Die juristische Presseschau vom 5. bis 7. September 2020: Ernen­nung eines EuGH-Gene­ral­an­waltes gestoppt / VW kün­digt Ver­g­leich an / Nach­wuchs­pro­b­leme bei der Justiz

07.09.2020

Der EuG hat die Ersetzung der britischen Generalanwältin Sharpston durch einen griechischen Nachfolger gestoppt. VW will sich mit 50.000 Dieselklägern vergleichen und die Justiz hat Schwierigkeiten, hochqualifizierten Nachwuchs zu finden.

 

Thema des Tages

EuG zu EuGH-Generalanwalt: Auf Antrag der britischen EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston hat der EuG-Richter Anthony Collins den für den heutigen Montag geplanten Amtsantritt ihres designierten Nachfolgers Athanasios Rantos gestoppt. Der Grieche war vorige Woche von den EU-Mitgliedstaaten gewählt worden. Über den spektakulären Vorgang berichten die Rechtsprofessoren Dimitry Kochenov und Graham Butler auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache). Die Autoren begrüßen den einstweiligen Rechtsschutz, weil die sechsjährige Amtszeit Sharpstons trotz Brexit noch nicht zu Ende sei. Sie befürchteten ein schlechtes Beispiel für Amtszeitmanipulationen auf mitgliedstaatlicher Ebene. Die EU-Mitgliedstaaten haben nun bis zum 11. September Zeit zur Stellungnahme.

Rechtspolitik

StVO: Möglicherweise sind nicht nur der im Frühjahr beschlossene Bußgeldkatalog, sondern auch frühere Änderungen der Straßenverkehrsordnung seit 2009 wegen eines Formfehlers ungültig. Das gibt das Justizministerium Baden-Württemberg zu bedenken, wie jetzt auch Sa-taz (Christian Rath) und LTO berichten. Das Land habe daher das Bundesverkehrsministerium um eine baldige Prüfung gebeten. Bei neuen Bescheiden und Fahrverboten, die sich auf Regelungen stützen, die ab 2009 eingeführt wurden, werden Verkehrsanwälte wohl massenhaft Einspruch einlegen, vermutet die taz.

Geldwäsche: Die geplante Neufassung des Geldwäscheparagrafen, wonach der Vortaten-Katalog des § 261 Absatz 1 Satz 2 StGB gestrichen und die Geldwäsche auf alle Straftaten ausgeweitet werden soll, kritisiert Ex-BGH-Richter Thomas Fischer auf beck-aktuell. Die Entwurfsbegründung wiederhole, was seit 30 Jahren geweissagt werde, ohne dass irgendeine der Verheißungen eingetreten sei. Die Geldwäscheverfolgung sei "mehr denn je das trojanische Pferd, mit dessen Hilfe die schöne neue Welt des Präventionsstrafrechts sich ins Herz des Rechtsstaats" schleiche.

Fingerabdrücke in Personalausweisen: Die Sa-taz (Christina Focken) berichtet über eine Petition gegen die vorgesehene Umsetzung einer EU-Verordnung, die die Speicherung von Fingerabdrücken im Personalausweis ab dem nächsten Jahr vorschreibt. Initiator sei der Verein Digitalcourage, der sich für Grundrechte und Datenschutz engagiert. Bislang hätten fast 9.700 Menschen die Petition unterzeichnet. Falls das Gesetz am 10. September 2020 trotz ihres Protestes beschlossen werden sollte, will Digitalcourage wenn möglich juristisch gegen die Fingerabdruckpflicht vorgehen.

Für Heribert Prantl (Sa-SZ) ist die Fingerabdruckpflicht nicht einfach nur ein Symbol des Sicherheits- und Präventionsstaats, sondern ein Beitrag zur Totalerfassung der Bürgerinnen und Bürger, wie sie das Bundesverfassungsgericht eigentlich verboten habe. Ein weiteres Beispiel sie die Einführung eines Personenkennzeichens.

Cum-Ex-Verjährung: Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) gerät immer stärker in die Kritik wegen einer vor wenigen Monaten erfolgten Änderung der Abgabenordnung, die die Verjährung von Steuerhinterziehungen betrifft. Zwar solle ein Steuer-Hinterzieher die hinterzogenen Steuern auch dann zurückzahlen müssen, wenn der Fall steuerrechtlich bereits verjährt ist. Dies soll aber nicht für Fälle gelten, die zum 1. Juli 2020 bereits zahlungsverjährt waren – was auf viele Cum-Ex-Sachverhalte zuträfe. Beim Jahressteuergesetz 2020, dessen Entwurf kürzlich vom Bundeskabinett beschlossenen worden war, könnte die Einschränkung korrigiert werden, bisher habe der Bundesfinanzminister diese Chance jedoch verstreichen lassen. Die Sa-SZ (Jan Willmroth) berichtet.

Kindschaftsrecht: Die Sa-Welt (Sabine Menkens) lässt einen Vater und eine Mutter zu den geplanten Änderungen im Kindschaftsrecht zu Wort kommen. Das Bundesjustizministerium will die Übernahme der gemeinsamen Sorge für nicht verheiratete Eltern erleichtern. Während der befragte Mann die geplante Neuregelung begrüßt, befürchtet die Frau, dass es beim gemeinsamen Sorgerecht manchen Vätern am Ende nur um Kontrolle und die Wiederherstellung der Dominanz gehe.

Bannmeile um Parlamentsgebäude: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer erläutert auf spiegel.de die Entwicklung des Bannmeilenrechts – angefangen von 1948 über das Bannmeilengesetz von 1955 bis zum Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes von 2008 – und widmet sich anschließend insgesamt dem Status quo demokratischer Symbole hierzulande.

Justiz

VW-Entschädigung für Diesel-Kläger: VW hat angekündigt, 50.000 Einzelkläger, die wegen Abgasmanipulationen vor Gericht gezogen sind, entschädigen zu wollen. Mit mehr als der Hälfte dieser Einzelkläger liefen bereits Gespräche über ein entsprechendes Vergleichsangebot, heißt es in der Sa-FAZ (Carsten Germis) und bei LTO. Aus Sicht des Unternehmens sei das Grundsatzurteil des BGH vom Mai und die vier späteren Entscheidungen "ein wichtiger Schritt" zum Abschluss der Verfahren.

BAG zum Auskunftsanspruch gegen gekündigten Arbeitnehmer: Rechtsanwalt Stefan Lochner stellt auf LTO eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes von Ende Mai vor, in der festgestellt wurde, dass ein gekündigter Arbeitnehmer sich um einen neuen Job bemühen muss, auch wenn er gegen die Kündigung klagt, und der bisherige Arbeitgeber sogar Auskunft über unterbreitete Vermittlungsvorschläge verlangen kann. Auswirkungen kann das bei einer nachträglich festgestellten Unwirksamkeit der Kündigung haben, denn eine Möglichkeit zur Kürzung des Annahmeverzugs besteht gemäß § 11 Nr. 2 KSchG nur, wenn der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum entweder eine Vergütung aus einer anderen Beschäftigung tatsächlich erzielt oder wenn er dies böswillig unterlassen hat.

OVG Sachsen-Anhalt zum coronabedingten Prostitutionsverbot: Das Oberverwaltungsgericht von Sachsen-Anhalt hat entschieden, dass die Schließung von Prostitutionsstätten keine notwendige Schutzmaßnahme zur Eindämmung der Corona-Pandemie mehr darstellt. Laut LTO kam das Gericht bei der Abwägung mit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in die Berufsfreiheit der Betreiber sowie der Prostituierten nicht mehr verhältnismäßig sei.

LG Frankfurt – Warburg Bank & Co. vs. Deutsche Bank: Laut einem Bericht (in englischer Sprache) auf bloomberg.com (Karin Matussek) hat die Warburg Bank ihre Klage gegen die Deutsche Bank auf die fast vierfache Summe erweitert. Das Hamburger Institut wirft der Frankfurter Großbank vor, versäumt zu haben, als Depotbank im Zusammenhang mit Cum-Ex-Transaktionen Steuern abzuführen. Die Deutsche Bank hat die Forderungen zurückgewiesen und in einer Erklärung am Freitag mitgeteilt, dass Warburg klar gewesen sei, dass keine Depotbank in dieser Konstellation Steuern einbehalten und abführen würde.

LAG Berlin-Brandenburg zur Arbeitszeiterfassung: Im Handelsblatt-Rechtsboard erläutert Rechtsanwalt Jan Darenberg eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg von Anfang Juni, mit der Vorgaben für eine biometrische Arbeitszeiterfassung gemacht werden. Sie sei nur in Ausnahmefällen zulässig und Arbeitgeber müssten vor der Einführung die erheblichen (datenschutzrechtlichen) Risiken identifizieren und berücksichtigen. Anderenfalls drohten erhebliche Bußgelder, so der Autor.

LG Münster – sexueller Missbrauch: Die Staatsanwaltschaft hat beim Landgericht Münster Anklage gegen fünf Beschuldigte im Missbrauchsfall von Münster erhoben, meldet spiegel.de. Der 27jährige Hauptangeklagte soll über Jahre bei mindestens 26 Gelegenheiten den Sohn seiner Lebensgefährtin vergewaltigt und zudem den Jungen auch über das Internet angeboten haben.

AG Düsseldorf – Christoph Metzelder: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat beim Amtsgericht Düsseldorf Anklage gegen den früheren Profifußballer Christoph Metzelder wegen des Verdachtes des Besitzes und der Verbreitung kinder- und jugendpornografischer Inhalte erhoben, melden u.a. Sa-SZ (Ralf Wiegand), spiegel.de und zdf.de (Felix W. Zimmermann). Auf seinem Handy seien 297 entsprechende Video- und Bilddateien gefunden worden. Die Mo-Welt (Ibrahim Naber) beantwortet juristische Fragen zur Anklageerhebung.

LG Lübeck – Geheimnisverrat Polizei: Die Kieler Staatsanwaltschaft hat den früheren Vizechef der Deutschen Polizeigewerkschaft in Schleswig-Holstein Thomas Nommensen angeklagt, weil er zwischen 2018 und 2019 in zehn Fällen "in strafbarer Weise Informationen an den Polizeireporter" der Kieler Nachrichten weitergegeben haben soll. spiegel.de (Ansgar Siemens) erläutert die Hintergründe.

AG Mönchengladbach – Unfall auf Schulweg: Der Spiegel (Julia Jüttner) berichtet ausführlich über den Prozess gegen eine Mutter, die fahrlässig mit einem SUV ein Kind überfahren haben soll, als sie ihre eigenen Kinder vor der Schule absetzen wollte. Das Urteil soll an diesem Montag verkündet werden.

Recht in der Welt

USA – Kartellrecht und Google: Das amerikanische Justizministerium will eine Kartellklage gegen Google einreichen, schreibt die Sa-FAZ (Roland Lindner). Das Justizministerium ermittele seit gut einem Jahr gegen Google, offenbar gehe es dabei um Geschäfte des Konzerns mit der Internetsuche und mit Online-Werbung.

EGMR/Türkei – Ehrendoktorwürde für EGMR-Präsident: In Form eines Portraits berichtet die Mo-SZ (Thomas Avenarius) erneut, dass der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der Isländer Róbert Ragnar Spanó, einen juristischen Ehrendoktortitel der Universität Istanbul angenommen hat. Zahlreiche türkische Oppositionelle und Intellektuelle hatten dagegen protestiert und Spanó aufgefordert, den Titel nicht anzunehmen. Im Interview mit sz.de (Thomas Avenarius) kritisert auch der frühere deutsche Richter am UN-Jugoslawientribunal Christoph Flügge die Annahme der Ehrendoktorwürde. Für den Präsidenten des EGMR gehöre sich das nicht, so Flügge. Spanó sei der oberste Repräsentant der juristischen Verteidigung der Menschenrechte in Europa und lasse sich nun ehren von einem Staat, der die Menschenrechte mit Füßen trete.

Griechenland/Türkei – Seegrenzen und Gasvorkommen: Den seerechtlichen Hintergrund zum aktuellen Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland um Rohstoffvorkommen im Mittelmeer erläutert ausführlich der akademische Mitarbeiter Simon Gauseweg auf LTO

Iran – Nasrin Sotoudeh: Die Mo-taz (Bahman Nirumand) stellt die iranische Rechtsanwältin Nasrin Sotoudeh vor, die sich seit dem 12. August im Hungerstreik befindet und damit die Freilassung aller politischen Häftlinge im Land fordert. Sie wurde im Juni 2018 verhaftet, weil sie zwei Frauen verteidigte, die aus Protest gegen islamische Kleidungsvorschriften demonstrativ ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit abgelegt hatten.

Rechte Netzwerke: Dass rechte Netzwerke von der Justiz nicht ausreichend ernst genommen werden, kritisiert Ulrich Chaussy (Sa-taz). Zu oft sei man vom rechtsextremen Einzelgänger ausgegangen, meint der Autor, der seit fast dreißig Jahren über das Oktoberfest-Attentat recherchiert und damit auch zur Wiederaufnahme der Ermittlungen beigetragen hatte.

Nachwuchsgewinnung in der Justiz: Über die Schwierigkeiten, juristischen Nachwuchs mit Prädikatsexamen für die Gerichte und Staatsanwaltschaften zu gewinnen, berichtet die Sa-FAZ (Marcus Jung). Generationswechsel und bevorstehende Pensionswelle erfordern es, dass bis zum Jahr 2030 die Bundesländer an die 10 000 Stellen nachbesetzen müssen. Allerdings gelinge es den Landesjustizverwaltungen schon jetzt nicht mehr, ausreichend besonders qualifizierte Nachwuchsjuristen für den Berufseinstieg in den Staatsdienst zu gewinnen.

Juristische Ausbildung

Kopftuch im Referendariat: In Berlin können Justizreferendarinnen in der Staatsanwaltsstation auch bei Sitzungsvertretungen ein Kopftuch tragen, allerdings nur unter engen Voraussetzungen, meldet jetzt auch die Sa-FAZ (Swaantje Marten). So dürfe mit Kopftuch keine Robe getragen werden und die Referendarin müsse von einer ausbildenden Person begleitet werden, die dann wiederum Robe trägt. LTO (Annelie Kaufmann) stellt die neuen Regelungen, die bereits seit 1. August gelten, und die Kritik daran ausführlich vor. Der Tsp (Jost Müller-Neuhoff/Robert Kiesel) beleuchtet die politischen Implikationen im Zusammenhang mit dem Berliner Neutralitätsgesetz.

Sonstiges

Rechtsgeschichte – politische Beeinflussung eines Soldaten: Martin Rath (LTO) schreibt über die Beschwerde eines Soldaten aus den siebziger Jahren über ein Buch, das er als Sieger eines Aufsatzwettbewerbes der Bundeswehr gewonnen hatte. Die darin enthaltenen Lobeshymnen eines Informatikers auf sozialdemokratische Minister hielt er für nach dem Soldatengesetz verbotene "politische Meinungsbeeinflussung". Da sich die potenziell parteipolitisch zu wertende Polemik aber auf das erste Kapitel beschränkte und die übrigen sieben Kapitel "sachlich brauchbare Darstellungen zur Zukunft von Technik und Gesellschaft" enthielten, sei in der Summe das Buch nicht als Versuch zu lesen, parteipropagandistisch auf untergebene Soldaten einzuwirken, meinte der angerufene 1.  Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts.

 

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lto/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. bis 7. September 2020: Ernennung eines EuGH-Generalanwaltes gestoppt / VW kündigt Vergleich an / Nachwuchsprobleme bei der Justiz . In: Legal Tribune Online, 07.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42714/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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