Die juristische Presseschau vom 2. bis 4. Oktober 2021: Abt­rei­bungs­recht vor Sup­reme Court/ Stutthof-Pro­zess kann fort­ge­setzt werden / Anwälte kamen gut durch Pan­demie

04.10.2021

Der US-Supreme Court berät ab dem heutigen Montag über das Abtreibungsrecht. Nach der vereitelten Flucht geht der Prozess gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin am 19. Oktober weiter. Anwält:innen sind laut FAZ gut durch die Pandemie gekommen.

Thema des Tages

USA ­– Abtreibungsgesetz Texas: Ab dem heutigen Montag verhandelt der US-Supreme Court über das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, so spiegel.de. Anlass des Verfahrens ist ein neues Gesetz in Texas, das Schwangerschaftsabbrüche ab dem Zeitpunkt, zu dem der Herzschlag des Fötus festgestellt werden kann, verbietet. Ausnahmen bei Vergewaltigungen oder Inzest sind nicht vorgesehen. Mit der Neuregelung sollen zudem Bürger:innen ermutigt werden, zivilrechtlich gegen alle Personen vorzugehen, die sie verdächtigen, Frauen bei einem unrechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch geholfen zu haben. Der Supreme Court hatte 1973 in seinem Grundsatzurteil "Roe v. Wade" das Recht von Frauen auf eine Abtreibung entwickelt. Abtreibungsgegner:innen hoffen nun, dass dieses Urteil gekippt wird, nachdem der frühere US-Präsident Donald Trump in seiner Amtszeit drei neue Verfassungsrichter:innen ernannt und das Gericht damit weit nach rechts gerückt hatte.

Rechtspolitik

Arbeitsrecht: Im Expertenforum Arbeitsrecht schaut sich Rechtsanwalt Stefan Gatz an, welche arbeitsrechtlichen Projekte von den Regierungsfraktionen in der kommenden Legislaturperiode wieder aufgegriffen werden könnten. So hatte zum Beispiel die FDP bereits 2019 eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes gefordert und es sei zu erwarten, dass dieses Anliegen bei entsprechenden Verhandlungen wieder auf den Tisch komme.

Mediation: Warum in Recht und Politik mehr Schlichtung und Mediation vonnöten wären, erläutert Heribert Prantl (Sa-SZ). Es brauche Mediation in und zwischen den Parteien; es brauche auch Mediation in der Gesellschaft, um die Lösung anstehender Großprobleme voranzubringen. Mediation sei das Gegenteil von Machtspielen, auch etwas anderes als das Aussitzen von Konflikten.

Gesetzesänderungen: LTO stellt Gesetzesänderungen zusammen, die zum 1. Oktober in Kraft getreten sind, darunter Verschärfungen beim Stalking-Paragraph im Strafrecht, Änderungen im Inkassorecht und Nachbesserungen beim NetzDG.

Justiz

LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: Der Prozess gegen die heute 96-jährige ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof soll am 19. Oktober fortgesetzt werden, nachdem die Angeklagte zum Prozessbeginn am vergangenen Donnerstag fliehen wollte. Die Sa-SZ (Ronen Steinke) fasst die wichtigsten Fragen und Antworten zum Verfahren zusammen. Sinn des Verfahrens sei die "symbolische Bekräftigung dessen, was Recht und Unrecht ist".

Die Justiz dürfe eine 96-Jährige nicht nur vor Gericht stellen, sie müsse es sogar tun, meint Joachim Käppner (Sa-SZ). Da der Gesetzgeber 1979 gerade wegen der Naziverbrechen beschlossen habe, dass Mord nicht verjähre, gehe kein Weg daran vorbei, noch verhandlungsfähige Beschuldigte vor Gericht zu stellen – auch um den Preis, dass es sich um sehr alte Menschen handele. Es sei wichtig, dass es jetzt vorangehe, schreibt Per Hinrichs (WamS). Der Prozess in Itzehoe müsse jetzt schnell feststellen, was Irmgard F. wusste, was sie tat und ob sie schuldig ist. Das sei nicht nur dem Gesetz geschuldet, sondern auch den Ermordeten und Überlebenden des KZ Stutthof.

BGH zu Vertragsgenerator Smartlaw: Jetzt liegt die Begründung zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. September vor, in dem der BGH die Rechtmäßigkeit des Vertragsgenerators Smartlaw bejahte. Martin W. Huff von der Rechtsanwaltskammer Köln stellt auf LTO die Entscheidung dar. Der Anbieter Wolters Kluwer werde, so der BGH, nicht in einer konkreten fremden Angelegenheit tätig, so dass es an einer unerlaubten Rechtsdienstleistung fehle. Zwar liege eine fremde Angelegenheit vor, weil das Unternehmen mit dem Angebot ein wirtschaftliches Eigeninteresse verfolge, allerdings sei das Angebot, den Generator zu nutzen, keine "konkrete" Angelegenheit.

OLG München – IS-Rückkehrerin Jennifer W.: Im Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Jennifer W. hat die Verteidigung auf einen Freispruch hinsichtlich des Mordvorwurfes und auf eine maximal zweijährige Freiheitsstrafe hinsichtlich des Vorwurfes der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung plädiert, so Sa-SZ und spiegel.de. Der deutschen Islamistin wird vorgeworfen, im Irak ein Kind verdurstet haben zu lassen. Ob das Kind überhaupt gestorben sei, sei nicht nachweisbar bzw. die Umstände des möglichen Todes seien nicht mehr klärbar, meint die Verteidigung. Die Bundesanwaltschaft hatte eine lebenslange Haft gefordert. Das Urteil in dem seit zweieinhalb Jahren laufenden Prozess soll am 25. Oktober ergehen.

OLG München zu "muenchen.de": Die Münchener Stadtportal "muenchen.de" sei zu presseähnlich und enthalte zu viel Werbung, hat das Oberlandesgericht München laut LTO entschieden. Damit wurde den Klagen mehrerer Zeitungsverlage nun auch in zweiter Instanz stattgegeben. Das Gericht kritisierte eine mangelnde Staatsferne des Stadtportals. Die verlange, dass sich die Gemeinde in ihren Publikationen wertender oder meinungsbildender Elemente enthalte und sich auf Sachinformationen beschränke.

VGH Hessen zu Sputnik V-Impfung: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass Menschen, die sich mit dem Vakzin "Sputnik V" impfen ließen, kein Impfzertifikat erhalten können, so LTO. Der russische Impfstoff sei in der Bundesrepublik Deutschland nicht zugelassen und auch europarechtliche Bestimmungen würden die Ausstellung eines inländischen Nachweises nicht gebieten, heißt es u.a. zur Begründung.

OVG NRW zu Hells Angels: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat das Verbot der Organisation "Hells Angels MC Concrete City" bestätigt. Das Landesinnenministerium hatte den Verein mit der Begründung verboten, dass seine Tätigkeit gegen Strafgesetze verstoße und außerdem die Organisation als Parallelgesellschaft gewertet, die das Gewaltmonopol des Staates missachte. LTO fasst die Entscheidung zusammen.

LG Braunschweig – Dieselskandal/VW-Führungskräfte: Im Betrugsprozess zur VW-Dieselaffäre hat ein ehemaliger Manager zwei Mitangeklagten "wahrheitswidrige Angaben" vorgeworfen, schreibt LTO. Die beiden leitenden Ingenieure hätten bei Vernehmungen Behauptungen "zur eigenen Entlastung" aufgestellt, so der ehemalige Entwicklungschef. Vor dem Landgericht Braunschweig sind vier ehemalige Manager und Ingenieure des Konzerns angeklagt, denen unter anderem gewerbs- und bandenmäßiger Betrug mit manipulierter Software in Millionen Autos vorgeworfen wird. Die Befragung durch die Strafkammer soll am 5. Oktober beginnen.

LG Berlin – Mord an Pastor: Über den Prozess wegen des mutmaßlichen Mordes an einem 77-jährigen Pastor berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm). Angeklagt ist ein 22-jähriger rumänischer Sexarbeiter, der bisher die Tat bestritt. Jetzt hat er über seinen Verteidiger einen weiteren jungen Rumänen beschuldigt, den Pastor umgebracht zu haben, während der Angeklagte lediglich dabei gestanden sei. Es habe Streit um sexuelle Dienstleistungen gegeben.

StA Chemnitz – militante Antifa/Verletzung von Dienstgeheimnissen: Im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen die mutmaßlichen antifaschistischen Gewalttäter um die Studentin Lina E. ermittelt die Staatsanwaltschaft Chemnitz jetzt gegen Beamte der entsprechenden Sonderkommission, schreibt die Mo-taz (Konrad Litschko). Es geht um den Verrat von Dienstgeheimnissen, weil wiederholt interne Informationen aus den Ermittlungsakten in rechtsextremistischen Medien erschienen waren.

AG Limburg – Tötung durch Suizid: Die Sa-FAZ (Julian Staib) berichtet von einem Prozess vor dem Amtsgericht Limburg, in dem sich ein Mann verantworten muss, der versucht haben soll, Frauen in den Suizid zu treiben. Seit 2007 soll er der Anklage zufolge gezielt Frauen über das Internet kontaktiert haben, die Suizidabsichten hatten und ihnen "Hilfe zum schmerzlosen Aus-dem-Leben-Scheiden" sowie "eine Art Gesprächstherapie" angeboten haben, um Vertrauen zu wecken und die Frauen "gefügig" zu machen.

BAG – Abschied Ingrid Schmidt: Die Sa-FAZ (Marcus Jung) berichtet über den Festakt zu Ehren von Ingrid Schmidt, der langjährigen Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes. Schmidt sei die Eisbrecherin für das Bundesarbeitsgericht in Sachen Chancengleichheit gewesen. Als sie ihr Richteramt 1994 antrat, habe es gerade mal vier Richterinnen in den Senaten gegeben. Am Ende ihrer Ägide waren von 38 Richter:innen immerhin 18 weiblich, bis zu ihrem Ausscheiden seien fünf der zehn Senate von Frauen geleitet worden.

Recht in der Welt

Polen – Vorrang von EU-Recht: spiegel.de (Jan Puhl) schildert die Verhandlung des polnischen Verfassungsgerichts über die Frage, ob polnisches Recht Vorrang vor EU-Recht hat. "Der Eindruck bleibt, dass die polnischen Richter in dem Verfahren – auch persönlich – mit europäischen Gerichtshöfen abrechnen wollen." Am 7. Oktober soll die Verhandlung fortgesetzt werden.

USA – Bader Ginsburg-Museum: Wie LTO berichtet, ist in New York eine Wanderausstellung gestartet, die das Leben und Wirken der vor einem Jahr verstorbenen Supreme Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg würdigt. Die Schau zeige neben Fotos, Videos und Dokumenten auch zahlreiche persönliche Objekte – unter anderem Richterroben und Krägen sowie Gegenstände aus der heimischen Küche, für die hauptsächlich Ehemann Martin "Marty" Ginsburg zuständig war.

USA – Staatshaushalt: Erneut hat die US-Regierung vor einem drohenden Shutdown gestanden, der erst in letzter Minute abgewendet wurde. Warum damit nur eine von mehreren Krisen abgewendet wurde, erläutert LTO.

Großbritannien – Menschlicher "Crash-Test-Dummy": LTO berichtet über einen Rechtsstreit zwischen der BBC und einem TV-Moderator, der jetzt zugunsten des Moderators ausgegangen ist. Die Fernsehanstalt hatte ihn als Versuchskaninchen in einem menschlichen "Dummy-Crash-Test" eingesetzt. Wegen seiner dabei erlittenen Verletzungen erhält der Mann jetzt eine Entschädigung in Höhe von 1,6 Millionen Pfund.

Sonstiges

Anwälte: Laut Sa-FAZ (Marcus Jung) sind Anwälte – verglichen mit den Konjunkturdaten der deutschen Wirtschaft – die großen Profiteure der Corona-Krise gewesen. Der Markt der 100 umsatzstärksten Wirtschaftskanzleien sei 2020 um 6,8 Prozent auf rund 7,8 Milliarden Euro gewachsen.

Ein Grund dafür sei das hohe Maß an digitalisierten Arbeitsabläufen in Kanzleien, meint in einem separaten Kommentar Marcus Jung (Sa-FAZ). Dieser Vorschub an IT-Investitionen habe es im Lockdown überhaupt erst möglich gemacht, Unternehmen in größter Existenznot zu beraten.

Anwaltskanzleien: LTO (Stefan Schmidbauer) gibt einen Überblick über personelle Änderungen im Anwaltsmarkt in den vergangenen Monaten.

Kunstfreiheit: Im Interview mit der Sa-SZ (Peter Laudenbach) erklärt Rechtsanwalt Peter Raue anhand vieler Beispiele, er habe "Angst davor, wie sehr die Freiheit der Kunst durch 'Cancel Culture' und vermeintliche politische Korrektheit bedroht ist." Er kommt zum Schluss: "Der einzige Effekt solcher Kampagnen ist ein ressentimentvergiftetes, kunstfeindliches Klima. Zum notwendigen Kampf gegen Rassismus und Sexismus tragen diese Aktionen nicht das Geringste bei."

Wahlpraxis Berlin: Der Spiegel (Dietmar Hipp) hat die Kritik des Rechtsprofessors Christian Waldhoff am Berliner Wahlchaos protokolliert. Waldhoff hatte am vergangenen Wochenende als Wahlhelfer die Schwierigkeiten bei den Wahlen und Abstimmungen in Berlin hautnah miterlebt. Er überlege nun, eine Wahlprüfung zu beantragen. Auch wenn sich das nicht auf die Ergebnisse auswirken sollte, würden so wenigstens die Wahlfehler förmlich festgestellt, das wäre wichtig, damit sich so etwas nicht wiederhole.

Promotion: Wie man eine gute rechtswissenschaftliche Doktorarbeit schreibt, erläutert der wissenschaftliche Mitarbeiter Philipp Bongartz auf LTO-Karriere in der Zusammenfassung einer entsprechenden Veranstaltung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Insgesamt sechs Professorinnen und Professoren hatten auf dem dortigen Panel vor einem virtuellen Publikum beschrieben, was eine herausragende Dissertation auszeichnet, welche No-Gos ihnen den Urlaub verderben und was sie an ihrer eigenen Doktorarbeit ändern würden.

Justiz und Erinnerungskultur: LTO (Christian Rath) berichtet über die Jahrestagung des Forums Justizgeschichte vom vorigen Wochenende, die sich mit Erinnerungskulturen an deutschen Gerichten und ganz konkret mit der Aufarbeitung des Justiz-Unrechts befasste. Als Negativbeispiel wurde von Richter Dr. Martin Borowsky das Bundesarbeitsgericht kritisiert, "das nie einen Grund gesehen habe, die NS-Verstrickung seiner ersten Richter:innen aufzuarbeiten". Ex-Richter Georg Falk stellte die Erinnerungskultur der hessischen Justiz als Positivbeispiel dar. Die Politikwissenschaftlerin Christiane Wilke schilderte, wie in Prozessen gegen DDR-Jurist:innen immer wieder die unzureichende Aufarbeitung der NS-Justiz zur Sprache kam.

75 Jahre Nürnberger Prozesse: Auf spiegel.de blickt die Historikerin Annette Weinke ausführlich zurück auf die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, deren Ende sich dieser Tage zum 75. Mal jährt. Die Autorin berichtet in ihrem Beitrag auch über Meinungsdifferenzen zwischen den Richtern – so habe sich der französische Richter Henri Donnedieu de Vabres kurz vor Prozessende mit dem gesamten Richterkollegium angelegt, indem er versuchte, die Anwendung der für Nürnberg neu entwickelten völkerrechtlichen Straftatbestände "Gemeinsamer Plan der Verschwörung" und "Verbrechen gegen den Frieden" in letzter Minute zu verhindern.

Rechtsgeschichte – Stromdiebstahl: Wie Martin Rath auf LTO schreibt, hatte sich die höchstrichterliche deutsche Justiz vor 125 Jahren das erste Mal mit dem Diebstahl elektrischen Stroms zu befassen. In der Erstinstanz hatten die Richter – anders als später das Landgericht Kiel – noch "weder den Thatbestand des Diebstahls noch den der Unterschlagung" als erfüllt angesehen, "weil die Elektrizität oder der elektrische Strom als eine bewegliche 'Sache' im Sinne des § 242 St.G.B.'s nicht gelten könne".

 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. bis 4. Oktober 2021: Abtreibungsrecht vor Supreme Court/ Stutthof-Prozess kann fortgesetzt werden / Anwälte kamen gut durch Pandemie . In: Legal Tribune Online, 04.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46195/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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