Die juristische Presseschau vom 9. Dezember 2022: Nach der Reichs­bürger-Razzia / Neue Ver­fas­sungs­richter:innen / Keine eA gegen 2. Nach­trags­haus­halt

09.12.2022

Nach der Razzia wegen Umsturzplänen werden Konsequenzen diskutiert. Rhona Fetzer, Thomas Offenloch und Martin Eifert sollen Verfassungsrichter:innen werden. BVerfG lehnt Eilantrag der CDU/CSU-Fraktion gegen den 2. Nachtragshaushalt 2021 ab.

Thema des Tages

Umsturzpläne/AfD-Richterin: Die im Rahmen der bundesweiten Razzia am Mittwoch festgenommene Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann soll möglichst schnell aus dem Dienst entfernt werden.  Die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) hat angekündigt, entsprechende Eilanträge zu stellen. Bereits am Mittwoch hatte das Landgericht Berlin seinern Geschäftsverteilungsplan per Eilverfügung geändert und Malsack-Winkemann gestrichen. SZ (Markus Balser/Jan Heidtmann), tagesspiegel.de (Robert Kiesel/Jost Müller-Neuhof), spiegel.de, zeit.de und LTO (Annelie Kaufmann) berichten.

Razzien und Öffentlichkeit: Die Welt (Frederik Schindler) schreibt über Kritik an der Schnelligkeit der öffentlichen Berichterstattung über die Razzien. Bereits kurz nach Beginn der Aktion seien in vielen Medien ausführliche Berichte erschienen, offensichtlich seien Journalist:innen vorab über die Razzien informiert gewesen. Der Münchener Strafrechtsprofessor Mark A. Zöller weist darauf hin, dass dadurch möglicherweise auch Polizeibeamt:innen gefährdet wurden.

Jost-Müller Neuhof (tagesspiegel.de) hegt den Verdacht, bei der bundesweiten Razzia habe – auch – eine Inszenierung stattgefunden; ein PR-Coup, der die Verantwortlichen der Staatsmacht in gutes, die Festgenommenen in ein schlechtes Licht rücken soll. Ein solcher Eindruck wäre schädlich, so Müller-Neuhof. Die Verantwortlichen sollten deshalb glaubhaft darlegen, dass sie alles dafür getan haben, den Einsatz im Vorfeld geheim zu halten.

Generalbundesanwalt: Auch die SZ (Wolfgang Janisch) porträtiert jetzt Generalbundesanwalt Peter Frank, unter dessen Leitung die bundesweiten Razzien am Mittwoch durchgeführt wurden. Er bewege sich im Auge des Sturms mit großer Souveränität und wirke dabei fast unangestrengt. Frank sei seit 2015 fast unfallfrei im Amt.

Rechtspolitik

BVerfG-Richterwahl: Am kommenden Donnerstag werden im Bundestag drei neue Verfassungsrichter:innen gewählt. Nachfolgerin von Monika Hermanns soll auf Vorschlag der SPD Rhona Fetzer werden, bisher Vorsitzende BGH-Richterin. Als Nachfolger von Peter M. Huber soll auf Vorschlag der FDP Thomas Offenloch gewählt werden, ebenfalls BGH-Richter. Auf Susanne Baer wird im Februar auf Vorschlag der Grünen Rechtsprofessor Martin Eifert folgen. LTO (Christian Rath) stellt die designierten neuen Richter:innen vor. 

Bargeldzahlungsgrenze: Die EU-Staaten haben sich - bei Enthaltung Deutschlands - im Rahmen neuer Geldwäschevorschriften darauf geeinigt, dass Bargeldzahlungen mit mehr als 10.000 Euro nicht mehr möglich sein sollen. Außerdem soll es Beschränkungen für Kryptowährungen geben, so dass es künftig erschwert würde, bei Zahlungen mit Bitcoin und ähnlichen Währungen anonym zu bleiben. Jetzt muss sich das EU-Parlament positionieren, bevor dann abschließend verhandelt wird. LTO berichtet.

Justiz

BVerfG zu Nachtragshaushalt und Schuldenbremse: Das Bundesverfassungsgericht hat den Eilantrag der Unionsfraktion gegen die im 2. Nachtragshaushalt 2021 enthaltene Übertragung von Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro an den Klima- und Transformationsfonds abgewiesen. Ursprünglich waren die Mittel für die Bewältigung der Folgen der Corona-Krise gedacht. Die Union ist der Auffassung, dass mit der Umwidmung die Schuldenbremse umgangen werde, weil das Geld erst in späteren Jahren ausgegeben werden soll. Die Karlsruher Richter:innen haben jetzt allein aufgrund einer Folgenabwägung entschieden. Der Normenkontroll-Antrag in der Hauptsache sei weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. FAZ (Manfred Schäfers), taz (Christian Rath), zdf.de (Charlotte Greipl), spiegel.de und LTO (Alexander Cremer) berichten. Die SZ (Wolfgang Janisch/Henrike Roßbach) sieht Signale, dass das Gericht das Umbuchungsmanöver am Ende für verfassungswidrig erklären könnte.

Wenn die Koalition mit ihrem Haushaltstrick durchkäme, sei die Schuldenbremse nicht mehr viel wert, meint Manfred Schäfers (FAZ). Nicht nur die im Bund regierende Koalition liebe das Spiel mit kreditfinanzierten Nebenhaushalten, um für harte Schuldenbremsenjahre gewappnet zu sein. Auch in den Ländern greife diese Methode um sich. Wenn die Schuldenbremse im Grundgesetz ihren Sinn behalten solle, müssten solche Fluchtversuche gestoppt werden. Auch für Jasper von Altenbockum (FAZ) ist ein Urteil angesichts spitzfindiger Umgehungen der Schuldenbremse in Bund und Ländern in der Sache dringend geboten. die Schuldenbremse sei kein Schwarze-Null-Fetisch, sondern solle Politiker dazu zwingen, sinnvolle Prioritäten zu setzen.

EuGH zum Recht auf Vergessenwerden: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Google-Treffer auf Antrag aus der Trefferliste zu einer Person entfernt werden müssen, wenn sie offensichtlich falsch sind. Betroffene müssen dafür nicht zuerst denjenigen verklagen, der die Informationen ins Netz gestellt hat, sondern können direkt Google in die Pflicht nehmen. Geklagt hatte ein Paar aus der Finanzbranche, das die Auslistung einer US-amerikanischen Internetseite, die unrichtige Behauptungen über sie enthielt, aus der Trefferliste zu ihrem Namen begehrte. Bei unrichtigen Informationen habe das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen immer Vorrang und die Meinungs- und Informationsfreiheit müsse dahinter zurückstehen, so der EuGH. Dies gelte auch, wenn nur ein Teil der Informationen falsch sei, diese Informationen aber für den Gesamtartikel "nicht unwesentlich“ seien. Die Beweislast für die Unrichtigkeit der Informationen hätten allerdings die Betroffenen, hier also das Ehepaar, das die Auslistung beantragte. taz (Christian Rath) und LTO fassen die Entscheidung zusammen.

BVerwG – Akteneinsicht für U-Ausschuss Hanau: Der hessische Untersuchungsausschuss zum Attentat in Hanau hat beim Bundesverwaltungsgericht einen Eilantrag gegen den Generalbundesanwalt eingereicht. Die Ausschussmitglieder seien verärgert über die von der Bundesanwaltschaft übermittelten Ermittlungsakte. Die Kopien enthielten weitgehende Schwärzungen; weder die Obduktionsberichte noch Krankenberichte zum Täter, der sich nach der Tat selbst getötet hatte, seien für die Parlamentarier zu lesen. Der Generalbundesanwalt argumentiert mit dem postmortalen Persönlichkeitsrecht. Die FAZ (Marlene Grunert/Timo Steppat) berichtet.

BAG zur Arbeitszeiterfassung: Rechtsanwalt Sebastian Kroll analysiert im Expertenforum Arbeitsrecht jetzt ebenfalls die kürzlich veröffentlichten Urteilsgründe des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung. Arbeitgeber seien danach ohne Übergangsfrist verpflichtet, den Beginn und das Ende - also die Dauer - der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer:innen zu erfassen. Solange es keine anderweitige gesetzliche Regelung gebe, unterliege die konkrete Form der Ausgestaltung der Mitbestimmung durch den Betriebsrat.

OLG Düsseldorf zu IS-Rückkehrerin Emilie R.: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat eine Anhängerin der islamistischen Terrormiliz IS zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Nach Überzeugung des Senats war die Angeklagte im Juli 2014 nach Syrien gereist, um dort den IS zu unterstützen. Während ihr Mann als Kämpfer unterwegs war, habe die junge Frau Geld vom IS erhalten und sich um Haushalt und Kinder gekümmert, so das Gericht laut spiegel.de.

OVG MV zu Corona-Einreisesperre: Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat den Normenkontrollantrag eines Zweitwohnsitzinhabers gegen das zeitweilig zum Schutz vor Corona-Ansteckungen geltende Einreiseverbot in das Bundesland abgelehnt. Die entsprechenden Bestimmungen der Corona-Verordnung des Landes seien bereits außer Kraft getreten und hätten sich damit objektiv erledigt. Für die Feststellung einer Rechtswidrigkeit fehle ein berechtigtes Interesse. LTO berichtet.

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Vor dem Landgericht München I hat der Prozess gegen Markus Braun und zwei weitere ehemalige Wirecard-Manager mit der Verlesung der Anklage begonnen. Die wesentlichen Anklagepunkte lauten auf Marktmanipulation, Untreue, gewerbsmäßigen Bandenbetrug sowie unrichtige Darstellung von Jahresabschlüssen. Gemeinsam soll das Trio dem Unternehmen mit ausgeklügelten Strukturen Kapital in Milliardenhöhe entzogen haben. Bisher sind 100 Verhandlungstage vorgesehen, der Prozess findet im Hochsicherheitsgerichtssaal der Münchener Justizvollzugsanstalt Stadelheim statt. FAZ (Henning Peitsmeier /Marcus Jung), SZ (Stephan Radomsky/Nils Wischmeyer), Hbl (René Bender/Christian Schnell), taz (Patrick Guyton),  LTO (Stefan Schmidbauer), spiegel.de (Tim Bartz) und zeit.de (Jurik Caspar Iser) berichten über den Prozessauftakt.

Das Hbl (Renè Bender) stellt in einem separaten Beitrag Markus Födisch, den "Richter, der über Wirecard entscheidet" vor. Er sei "kein Mann der Milde", "ein akribischer Mensch, ein superkorrekter Jurist", werden Juristen zitiert, die mit ihm in der Vergangenheit zu tun hatten.

Anja Krüger (taz) befürchtet, dass es nur bei strafrechtlichen Konsequenzen des Wirecard-Skandals bleibt. Weder die alte Bundesregierung mit dem damaligen Finanzminister Olaf Scholz noch die neue mit dem zum Bundeskanzler aufgestiegenen Sozialdemokraten hätten ausreichende Lehren aus dem Fall gezogen. Wirtschaftsprüfungsfirmen wie EY, die bei Wirecard komplett versagten, hätten weiterhin eine ungeheure Macht, würden aber selbst nur unzureichend kontrolliert.

LG Berlin zu Mordauftrag im Darknet: Zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren hat das Landgericht Berlin einen 28-Jährigen verurteilt, der über das Darknet einen Profikiller anheuern wollte, der den Lebenspartner eines Mannes, in den er verliebt war, töten sollte. Die entsprechende Darknet-Seite stellte sich später als Fake heraus. Der Angeklagte hatte seine Tat früh gestanden, nach Ansicht des Gerichtes geht von ihm keine Gefahr mehr aus, schreibt spiegel.de (Wiebke Ramm).

VG Berlin zu Adlon-Erben: Die Erben des Hotelgründers Lorenz Adlon haben keinen Anspruch auf eine Entschädigung für die Nachkriegs-Enteignung des Luxus-Hotels neben dem Brandenburger Tor. Dies hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden. Es folgte damit nicht der Behauptung der Kläger, es gebe neue Beweise, dass die Familie im Nationalsozialismus verfolgt worden war. Felix Adlon, der die Erbengemeinschaft vertritt, kündigte nach der Entscheidungsverkündung weitere rechtliche Schritte an. LTO berichtet.

ArbG Köln – nichtbeschäftigter Redakteur: Den rechtlichen Rahmen zum Fall des WDR-Redakteurs, der seinen Arbeitgeber wegen "Nichtbeschäftigung" auf Entschädigung verklagte, untersucht im Hbl-Rechtsblog Rechtsanwalt Alexander Greth. Der Journalist soll Presseberichterstattungen zufolge bei einem Jahresgehalt von 100.000 Euro nur wenige Stunden im Monat arbeiten dürfen. Solche Verfahren seien selten, schreibt der Autor. Nur in wenigen, mobbingähnlichen Einzelfällen hätten Landesarbeitsgerichte bislang Arbeitnehmern eine Geldentschädigung wegen einer durch die unterbliebene Beschäftigung versursachten Persönlichkeitsverletzung zugesprochen. Bei der Entschädigung stehe dann die Genugtuung des Opfers im Vordergrund.

AG Berlin-Tiergarten – Gehorsamsverweigerung einer Soldatin: Weil sie mehrmals trotz Krankschreibung und Nebentätigkeitsverbot als DJ gearbeitet hat, hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage gegen eine 27-jährige Berufssoldatin wegen Gehorsamsverweigerung erhoben, wie spiegel.de meldet. Für Gehorsamsverweigerung droht nach dem Wehrstrafgesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.

AG Flensburg zu Klimaprotest: Das Amtsgericht Flensburg hat jetzt die Begründung zu einer Entscheidung von Anfang November veröffentlicht, in der ein Baumbesetzer überraschend mit Verweis auf einen rechtfertigenden Notstand gem. § 34 StGB freigesprochen wurde. Die Tat des Angeklagten habe den Erhalt eines konkreten innerstädtischen Waldes zum Ziel gehabt, um auf diese Weise das Fortschreiten von Klimawandel und Erderwärmung zu verhindern sowie die Herstellung von Klimaneutralität zu fördern. heißt es in den Urteilsgründen, die LTO (Katharina Uharek) zusammenfasst. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, habe ergeben, dass vorliegend das geschützte Interesse des Klimaschutzes das beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiege.

EuGH und BVerfG: swr.de (Gigi Deppe) erläutert die anhaltende Debatte zwischen Europäischem Gerichtshof und Bundesverfassungsgericht um das "letzte Wort". Angelpunkt ist dabei die Entscheidung des EuGH zu den Anleiheankäufen der Europäischen Zentralbank, die der demnächst ausscheidende Verfassungsrichter Peter M. Huber als "krasses Versagen" bezeichnet. Es gebe eine große Unzufriedenheit in allen nationalen Verfassungs- und Höchstgerichten sowie in den EU-Mitgliedsstaaten "mit einer etwas oberflächlich schludrigen Art und Weise, wie politisch heikle Fragen durch den Gerichtshof in Luxemburg bearbeitet werden", so Huber. EuGH-Präsident Koen Lenaerts sagte, der BVerfG-Vorwurf, dass man seine Befugnisse überschreite, indem man nicht ausreichend kritisch ist, sei schon ziemlich komisch.

Sonstiges

Wahlwiederholungen in Berlin: Die Doktorandin Sophia Stelzhammer beleuchtets im juwiss-Blog das Problem, dass bei den kompletten beziehungsweise teilweisen Wiederholungen der Berlin- und der Bundestagswahl Änderungen innerhalb der Wählerschaft nicht abgebildet werden können. So könne es sein, dass Stimmen von Menschen, die zwischenzeitlich umgezogen seien, entweder doppelt oder gar ncht zählen. Damit stoße der Rückgriff auf ein aktualisiertes Wähler:innenverzeichnis auf starke Bedenken hinsichtlich der Wahlrechtsgleichheit.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/pf/chr

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. Dezember 2022: Nach der Reichsbürger-Razzia / Neue Verfassungsrichter:innen / Keine eA gegen 2. Nachtragshaushalt . In: Legal Tribune Online, 09.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50416/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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