Die juristische Presseschau vom 18. bis 20. September 2021: Debatte um Minis­te­ri­ums­durch­su­chungen / "Hotel Ruanda"-Manager erwartet Urteil / Auf­takt im Ischgl-Pro­zess

20.09.2021

Die Debatte um die Durchsuchungen von Ministerien hält an. Paul Rusesabagina, Vorbild für den Manager im Hollywood-Film "Hotel Ruanda", erwartet sein Urteil und im Ischgl-Verfahren will die Richterin keine umfangreiche Beweisverfahren.

Thema des Tages

StA Osnabrück – FIU und Strafvereitelung/Durchsuchungen: Die Diskussion um die Durchsuchungen des Bundesfinanz- und des -justizministeriums im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen die Financial Intelligence Unit hält weiter an. Der Spiegel (Jörg Diehl/Sophie Garbe u.a.) stellt detailreich den gesamten Vorgang dar, inklusive des zugrundeliegenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Osnabrück. Brisant sind die Ermittlungsmaßnahmen insbesondere deshalb, weil mit dem Finanzministerium die Behörde von Kanzlerkandidat Olaf Scholz betroffen ist. In der SPD werden daher politische Motive für das Vorgehen der Staatsanwaltschaft vermutet.

Der Rechtswissenschaftler Klaus Ferdinand Gärditz untersucht im Verfassungsblog die Rechtmäßigkeit der Maßnahme, bejaht diese und weist darauf hin, dass eine Strafverfolgungsbehörde auf politische Interessen, den Wahlkampf schonend skandalarm zu halten, nicht Rücksicht nehmen darf.

Nicolas Richter (Mo-SZ) meint, es spräche viel dafür, dass die Ermittler das gesuchte Material mit weniger Aufwand und Aufsehen hätten bekommen können, mindestens aber hätten sie verkannt, dass eine der Objektivität verpflichtete Behörde auch mitdenken müsse, wie ihr Handeln wahrgenommen werde. Ulrike Hermann (Mo-taz) formuliert es schärfer: Die Staatsanwaltschaft hätte vorsätzlich den Eindruck erzeugt, die Leitung des Ministeriums würde Geldwäsche tolerieren und dieser Justizskandal sei beispiellos. Für Hendrik Wieduwilt (n-tv) hat bei der ganzen Sache das Staatsvertrauen der Bürger den größten Schaden erlitten. Die einen wähnten nun korrupte Beamte an höchster Stelle und die anderen fürchteten Staatsanwälte, die sich mittels Strafprozessordnung in den Wahlkampf einmischten.

Rechtspolitik

Wiederaufnahme: Am Freitag hat der Bundesrat die vom Bundestag beschlossene Änderung des Wiederaufnahmerechts, wonach bei Mord und Völkermord künftig auch eine Wiederaufnahme zuungunsten Freigesprochener möglich sein soll, passieren lassen. spiegel.de und LTO berichten über den Beschluss. Mehrere Länder hatten empfohlen, den Vermittlungsausschuss einzuberufen, mit dem Ziel, das Gesetz grundlegend zu überarbeiten, konnten sich aber letztendlich nicht durchsetzen.

Die Genese und die Diskussion der Neuregelung fasst spiegel.de (Dietmar Hipp) zusammen. Bedenklich erscheine vielen Juristen unter anderem, dass noch nicht einmal klar sei, ob die Wiederaufnahmemöglichkeit auch rückwirkend gelten soll, die Gesetzesbegründung lasse dies völlig offen.

Transparenzgesetz Berlin: Das im Berliner Rot-Rot-Grünen Koalitionsvertrag vorgesehene Transparenzgesetz wird es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben, weil sich die Regierungsparteien nicht auf einen gemeinsamen Entwurf einigen konnten, schreibt netzpolitik.org (Ingo Dachwitz). Eigentlich sollte eine Neuregelung das bisherige Informationsfreiheitsgesetz von 1999 ablösen und Behörden, städtische Unternehmen und andere öffentliche Stellen verpflichten, Informationen nicht mehr erst auf Anfrage herauszugeben, sondern sie der Öffentlichkeit proaktiv auf einem zentralen Portal zur Verfügung stellen. Umstritten ist vor allem, wie weit die Offenheit der Verwaltung gehen und wieviel Ausnahmen ein neues Gesetz vorsehen soll.

Justiz

BGH zu VW-Dieselskandal/Thermofenster: Der Bundesgerichtshof hat am vergangenen Donnerstag mehrere Revisionen in Verfahren gegen den Autobauer Daimler im Zusammenhang mit dem sogenannten Thermofenster in Dieselfahrzeugen zurückgewiesen. Die Sa-FAZ (Marcus Jung) beantwortet wichtige Fragen, die sich Nutzer von Mercedes-Benz-Diesel-Kraftfahrzeugen jetzt stellen.

BGH zu Limburger LKW-Attacke: Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren wegen einer Lastwagenattacke hinsichtlich des verhängten Strafmaßes an das Landgericht Limburg zurückverwiesen. Ein 33-Jähriger hatte einen Lkw gekapert, damit absichtlich 18 Menschen in Limburg verletzt – und wurde dafür zu neun Jahren Haft verurteilt, schreibt spiegel.de. Das Mordmerkmal der "Heimtücke" habe nicht tragfähig belegt werden können, so die Karlsruher Richter, lediglich die "Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel" wäre bewiesen worden.

VGH Hessen – Wahlumfrage: Nachdem das Verwaltungsgericht Wiesbaden die Einbeziehung von Briefwählern in die Umfrageergebnisse von Forsa erlaubt hatte, hat der Bundeswahlleiter nun dagegen Beschwerde beim hessischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt. Wie LTO erfuhr, wird der HessVGH nach Auskunft seines Sprechers Martin Sander Anfang dieser Woche über die Beschwerde entscheiden. Die Entscheidung des VG wurde zunächst in einem "Hängebeschluss" suspendiert. 

RiDGH BaWü zu StA Thomas Seitz: Oliver Garcia (de legibus-Blog) kritisiert das im Juni veröffentlichte Urteil des baden-württembergischen Richterdienstgerichtshofs, mit dem der Staatsanwalt Thomas Seitz wegen verfassungsfeindlicher Äußerungen aus dem Dienst entfernt wurde. Die Richter hatten die Amtsentfernung als verhältnismäßig angesehen, weil Seitz ja noch als Rechtsanwalt arbeiten könne. Dabei hätten sie aber übersehen, so der Autor, dass § 7 Abs. 1 Nr. 4 BRAO als Rechtsfolge auch ein Berufsverbot für Rechtsanwälte anordnet. Außerdem habe der RiDGH bei Seitz-Zitaten zum Begriff "Gesinnungsjustiz" und zum Begriff "Quotenneger" nicht die Rechtsprechung zur Auslegung mehrdeutiger Aussagen beachtet.

LG Frankfurt/M. – Raser: Wie die Sa-FAZ berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen den Mann, der im November 2020 im Frankfurter Ostend zwei Personen mit seinem Auto getötet und eine Person schwer verletzt haben soll, Anklage vor dem Frankfurter Landgericht wegen zweifachen Mordes und gefährlicher Körperverletzung erhoben. Dem 39 Jahre alten Deutschen werde vorgeworfen, sein Auto stark beschleunigt zu haben, um anderen Verkehrsteilnehmern zu imponieren. Dabei habe er die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren.

Landgericht Wuppertal – Kindstötungen: Die Mo-SZ (Sabine Maguire) berichtet über das Verfahren gegen eine Mutter, die fünf eigene Kinder getötet haben soll. Der Verteidigung zufolge soll allerdings ein Mann die Kinder erstickt haben, unter ihren Fingernägeln sei fremde männliche DNA gefunden worden. Am heutigen Montag soll der psychiatrische Gutachter aussagen, der die Angeklagte vor einigen Tagen in der JVA aufgesucht hatte.

LG Frankenthal zu Baumwurzeln im Nachbargarten: Herüberwachsende Baumwurzeln dürfen auch dann abgeschnitten werden, wenn dadurch das Absterben des Baumes droht, hat das Landgericht Frankenthal laut LTO entschieden. Das Gericht betont jedoch, dass nur jene Wurzeln beseitigt werden dürften, die den Nachbarn auch tatsächlich beeinträchtigen, darunter fielen solche, die ihn beim Rasenmähen stören und die den Rasenmäher beschädigen könnten.

LG Münster zu OneCoin: Vor dem Landgericht Münster hat der Prozess um eine der größten Betrugsgeschichten im Zusammenhang mit Digitalwährungen begonnen. OneCoin hatte tatsächlich nie existiert, dennoch kauften Anleger, darunter 60.000 Deutsche, Schulungspakete, in denen erklärt wurde, wie man OneCoins erhalten konnte. Der Schaden werde global auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt, heißt es in der FAZ (Marcus Jung/Frank Nestler) und auf spiegel.de. Im Hbl (Mareike Müller/Lars-MartenNagel) gibt es einen ausführlichen Bericht über den ersten Prozesstag. Es geht um drei Vermittler, ein Ehepaar aus Greven und einen Münchner Rechtsanwalt, denen eine Beteiligung an dem internationalen Betrug vorgeworfen wird. Die Bulgarin Ruja Ignatova, die OneCoin gegründet hatte und als Kopf der Unternehmung gilt, ist seit Jahren spurlos verschwunden.

VG Chemnitz zu "Nazis töten": Das Verwaltungsgericht Chemnitz hat entschieden, dass Wahlplakate der Partei "Die Partei" mit den Slogans "Nazis töten." und "Feminismus, ihr Fotzen!" nicht abgehängt werden müssen. Das Gericht begründete seinen Beschluss damit, dass die Plakatinhalte keinen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit, insbesondere nicht gegen Strafvorschriften, darstellten, so LTO.

VG Chemnitz zu "Hängt die Grünen": Für Helene Bubrowski (FAS) ist die Begründung des Verwaltungsgerichtes Chemnitz zur Entscheidung, mit der Wahlplakate der Partei "III. Weg" mit der Aufschrift "Hängt die Grünen" vorläufig gebilligt wurden, "so verquer, dass man sie immer noch nicht glauben kann". Die Partei hätte sich hier eines beliebten Spiels von Rechtsextremisten bedient: "sich mithilfe formalistischer Winkelzüge oder juristischer Schlupflöcher als Unschuldslämmer zu präsentieren und sich dabei ins Fäustchen zu lachen". Das Verwaltungsgericht Chemnitz habe den schlechten Trick nicht erkannt oder – man habe fast den Eindruck – nicht erkennen wollen.

Recht in der Welt

Ruanda – Prozess gegen "Hotel-Ruanda"-Manager: Der frühere Manager des Hôtel des Mille Collines in Kigali, Ruanda Paul Rusesabagina, der durch den Film "Hotel Ruanda" weltweit bekannt wurde, erwartet für den heutigen Montag das Urteil in seinem Terrorprozess. Rusesabagina muss mit lebenslanger Haft bei 13 Anklagepunkten im Zusammenhang mit Terrorismus rechnen, darunter Mord und Terrorfinanzierung, schreibt die Mo-taz (Francois Misser). Eine von ihm gegründete Organisation soll bei Angriffen in Ruanda in den Jahren 2018 und 2019 neun Menschen getötet haben.

Österreich – Ischgl-Prozess: Die Sa-SZ (Cathrin Kahlweit) und spiegel.de berichten vom Schadensersatzprozess wegen möglicher behördlicher Fehler im Zusammenhang mit dem Corona-Ausbruch im Frühjahr 2020 im Ferienort Ischgl. Kläger sind die Hinterbliebenen eines Österreichers, der sich im Skiurlaub im März 2020 mit dem Virus infiziert hatte und später verstarb. Sie werfen den Verantwortlichen vor, zu zögerlich eine Evakuierung des Skigebietes organisiert zu haben. Die Richterin hat nun am Freitag mitgeteilt, dass nicht beabsichtigt sei, in ein umfangreiche Beweisverfahren einzutreten und ein schriftliches Urteil angekündigt.

Polen – Rechtsstaatsdiskussion: Die Rechtswissenschaftlerin Thu Nguyen befasst sich im Verfassungsblog mit der Ankündigung der Europäischen Kommission, Polen mit einer Strafe von 1 Million Euro pro Tag, an dem die dortigen Richter-Disziplinarkammern entgegen der Entscheidung des EuGH vom Juli weiterexistieren, belegen zu lassen. Es wäre eine der höchsten Strafen, die jemals verhängt worden seien, heißt es im Text. Vier Juristen der Free Courts Initiative, Maria Ejchart-Dubois, Sylwia Gregorczyk Abram, Michał Wawrykiewicz und Paulina Kieszkowska-Knapik, zeigen sich im Verfassungsblog zuversichtlich, dass, egal wie arrogant die polnische Regierung sich gegenüber der EU zeigt, und egal wie sehr unabhängige Richter bedroht werden, die Maßnahmen der EU letztendlich trotz des Widerstandes dazu führen werden, dass die Vorgaben des EuGH umgesetzt werden.

Frankreich – 40 Jahre Abschaffung der Todesstrafe: Die Rechtsprofessorin Charlotte Schmitt-Leonardy beleuchtet im Verfassungsblog anlässlich der Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich vor 40 Jahren die immer wieder aufflammende Diskussion um staatliche Hinrichtungen. Zwar hätten mittlerweile über 100 Staaten die Todesstrafe gesetzlich abgeschafft und 36 praktizierten sie nicht mehr, unter den 56 Staaten, die sie jedoch weiterhin anwenden, zählten politisch und wirtschaftlich mächtige Staaten. Auf ein Tabu könne man sich deshalb nicht verlassen.

USA – Robert Durst: Vom Sensationsprozess gegen Robert Durst, Mitglied einer New Yorker Immobiliendynastie, der jetzt mit einem Schuldspruch endete, berichtet spiegel.de (Marc Pitzke). Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Durst vor über 20 Jahren eine langjährige Bekannte ermordet hat, um zu verhindern, dass sie im Fall um seine verschwundene Ehefrau aussagen kann. Das Strafmaß soll am 18. Oktober verkündet werden, Durst droht lebenslange Haft.

Schweiz – "Ehe für Alle": Am 26. September wird in der Schweiz über die Ehe für Alle abgestimmt. Ein entsprechendes Gesetz wurde bereits im vergangenen Jahr vom Schweizer Parlament beschlossen, die Gegner des Gesetzes konnten jedoch eine Abstimmung darüber auf den Weg bringen, heißt es auf spiegel.de (Charlotte Theile) in einem Interview mit der LGBTQ-Aktivistin Anna Rosenwasser.

Juristische Ausbildung

Rechtsphilosophie an der Uni Bonn: Die Schwierigkeiten bei der Neubesetzung des seit zwei Jahren vakanten Lehrstuhls für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bonn beschreibt LTO-Karriere (Franziska Kring). Die Querelen sorgen mittlerweile für Aufmerksamkeit im In-und im Ausland.

Sonstiges

Bundestagswahl und Recht: LTO (Tanja Podolski) beleuchtet rechtliche Fragen rund um die Bundestagswahl und befasst sich dabei auch mit der Auseinandersetzung zwischen dem Umfrageinstitut Forsa und dem Bundeswahlleiter um die Veröffentlichung des Stimmverhaltens von Briefwählern. Außerdem wird erklärt, warum es untersagt ist, das eigene Wahlverhalten zu posten und welche rechtlichen Unklarheiten es dabei im Zusammenhang mit der Briefwahl gibt.

Cookies: Die Verbraucherzentralen in Deutschland haben knapp 100 Unternehmen abgemahnt, weil diese sich nach ihrer Ansicht rechtswidrig die Zustimmung zum Datensammeln beim Surfen im Web erschlichen haben, meldet LTO. Bei einer Untersuchung hätten zehn Prozent der Firmen mit ihren Cookie-Bannern eindeutig gegen die Vorgaben des Telemediengesetzes und der EU-Datenschutzgrundverordnung verstoßen, hieß es vom Verbraucherzentrale Bundesverband, in zwei Drittel der Fälle hätten die Unternehmen inzwischen eine Unterlassungserklärung abgegeben.

Facebook und Querdenker-Kanäle: Eine rechtliche Einschätzung der von Facebook vorgenommenen Löschung von etwa 150 Querdenker-Kanälen gibt swr.de (Christoph Kehlbach/Michael-Matthias Nordhardt). Bezug genommen wird dabei auch auf die BGH-Entscheidung vom Juli, in der festgestellt wurde, dass das soziale Netzwerk die Meinungsfreiheit der Betroffenen beachten und sie nach der Löschung informieren und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme geben muss.

Jurist bei der Polizei: Im Interview mit LTO-Karriere (Franziska Krings) beschreibt Jan Kiesheuer, Jurist bei der Polizei, seinen Arbeitsalltag und auch welche Sanktionen Polizisten bei Dienstverstößen drohen können.

Kinderrechte: Martin Rath gibt auf LTO anlässlich des Weltkindertages am 20. September einen Überblick über historische Rechtsprechung zur Würde von Kindern.

 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. bis 20. September 2021: Debatte um Ministeriumsdurchsuchungen / "Hotel Ruanda"-Manager erwartet Urteil / Auftakt im Ischgl-Prozess . In: Legal Tribune Online, 20.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46053/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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