Die juristische Presseschau vom 15. bis 17. August 2020: BGH zur Min­der­jäh­ri­genehe / BVerfG zu Rocker­kutten / BVerfG zur Triage

17.08.2020

Der BGH sieht Ermessen bei der Aufhebung von Ehen mit Minderjährigen ab 16 Jahren. Das BVerfG bestätigt das erweiterte Kuttenverbot für Rockerclubs und lehnt eine Eilentscheidung zu Triage-Regelungen ab.

Thema des Tages

BGH zu Ehe ab 16: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Familiengerichte Ermessen haben, ob sie eine Ehe aufheben, bei der ein Partner bei der Heirat 16 oder 17 Jahre alt war. Sie können von der Aufhebung der Ehe absehen, "wenn feststeht, dass die Aufhebung in keiner Hinsicht unter Gesichtspunkten des Minderjährigenschutzes geboten ist, sondern vielmehr gewichtige Umstände gegen sie sprechen", heißt es in der Entscheidung aus Karlsruhe, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde und über die Mo-SZ (Wolfgang Janisch), taz.de (Christian Rath) und LTO berichten. Im konkreten Fall zeige die zwischenzeitlich erfolgte Trennung, dass die Frau "ohne weiteres zu einem selbstbestimmten, von ihrem Ehemann unabhängigen Leben in der Lage" sei.

Rechtspolitik

Schufa-Eintrag: Rechtsexperten fordern bei der aktuellen Reform des Insolvenzrechts, den Schufa-Eintrag nach dem Ende einer Privatpleite von drei Jahren auf ein Jahr zu verkürzen, heißt es in der Mo-Welt. Der lange Schufa-Eintrag benachteilige Verbraucher, die ein Insolvenzverfahren hinter sich gebracht hätten", wird Fachanwalt Kai Henning zitiert. Das Bundekabinett hat kürzlich beschlossen, dass sich Verbraucher bei einer Insolvenz rascher von ihren Restschulden befreien können.

Online-Zivilprozess: Mit dem Thesenpapier der Arbeitsgruppe "Modernisierung des Zivilprozesses" befasst sich nun auch der Rechtsreferendar Jakob Horn auf zpoblog.de. Er schlägt u.a. vor, das dort angedachte elektronische Portal mit Bürgerzugang zu erweitern zu einem allgemeinen Portal, auf das alle Prozessbeteiligten – also Parteien, Gericht, Geschäftsstelle und Prozessbevollmächtigte – Zugriff haben sollen. Ein solches Portal böte jedem Teilnehmer eine Übersicht über alle Verfahren, an denen er beteiligt ist, und erlaubte es, alle Prozesshandlungen vorzunehmen, mit den anderen Beteiligten zu kommunizieren, Dokumente zu hinterlegen und darauf zuzugreifen.

Justiz

BVerfG zum Tragen von Rockerkutten: Das Bundesverfassungsgericht hat laut taz.de (Christian Rath) und LTO festgestellt, dass das Tragen von Kutten verbotener Rockerclubs verboten ist, auch wenn der eigene lokale Ortsverein nicht untersagt wurde. Das Gericht hat drei entsprechende Verfassungsbeschwerden abgelehnt. Das Verbot sei zwar ein schwerwiegender Grundrechtseingriff, der Eingriff sei jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, so die Kammer, weil der Gesetzgeber das legitime Ziel verfolge, das Vereinsverbot aus Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz (GG) durchzusetzen. swr.de (Klaus Hempel) erläutert die Entscheidung ausführlich und lässt die Kläger zu Wort kommen.

BVerfG zur Corona-Triage: Das Bundesverfassungsgericht hat einen Eilantrag abgelehnt, mit dem die Einsetzung eines Gremiums zur verbindlichen Regelung der Behandlungsentscheidung im Rahmen der Covid-19-Pandemie auf Grundlage der Triage erzwungen werden sollte. Zwar sei die Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, heißt es, wie Sa-FAZ (Marlene Grunert) und LTO melden. Sie werfe vielmehr die schwierige Frage auf, ob und wann gesetzgeberisches Handeln in Erfüllung einer Schutzpflicht des Staates gegenüber behinderten Menschen verfassungsrechtlich geboten sei und wie weit der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Regelungen medizinischer Priorisierungsentscheidungen reiche. Dies bedürfe einer eingehenden Prüfung, die im Eilverfahren aber nicht möglich sei.

OLG Frankfurt/M. zu Lübcke-Mord: Die FAS (Marlene Grunert) berichtet vom Prozess um den Mord am ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Am siebten Verhandlungstag kam Jan-Hendrik Lübcke zu Wort, der von seinem Vater erzählte.

LG Kiel zu Rechtsbeugung durch StAin: Eine schleswig-holsteinische Staatsanwältin ist, wie LTO und spiegel.de berichten, vom Vorwurf der Rechtsbeugung freigesprochen worden. Ihr ist vorgeworfen worden, beschlagnahmte Tiere notveräußert zu haben. Die Kammer habe sich keine ausreichende Sicherheit darüber verschaffen können, dass die Staatsanwältin bewusst das Recht gebeugt habe. Vielmehr sei sie womöglich arglos in ihrem Handeln gewesen.

LAG Schleswig-Holstein zur anwaltlichen Beiordnung: In Schleswig-Holstein ist die aktive Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches beA bei Verfahren vor den Arbeitsgerichten Pflicht. Deshalb hat jetzt das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein laut FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) und LTO (Pia Lorenz) entschieden, dass ein Rechtsanwalt nicht im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnet werden kann, wenn er kein funktionsfähiges elektronisches Anwaltspostfach hat.

VG Münster zu Corona-Kontaktbeschränkungen: Dass eine Feier zum 26ten Geburtstag kein herausragender Anlass ist, der eine Teilnehmerzahl von bis zu 150 Menschen erlaube, hat das Verwaltungsgericht Münster entschieden und das Verbot der Feier bestätigt. Die Erwähnung des Ereignisses "Geburtstag" in der aktuellen Coronaschutzverordnung ziele illustrierend darauf ab, dass zwar auch ein Geburtstag ein herausragendes Ereignis sein könne, hieß es in einer Mitteilung des Gerichts, dies könne jedoch ausschließlich bei runden Geburtstagen der Fall sein. LTO berichtet über die Entscheidung.

StA Berlin/GenStA – rechtsextreme Anschläge Neukölln: Mit den Ermittlungen zu einer mutmaßlich rechtsradikal motivierten Anschlagserie im Berliner Stadtbezirk Neukölln, die die Generalstaatsanwaltschaft mittlerweile von der Staatsanwaltschaft übernommen hat, befasst sich Ex-Bundesrichter Thomas Fischer in seiner Kolumne auf spiegel.de und erläutert dabei die tatsächliche rechtliche Substanz der Vorkommnisse. Die Mo-FAZ (Markus Wehner) fasst die Geschehnisse noch einmal zusammen und stellt dabei die seit zwei Jahren amtierende Generalstaatsanwältin Margarete Koppers in den Mittelpunkt.

LG Berlin – Arafat Abou-Chaker: Der Vorsitzende der Vereinigung der Berliner Staatsanwälte Ralph Knispel spricht im Interview mit der Mo-SZ (Verena Mayer) darüber, was er sich von dem Verfahren gegen den Clanchef erhofft und welche Herausforderungen mit dem Prozess für die Justiz verbunden sind. Abou-Chaker wird unter anderem vorgeworfen, den Rapper Bushido nach einem Streit bedroht und angegriffen zu haben.

Veröffentlichung von Urteilen: Arne Semsrott fordert auf heise online, dass mehr instanzgerichtliche Entscheidungen veröffentlicht werden. Wichtige Prozesse würden bisher nicht der Öffentlichkeit bekannt, weil Gerichte selbst nicht darüber berichteten und strukturelle Probleme in der Justiz könnten nicht anhand von Urteilen offenbar werden, so der Projektleiter von fragdenstaat.de.

Recht in der Welt

USA – Daimler-Dieselskandal: In den USA zeichnen sich zwei Vergleiche ab, mit denen zwei wichtige Verfahren in der Daimler-Dieselaffäre beendet werden könnten. Es seien Grundsatzeinigungen mit Behörden sowie mit den Vertretern einer großen Verbraucher-Sammelklage erzielt worden, die den Konzern umgerechnet rund 1,9 Milliarden Euro kosten würden, melden LTO und Sa-FAZ (Susanne Preuß). Hinzu kommt noch ein dreistelliger Millionenbetrag, der etwa für Anwaltshonorare und Gerichtsgebühren fällig wird, heißt es im HBl (Franz Hubik).

In einem separaten Kommentar bewertet es Susanne Preuß (Sa-FAZ) positiv, dass der Stuttgarter Konzern – wenn der Vergleich durch die Gerichte genehmigt wird – das Diesel-Thema für Amerika abhaken könne, wo Verbraucheranwälte besonders kreativ im Geldeintreiben seien. In Deutschland dagegen sei die Lage noch nicht so eindeutig, hier würde erst Ende Oktober ein erstes Urteil erwartet.

USA – Edward Snowden: US-Präsident Trump will über eine Begnadigung des Whistleblowers Edward Snowden nachdenken. Warum solche politischen Schritte nicht reichen, sondern vielmehr – nicht nur in den USA – Whistleblower-Schutzgesetze erforderlich sind, erläutert die Mo-SZ (Nicolas Richter).

Sonstiges

Corona und Grundgesetz: Im Interview mit LTO (Annelie Kaufmann) erklärt die Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold, wann der Staat auf Grund des verfassungsrechtlichen Untermaßverbotes zum Einschreiten verpflichtet ist, um Leben und Gesundheit der Bürger zu schützen. Sie sagt außerdem, dass im Verfassungsrecht mehr über soziale Fragen diskutiert werde und dass das ebenfalls eine Folge der Corona-Pandemie sei.

Corona und Strafrecht: Staatsanwältin Ursula Gernbeck, die Rechtsprofessorin Katrin Höffler und Rechtsprofessor Kai Ambos sprechen sich im FAZ-Einspruch gegen Strafverschärfungen bei Verstößen gegen die Regeln zur Corona-Eindämmung aus und kritisieren die verbalen Reaktionen verschiedener Politiker auf die Demonstrationen Anfang August gegen diese Regeln. Der Staat solle sich lieber auf seine Stärken besinnen, so die Autoren, wie den Zugang zu einem effektiven Gesundheitssystem und die Mitwirkung der Bevölkerung im Rahmen der Pandemiemaßnamen. Strafen kämen zwangsläufig zu spät und würden die Fronten weiter verhärten.

Polizeiliche Nutzung von Coronalisten: Inwieweit die in den Ländern vorgeschriebenen Kontaktlisten auch zur Aufklärung von Straftaten genutzt werden dürfen, untersuchen die Rechtswissenschaftler Jan Fährmann, Clemens Arzt, Hartmut Aden auf verfassungsblog.de. Bisher lasse die Gesetzeslage keine Verwendung der Corona-Gästelisten zur Strafverfolgung zu, denn dazu bedürfe es einer bereichsspezifischen Norm, die datenschutzrechtliche Grundsätze beachte. Im Übrigen genieße während einer Pandemie der Gesundheitsschutz der Bevölkerung auch im Verhältnis zur Strafverfolgung einen hohen Stellenwert. Wenn aber die Möglichkeit eines jederzeitigen polizeilichen Zugriffs auf diese Listen – mit einer Vielzahl von Daten Unverdächtiger – viele Menschen dazu motiviert, dort falsche Angaben zu machen, sollte im Interesse des Gesundheitsschutzes auf den Zugriff verzichtet werden.

Rechtsgeschichte – Psychiatrie und Recht: LTO (Martin Rath) erzählt den Fall Peill-Schillings – eine 80-jährige Industriellenwitwe, die in einer privaten Psychiatrie gefangen gehalten wurde, um ihre Entmündigung betreiben zu können.

Tonio Walter "Vollbefriedigend": Rechtsprofessor Arnd Koch hat für LTO den Kriminalroman "Vollbefriedigend" von Tonio Walter gelesen. Es geht darin um verbotene Medikamententests an der Medizinischen Fakultät sowie um einen Juraprofessor, der sich von Studentinnen Hilfskraftstellen und Noten mit Sex bezahlen lässt. Allerdings wird der Lektürespaß für den Rezensenten getrübt durch ein Übermaß an vorpubertären Schlüpfrigkeiten und Altherren-Zoten, sowie einem sexualisierten Blick, der fast allen Romanfiguren vom Studenten über den Professor bis zur Frauenbeauftragten zu eigen ist.

 

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lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. bis 17. August 2020: BGH zur Minderjährigenehe / BVerfG zu Rockerkutten / BVerfG zur Triage . In: Legal Tribune Online, 17.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42503/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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