitern: Das Landgericht Karlsruhe hat das Verfahren wegen Strafvereitelung gegen drei Mitarbeiter:innen eines Karlsruher Fanprojekts gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. In erster Instanz waren sie verurteilt worden, weil sie durch ihr Schweigen die Ermittlungen gegen Fußballfans nach einer Pyro-Attacke behindert hätten. Das Landgericht konnte nun aber keine derartige Behinderung erkennen, da fast alle zivilrechtlichen Verfahren gegen die zündelnden Ultras abgeschlossen werden konnten. Ein Freispruch sei jedoch nicht möglich gewesen, da die Sozialarbeiter:innen sich nicht auf ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht berufen konnten. Die Mo-SZ (Christoph Ruf) berichtet im Sport-Teil.
BVerfG zur Klimaschutz: Sven-Felix Kellerhoff (Welt) fordert eine Revision des Klimabeschlusses des Bundesverfassungsgerichtes von 2021 durch das Gericht selbst, denn inzwischen sei klar geworden, dass die in der Entscheidung enthaltene einseitige Prämisse der CO₂-Reduktion die ökonomischen Lebensgrundlagen der Bundesrepublik mindestens stark gefährde – und damit auch die Rechte heutiger wie künftiger Jugendlicher. Rechtlich sei eine Umkehr möglich, schreibt der Autor, es gebe Beispiele, in denen das BVerfG eigene Urteile ausdrücklich verändert oder sogar komplett abweichend entschieden habe. Formal sei dazu eine einschlägige Verfassungsbeschwerde oder eine passende Richtervorlage notwendig, aber das sei kein großes Hindernis, die Klage eines betroffenen Unternehmens genüge.
BGH zu Ersatzfahrzeug statt Nutzungsausfallentschädigung: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Geschäftsführer keinen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung hat, wenn ihm nach einem Unfall ein zumutbarer Ersatzwagen – hier ein Citroën statt eines sonst von ihm gefahrenen Porsche – zur Verfügung steht. Zwar könne ein Porsche ein höheres Prestige und Fahrgefühl bieten, doch das sei kein finanziell ausgleichspflichtiger Verlust. Entscheidend sei allein, ob ein Ersatzfahrzeug den Mobilitätsbedarf deckt, nicht, ob es dem persönlichen Lebensstil entspricht, so der BGH laut tagesschau.de (Egzona Hyseni).
BGH zu Gesellschaftspostfach: Rechtsanwalt Martin W. Huff analysiert auf LTO die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Nutzung des beA einer anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft zur Versendung anwaltlicher Schriftsätze. Die Karlsruher Richter haben festgestellt, dass der vertretungsberechtigte Rechtsanwalt, der den Schriftsatz unterzeichnet hat und über eine Zugangsberechtigung für das Gesellschafts-beA verfügt, den Schriftsatz über dieses beA versenden darf. Für die anwaltliche Praxis sei der Beschluss des BGH eine deutliche Erleichterung, meint der Autor.
BVerwG zu Rundfunkbeitrag: Nun kommentiert auch Christian Rath (Mo-taz) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Rundfunkbeitrag von letzter Woche, das eine Prozesswelle auslösen werde. Gerichte könnten in solchen Prozessen klarstellen, dass Ausgewogenheit keine Gleichbehandlung zwischen faktenbasierten Recherchen und esoterischen Verschwörungstheorien verlangt. Außerdem müssten verfassungsfeindliche Positionen nicht als legitimer Teil des gesellschaftlichen Diskurses dargestellt werden.
LG Aschaffenburg – Messerangriff in Aschaffenburg: Die FAZ (Kim Maurus) berichtet weiter aus der Verhandlung über den Messerangriff in Aschaffenburg, in der Überlebende die Tat von Enamullah O. schilderten, der im Januar 2025 eine Kindergruppe im Park attackierte und dabei einen Zweijährigen sowie einen Passanten tötete. Die Aussagen der Erzieherinnen und Passanten zeigten das Ausmaß des Schreckens und die bleibenden psychischen und körperlichen Folgen – eine Zeugin sprach von einem "Massaker". Laut Gutachten leidet der Täter an paranoider Schizophrenie, die Staatsanwaltschaft hat deshalb ein Sicherungsverfahren eingeleitet.
LG München I zu Sympatex: Das Landgericht München I hat die Unternehmensberater Stefan Sanktjohanser und Frank Günther wegen versuchten Betrugs in Hunderten Fällen zu Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt. Sie hatten Gläubiger der Sympatex-Anleihe durch falsche Angaben dazu gebracht, auf 90 % ihrer Forderungen zu verzichten, um eine Insolvenz zu vermeiden. Das Gericht sah ein gemeinsames Tatkonzept und bewertete die Täuschung über einen angeblichen Käufer als gezielte Irreführung der Anleger:innen. Das Hbl (Lars-Marten Nagel) berichtet.
LG Bamberg zu Tod ohne Leiche: Wie spiegel.de berichtet, hat das Landgericht Bamberg einen 74-jährigen Mann wegen Totschlags zu zwölf Jahren Haft verurteilt, obwohl die Leiche der mutmaßlich getöteten Frau nie gefunden wurde. Die Richter sahen ein "stimmiges Bild" des Tatgeschehens und folgten dabei der Darstellung der Staatsanwaltschaft. Der Mann hat danach seine 33-jährige Partnerin nach einem Streit getötet und die Leiche an einen unbekannten Ort gebracht.
LG Berlin I – Vergewaltigungen nach Betäubung: Marvin S., der bereits wegen einer Vergewaltigung verurteilt worden war, hat in einem weiteren Berliner Prozess vier zusätzliche Taten an zwei Frauen eingeräumt. Die Aussagen der Betroffenen und des Angeklagten wurden im laufenden Prozess vor dem Landgericht Berlin unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlesen, um die Opfer zu schützen, berichtet spiegel.de. Bereits in dem früheren Verfahren gab es auch an die Polizei gerichtete Kritik, sie habe trotz Hinweisen zunächst keine Ermittlungen eingeleitet – inzwischen laufen interne Untersuchungen gegen beteiligte Beamte.
LG Frankfurt/M. zu Vergewaltigungen nach Betäubung: Die SZ (Benedikt Warmbrunn) berichtet über den Prozess gegen Dapeng Z., einen mutmaßlichen Serienvergewaltiger, der sich jetzt vor dem Landgericht Frankfurt/M. verantworten muss. Er soll zwischen Januar und Oktober 2024 mindestens vier Frauen im Raum Frankfurt, die er gezielt über Online-Wohnungsanzeigen kontaktierte, bei Besichtigungsterminen betäubt und vergewaltigt haben.
VG Berlin zu Corona-Quarantäne: Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden, dass Hertha BSC keinen Anspruch auf Erstattung der Gehälter hat, die während der Corona-Quarantäne an Mitarbeiter:innen gezahlt wurden. Da die Quarantäne nur 13 Tage dauerte, bestand laut Gericht weiterhin ein arbeitsrechtlicher Vergütungsanspruch, der eine Erstattung nach dem Infektionsschutzgesetz ausschließt. Besondere Regelungen für den Profifußball seien im konkreten Fall nicht relevant, da keine Spieler betroffen waren. LTO berichtet.
AG München zu Merkel-Fotomontage: LTO und Sa-FAZ berichten über die Verurteilung des AfD-Politikers Petr Bystron wegen der Verbreitung einer Fotomontage, die nach Auffassung des Gerichts den Hitlergruß darstellt. Die Montage zeigte unter anderem Angela Merkel und Bettina Wulff mit erhobenem Arm und wurde von Bystron mit einem Kommentar zum Abschied des ukrainischen Botschafters gepostet. Das Amtsgericht München verhängte eine Geldstrafe, da die Darstellung als Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen gewertet wurde.
AG Paderborn zu Coaching-Verträgen: Die Akademische Rätin a.Z. Lisa Riedel und Rechtsanwalt Oliver Zugmaier erläutern auf beck-aktuell, dass viele Online-Coaching-Verträge nach einem BGH-Urteil wegen fehlender ZFU-Zulassung als nichtig gelten, was Anbieter vor rechtliche und finanzielle Probleme stellt. Ein aktuelles Urteil des AG Paderborn vom September zeige jedoch, dass Anbieter unter bestimmten Voraussetzungen einen Wertersatzanspruch geltend machen können, wenn Teilnehmer durch die Leistung nachweislich Aufwendungen erspart haben. Die Autoren betonen, dass Anbieter künftig sorgfältig dokumentieren und marktübliche Vergütungen belegen müssen, um solche Ansprüche erfolgreich durchzusetzen.
GBA – Nord-Stream-Sprengung: Ein polnisches Gericht hat, wie spiegel.de und LTO berichten, die Auslieferung eines mutmaßlichen Saboteurs der Nord-Stream-Pipeline an Deutschland abgelehnt und seine Untersuchungshaft aufgehoben. Der Richter stellte fest, dass der deutsche Auslieferungsantrag nicht ausreichend begründet worden war. Die deutsche Seite habe nur sehr allgemeine Informationen übermittelt, so dass das polnische Gericht im konkreten Fall über keinerlei Beweise verfüge. Der 46-jährige Ukrainer soll laut Bundesanwaltschaft Mitglied einer Gruppe gewesen sein, die 2022 Sprengsätze an den Pipelines nahe Bornholm angebracht haben soll.
GenStA Bayern – Betrug im Gesundheitswesen: Im Interview mit der Mo-SZ (Christina Berndt/Markus Grill) erläutert Torsten Haase, von der vor fünf Jahren eingerichteten Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen" (ZKG) die Arbeit der staatsanwaltlichen Spezialeinheit bei Ermittlungen gegen Ärzt:innen und Pflegedienste. Im Jahr 2024 habe es rund fünfzig Anklagen gegeben. Oft führen Anzeigen der Kassenärztlichen Vereinigungen zu Ermittlungen.
Recht in der Welt
IGH – Einstweilige Maßnahmen: Der Doktorand Quazi Omar Foysal kritisiert im Verfassungsblog (in englischer Sprache), dass der Internationale Gerichtshof bei aktuellen Entscheidungen zu einstweiligen Maßnahmen von seinem etablierten Prüfmaßstab – dem sogenannten Fünf-Punkte-Test – abweicht. Statt alle fünf Voraussetzungen systematisch zu prüfen (Zuständigkeit, Plausibilität der Rechte, Zusammenhang mit beantragten Maßnahmen, Gefahr irreparabler Schäden und Dringlichkeit), wählte der IGH nun selektiv einzelne Punkte aus, was laut Foysal zu Willkür und mangelnder Vorhersehbarkeit führt. Er warnt, dass diese "Pick-and-Choose"-Methode nicht nur die Legitimität des Gerichts gefährdet, sondern auch zu ineffizienteren Verfahren und strategischer Unsicherheit für die beteiligten Staaten führt – und plädiert daher für eine Rückkehr zum traditionellen, strukturierten Prüfansatz.
IStGH – Austritte: Der Dozent Davit Khachatryan argumentiert im Verfassungsblog (in englischer Sprache), dass der Austritt mehrerer afrikanischer Staaten aus dem Internationalen Strafgerichtshof weniger ein Akt der Souveränität als ein Versuch der Selbstimmunisierung gegenüber internationalen Ermittlungen ist. Zwar beriefen sich die Militärregierungen auf anti-koloniale Rhetorik, doch tatsächlich entzögen sie sich damit der letzten Instanz für Gerechtigkeit, da ihre nationalen Justizsysteme kaum unabhängig agieren. Khachatryan warnt, dass der Rückzug nicht die Selektivität des IStGH entlarvt, sondern die Gefahr birgt, dass für Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen künftig gar keine rechtliche Aufarbeitung mehr möglich sein könnte.
Israel/Gaza – Friedensplan: Im Interview mit dem Verfassungsblog (Eva Maria Bredler) kritisiert Rechtsprofessor Jochen von Bernstorff den US-Friedensplan für den Gaza-Streifen als völkerrechtlich unverbindlich und sieht darin eine Missachtung grundlegender Rechtsprinzipien, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser. Er warnt davor, dass die geplante Verwaltung Gazas unter US-Kontrolle einem informellen Imperialismus gleiche und strukturelle Instabilität begünstige. Das Völkerrecht könne in der Zwischenphase zwar Schutz bieten, etwa durch das Besatzungsrecht und Menschenrechte, doch fehle ein klarer Regelrahmen für die Nachkriegsordnung. Deutschland und andere Staaten sollten sich für einen faireren Friedensprozess einsetzen, der das völkerrechtlich verbriefte Recht auf einen palästinensischen Staat respektiert.
USA – John Bolton: Der ehemalige Sicherheitsberater von Donald Trump, John Bolton, plädierte vor Gericht auf nicht schuldig, nachdem ihm die unrechtmäßige Weitergabe und Aufbewahrung geheimer Informationen vorgeworfen wird. Das berichten Sa-FAZ (Sofia Dreisbach), Sa-SZ (Charlotte Walser) und spiegel.de. Beobachter sehen in der Anklage politische Rache des Weißen Hauses gegen einen prominenten Trump-Kritiker, ähnliche Verfahren wurden bereits gegen den früheren FBI-Direktor James Comey und die Generalstaatsanwältin des Bundesstaates New York Letitia James eingeleitet.
USA – Widerstand gegen Abschiebungen: Rachel Cohen, US-amerikanische Rechtsanwältin, betont im Interview mit der Sa-FAZ (Frauke Steffens) ihre Überzeugung, dass sichtbarer Protest gegen autoritäre Tendenzen in den USA notwendig ist. Die Juristin, die ihre Karriere in einer Großkanzlei aufgab, engagiert sich nun politisch gegen die Abschiebepraxis der Trump-Regierung – sie blockierte beispielsweise in Chicago gemeinsam mit anderen ein Abschiebefahrzeug, wofür sie verhaftet wurde. Sie kritisiert die unzureichende mediale Aufmerksamkeit für Proteste in den USA und sieht in zivilgesellschaftlichem Engagement eine moralische Pflicht, besonders für privilegierte Bürger:innen.
USA – Wissenschaftsfreiheit: Rechtsprofessor Hans Michael Heinig meint im Verfassungsblog, dass die Wissenschaftsfreiheit in den USA unter der Regierung Trump zunehmend durch politische Eingriffe auf Bundes- und Bundesstaatenebene bedroht wird – insbesondere durch Einschränkungen von Vielfalts-Programmen und die Schwächung universitärer Selbstverwaltung. Er zeigt, dass Gesetze in Staaten wie Florida, Texas, Ohio und Indiana gezielt auf die Kontrolle von Lehrinhalten und die politische Ausrichtung von Hochschulen abzielen. Heinig warnt vor einem "chilling effect", der Lehrende und Universitäten verunsichert und zu Selbstzensur führt, was letztlich die Wissenschaftsfreiheit untergräbt. Zugleich fordert er eine kritische Selbstreflexion der Universitäten, da übermäßiger politischer Aktivismus in Teilen der Geistes- und Sozialwissenschaften selbst zur Polarisierung beigetragen habe.
Juristische Ausbildung
Gender-Gap bei Prüfungen: LTO-Karriere (Michelle Sieburg) untersucht, warum Frauen trotz ihrer Mehrheit unter Jurastudierenden und Examenskandidat:innen in Prüfungskommissionen deutlich unterrepräsentiert sind, was sich negativ auf die Noten auswirken könne – insbesondere bei rein männlich besetzten Kommissionen. Die Gründe dafür liegen laut Prüfungsämtern und Expertinnen in strukturellen Hürden wie schlechter Vergütung, hoher beruflicher Belastung und familiären Verpflichtungen, die Frauen stärker betreffen. Sieburg fordert mehr Transparenz, gezielte Ansprache qualifizierter Juristinnen und unterstützende Maßnahmen wie Kinderbetreuungspauschalen, um langfristig eine paritätische Besetzung zu erreichen.
Sonstiges
Deutsch-Israelische Opfer des 7. Oktober: Reinhard Müller (Mo-FAZ) kritisiert das mangelnde öffentliche Engagement Deutschlands für deutsche Staatsbürger, die beim Hamas-Angriff am 7. Oktober verschleppt oder ermordet wurden. Während der Staat bei anderen Auslandsvorfällen schnell und sichtbar reagiere, sei er im Fall der deutschen Opfer in Israel auffallend zurückhaltend. Müller kritisiert das politische Schweigen und unterstellt, dass ideologische Vorbehalte gegenüber Israel eine Rolle gespielt haben könnten. Er fordert, dass Deutschland seine Schutzpflicht gegenüber Bürger:innen auch in schwierigen internationalen Konflikten deutlich wahrnimmt – notfalls mit allen Mitteln.
Moskau-Reise von AfD-Politiker: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier plant eine umstrittene Reise nach Moskau. Die Rechtsanwältin Henrike Schulte hält eine solche Reise für rechtlich zulässig, da sie unter die freie Mandatsausübung falle – Einschränkungen wären nur mit klarer Rechtsgrundlage und Rechtfertigung möglich. Die schärfsten Sanktionen könnten jedoch von der Fraktion selbst kommen: Sie könnte bei nicht abgestimmten Reisen Ordnungsgelder verhängen, Ausschusssitze entziehen oder sogar den Fraktionsausschluss beschließen. beck-aktuell (Maximilian Amos) hat mit Henrike Schulte gesprochen.
Rechtsanwältin Vivian Kube: In der Rubrik "Most wanted" stellt LTO (Stefan Schmidbauer) die u.a. für "Frag den Staat" tätige Rechtsanwältin Vivian Kube vor. Im Interview erklärt sie u.a., warum es sie frustriert, wenn Gerichte und Jurist:innen an althergebrachten Rechtsmeinungen festhalten oder sich hinter dem vermeintlich "objektiven" Recht verstecken, statt das Recht fortzuentwickeln.
Neutralitätspflicht von Merz/"Stadtbild": Jost Müller-Neuhof (tagesspiegel.de) kritisiert, dass die Bundesregierung eine umstrittene Äußerung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) zum "Stadtbild" aus dem offiziellen Protokoll gestrichen hat, mit Verweis auf das Neutralitätsgebot, obwohl Merz sich in diesem Moment klar als Regierungschef äußerte. Rechtlich sei das Neutralitätsgebot zwar wichtig, doch es greife hier nicht, da die Aussage keinen parteipolitischen Eingriff darstelle und Kanzlern grundsätzlich zustehe, ihre Wahrnehmung öffentlicher Entwicklungen zu schildern. Die Streichung wirke daher wie ein vorgeschobener Grund, um eine unangenehme Äußerung nachträglich zu tilgen, was rechtspolitisch bedenklich sei.
Margarine: Dass sich der Gesetzgeber schon vor 150 Jahren mit der Besorgnis herumgeschlagen hat, dass Verbraucher tierische mit pflanzlichen Lebensmitteln verwechseln könnten, weiß Martin Rath (LTO). Damals wurden Regeln zur Bezeichnung der damals so genannten "Kunstbutter" aufgestellt, womit "diejenigen der Milchbutter ähnlichen Zubereitungen" gemeint waren, "deren Fettgehalt nicht ausschließlich aus der Milch entstammt". Später wurde dann die "Kunstbutter" zur "Margarine". Damit war dann eine – zumindest begriffliche – Verwechselung mit der (teureren) Milchbutter ausgeschlossen.
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LTO/pf/chr
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Die juristische Presseschau vom 18. bis 20. Oktober 2025: . In: Legal Tribune Online, 20.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58419 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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