Die juristische Presseschau vom 24. September 2020: Euro­päi­sche Asyl­po­litik / Ver­hand­lung zum Feh­marn­belt­tunnel / Klage wegen Coro­na­aus­bruch

24.09.2020

Die EU-Kommission stellt ihre Pläne für eine neue europäische Asylpolitik vor. Das BVerwG scheint den Bau des Fehmarnbelttunnels nicht stoppen zu wollen. Geschädigte klagen wegen des Corona-Ausbruchs in Ischgl gegen die Republik Österreich.

Thema des Tages

Europäische Asylpolitik: Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für eine Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik vorgelegt. Dabei ist vorgesehen, dass Länder wie Griechenland und Italien vor allem mit einer starken Unterstützung bei der Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht entlastet werden. Länder wie Ungarn und Polen sollen nur in absoluten Ausnahmefällen zur Aufnahme von Migranten verpflichtet werden. Bereits an den EU-Außengrenzen soll geprüft werden, wer in die EU einreisen darf und ein normales Asylverfahren erhält. FAZ (Thomas Gutscher), SZ (Constanze von Bullion/Matthias Kolb), taz (Eric Bonse/Christian Jakob u.a.), LTO und zeit.de (Georg Blume) stellen die Pläne vor.

Der Migrationsforscher Manos Moschopoulos erklärt im Interview mit der taz (Eva Oer), warum er befürchte, dass sich eine Katastrophe wie in Moria wiederholen werde, wenn die EU darauf beharrt, Lager an den Außengrenzen zu errichten.

Eine gute Grundlage für einen Kompromiss und einen klaren Fortschritt gegenüber dem jetzigen System des unorganisierten Versagens, nennt Roland Preuss (SZ) die Vorschläge der Kommission. Jasper von Altenbockum (FAZ) begrüßt es, dass die EU-Kommission nicht versucht habe, "noch einmal mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen" indem sie den EU-Staaten einen festen Verteilungsmechanismus präsentiert. Till Hoppe (Hbl) stellt fest, dass die Kommission sich alle Mühe gegeben habe, die roten Linien der Regierungen zu umtänzeln und auf ihre Interessen und Sensibilitäten Rücksicht zu nehmen. Ob allerdings das Konzept tatsächlich praktikabel sei, dürfe man durchaus bezweifeln.

Rechtspolitik

Personenkennziffer: Das Bundeskabinett hat, wie LTO berichtet, eine Neuregelung beschlossen, die es künftig erlauben soll, über die Steueridentifikationsnummer auch Zugriff auf andere Informationen wie das Melderegister oder Dateien der Rentenversicherung zu erhalten. So soll die Steueridentifikationsnummer, kurz Steuer-ID zu einer Art Bürgernummer werden, die Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung den einfachen Zugriff auf bereits vorhandene Daten zu einer Person bei einer anderen Behörden ermöglicht. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hatte bereits im Juni gewarnt, dass eine solche Verknüpfung zu einem umfassenden Persönlichkeitsprofil vervollständigt werden könnte.

Abmahnungen: Der Bundestag hat in der vergangenen Woche das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs verabschiedet, mit dem missbräuchliche Abmahnungen effektiver bekämpft werden sollen. Rechtsanwalt Nikolas Gregor fasst auf LTO die Neuregelung zusammen und kommentiert sie kritisch.

Lieferketten und Menschenrechte: Im Interview mit dem Hbl (Moritz Koch/Thomas Sigmund) kritisiert der Präsident des BdA Ingo Kramer das geplante Lieferkettengesetz und warnt vor einem bürokratischen Monster, das damit geschaffen würde.

Whistleblowing bei der Justiz: Die Grünen im baden-württembergischen Landtag haben eine Beschwerdestelle vorgeschlagen, die es Mitarbeitern von Polizei und Justiz ermöglicht, anonym rechte Umtriebe zu melden, berichtet LTO. Dagegen protestierte der Verein der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg: die Justiz werde "unnötig und zu Unrecht einem Generalverdacht ausgesetzt".

Justiz

BVerwG – Fehmarnbelttunnel: Vom Bundesverwaltungsgericht, wo in dieser Woche über das Projekt einer Fehmarnbeltquerung verhandelt wurde, berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof). Die Klagen zweier Umweltverbände sowie mehrerer Fährunternehmen richten sich gegen den Planfeststellungsbeschluss für den deutschen Abschnitt. Es gelte als unwahrscheinlich, dass die Richterinnen und Richter das Projekt stoppen, heißt es im Text, vielmehr dürften sie Auflagen aussprechen oder weitere Ausgleichsmaßnahmen verlangen.

EuGH zu Behandlungskosten im EU-Ausland: Mit der Frage, wann die Krankenkasse eine Behandlung im EU-Ausland zahlen muss, hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) laut LTO befasst. Die EU-Richter haben entschieden, dass nicht per nationalem Gesetz verboten werden darf, dass die Kosten für einen dringenden Eingriff, dem sich ein EU-Bürger in einem anderen Mitgliedstaat unterzogen hat, erstattet werden.

BVerwG zur Einbürgerung: Wenn feststeht, dass ein Einbürgerungsbewerber die notwendigen amtlichen Dokumente nicht vorlegen oder zumutbar beschaffen kann, kann die Klärung der Identität auch durch nichtamtliche Dokumente erfolgen, entschied das Bundesverwaltungsgericht laut LTO. Wenn es keine anderen Möglichkeiten gebe, könnten in besonderen Ausnahmefällen im Rahmen der Gesamtwürdigung eines schlüssigen und glaubhaften Vorbringens auch allein die Angaben des Einbürgerungsbewerbers zu seiner Person Grundlage einer behördlichen oder gerichtlichen Überzeugungsbildung sein.

BVerwG zur Freizügigkeit: Das Bundesverwaltungsgericht hat laut LTO festgestellt, dass ein drittstaatsangehöriger Elternteil ein Aufenthaltsrecht von einem aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerkind ableiten kann. Ist das Freizügigkeitsrecht des Kindes von einem anderen Elternteil abgeleitet, genügt dies nach Ansicht des BVerwG nicht.

VerfGH NRW zu Stichwahl: Gegen den ursprünglichen Willen des Landesgesetzgebers werden am kommenden Wochenende in mehreren nordrhein-westfälischen Kommunen Stichwahlen bei der Oberbürgermeisterwahl durchgeführt. Die Stichwahlen waren vom Gesetzgeber zwar abgeschafft worden, doch Ende 2019 hat der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof die Abschaffung für verfassungswidrig erklärt. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages Hans-Günther Henneke erklärt in der FAZ, welche Folgen die Entscheidung hat.

OLG Frankfurt – Mord an Walter Lübcke: Anlässlich der Zeugenvernehmung des früheren Verteidigers im Lübcke-Prozess Frank Hannig am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt /M. erläutert Frank W. Zimmermann auf LTO, wie weit ein Anwalt in der Beeinflussung seines Mandanten gehen darf. Es steht der Vorwurf im Raum, dass Hanning seinen ehemaligen Mandanten E. zu einer Falschaussage riet und diese womöglich sogar vorgegeben hatte.

OVG Nordrhein-Westfalen zu Muezzinruf: Eine Ausnahmegenehmigung für eine Moschee, ihre Gläubigen per Lautsprecher zum Gebet zu rufen, verletzt nicht die negative Religionsfreiheit anderer Anwohner, entschied laut LTO das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Jede Gesellschaft müsse akzeptieren, dass man mitbekomme, dass andere ihren Glauben ausleben.

OVG Nordrhein-Westfalen zu rechtswidriger Schulentlassung: Auf die Feststellung, dass er zu Unrecht entlassen wurde, hat ein Schüler auch dann ein Anrecht, wenn er bereits auf eine neue Schule geht, hat des Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entschieden. Der Schüler hatte sich gegen einen Angreifer gewehrt und diesen dabei lebensgefährlich verletzt. Die Schule verfügte die Entlassung, obwohl die Staatsanwaltschaft das strafrechtliche Ermittlungsverfahren einstellte, weil sie von einer Notwehrsituation ausging. Das OVG stellte nun fest, dass die Entlassung rechtswidrig war. Die Abwehrsituation habe das Gewicht seines Fehlverhaltens auch schulordnungsrechtlich gemindert , so LTO.

LG Braunschweig – VW-Dieselskandal: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat, wie die FAZ (Carsten Germin) meldet, weitere Anklagen gegen VW-Mitarbeiter im Zusammenhang mit dem Dieselskandal erhoben. Es geht um mutmaßlichen Betrug, Falschbeurkundung und Wettbewerbsverstöße sowie teilweise um Untreue und Steuerhinterziehung. Namen nannten die Strafverfolger nicht.

LG Ulm zu Angriff auf Roma: Das Landgericht Ulm hat vier junge Männer wegen gemeinschaftlicher Nötigung zu Jugendstrafen, die auf Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt. Wie taz (Benno Stieber) und spiegel.de (Wiebke Ramm) berichten, hatten sie aus rassistischen Gründen eine Fackel auf eine Wiese in Erbach im Alb-Donau-Kreis geworfen, um die dortigen Roma-Familien zu vertreiben. Ein Tötungsvorsatz konnte nicht nachgewiesen werden.

LG Frankfurt/M. zu Cum-Ex-Steuerschulden: Die Deutsche Bank muss die Steuerschulden der Privatbank M.M. Warburg aus Cum-Ex-Geschäften nicht ausgleichen, hat laut LTO das Landgericht Frankfurt/M. entschieden. Die Privatbank Warburg sei originäre Steuerschuldnerin und habe die Steuern daher auch im Verhältnis zur Deutschen Bank primär zu tragen.

LG München II – Doping-Arzt: Die SZ (Claudio Catuogno) berichtet vom vierten Verhandlungstag im Prozess gegen den Erfurter Sportarzt Mark Schmidt, dem Doping vorgeworfen wird. Als erster Zeuge war am Mittwoch der Chefermittler des österreichischen BKA geladen. Er hatte im Februar 2019 die Razzien bei der Ski-Nordisch-WM in Seefeld verantwortet, die das Blutdoping-Netzwerk um Schmidt hatten auffliegen lassen.

AG Alsfeld zu Doxing: Das Amtsgericht Alsfeld hat einen jungen Hacker, der sich massenhaft Daten von Prominenten und Politikern verschafft und sie veröffentlicht hatte, zu neun Monaten Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt, wie FAZ (Julian Staib) und SZ mitteilen. Im Netz landeten Ende 2018 die Daten von vielen Personen des öffentlichen Lebens, darunter der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck und Moderator Jan Böhmermann Der 22-Jährige aus Homberg hatte die Vorwürfe in der nichtöffentlichen Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht eingeräumt.

Recht in der Welt

Österreich – Klagen wegen Corona-Ausbruch in Ischgl: Der österreichische Verbraucherschutzverein (WSV) unterstützt vier Musterklagen gegen die Republik Österreich auf Schadensersatz wegen des Corona-Ausbruches im Skiort Ischgl. Sie sollen als Muster für eine Sammelklage mit weiteren rund 1000 Klägern dienen. Der VSV wirft den lokalen Behörden vor, zu langsam und unzureichend auf den Ausbruch reagiert zu haben, berichten taz (Christian Rath)spiegel.de und FAZ (Michaela Seiser)

USA – Bader Ginsburg-Nachfolge: Im Machtkampf um die Nachfolge der in der vergangenen Woche verstorbenen Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg werde vor allem einer verlieren – der Supreme Court, kommentiert Heinrich Wefing (Zeit). Seit Jahren schon sei das Gericht ideologisch zerrissen: Dass Bader Ginsburg vor 27 Jahren mit 96 zu drei Stimmen im Senat bestätigt wurde, klinge heute unvorstellbar, die Ernennung des Richters Brett Kavanaugh 2018 geriet zum Fernseh-Schauprozess, der Kampf um die Nachfolge von Bader Ginsburg dürfte noch schlimmer werden. Am Ende bleibe vom Supreme Court nur eine Ruine.

Schweiz – Ermittlungen gegen Fifa-Präsident: Am Mittwoch hat das Schweizer Parlament den Kantonsrichter Stefan Keller als außerordentlichen Bundesanwalt für die Strafermittlungen gegen den Fifa-Präsidenten Gianni Infantino wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch eingesetzt, schreibt die SZ (Thomas Kistner).

EuGH – Justizreform in Rumänien: Die rumänische Justizreform verstößt nach Ansicht von EuGH-Generalanwalt Michal Bobek gegen EU-Recht. LTO berichtet über die entsprechenden Schlussanträge. Probleme sieht Bobek vor allem bei den Abteilungen für die Untersuchung von Straftaten innerhalb der Justiz, bei denen nicht ausreichend schergestellt sei, dass sie nicht zur politischen Kontrolle über Gerichtsentscheidungen genutzt werden.

Juristenausbildung

Juristenausbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen: LTO (Marcel Schneider) stellt die Pläne für ein neues Juristenausbildungsgesetz für Nordrhein-Westfalen vor. Danach soll es künftig neuen Pflichtfachstoff und mehr Hausarbeiten geben.

Sonstiges

Meinungsfreiheit: Der emeritierte Rechtsprofessor Bodo Pieroth hat sich für die FAZ einen offenen Brief von mehreren deutschsprachigen Künstlern und Intellektuellen angeschaut, in dem unter der Überschrift „Appell für freie Debattenräume“, gefordert wurde, „das freie Denken aus dem Würgegriff“ zu befreien. Pieroth kommt zu dem Ergebnis, dass - anders als von den Verfassern wahrgenommen - der Meinungsfreiheit vom Staat keine wirkliche Gefahr drohe und gelegentliche Versuche Privater, Meinungen in rechtswidriger Weise zu unterdrücken, mit den vorhandenen Mitteln des Rechtsstaats abgewehrt werden können. Es stehe keinesfalls so schlecht um die Meinungsfreiheit, wie vielfach behauptet werde. Eine stärkere Öffnung der Kommunikation auch für abgelehnte und schwer erträgliche Meinungen wäre allerdings im Sinne der demokratischen Offenheit und der Liberalität des Gemeinwesens.

Hohenzollernstreit: Rechtsprofessor Klaus Gärditz befasst sich in der FAZ mit dem Streit um mögliche Restitutionsansprüche der Hohenzollern und der Frage, ob bei der Lösung auch die Geschichtswissenschaft eine Rolle spielen sollte. Gerichte überforderten sich und würden ihrer Funktion nicht gerecht, wenn sie "Geschichte schreiben" wollten, so seine Mahnung.

Oktoberfestattentat: 40 Jahre nach dem rechtsextremistischen Anschlag auf dem Oktoberfest hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht verkündet, dass die Betroffenen Entschädigungen in Höhe von insgesamt 1,2 Millionen Euro erhalten sollen. Seinerzeit wurden 13 Personen getötet und 211 Menschen verletzt. Die Entschädigung kommt zustande, weil die Bundesanwaltschaft im Juli eine Neubewertung des Anschlags als rechtsextremistisch motiviert vornahm, schreibt die taz (Konrad Litschko). Ein weiterer Beitrag der taz (Sebastian Wehrhahn/Martina Renner) zeichnet die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft nach, die in diesem Jahr nach einem zweiten Anlauf endgültig eingestellt wurden.

Bankräuber und Hobbyjurist: In der SZ (Peter Burghardt) wird der 72jährige Michael Jauernik, notorischer Bankräuber und Selbstdarsteller, in einer Seite 3-Reportage vorgestellt. Zuletzt wurde er im Oktober 2019 vom Hamburger Landgericht zu zwölfeinhalb Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt, er sitzt seine Strafe in der JVA Fuhlsbüttel ab. Jauernik ist mehrfach gerichtlich erfolgreich gegen seine Haftbedingungen vorgegangen, teilweise sogar bis zum Bundesverfassungsgericht.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. September 2020: Europäische Asylpolitik / Verhandlung zum Fehmarnbelttunnel / Klage wegen Coronaausbruch . In: Legal Tribune Online, 24.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42895/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen