Die juristische Presseschau vom 10. Januar 2025: EuGH zu Gesch­lecht­si­den­tität und DSGVO / BGH zu Anom-Chat­daten / LG Köln zu Dubai-Scho­ko­lade

10.01.2025

Der EuGH entschied, dass die Geschlechtsidentität beim Kauf von Fahrkarten irrelevant ist. Der BGH bestätigte die Verwertbarkeit von entschlüsselten Anom-Chatdaten aus den USA. Das LG Köln entschied: Dubai-Schokolade muss aus Dubai kommen.

Thema des Tages

EuGH zu Geschlechtsangabe beim Fahrkartenkauf: Bahnkund:innen müssen beim Erwerb von Fahrkarten nicht angeben, ob sie als "Herr" oder "Frau" angesprochen werden wollen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren. Unternehmen dürfen keine Daten zur Geschlechtsidentität ihrer Kund:innen erheben, wenn die Erhebung lediglich dazu dienen soll, die geschäftliche Kommunikation zu personalisieren. Nach dem in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) enthaltenen Grundsatz der Datenminimierung müssen die erhobenen Daten auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein. Die Fälle, in denen eine solche Verarbeitung rechtmäßig ist, seien in der DSGVO abschließend aufgezählt. Sie umfassen insbesondere Fälle, in denen die Datenverarbeitung für die Erfüllung eines Vertrags oder zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich ist. Um für die Erfüllung eines Vertrags erforderlich zu sein, müsse die Datenverarbeitung "objektiv unerlässlich" sein, was bei der Anrede mit "Herr" oder "Frau" für die ordnungsgemäße Erfüllung des Schienentransportvertrags nicht der Fall ist. Auch ein berechtigtes Interesse lehnte der EuGH mit Verweis auf seine ständige Rechtsprechung ab. Der Entscheidung liegt ein vom französischen Verband Mousse angestrengtes Verfahren gegen die Praxis des französischen Eisenbahnunternehmens SNCF Connect zugrunde. Zudem bindet sie auch alle anderen nationalen Gerichte der EU-Mitgliedstaaten, wenn diese über vergleichbare Fragen zu entscheiden haben. Es berichten LTO, beck-aktuell und netzpolitik.org (Anna Biselli).

Rechtspolitik

Polizei filmen: In einem Beitrag auf dem Verfassungsblog analysiert Lea Leutiger, Doktorandin, die Rechtslage zum Filmen von Polizeibeamt:innen in Deutschland und im internationalen Vergleich. Es bedürfe klarer gesetzlicher Vorgaben, um möglicherweise rechtswidriges Verhalten von Polizeibeamt:innen rechtssicher dokumentieren zu können.

Rechtspolitik im Wahlkampf: Der Deutsche Anwaltverein hat ein Eckpunktepapier mit seinen rechtspolitischen Forderungen an eine künftige Regierungskoalition vorgestellt. Wie LTO und beck-aktuell schreiben, geht es darin neben der Gewährleistung des Zugangs zum Recht, um die Sicherung der elementaren rechtsstaatlichen Rolle der Anwaltschaft und die Erhaltung des Rechtsstaats.

Im zweiten Teil einer Serie untersucht beck-aktuell (Pia Lorenz u.a.) die Forderungen der Parteien aus den Wahlprogrammen, nun hinsichtlich der Themengebiete Justiz, Europa-/Völkerrecht und Gesellschaft.

Steuern: Die steuerrechtlichen Änderungen für 2025 stellt Steuerberater Justin Dieterling auf LTO vor. Insbesondere wird zur Abmilderung der sog. kalten Progression der Grundfreibetrag für die Jahre 2024 bis 2026 angehoben.

Justiz

BGH zu Anom-Chatdaten: Die entschlüsselten Anom-Chatdaten, die das US-Justizministerium deutschen Ermittler:innen zur Verfügung stellte, sind im Strafprozess verwertbar, sofern sie der Aufklärung schwerer Straftaten dienten. Dies entschied der Bundesgerichtshof und bestätigte im Kern ein Urteil des Landgerichts Tübingen. Das FBI hatte Handys mit der Kriminellen-App Anom in Umlauf gebracht und dann die Chats entschlüsselt. Laut BGH komme es nicht darauf an, ob deutsche Ermittler so wie das FBI hätten vorgehen dürfen. Der BGH sah auch keinen Verstoß gegen den Ordre Public. Die Maßnahmen hätten sich nur gegen kriminalitätsgeneigte Personen gerichtet, wie schon die Werbung für die Anom-App zeige ("designed by criminals for criminals"). Das Bundeskriminalamt hat seit März 2021 die aus der verschlüsselten Nachrichten-App Anom stammenden Daten ausgewertet und inzwischen mehr als 280 Ermittlungsverfahren eingeleitet. beck-aktuell und spiegel.de berichten.

LG Köln zu Dubai-Schokolade: Es ist Unternehmen im geschäftlichen Verkehr untersagt, Schokolade, die nicht in Dubai hergestellt wird und keinen sonstigen geografischen Bezug zu Dubai hat, als "Dubai-Schokolade" zu kennzeichnen. Das entschied das Landgericht Köln in zwei Beschlüssen, die LTO (Entela Hoti) vorliegen. In den zugrunde liegenden Verfahren erwirkte die Mbg International Premium Brands GmbH, die den "Habibi-Riegel" aus Dubai nach Deutschland importiert, gegen zwei Unternehmen einstweilige Unterlassungsverfügungen. Beide warben auf der von ihnen vertriebenen Schokolade damit, dass diese "mit einem Hauch Dubai" angereichert sei oder "den Zauber Dubais direkt zu Ihnen nach Hause" bringe. Geografische Herkunftsangaben dürfen gem. § 127 Abs. 1 Markengesetz jedoch nicht für Waren benutzt werden, die nicht diese geografische Herkunft aufweisen.

EuGH zu DSGVO-Beschwerden: Die hohe Anzahl der von einer Person gestellten DSGVO-Beschwerden ist lediglich ein Indiz unter mehreren für die Annahme eines rechtsmissbräuchliches Verhaltens. Dies entschied der Europäische Gerichtshof. Im konkreten Fall hatte die österreichische Datenschutzbehörde die Bearbeitung einer weiteren Beschwerde verweigert, nachdem ein Mann 77 Beschwerden binnen 20 Minuten einreichte. Die Behörde berief sich dabei auf Art. 57 Abs. 4 DSGVO, wonach "bei offenkundig unbegründeten oder – insbesondere im Fall von häufiger Wiederholung – exzessiven Anfragen" die Bearbeitung auch verweigert werden darf. Laut EuGH komme es auf die Absicht des Beschwerdeführers an: Gehe es ihm um den Datenschutz (dann muss die Beschwerde befasst werden) oder wolle er die Behörde lahmlegen (dann kann die Beschwerde ignoriert werden). Die EuGH-Entscheidung entspricht wohl der Praxis deutscher Behörden. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), beck-aktuell und tagesschau.de (Philip Raillon).

BGH – Birkenstock-Sandalen: Der Bundesgerichtshof hat über die Frage verhandelt, ob die klassische Sandale der Marke Birkenstock als Werk angewandter Kunst einzustufen und damit urheberrechtlich geschützt ist. Dem zugrunde liegen drei Konkurrentenklagen von Birkenstock, in denen der Schuhhersteller durch den Verkauf ähnlicher Modelle sein Urheberrecht an der Konzeption des Schuhs verletzt sieht. Die Karlsruher Richter:innen ließen aber bereits erkennen, so beck-aktuell, dass sie der Bewertung des vorinstanzlichen Oberlandesgerichts Köln folgen könnten, das die Klagen abgewiesen hatte.

LG Hamburg - Berichterstattung über das Remigrations-Treffen: Ein Jahr nach Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen zu einem Treffen von Rechtsextremen in einer Villa bei Potsdam haben zwei Teilnehmer beim Landgericht Hamburg gegen den Correctiv-Bericht geklagt. Correctiv soll die Behauptung unterlassen, bei dem Treffen sei über die "Ausweisung deutscher Staatsbürger" diskutiert worden, dies sei sachlich falsch. Damit wird erstmals Correctiv selbst wegen einer Kernaussage des Enthüllungsberichts verklagt. Mehrfach wurden aber bereits Medien wie der NDR oder das ZDF zur Unterlassung derartiger Aussagen verurteilt. Anlässlich der Klage geben SZ (Ronen Steinke) und RND (Christian Rath) einen Überblick über die bisherige Rechtsprechung.

BFH zu Verdienstausfallschaden: Auch der Ersatz der Steuerlast für einen Verdienstausfallschadensersatz muss versteuert werden. Das entschied der Bundesfinanzhof, wie beck-aktuell berichtet. Wenn eine Versicherung des Schädigers der geschädigten Person den Verdienstausfall ersetzt, muss die Geschädigte diesen versteuern und bekommt die Steuerlast dann ebenfalls von der Versicherung ersetzt. Laut BFH muss nun aber auch diese Erstattung wieder versteuert werden. 

BVerwG zu unterirdischen Stromkabeln: Nun berichtet auch beck-aktuell über die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das die Klagen von drei Landwirt:innen gegen die Verlegung von Höchstspannungsleitungen als Erdkabel unter ihren Grundstücken verhindern wollten. Der Bau von Erdkabeln schütze die umliegenden Wohngebäude.

LG Düsseldorf – Pizza mit Kokain: Vor dem Landgericht Düsseldorf beginnt am 22. Januar der Prozess gegen den ehemaligen Chef einer Altstadt-Pizzeria in Düsseldorf wegen des Verdachts auf Drogenhandel. Dem 36-Jährige wird vorgeworfen, in seinem Laden die "Altstadt-Pizza Nr. 40" mit einem halben Gramm Kokain als Beilage verkauft zu haben, berichtet LTO.

DFB-Sportgericht zu Feuerzeugwurf: Das Bundesligaspiel zwischen dem VfL Bochum und Union Berlin wird mit 2:0 für den VfL Bochum gewertet. Das entschied das DFB-Sportgericht, weil das Spiel Mitte Dezember beim Stand von 1:1 abgebrochen werden musste, nachdem ein Berliner Fan den Bochum Torwart mit einem Feuerzeug am Kopf traf. Das Gericht verwies auf Paragraf 18.4 der DFB-Rechts- und Verfahrensordnung: "Trifft eine Mannschaft oder ihren Verein (...) ein Verschulden an dem Spielabbruch, dann ist das Spiel dem Schuldigen mit 0:2 Toren für verloren und dem Unschuldigen mit 2:0 Toren für gewonnen zu werten." Es berichten u.a. SZ (Ulrich Hartmann) und spiegel.de

Union Berlin will laut kicker.de gegen die Entscheidung in Berufung zum DFB-Bundesgericht gehen.

GBA – Spionage für China: Die Bundesanwaltschaft hat wegen des Verdachts der Spionage für China und Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz drei Deutsche angeklagt. Zwei von ihnen sollen Informationen über Militärtechnik beschafft und der dritte diese an den chinesischen Geheimdienst MSS weitergegeben haben. Die taz (Frederik Eikmanns) und spiegel.de berichten.

BKA – Beleidigung von Politiker:innen/Habeck: Die Zentrale Meldestelle des Bundeskriminalamtes für strafbare Inhalte im Netz (BKA ZMI) hat die Bezeichnung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als "Schwachkopf professional" ein weiteres Mal als mutmaßlich strafbare Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens gem. § 188 Strafgesetzbuch (StGB) eingestuft. Das berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof). Bei einem Anfangsverdacht auf ein Vergehen nach § 188 StGB werden üblicherweise die betroffenen Politiker:innen kontaktiert und angefragt, ob ein Strafantrag gestellt wird, so auch Habeck in dem bereits bekannt gewordenen ähnlichen Fall in Bamberg. 

Recht in der Welt

USA – Donald Trump/Stormy Daniels: Der US-Supreme Court hat mit 5 zu 4 Stimmen einen Antrag von Donald Trump abgelehnt, die für den heutigen Freitag geplante Verkündung des Strafmaßes im Schweigegeldprozess zu untersagen. Trump hatte sich auf seine Immunität als Präsident berufen. Voraussichtlich wird Richter Juan Merchan eine "bedingungslose Straffreiheit" verkünden, dabei aber die juristische Schuld Trumps feststellen. spiegel.de berichtet. 

Sonstiges

Parteifinanzierung/Musk-Weidel: Die Bundestagsverwaltung prüft, ob es sich bei dem öffentlichen Online-Gespräch zwischen dem US-Milliardär Elon Musk und AfD-Chefin Alice Weidel auf Musks Social-Media-Plattform X um eine illegale Parteispende aus dem Ausland handelt. Das Interview habe eine solch breite Reichweite, die eine Plattform wie X normalerweise nur für sehr viel Geld verkauft, erläutert gegenüber LTO Aurel Eschmann von LobbyControl. Insofern könne es sich durchaus um politische Werbung handeln.

Streitkultur: Ronen Steinke (sz.de) hält ein Plädoyer für eine freie und kontroverse Streitkultur an den Universitäten im Land, vor allem im Hinblick auf die sich seit Monaten zuspitzenden Konflikte um den Umgang mit pro-israelischen und pro-palästinensischen Personen und Gruppen.

Meta/Faktencheck: In einem Gastbeitrag auf LTO ordnet Rechtsprofessor Christian-Henner Hentsch die Ankündigung von Meta-Chef Mark Zuckerberg, bei Facebook und Instagram in den USA auf professionelle Faktenchecks zu verzichten, rechtlich und politisch ein. Zwar seien Änderungen in der EU vorerst nicht zu erwarten. Die europäische Diskussion spiegele jedoch das Unverständnis für die in den USA traditionell auf weitgehende Meinungsfreiheit ausgerichtete Medienordnung wieder und zeige, dass "der Anspruch der EU, durch Regulierung europäische Standards in die Welt zu exportieren" gescheitert sei.

zdf.de (Jan Henrich/Daniel Heymann) geht davon aus, dass die EU-Verordnung Digital Services Act (DSA) vor allem die Verbreitung illegaler Inhalte zu verhindern versuche und weniger auf Desinformation ausgerichtet ist. Wenn sich sich die sozialen Netzwerke nicht freiwillig gegen Fake-News engagieren, gebe es nur wenige Möglichkeiten, sie dazu zu zwingen.

Verleger Hans Dieter Beck: Das Beileidsschreiben des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter an die Witwe des verstorbenen Verlegers Hans Dieter Beck sei verstaubt und bediene sich in Hinblick auf die Nazi-Vergangenheit des Verlags C.H.Beck einer euphemistischen Sprache, kritisiert Patrick Bahners (FAZ) das in der "Rathaus-Umschau" vom 7. Januar erschienene Schreiben. 

Das Letzte zum Schluss

Kirchentag: Gegner:innen der öffentlichen Finanzierung des evangelischen Kirchentages haben einen Verein mit genau dem Namen gegründet, unter dem der Kirchentag traditionell selbst agiert, um den Veranstalter:innen ein Schnippchen zu schlagen und die 5,8 Millionen Euro Zuwendungen selbst einzustreichen. Der Kirchentag hat beim Amtsgericht Fulda die Löschung des Vereins beantragt. LTO (Tanja Podolski) berichtet.


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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/ali/chr

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. Januar 2025: . In: Legal Tribune Online, 10.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56299 (abgerufen am: 15.01.2025 )

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