Der Verfassungsschutz stufte die AfD-Bundespartei als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" ein. Die rh-pf. Bildungsministerin Hubig (SPD) soll neue Bundesjustizministerin werden. Der Beck-Verlag benannte den "Schönke/Schröder" um.
Thema des Tages
AfD-Einstufung: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD-Bundespartei als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft. Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis sei nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar, so der Verfassungsschutz. Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen und ihnen damit einen rechtlich abgewerteten Status zuzuweisen. So betrachte die AfD deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern nicht als gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes. Die Behörde macht die rassistische Ausrichtung der Partei zudem an der pauschalen Verwendung von Begriffen wie "Messermigranten" fest. In einer ersten Reaktion stellten die AfD-Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla ihre Partei am Freitag als Opfer einer politisch motivierten Entscheidung dar und verwiesen dabei auf aktuelle Umfragen, in denen die AfD etwa gleichauf mit der Union liegt. Die AfD werde sich gegen die Einstufung juristisch zur Wehr setzen. Bisher war die AfD-Bundespartei als Verdachtsfall eingestuft, was zuletzt vom Oberverwaltungsgericht Münster im Mai 2024 bestätigt worden war. Über die Hochstufung und deren Konsequenzen berichten Sa-FAZ (Friederike Haupt/Eckart Lohse), Sa-SZ (Markus Balser/Roland Preuß), WamS (Philipp Woldin/Dirk Banse u.a.), Sa-taz (Dinah Riese/Konrad Litschko/Gareth Joswig), tagesschau.de (Christoph Kehlbach/Frank Bräutigam/Alena Lagmöller), zdf.de (Oliver Klein/Dominik Rzepka/Daniel Heymann), spiegel.de (Wolf Wiedmann-Schmidt), beck-aktuell und LTO.
Vor allem mit den Konsequenzen, insbesondere für ein mögliches Parteiverbot, befassen sich Sa-SZ (Wolfgang Janisch/Christoph Koopmann), Mo-FAZ (Eckart Lohse), spiegel.de (Francesco Collini/Dietmar Hipp), taz.de (Christian Rath). Im Interview mit der Sa-FAZ (Lukas Fuhr) spricht sich die SPD-Rechtspolitikerin Carmen Wegge dafür aus, dass der Bundestag nun ein Verbot der AfD durch das Bundesverfassungsgericht beantragt.
Den harten Kern der AfD-Anhänger werde das Extremisten-Warnschild nicht beeindrucken, kommentiert Roland Preuß (Sa-SZ). Aber niemand unter den Wählerinnen und Wählern, die Augen und Ohren haben, solle jetzt noch behaupten, sie wüssten nicht, welche Partei hier zur Wahl stehe. Reinhard Müller (Sa-FAZ) meint, die Möglichkeit eines Verbotsantrags dürfe nicht zu politischer Bequemlichkeit führen. Abgesehen davon, dass daraus eine unfreiwillige Kampagne für die AfD werden könnte, sollte die Kraft genutzt werden, in der Fläche eine gute Politik des gesunden Menschenverstands und nicht etwa wirre Identitätspolitik zu machen. Funktionierten Wirtschaft, Infrastruktur und Sicherheit, so gebe es kaum noch Gründe, fleischgewordenes Ressentiment zu wählen. Max Bauer (tagesschau.de) plädiert für ein Verbotsverfahren gegen die Partei. In einer Zeit, in der Allianzen zwischen rechtsextremen Medien-Milliardären und Parteien wie der AfD die Demokratie aushebeln wollen, sei ein AfD-Verbot das Gebot der Stunde.
Rechtspolitik
Justizministerin Hubig: Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil will am Vormittag des heutigen Montags bekannt geben, welche Minister:innen die SPD für die neue Bundesregierung benennt. Für das Justizministerin sei Stefanie Hubig (SPD) vorgesehen, meldet der Wiesbadener Kurier (Dennis Rink). Hubig ist seit 2016 Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz. Von 2014 bis 2016 war sie beamtete Staatssekretärin im Bundesjustizministerium.
Asyl/Drittstaatsverfahren: Laut einem internen Gutachten des Bundesinnenministeriums ist die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten oder Transitländer zwar "grundsätzlich rechtlich möglich", jedoch mit hohen Hürden und Kosten verbunden. Eine Umsetzung verschiedener Drittstaatenmodelle wäre dem Abschlussbericht zufolge nur bei teils wesentlichen Änderungen des deutschen und des EU-Rechts möglich. "Zugleich bestehen gewisse rechtliche Risiken und die Steuerungswirkung dieser Modelle erscheint ungewiss", heißt es in dem 37-seitigen Gutachten, über das Mo-FAZ und Mo-SZ berichten. Im Koalitionsvertrag sind solche Modelle nicht vorgesehen.
Resilienz der Justiz: Der Deutsche Richterbund hat stärkere Maßnahmen zum Schutz der Justiz vor dem Einfluss autoritärer Kräfte gefordert. Der beschlossene Schutz des Bundesverfassungsgerichtes reiche nicht aus, so der Geschäftsführer des DRB Sven Rebehn, laut zeit.de. Es werde "immer klarer, dass es weitere Initiativen braucht, um den Rechtsstaat wetterfest zu machen und die Unabhängigkeit der Justiz gegen Durchgriffsversuche illiberaler Kräfte zu sichern", sagte Rebehn. Konkret bezog er sich auf das Weisungsrecht der Justizminister:innen gegenüber Staatsanwält:innen.
Vorratsdatenspeicherung: Welchen Raum EuGH und BVerfG für die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung lassen, erläutert Rechtsprofessor Matthias G. Fischer im FAZ-Einspruch. Sowohl das BVerfG als auch der EuGH konstatierten nicht nur die grundsätzliche Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen, sondern deuteten sogar ihre praktische Unentbehrlichkeit an und auch die Sicherheitsbehörden wiesen schon seit vielen Jahren immer wieder darauf hin, welche Bedeutung die Sicherung von IP-Adressen für die Kriminalitätsbekämpfung hätte. Verfassungsgericht und Sicherheitsbehörden hielten "Quick-Freeze" für "nicht ebenso wirksam wie eine kontinuierliche Speicherung". Der EuGH wolle allerdings die Datensicherung der IP-Adressen nur "für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum" zulassen. Eine – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – schematische Speicherpflicht von drei Monaten sei deshalb problematisch.
Verfahrensbeschleunigung: Rechtsanwalt Ulrich Karpenstein setzt sich auf beck-aktuell kritisch mit den von der neuen Koalition geplanten Reformen der Verfahrensabläufe auseinander, die darauf abzielen, gerichtliche Prozesse zu straffen und zu beschleunigen. Er hinterfragt, ob die Einschränkung des Zugangs zur zweiten Tatsacheninstanz und die stärkere Fokussierung der Verwaltungsgerichte auf Rechtmäßigkeitsprüfungen tatsächlich zu einer verbesserten Effizienz führen oder ob dadurch das rechtliche Gehör der Beteiligten beschnitten wird. Die eigentlichen Ursachen für Verfahrensverzögerungen sieht er eher in strukturellen Problemen. Letztlich plädiert er dafür, dass Gerichte und Anwälte sich stärker auf die materielle Rechtmäßigkeit und die Bedürfnisse der Streitenden konzentrieren sollten, anstatt sich in komplizierten Zulässigkeitsfragen zu verlieren.
Schöff:innen: Der Gründer der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen Hasso Lieber spricht sich auf LTO gegen die von dem Privatdozenten Oliver Harry Gerson gefordete Abschaffung des Schöffenamtes aus. Lieber wirft Gerson ein falsches Verständnis vom Schöffenamt vor, so werde insbesondere deren Kontrollfunktion außer Acht gelassen. Lieber fordert stattdessen eine Reform. So habe gerade die Schöffenwahl 2023 deutlich gemacht, dass das Wahlverfahren strukturelle Mängel aufweise, die zu beseitigen seien.
Tarifautonomie: Im Verfassungsblog betont Rechtsprofessorin Eva Kocher anlässlich des 1. Mai die große Bedeutung der Tarifautonomie für die soziale und demokratische Stabilität, insbesondere angesichts politischer und wirtschaftlicher Herausforderungen. Sie meint, dass die neue schwarz-rote Koalition mit ihrem Koalitionsvertrag die Tarifautonomie zwar anerkenne, aber ihre Stärkung nicht ausreichend adressiere. So sei ein gesetzlicher Mindestlohn nur deshalb so wichtig geworden, weil kollektive Organisationen und mit ihr die Tarifautonomie es mittlerweile nicht mehr annähernd schafften, angemessene Mindestarbeitsbedingungen auf breiter Ebene zu gewährleisten.
Bürokratieabbau: Ex-Bundesverfassungsrichter Peter Müller schreibt in seiner Sa-SZ-Kolumne über den Bürokratieabbau, den die kommende Bundesregierung in Angriff nehmen will. Die Schaffung eines zusätzlichen Ministeriums sei ambivalent, der Koalitionsvertrag enthalte jedoch diskussionswürdige Ansätze, etwa die geplante Halbierung der Zahl der Regierungsbeauftragten. In ähnlicher Weise könnte auch die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretär:innen massiv reduziert werden, ohne dass sich dies auf die Qualität der Regierungsarbeit auswirken würde. Der Fisch stinke vom Kopfe her.
Justiz
VG Freiburg zu Equal Pay bei Bürgermeisterin: Das Verwaltungsgericht Freiburg hat entschieden, dass die Gemeinde Todtmoos ihrer früheren Bürgermeisterin Janette Fuchs mehr als 36.500 Euro Schadensersatz und eine Entschädigung von 7.000 Euro zu zahlen hat, teilt spiegel.de mit. Die Klage war mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) begründet worden; Ex-Bürgermeisterin Fuchs hatte geltend gemacht, dass sowohl ihr Vorgänger als auch ihr Nachfolger direkt in die höhere von zwei möglichen Besoldungsgruppen eingruppiert worden waren.
LG Berlin – Vergewaltigung: Vom Prozess gegen Marvin S. berichtet Wiebke Ramm im Spiegel. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, eine junge Frau mit einem Gemisch aus Heroin, Kokain und möglicherweise weiteren Drogen betäubt, sie misshandelt und vergewaltigt zu haben. Mittlerweile gebe es den Verdacht, dass er sich auch an weiteren Frauen vergangen haben könnte. Dass es überhaupt zu einem Prozess gekommen sei, sei der Familie des mutmaßlichen Opfers zu verdanken, die vehement darauf bestanden hatte. Die Polizei hatte zunächst keinen Anfangsverdacht für eine Straftat gesehen. Sie ging von einer Art Drogenunfall aus.
LG Heilbronn zu Hinweisen auf Zigarettenautomaten: Das Landgericht Heilbronn hat laut LTO entschieden, dass auf den kleinen Auswahltasten eines Zigarettenautomaten keine Warnheise angebracht werden müssen. Verbraucher:innen benötigten sie nicht für eine informierte Entscheidung. Es genügten die Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln und Aufkleber auf dem Automaten.
LG Köln zu Türbeschädigung durch Polizei: Das Landgericht Köln hat entschieden, dass die Mieter für eine durch die Polizei verursachte Türbeschädigung haften müssen, wenn ihr Verhalten den Einsatz notwendig gemacht hatte. Hintergrund im zu entscheidenden Fall war ein Streit zwischen zwei Ehemännern, die gemeinsam Mieter einer Wohnung waren. Als die Auseinandersetzung eskalierte, rief einer von ihnen die Polizei. Die eintreffenden Beamten verschafften sich, nachdem trotz mehrfacher Aufforderung niemand öffnete, gewaltsam Zutritt und beschädigten dabei die Tür. Das LG gab der Schadensersatzklage des Vermieters gegen Mieter statt, obwohl die unmittelbare Beschädigung der Tür durch die Polizei erfolgt war. LTO berichtet.
StA Flensburg – Sylt-Video: Nachdem die Staatsanwaltschaft Flensburg in der vergangenen Woche die Ermittlungen um die im so genannten Sylt-Video dokumentierten rassistischen Gesänge eingestellt hatte, kritisiert Jost Müller-Neuhof (tagesspiegel.de) nun in seiner Kolumne diese späte Entscheidung. Durch das üblich gewordene In-die-Länge-Ziehen von Ermittlungen dieser Art werde der Eindruck vermittelt, der Straftatbestand der Volksverhetzung sei ein taugliches Instrument, unerwünschte gesellschaftliche Entwicklungen zu korrigieren und man müsse ihn nur verschärfen, "dann würde es wieder besser mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und anderem Übel".
Recht in der Welt
Türkei – Hate speech: Im Verfassungsblog argumentiert Aytekin Kaan Kurtul, ein in England lehrender Dozent, dass Hate-Speech-Gesetze in autoritären Regimen wie der Türkei dazu genutzt werden, politische Protestformen wie Boykottaufrufe zu kriminalisieren, selbst wenn keine diskriminierende Absicht vorliegt. Er betont, dass dieser Missbrauch von Rechtsnormen zur Unterdrückung legitimer politischer Meinungsäußerung führt. Abschließend warnt er vor einer selektiven Anwendung von Menschenrechtsstandards, die die politische Opposition unter dem Vorwand der Bekämpfung von Hassrede unterdrückt und dadurch die universelle Gültigkeit dieser Rechte infrage stellt.
Juristische Ausbildung
Prüfungsstress: Im Interview mit beck-aktuell (Hendrik Wieduwilt) stellt Rechtsanwältin Jessica Hamed ihre Thesen zum Umgang mit Prüfungsstress vor. Sie hatte in ihren Untersuchungen u.a. festgestellt, dass die Leistungserwartungen der Studierenden an sich selbst statistisch gesehen überzogen seien und es in der Folge vermehrt zu frustrierenden Lernerlebnissen komme, was die psychische Belastung zusätzlich erhöhen kann. Sie plädiert für mehr Transparenz in der Leistungsbewertung. Prüfungsbewertungen sollten, soweit möglich, objektiviert werden, z. B. mit Rohpunkteskalen oder durch Multiple-Choice-Klausuren. Dazu gehöre aber auch ein funktionierendes Korrekturmanagement, nicht nur im Examen, sondern schon an der Universität.
Sonstiges
Strafrechtskommentar: Der Verlag C.H. Beck hat seinen bekannten Strafrechtskommentar umbenannt: Aus dem "Schönke/Schröder" wurde der "Tübinger Kommentar Strafgesetzbuch". Hintergrund ist die belastete Vergangenheit von Adolf Schönke, der das NS-Regime unterstützte. Eine Analyse des Rechtsprofessors Georg Steinberg zeigte 2024 auf, dass Schönke sich aktiv an der nationalsozialistischen Strafrechtsgestaltung beteiligte. Der Verlag verfolgt mit dieser Umbenennung seine Politik weiter, sich von historisch belasteten Namenspaten zu trennen – ähnlich wie zuvor bei "Schönfelder" und “Palandt”. Die Mo-FAZ (Jochen Zenthöfer) berichtet.
RA Alfred Dierlamm: LTO (Stefan Schmidbauer) stellt in der Reihe “Most Wanted” den Rechtsanwalt Alfred Dierlamm vor. Als Strafverteidiger war und ist er an zahlreichen bekannten Fällen von Wirtschaftskriminalität beteiligt, darunter der Wirecard-Betrug und die Cum-Ex-Manipulationen.
Anwältin des Kindes: Über die Arbeit einer Verfahrensbeiständin berichtet der Spiegel (Christopher Pilz) am Beispiel der Münchnerin Katja Degenhardt . Bundesweit gibt es schätzungsweise 3.000 bis 4.000 Verfahrensbeiständ:innen, allerdings fehlen offizielle Statistiken.
Star Wars und die Demokratie: Rechtsanwalt Marvin Klein und die Autorin Melina Langenohl interpretieren auf LTO Star Wars als eine Warnung vor dem Scheitern von Demokratien. Sie zeigen, dass Imperator Palpatine nicht durch einen Putsch, sondern durch eine schleichende, legale Machtergreifung an die Macht kommt. Korruption, Bürokratie und der Einfluss von Megakonzernen schwächen die Republik, sodass das Volk sich nach einer starken Führung sehne. Historische Parallelen zu Cäsar, Napoleon und Hitler werden gezogen. Trotz des düsteren Endes gebe es Hoffnung: Die nächste Generation – Leia und Luke – wächst in der Diktatur auf und führt später die Rebellion an.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/pf/chr
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Die juristische Presseschau vom 3. bis 5. Mai 2025: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57116 (abgerufen am: 24.05.2025 )
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