Verfassungsgerichtshof erklärt bayerische polizeiliche Generalklausel für verfassungskonform. BVerfG weist BSW-Klagen auf neue Auszählung der Bundestagswahl ab. Antirassismusbeauftragte veröffentlicht Interpretationshilfe für Behörden.
Thema des Tages
VerfGH Bayern zu drohender Gefahr: Die zusätzliche Generalklausel in Art. 11a des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) für Maßnahmen bei einer "drohenden Gefahr" verstößt nicht gegen die Landesverfassung. Dies entschied der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Rahmen einer von den Landtagsfraktionen von Grünen und SPD eingereichten sog. Meinungsverschiedenheit nach Art. 75 Abs. 3 der Landesverfassung. Der Begriff der "drohenden Gefahr" sei zwar auslegungsbedürftig, aber mit den üblichen juristischen Methoden auslegungsfähig. Die Norm sei für eine Generalklausel überdurchschnittlich detailliert und präzise, die drohende Gefahr sogar legaldefiniert, so die bayerischen Verfassungsrichter:innen. Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, müsse die Norm aber in dreierlei Hinsicht einschränkend ausgelegt werden. Entgegen dem klägerischen Vortrag seien auch die vom Bundesverfassungsgericht in seinem ersten BKA-Urteil aufgestellten Maßstäbe für die Absenkung einer Eingriffsschwelle berücksichtigt worden. LTO (Tamara Wendrich) und beck-aktuell berichten.
Rechtspolitik
Asyl: Rechtsprofessor Winfried Kluth kritisiert auf dem Verfassungsblog, dass laut Sondierungspapier der Amtsermittlungsgrundsatz im Asylrecht in den "Beibringungsgrundsatz" geändert werden soll. Dies würde eine deutliche Schwächung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze bedeuten. Der Amtsermittlungsgrundsatz diene u.a. dazu, die Gleichheit der Bürger:innen im Verwaltungsverfahren zu sichern, indem der Zugang zum Recht nicht von persönlichen Fähigkeiten und Mitteln abhängig gemacht wird, wie es beim Beibringungsgrundsatz jedoch der Fall wäre.
Ausbürgerung: Rechtsprofessor Thomas Groß kritisiert, dass laut Sondierungspapier verfassungsrechtlich geprüft werden soll, ob Terrorunterstützer:innen, Extremist:innen und Antisemit:innen die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden kann, sofern sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen. Dies hätte u.a. den Charakter einer "doppelten Sanktion", dabei sei die Staatsangehörigkeit etwas so Grundlegendes, dass sie – gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte – auf keinen Fall zu Bestrafungszwecken missbraucht werden dürfe. Zudem sei eine Regelung, die nur einen Teil der Bevölkerung betreffe, auch unter dem Gesichtspunkt der grundrechtlich verankerten Gleichheit problematisch. Die taz (Dinah Riese) berichtet.
Justiz
BVerfG – Bundestagswahl/BSW: Die bei der Bundestagswahl abgegebenen Stimmen müssen nicht neu ausgezählt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat drei entsprechende Eilanträge des BSW und Wahlberechtigter abgelehnt. Die Anträge seien bereits unzulässig, so die Karlsruher Richter:innen, die die Kläger:innen auf das übliche Wahlprüfungsverfahren verweisen. Damit wird am heutigen Freitag zunächst der Wahlausschuss des Bundestages das amtliche Endergebnis feststellen. Dagegen kann innerhalb von zwei Monaten Einspruch erhoben werden, über den dann der Bundestag entscheidet. Erst dann kann Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt werden. spiegel.de (Dietmar Hipp), tagesschau.de (Phillip Raillon), beck-aktuell und LTO berichten.
In einem vor der Entscheidung geführten Interview mit beck-aktuell (Maximilian Amos) kritisiert Rechtsprofessorin Sophie Schönberger die BSW-Verfassungsbeschwerde auf erneute Auszählung der Bundestagswahl. Man können nicht sagen: "Mir passt das Ergebnis nicht oder es ist mir zu knapp, bitte überprüft doch nochmal alles."
BVerfG – Rettungswesen: Die Björn Steiger Stiftung, die sich für eine Verbesserung des Rettungswesens einsetzt, will mit einer Verfassungsbeschwerde die Einführung bundeseinheitlicher Standards in der Notfallversorgung erreichen. Ein flächendeckendes, einheitliches und qualitativ hochwertiges Rettungsdienst-System sei in Deutschland nicht vorhanden, so Stiftungs-Präsident Pierre-Enric Steiger. Zwar seien die Helfer:innen erfahren, kompetent und motiviert, jedoch bänden unnötige Einsätze Kräfte und führten Unklarheiten und Gerangel um Zuständigkeiten zu uneinheitlichen Abläufen. Eine Neuorganisation des Rettungsdienstes mit bundesweit einheitlichen Standards stand schon bei der zerbrochenen Ampel-Koalition auf der Agenda. Es berichten FAZ (Christian Geinitz), SZ und beck-aktuell.
BGH zu Haftentlassung von Franco A.: Der rechtsextremistische Ex-Oberleutnant Franco A. wird nicht vorzeitig nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe entlassen. Damit bestätigte der BGH die vorinstanzliche Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main und verwarf die sofortige Beschwerde des im Juli 2022 verurteilten A. Damals hatte das OLG Frankfurt/Main Franco A. unter anderem wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Zwar könne eine Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB auch bei terroristischen Täter:innen in Betracht kommen, allerdings müssen sie sich dafür glaubhaft von ihrer früheren Gewaltbereitschaft distanzieren, so der BGH. Von seiner völkisch-nationalistischen, rassistischen und demokratiefeindlichen Einstellung habe sich Franco A. aber bislang nicht gelöst, vielmehr habe sich diese radikale Einstellung verfestigt. Es berichtet beck-aktuell.
OLG München – Ex-Wirecard-Chef Braun: Nun berichtet auch die SZ (Stephan Radomsky), dass das Oberlandesgericht München eine Haftbeschwerde des früheren Wirecard-Chefs Markus Braun abgelehnt hat. Die Dauer der Untersuchungshaft sei auch nach viereinhalb Jahren noch verhältnismäßig. Zudem wies das Landgericht München I einen Befangenheitsantrag gegen die 4. Wirtschaftsstrafkammer zurück. Es könnte noch in diesem Jahr ein Urteil geben.
LG Hamburg – Aussagen über Stefan Gelbhaar: Die Berliner Grünen-Politikerin Klara Schedlich darf zwei Äußerungen über Berührungen und Annährungsversuche durch ihren Parteikollegen Stefan Gelbhaar vorerst nicht wiederholen. Das entschied die Pressekammer des Landgerichts Hamburg und bejahte einen Unterlassungsanspruch. In einem Fall handelte es sich um eine Aussage-gegen-Aussage-Situation, die zulasten der darlegungs- und glaubhaftmachungsbelasteten Klara Schedlich ging. Das Gericht habe jedoch nicht festgestellt, dass Klara Schedlichs Äußerungen unwahr seien, kommentiert Schedlichs Rechtsanwältin Rebecca Richter gegenüber LTO.
LG Ravensburg zu Vergewaltigung mit Hilfe von Lügen: Das Landgericht Ravensburg hat einen 26-Jährigen, der sich als Bundeswehr-Elitesoldat ausgegeben hat, wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Durch das Lügenkonstrukt einer vermeintlichen Gefahrensituation zwang er zwei Frauen zum Sex und zu sexuellen Aufnahmen. Der Mann war als voll schuldfähig eingestuft worden. spiegel.de berichtet.
LG Köln – Erzbistum Köln vs. Bild: In einem presserechtlichen Verfahren zwischen dem Erzbistum Köln und der Bild-Zeitung wurde Kardinal Rainer Maria Woelki als Zeuge geladen, jedoch in einer Art In-Sich-Geschäft von seiner Aussage entbunden, wie die FAZ (Daniel Deckers) den Vorgang beschreibt. Denn die Entscheidung, dass Woelki nicht aussagen darf, hatte sein Generalvikar Guido Assmann getroffen, der wiederum direkt von Woelki abhängig sei. Dies werfe neben Fragen zur Unabhängigkeit dieser Entscheidung auch Fragen zur Rechtsstaatlichkeit auf, wenn weltliche Gerichte solche kirchenrechtlichen Vorgänge unüberprüft lassen.
Recht in der Welt
USA – Maßnahmen gegen Großkanzleien: Anwalt Niko Härting kritisiert auf LTO die Attacken von US-Präsident Donald Trump auf Großkanzleien als Angriff auf die freie Advokatur, zu der international nicht geschwiegen werden dürfe. Ähnlich äußert sich der ex-Juve-Journalist Aled Griffiths im Interview mit beck-aktuell (Pia Lorenz). US-Präsident Donald Trump hat seit seinem Amtsantritt zwei ihm missliebige Wirtschaftskanzleien mit geschäftsschädigenden Anordnungen angegriffen. Zunächst traf es die Kanzlei Covington & Burling, der Trump per Memorandum vorläufig die Sicherheitsgenehmigung entzog, weil diese den unabhängigen Sonderermittler Jack Smith kostenlos beraten hatte. Dann entzog Trump auch der Kanzlei Perkins Coie die Sicherheitsgenehmigungen und wies mit einer executive order Bundesbehörden an, der Kanzlei schnellstmöglich alle Mandate zu entziehen und Verträge mit der Kanzlei zu kündigen. Trump wirft Perkins Coie unter anderem vor, mit ihren Diversitätsvorgaben gegen das Antidiskriminierungsrecht zu verstoßen.
USA – Völkerrecht: US-Präsident Donald Trump stelle das Völkerrecht als Weltordnungssystem infrage, meint Heribert Prantl (SZ) in seiner Kolumne. Dies habe weitreichende globale Folgen, auch für die USA selbst. Es setze "ein Prozess der völkerrechtlichen Entzivilisierung" ein. Das sei das Ende einer Entwicklung, die vor genau vierhundert Jahren begonnen habe, befürchtet Prantl und zeichnet die Geschichte und die Kerninhalte des Völkerrechts nach.
Sonstiges
Rassismus: Die Bundesbeauftragte für Antirassismus, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD), hat Anfang der Woche eine Auslegungshilfe zum Vorliegen von Rassismus vorgestellt. Die Arbeitsdefinition von Rassismus soll den Beamt:innen von Bund, Ländern und Kommunen sowie den Gerichten bei der Anwendung verschiedener Gesetze helfen. Die aus 13 Sätzen bestehende Definition wurde von einer zwölfköpfigen Expert:innengruppe verfasst und beruht auf rechtlich verbindlichen Vorgaben, insbesondere auf Art. 3 Abs. 3 S. 1 Grundgesetz und dem UN-Antirassismusübereinkommen. LTO (Hasso Suliak) berichtet.
Mandantenakquise: Die Anwältin und Karriere-Mentorin Anja Schäfer gibt auf LTO-Karriere Tipps, wie man sich und sein Angebot/Anliegen binnen 120 Sekunden effektiv vorstellen kann. Den so genannten "elevator pitch" solle man immer wieder üben.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/ali/chr
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Die juristische Presseschau vom 14. März 2025: . In: Legal Tribune Online, 14.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56795 (abgerufen am: 16.03.2025 )
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