Das BVerwG verweist Ex-Kanzler Gerhard Schröder mit seiner Büro-Klage an das BVerfG. BVerwG lässt kommunalpolitische Vorab-Willensbildung zu. EuGH-Generalanwalt hält Oberstes Gericht Polens für illegitim besetzt.
Thema des Tages
BVerwG zu Schröders Büro: Die Verwaltungsgerichte sind nicht zuständig für die Klage des Altkanzlers Gerhard Schröder (SPD) auf Weiterführung seines vom Bund finanzierten Bundestagsbüros. Das entschied nun das Bundesverwaltungsgericht und verwies Schröder an das Bundesverfassungsgericht. Es handle sich bei Schröders Begehr um eine verfassungsgerichtliche Streitigkeit, weshalb der Verwaltungsrechtsweg schon gar nicht eröffnet sei, so die Leipziger Richter:innen. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hatte im Mai 2022 beschlossen, Schröders Büro mit diversen Räumen und Mitarbeitenden "ruhend zu stellen", da er keine nachwirkenden Aufgaben aus dem früheren Amt mehr wahrnehme. Die Ausstattung war Teil einer staatlichen Übung, die sich über Jahrzehnte etabliert hatte und auf deren Fortbestand Schröder zunächst vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin und dann vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg klagte. Beide Gerichte hielten sich für zuständig und hatten in der Sache entschieden. Sie verneinten jeweils Ansprüche aus Gewohnheitsrecht oder wegen Gleichbehandlung. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch), der Tsp (Jost Müller-Neuhof), zdf.de (Daniel Heymann), LTO und beck-aktuell.
Rechtspolitik
Asylverfahren: Im Asylverfahren will die kommende schwarz-rote Koalition den Amtsermittlungsgrundsatz durch den Beibringungsgrundsatz ersetzen, wonach Asylbewerber:innen selbst alle relevanten Informationen beibringen müssten. Bisher gelten zwar Mitwirkungspflichten der Asylantragsteller:innen, soweit es um ihr eigenes Schicksal geht. Künftig müssten Asylsuchende aber auch das gesamte beim Gericht bereits vorhandene Wissen zum Herkunftsland erneut einbringen. Dies wäre ein enormer bürokratischer Aufwand für Anwält:innen und Gerichte und dürfte auch gegen EU-Recht verstoßen. Befragte Anwält:innen und Richter:innen wollen vor einer endgültigen Bewertung aber erst einmal den konkreten Gesetzentwurf abwarten. LTO (Tanja Podolski) berichtet.
Asyl / Migration: tagesschau.de (Kolja Schwarz/Philip Raillon) analysiert die asyl- und migrationspolitischen Pläne im neuen Koalitionsvertrag. Beispielweise dürften die geplante Verstetigung von Grenzkontrollen und die Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze gegen den Schengen-Grenzkodex bzw. die Dublin-III-Verordnung verstoßen. Auch die Ausweitung "sicherer Herkunftsstaaten" und Abschiebungen nach Afghanistan bzw. Syrien dürften an rechtliche Grenzen stoßen. Dagegen sei die Abschaffung der Turbo-Einbürgerung rechtlich unproblematisch.
Weitere Verschlechterungen, wie die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten und deren rechtliche und humanitäre Dimension, stellt die SZ (Markus Balser) dar. In einem gesonderten Kommentar zieht Markus Balser (SZ) Parallelen zu der polemischen und aufstachelnden Migrations-Verschärfung in den 1990er-Jahren, die zu brennenden Flüchtlingsunterkünften und noch mehr rechtsextremer Gewalt führten. Dabei sei Deutschland wie kaum ein anderes Land in Europa auf Zuwanderung im großen Stil angewiesen.
AfD-Verbot: Anlässlich des Umfragehochs der AfD diskutieren die beiden Tsp-Journalisten Sebastian Leber und Jost Müller-Neuhof das Für und Wider eines AfD-Parteiverbots.
Justiz
BVerwG zu Beigeordneten-Wahl im Gemeinderat: Es liegt kein Verstoß gegen das Prinzip der Bestenauslese vor, wenn sich ein Gemeinderat aus kommunalpolitischen Erwägungen schon vor der Wahl auf einen bestimmten Kandidaten festlegt, dabei aber die Chancengleichheit im Verfahren wahrt. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht in einem Fall aus Bretten (BaWü), bei dem ein unterlegener Bewerber zunächst erfolgreich gegen die Wahl und Ernennung eines Konkurrenten geklagt hatte. beck-aktuell berichtet.
BVerfG – Länderfinanzausgleich: CSU-Chef Markus Söder besteht trotz einer im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbarten Entlastung für Geberländer auf der bayerischen Klage gegen den Länderfinanzausgleich vor dem Bundesverfassungsgericht. Obwohl der Bund den Geberländern künftig jährlich 400 Millionen Euro erstatten will, bezeichnete Söder die Klage als "grundsätzliche Frage", die vom BVerfG entschieden werden müsse. Bayern trägt mit 9,77 Milliarden Euro etwa 52 Prozent des Gesamtvolumens im Finanzausgleich und hatte seine Klage im Juli 2023 eingereicht. Zwölf Bundesländer haben sich zu einer Prozessgemeinschaft gegen Bayern zusammengeschlossen. Es berichtet beck-aktuell.
OVG Berlin-BB zu politischen Beamt:innen: Die Presse hat keinen Anspruch auf die Veröffentlichung der Gründe für die Entlassung von politischen Beamt:innen. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Bei einer Pflicht zur nachträglichen Offenlegung der Entlassungsgründe wäre die Entscheidungsfreiheit der Regierung über die Besetzung von Vertrauenspositionen eingeschränkt und dadurch die wirksame Durchführung der politischen Ziele der Regierung gefährdet. Im konkreten Fall hatte eine Zeitung über angebliche Gründe für die Entlassung eines in einem Bundesministerium beschäftigten politischen Beamten berichtet. Nachdem der betroffene Beamte Unterlassung gefordert hatte, klagte die Zeitung auf Offenlegung der Gründe durch die zuständigen Minister, was nun abgelehnt wurde. Das OVG sah die Pressefreiheit aber gewahrt, weil Verdachtsberichterstattung möglich bleibe. Es berichtet beck-aktuell.
KG Berlin zu Schöffenrechten: In einem Gastkommentar für LTO kritisiert Norman Uhlmann vom Bundesverband der ehrenamtlichen Richter:innen ein jüngst veröffentlichtes Urteil des Kammergerichts, wonach Schöff:innen keine Urteilsabschrift der Verfahren verlangen können, an denen sie mitgewirkt haben. Der Autor verweist auf eine Ungleichbehandlung zu ehrenamtlichen Richter:innen anderer Gerichtsbarkeiten, die weder nötig noch gerecht sei. Er fordert eine Änderung durch den Gesetzgeber.
AG Pforzheim zu Raser: Das Amtsgericht Pforzheim hat einen 21-Jährigen wegen fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Er war mit dem 500-PS-starken Auto eines Freundes über eine Bundesstraße gerast, verlor dabei die Kontrolle über den Wagen und fuhr frontal in ein entgegenkommendes Auto. Der darin sitzende Autofahrer, Vater von fünf Kindern, starb noch am Unfallort, wie spiegel.de berichtet.
StA Wuppertal – Brandanschlag in Solingen: Die Staatsanwaltschaft Wuppertal lehnt die Aufnahme von Ermittlungen gegen Beamt:innen des Polizeipräsidiums Wuppertal wegen mangelndem Anfangsverdacht ab. Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız hatte vergangene Woche den Polizeipräsidenten und mehrere Beamt:innen angezeigt. Sie wirft ihnen vor, Beweismaterial für die rechtsextreme Gesinnung des Angeklagten Daniel S. im Prozess um die tödliche Brandstiftung im März 2024 in Solingen zurückgehalten zu haben. Başay-Yıldız will nun Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen und erreichen, dass das Vorgehen der Polizei durch die Behörden eines anderen Bundeslands geprüft wird. Die taz (Michael Trammer) berichtet.
Recht in der Welt
EuGH/Polen - Oberstes Gericht: In seinen Schlussanträgen vertritt der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs, Dean Spielmann, die Auffassung, polnische Gerichte seien nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, Entscheidungen des Obersten Gerichts Polens zu ignorieren. Aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei dem Verfahren zur Ernennung der Richter:innen sei es möglich, dass das Oberste Gericht dem Erfordernis eines "unabhängigen, unparteiischen und durch Gesetz errichteten Gerichts" im Sinne des Unionsrechts nicht genüge. Damit hält Spielmann das Gericht für illegitim. Zudem müsse angesichts der "schweren Krise" des polnischen Rechtsstaats der Grundsatz der Rechtskraft hinter dem effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zurücktreten. Entscheidungen des Obersten Gerichts seien daher als nicht existent anzusehen. Im vorliegenden Fall hatte ein polnischer Richter Zweifel an der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Obersten Gerichts geäußert. Dies in Frage zu stellen sei, so Spielmann, die Pflicht eines jeden Gerichts – unabhängig von dessen hierarchischer Stellung. Es berichtet beck-aktuell.
EuGH/Italien – Asylverfahren in Albanien: In dem Verfahren um die Rechtmäßigkeit von Italiens Regelung zu sicheren Herkunftsstaaten hat Richard de la Tour, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, seine Schlussanträge vorgelegt. Danach habe die italienische Regierung zwar die Entscheidungskompetenz, denn alle EU-Mitgliedstaaten dürften für ihre Asylverfahren selbst die sicheren Herkunftsländer bestimmen. Die Entscheidung müsse aber überprüfbar sein, also offenlegen, auf welcher Quelle die jeweilige Einschätzung beruhe. Konkret geht es um zwei Männer aus Bangladesch, die in Italien Asyl beantragen wollten, dann aber in ein italienisches Asylzentrum in Albanien gebracht wurden, weil sie aus einem von der Regierung definierten "sicheren Herkunftsstaat" kommen. Es berichten tagesschau.de (Egzona Hyseni) und beck-aktuell.
EuGH/Spanien – EU-Haftbefehl: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Rumänien die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen einen dort wohnhaften Spanier nicht verweigern kann. Der Haftbefehl wurde ausgestellt, um die Anwesenheit des Angeklagten bei der Fortsetzung eines Strafverfahrens in Spanien sicherzustellen. Der EuGH stellte klar, dass die Ablehnungsgründe nur bei Haftbefehlen zur Strafvollstreckung gelten, nicht jedoch bei Haftbefehlen zur Verfahrensfortsetzung. Im konkreten Fall war ein Spanier in Spanien für dort begangene Straftaten verurteilt worden, wogegen er vorging. Daraufhin war ihm untersagt worden, sich nach Rumänien zu begeben, wo er wohnt. Trotz eines EU-Haftbefehls verweigert Rumänien jedoch seine Übergabe, wie beck-aktuell schreibt.
USA – Zollpause als Marktmanipulation: Gegen US-Präsident Donald Trump steht in den USA der Vorwurf der verbotenen Marktmanipulation im Raum. Nur wenige Stunden bevor dieser am Mittwoch eine 90-tägige Zollpause ankündigte, postete er auf seinem Netzwerk "Truth Social", dass es eine gute Zeit zum Kaufen sei ("This is a great time to buy"). Versteht man dies als konkrete Kaufempfehlung könnte eine illegale Marktmanipulation vorliegen, womit sich Trump auch in Europa nach Art. 2 Abs. 3 der EU-Marktmissbrauchsverordnung strafbar gemacht haben könnte, erklärt Rechtsprofessor Lars Klöhn gegenüber LTO (Max Kolter). Das Weiße Haus argumentiert, dass Trump nur seinen Job gemacht habe und zumindest mit seinem etwas früheren Post ("be cool") die Märkte habe beruhigen wollen. Es berichtet auch die SZ (Ann-Kathrin Nezik).
Spanien – Carles Puigdemont: Die Berufungsinstanz des Obersten Gerichtshofs Spaniens hat alle Einsprüche des früheren katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont zurückgewiesen und damit endgültig dessen Amnestie verweigert. Damit bleibt der im Brüsseler Exil lebende Politiker weiterhin wegen "Veruntreuung öffentlicher Gelder" angeklagt und somit zur Fahndung ausgeschrieben. Puigdemont und zwei weitere Politiker sollen die Kosten für das von der spanischen Regierung verbotene katalanische Unabhängigkeitsreferendum 2017 aus öffentlichen Konten bestritten haben. Nun bleibt den drei Politikern nur noch der Gang vor das spanische Verfassungsgericht, wie die taz (Reiner Wandler) berichtet.
USA – Maßnahmen gegen Großkanzleien: Donald Trump hat erneut eine Executive Order gegen eine US-Kanzlei erlassen. Als inzwischen fünfte US-Kanzlei trifft es diesmal die Kanzlei Susman Godfrey, der nicht nur vorgeworfen wird, durch die Implementierung von Diversity-Programmen andere Bewerber zu diskriminieren, sondern auch die Qualität von Wahlen negativ zu beeinflussen. Unter den Mandant:innen der Kanzlei ist das kanadische Unternehmen Dominion Voting Systems, das sich erfolgreich gegen den Vorwurf gewehrt hatte, seine Wahlcomputer seien bei der Wahl, die Donald Trump 2020 verlor, manipuliert gewesen. Susman Godfrey will gegen das Dekret vorgehen. Breiterer Widerstand von Partner:innen von verschiedenen Kanzleien organisiert sich derweil auf LinkedIn unter "Law Firm Partners United", wie LTO schreibt.
Sonstiges
Jugendgewalt: Eine neue Studie der Universität Köln identifiziert mögliche Ursachen für den Anstieg der Jugendgewalt seit dem Ende der Corona-Pandemie. Danach weisen Schüler:innen heute eine geringere Selbstkontrolle auf und lehnen Regelverstöße moralisch weniger stark ab als noch vor zehn Jahren. Jugendliche verbringen zudem weniger Zeit miteinander im realen Leben. Die Wissenschaftler:innen vermuten, dass diese Veränderungen für den Anstieg der Gewaltdelinquenz verantwortlich sind, können aber noch keine endgültigen Ursachen benennen. Zudem sei besonders auffällig, dass obwohl Jungen weiterhin häufiger gewalttätig sind, Mädchen die größten Steigerungsraten verzeichnen. spiegel.de (Tobias Großekemper/Philipp Kollenbroich) berichtet.
Rassismus-Definition: Die neue Arbeitsdefinition von Rassismus, die der Expert:innenrat Antirassismus für die "praktische Anwendung in den Verwaltungen" entwickelt hat, könnte auch bei der dienstrechtlichen Bewertung rassistischer Verhaltensweisen für mehr Klarheit sorgen, erörtert Rechtsprofessor Andreas Nitschke auf dem Verfassungsblog. Während rassistische Äußerungen grundsätzlich gegen die Verfassungstreuepflicht verstoßen, stehe die Frage im Raum, ob der Schutz vertraulicher Kommunikation – wie in polizeilichen Chatgruppen – bei rassistischen Aussagen im privaten Kontext weiterhin gelten sollte. Der Arbeitsdefinition komme hier keine unmittelbare Bedeutung zu, so der Autor. Da sie jedoch die "Vorbildfunktion des Staates" betone, wirke sie eher zulasten der Vertraulichkeit und zugunsten der disziplinarrechtlichen Relevanz.
NSU-Dokumentationszentrum: In Nürnberg soll zukünftig ein NSU-Dokumentationszentrum geschaffen werden. So sieht es der frisch ausgehandelte Koalitionsvertrag vor. An diesem Ort sollen die Erinnerungen an die Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) wach gehalten, an die Opfer erinnert und der NSU-Komplex aufgearbeitet werden. Drei der zehn rassistisch motivierten Morde verübte der NSU in Nürnberg. Dabei starben Enver Şimşek, İsmail Yaşar und Abdurrahim Özüdoǧru. LTO berichtet.
"The darkest files": Nun bespricht auch LTO (Marcel Schneider) das Videospiel "The Darkest Files", das im Jahr 1956 spielt. Als junge Staatsanwältin arbeitet man im Team von Fritz Bauer an der Aufarbeitung der NS-Verbrechen mit, indem man selbst ermittelt und auch vor Gericht verhandelt. Dabei bette das Spiel die Ermittlungsarbeit stets in den historischen Kontext ein. Es sei ein "Spiel zum Versinken, sofern man Lust auf Akribie hat".
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ali/chr
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Die juristische Presseschau vom 11. April 2025: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56986 (abgerufen am: 22.04.2025 )
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