Die juristische Presseschau vom 4. August 2020: Poli­zei­liche Nut­zung von Corona-Gäs­te­listen / Aus­lie­fe­rung nach Polen? / Corona-Tests für Rei­se­rück­kehrer

04.08.2020

Diskussion über Nutzung der Corona-Gästelisten durch die Polizei. Ein niederländisches Gericht fragt den EuGH, ob noch nach Polen ausgeliefert werden darf. Pflicht zum Corona-Test ohne Rechtsgrundlage.

Thema des Tages

Corona – Nutzung von Gästelisten: FAZ (Constantin van Lijnden), zeit.de, taz-nord nehmen die Debatte um die Nutzung von sogenannten Corona-Gästelisten durch die Polizei in den Blick. In den Corona-Verordnungen der Bundesländer ist vorgesehen, dass insbesondere Gastronomiebetriebe, aber auch bestimmte Dienstleister die Kontaktdaten ihrer Gäste aufnehmen müssen, um im Fall einer Infektion die Kontaktverfolgung zu ermöglichen. In einigen Bundesländern hat nun die Polizei auf diese Kontaktlisten zur Strafverfolgung zurückgegriffen. Argumentiert wird u.a. von dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, sowie den Datenschutzbeauftragten von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Stefan Brink und Dieter Kugelmann, dass derlei Maßnahmen von der Strafprozessordnung nicht per se ausgeschlossen seien. Vielmehr müssten sie verhältnismäßig sein und im Zweifel durch einen richterlichen Beschluss oder die Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Anders sei dies jedoch, wenn die Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr handele.

Markus Reuter (netzpolitik.org) fordert "ein Begleitgesetz zur Pandemie, das Bürger:innen schützt und die Pandemie bekämpft". Constantin van Lijnden (FAZ) hält die juristische Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit der Datennutzung durch die Polizei für klar: "Ja, sie darf", meint sogleich jedoch, dass die "Datenschutzlobby" dennoch Wege finde "wie sie ihre Agenda über die Grenzen des Rechts hinaustragen kann".

Rechtspolitik

Racial Profiling: Die SZ (Ronen Steinke) berichtet im Rahmen der Debatte um Racial Profiling durch die Polizei über den Entwurf eines neuen Polizeigesetzes in Bremen, nach welchem künftig jede Person, die von der Polizei kontrolliert wird, eine Art "Kontrollquittung" über den konkreten Anlass der Kontrolle erhalten soll. Problematisch daran könnte allerdings werden, dass zu diesem Zweck ein Verwaltungsvorgang mit korrekten Personendaten angelegt werden müsse, auch wenn sich ein Verdacht nicht bestätigt habe.

Kindesmissbrauch: Die taz (Christian Rath) spricht im Interview mit Tatjana Hörnle, der Direktorin des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, über den Vorschlag von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), dass sexueller Missbrauch von Kindern künftig immer als Verbrechen eingestuft werden soll. Hörnle hält den Vorschlag für fachlich nicht nachvollziehbar, insbesondere da die nun diskutierten Taten von Lügde und Münster bereits nach geltender Rechtslage als "schwerer sexueller Missbrauch" und damit als Verbrechen geahndet würden. Ebenso hält sie Lambrechts Ankündigung, den Begriff "sexuellen Missbrauch" mit dem Argument abzuschaffen, es gebe keinen legalen "Gebrauch" von Kindern, fachlich für falsch: Es gehe beim sexuellen Missbrauch um den Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses, dieser sei tatbestandlich erfasst.

Justiz

EuGH – Auslieferung nach Polen: Wie die FAZ (Thomas Gutschker) berichtet, hat ein niederländisches Gericht dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob in Polen ausgestellte europäische Haftbefehle in anderen EU-Staaten noch vollstreckt werden dürfen, wenn mangels Unabhängigkeit polnischer Gerichte kein faires Verfahren garantiert sei. Mitte 2018 hatte der EuGH noch entschieden, dass die Vertragsverletzungsverfahren, die von der EU-Kommission gegen Polen eingeleitet worden waren, für sich allein noch keine Aussetzung des Haftbefehls rechtfertigten, hielt Aussetzung jedoch dennoch für möglich, wenn generell eine "echte Gefahr" besteht, dass das Recht auf ein faires Verfahren in einem Mitgliedsland verletzt wird und "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe" dafür sprechen, dass die zu überstellende Person von der allgemeinen Gefahr auch betroffen ist.

VerfGH München – Grenzpolizei: LTO berichtet über das Verfahren vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof um die Wiedereinführung der bayerischen Grenzpolizei vor zwei Jahren. Die Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag hält diese für verfassungswidrig und sieht insbesondere einen Verstoß gegen die Kompetenzordnung, da die Grenzpolizei sowohl landesrechtliche als auch bundesrechtliche Befugnisse wahrnehme. Am 10. August wird der Verfassungsgerichtshof mündlich verhandeln.

VGH Mannheim zu Corona-Tests in der Fleischindustrie: Laut beck-aktuell befand der Verwaltungsgerichtshof Mannheim die Pflicht der baden-württembergischen Corona-Verordnung, wonach alle Mitarbeiter von Fleischverarbeitungs- und Schlachtbetrieben zwei Mal pro Woche auf das Coronavirus zu testen sind, für unverhältnismäßig und hat diese ab dem 10. August 2020 vorläufig außer Vollzug gesetzt. Grundsätzlich hielt es Reihentestungen jedoch für ein geeignetes Mittel, insbesondere in Einrichtungen mit besonderen Infektionsgefahren.

FG Münster – Künstliche Befruchtung: Nach Bericht von LTO sind laut Finanzgericht Münster die Kosten einer In-vitro-Fertilisation auch dann bei der Einkommenssteuer als außergewöhnliche Belastungen voll abzugsfähig, wenn die Frau, die diese geltend macht, alleinstehend ist oder keine Angaben zu ihrem Beziehungsstatus macht. Jedenfalls dann, wenn die Behandlung in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen worden sei, welche die künstliche Befruchtungen alleinstehender Frauen nicht ausschließen.

OLG Braunschweig zu Corona und Sorgerecht: Wie LTO und beck-aktuell berichten, ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts Braunschweig die geplante Flugreise eines getrennt lebenden Elternteils mit den gemeinsamen Kindern ins europäische Ausland während der Corona-Pandemie keine Angelegenheit des täglichen Lebens mehr und bedarf daher der Zustimmung des mitsorgeberechtigten Elternteils, anders als unter normalen Umständen. Konkret ging es um eine seitens der Mutter geplante Flugreise nach Mallorca, mit welcher der Vater nicht einverstanden war. Das Gericht argumentierte, bei einem erneuten Ausbruch des Virus bestehe die Gefahr längerer Quarantänen oder eines Festsitzens im Ausland, was zu einer erheblichen Belastung für das seelische Wohlbefinden eines Kindes führen könne. Überdies sei die Ansteckungsgefahr im Zusammenhang mit Flugreisen nicht geklärt.

KG Berlin – Kalbitz: Laut spiegel.de (Severin Weiland) will der Bundesvorstand der AfD gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Juni 2020, mit dem Andreas Kalbitz das zeitweise Fortbestehen seiner Parteimitgliedschaft in der AfD erwirkt hatte, Berufung vor dem Kammergericht Berlin einlegen. Allerdings werde das Rechtsmittel zunächst nur eingelegt, um die Frist zu wahren, so der Anwalt der Fraktion.

LG Berlin – Untreue durch Anwälte: Laut LTO (Anja Hall) hat das Landgericht Berlin im Rahmen des Verfahrens wegen des Vorwurfs der Untreue in einem besonders schweren Fall und schweren Parteiverrats Haftbefehle gegen den Mitbegründer der Sozietät Buse Heberer Fromm, Hartmut Fromm, und einen weiteren Anwalt wieder in Kraft gesetzt. Laut Staatsanwaltschaft sollen die Rechtsanwälte als faktische Geschäftsführer eines Bauunternehmens Aktien aus dem Eigentum des Unternehmens verkauft, übertragen und mit dem Ziel, die ehemalige Lebensgefährtin des Kunstsammlers und damaligen Mandanten Erich Marx zu begünstigen, auf einen Kaufpreis verzichtet haben.

StA Erfurt – Rassistischer Angriff: Laut taz (Dinah Riese) hat die Staatswaltschaft Erfurt im Fall des wohl rassistisch motivierten Angriffs auf drei Männer aus Guinea durch zwölf mutmaßliche Neonazis keinen Haftgrund angenommen. Die hierzu interviewte Abgeordnete der Linkspartei im Thüringer Landtag, Katharina König Preuss, meint, dass bei neonazistischen Gruppierungen von einer Verdunkelungsgefahr auszugehen sei. Auch ein Tötungsvorsatz sei vorliegend nicht auszuschließen.

Recht in der Welt

Polen – Präsidentschaftswahl: Das Oberste Gericht in Polen hat die Präsidentschaftswahl, die im Juli stattgefunden hatte, und damit den knappen Sieg von Amtsinhaber Andrzej Duda für gültig erklärt. Von insgesamt rund 5840 eingereichten Wählerbeschwerden hielt das Gericht 92 für berechtigt, sah darin aber keine unzulässige Beeinflussung des Wahlausgangs. Eine Beschwerde der oppositionellen Bürgerplattform (PO) des knapp unterlegenen Rafal Trzaskowski zur Nutzung der staatlichen Ressourcen durch den Amtsinhaber und die einseitige Berichterstattung durch öffentlich-rechtliche Medien lehnte der Gerichtshof mangels ausreichender Beweise ab, so spiegel.de (Marius Mestermann/Milena Hassenkamp) und zeit.de.

Reinhard Veser (FAZ) geht davon aus, das Oberste Gericht in Warschau hätte "die Wahl wohl auch dann für gültig erklärt, wenn die urteilende Kammer nicht nur aus Richtern bestünde, die von der nationalkonservativen Regierung handverlesen wurden", gibt jedoch zu bedenken, dass man wohl nicht mehr damit rechnen könne, "dass diese Richter die Mächtigen im Ernstfall kontrollieren würden, wenn die Hetzkampagne gegen Trzaskowski in den öffentlichen Medien sich nach ihrer Ansicht noch im Rahmen ehrlicher Berichterstattung bewegt".

Rechtsprofessesor Tomasz Tadeusz Koncewicz analysiert auf dem Verfassungsblog die Entwicklungen in Polen in den vergangenen fünf Jahren und erkennt in der konsequenten Missachtung unionsrechticher Vorgaben und der Entscheidungen des EuGH durch Polen bereits einen "Polexit".

Schweiz – FIFA: Die SZ (Thomas Kistner) berichtet über mögliche Verstrickungen der Schweizer Justiz im Zusammenhang mit Korruptionsuntersuchungen gegen den Fußballweltverband FIFA und ein vergangenen Donnerstag eröffnetes Strafverfahren gegen dessen Präsident Gianni Infantino, der geheime Absprachen mit dem schweizerischen Bundesanwalt Michael Lauber getroffen haben soll. Dieser war nach Einleitung eines Amtsenthebungsverfahren vergangene Woche zurückgetreten.

Sonstiges

Corona – Tests für Reiserückkehrer: Auf LTO legt die Juniorprofessorin Anika Klafki detailliert dar, dass verpflichtende Corona-Tests für Reiserückkehrer aus Risikogebieten wohl im Ergebnis verhältnismäßig wären, dass es aber an einer Rechtsgrundlage für eine entsprechende Verpflichtung des Einzelnen fehlt. So könnte zwar aufgrund von § 5 Abs. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine Anordnung erlassen werden, dem Bund fehle es aber insoweit an der Vollzugskompetenz. Insgesamt gebe das IfSG keine Ermächtigungsgrundlage für eine Testpflicht her. Der Gesetzgeber müsse hier nachbessern. spiegel.de (Jean-Pierre Ziegler/Wolf Wiedmann-Schmidt) fragt, welche Befugnisse zur Durchsetzung eines solchen Tests bestehen, etwa die Verhängung von Bußgeldern, die Anordnung von Quarantäne oder auch die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch Polizeibeamte.

Corona und Versammlungsrecht: SZ (Stefan Braun/Claudia Henzler/Wolfgang Janisch/Robert Roßmann), taz (Tobias Schulze), LTO, Welt (Sabine Menkens/Kirstian Frigelj) und spiegel.de befassen sich mit der Debatte um die Einhaltung der Corona-Regeln einerseits und die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit andererseits.

So habe ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf das hohe Gut der Versammlungsfreiheit hingewiesen, dennoch müssten aber die Hygieneregeln eingehalten werden. Die SZ zitiert den Rechtsprofesser Ralf Poscher, der den Erlass von Auflagen durch die Versammlungsbehörden, die Maskenpflicht und Abstandsgebote enthalten, für einen gangbaren Weg hält und ein pauschales Versammlungsverbot in der Regel für nicht rechtfertigbar hält. Poscher verweist auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur "Mahnwache für das Grundgesetz", bei der die Teilnehmerzahl durch Auflage gedeckelt wurde. 

Martin Greive (Hbl) meint: "Jeder Versuch, die Versammlungsfreiheit per se einzuschränken, würde letzten Endes aber ohnehin an den Gerichten scheitern."

Corona-Hilfen – Antragsberechtigung: LTO berichtet erneut und beck-aktuell nun auch über die auf Druck von Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und Deutschem Anwaltverein (DAV) jetzt eingeräumte Möglichkeit der Beantragung von Corona-Überbrückungshilfen durch die Anwälte der Antragsteller. Ursprünglich hatten nur Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer diese Befugnis erhalten. Die BRAK wolle hierzu eine Datenschnittstelle bereitstellen.

Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland: Laut beck-aktuell sind nach aktuellem Bericht der EU-Kommission im Jahr 2019 weniger Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland anhängig als in den Jahren zuvor, Spanien, Italien und Griechenland seien häufigste Beklagte. Über die Hälfte aller Vertragsverletzungsverfahren haben die verspätete Umsetzung von Richtlinien zum Streitgegenstand.

 

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lto/cc

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. August 2020: Polizeiliche Nutzung von Corona-Gästelisten / Auslieferung nach Polen? / Corona-Tests für Reiserückkehrer . In: Legal Tribune Online, 04.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42397/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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