Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. August 2020: Aufla­gen­ver­stöße bei Mas­sen­demo / BGH-Urteil unter Ver­schluss / Bar­rie­re­frei­heit in der Justiz

03.08.2020

Nach massenhaften Verletzungen der Corona-Schutzauflagen wird ein härteres Vorgehen gefordert. Der VGH Mannheim entschied über ein BGH-Urteil, das nicht veröffentlicht werden darf. Die Justiz hilft Blinden und Sehbehinderten.

Thema des Tages

Demonstration gegen Corona-Schutzmaßnahmen: Am Wochenende haben nach offiziellen Angaben etwa 20.000 Menschen gegen die von den Behörden angeordneten Corona-Schutzmaßnahmen demonstriert. Die Berliner Polizei löste die Veranstaltung später auf, weil die Hygieneauflagen nicht eingehalten wurden. Bundejustizministerin Christine Lambrecht kritisierte die Demonstranten dafür, gegen die Abstandsvorgaben und die Maskenpflicht verstoßen zu haben, berichtet die Mo-SZ (Michael Bauchmüller). Bundeswirtschaftsminister Altmaier forderte härtere Strafen bei Regelverstößen, heißt es in der Mo-FAZ (Eckart Lohse). Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sprach sich laut Hbl (Frank Specht) für ein konsequenteres Vorgehen aus, etwa wenn Bürger die Maskenpflicht nicht befolgten.

Für Reinhard Müller (Mo-FAZ) wurde die Demonstration zu Recht aufgelöst. Auch er plädiert dafür, konsequent gegen Regelverstöße einzuschreiten. Es gehe schlicht um eine Gefahr für die Allgemeinheit: Auch wer meine, Corona leugnen oder verharmlosen zu müssen, gefährde eben nicht nur sich selbst, wenn er auf Abstand und Maske verzichte.

Rechtspolitik

Reisegutscheine: Die EU-Kommission hat laut LTO die von der Bundesregierung beschlossene Gutscheinlösung für die Reisebranche gebilligt. Die damit verbundenen Garantieübernahmen durch die öffentliche Hand wurden als rechtmäßige Beihilfen genehmigt.

Unternehmenssanktionen: Der Deutsche Richterbund fordert im Spiegel (Lydia Rosenfelder) eine bessere personelle Ausstattung der Justiz angesichts der geplanten Neuregelung zum Unternehmenssanktionenrecht. Wenn die Bundesländer ihre Staatsanwaltschaften, Gerichte und Polizeibehörden nicht massiv verstärken, drohe das Gesetz gegen Unternehmenskriminalität ein zahnloser Tiger zu werden, warnt Sprecher Sven Rebehn.

Arbeitsschutz in der Fleischindustrie: Kritisch befassen sich der frühere BAG-Richter Franz Josef Düwell und Rechtsprofessor Gregor Thüsing in der Mo-SZ mit dem geplanten Verbot der Leiharbeit in der Fleischindustrie. Ein solches Verbot wäre kontraproduktiv, weil der jeweilige Schlachtbetrieb auf befristete Einstellungen ausweichen würde und damit auch keine Dauerarbeitsplätze entstünden.

Justiz

VGH Baden-Württemberg zu Nichtveröffentlichung eines BGH-Urteils: Wie beck-aktuell (Joachim Jahn) meldet, hat der Bundesgerichtshof auf Betreiben eines Verfahrensbeteiligten die Veröffentlichung einer Entscheidung blockiert. Es handelt sich um einen Juraprofessor, dessen Verlagsvertrag von einem kleineren Fachverlag gekündigt worden ist und der befürchtet, dass die Angaben in dem Urteil geeignet wären, seinen Ruf und seine Reputation erheblich und nachhaltig zu schädigen. Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof hat nun festgestellt, dass für eine Entscheidung über die endgültige Veröffentlichung die Zivilgerichts- und nicht die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig ist.

BVerfG zur Richterbesoldung: Das Bundesverfassungsgericht hatte in der vergangenen Woche zwei Entscheidungen zur Höhe der Richterbesoldung veröffentlicht. LTO (Markus Sehl) hat sich aus diesem Grund die Regelungen der Richterbesoldung insgesamt angeschaut. So hatte das Land Berlin, eines der beiden betroffenen Länder, bereits 2018 eine Anhebung auf das Niveau des Länderdurchschnittes beschlossen.

Rechtsprofessor Arnd Diringer befasst sich in der WamS mit den mutmaßlichen Auswirkungen der Besoldung auf die Rechtsprechungsqualität und plädiert im Ergebnis für eine Rückkehr zu einer bundeseinheitlichen Regelung.

BVerfG zum EZB-Anleihenankauf: Wie Spiegel (Christian Reiermann) und Sa-FAZ (Manfred Schäfers) berichten, hat die Bundesregierung dem Bundesverfassungsgericht nun auch schriftlich mitgeteilt, dass nach ihrer Einschätzung die Europäische Zentralbank (EZB) die Vorgaben des Gerichts erfüllt habe. Nach der Bewertung des Bundesfinanzministeriums lege die vom EZB-Rat vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung die Abwägung nachvollziehbar dar, die die Karlsruher Richter in ihrer Entscheidung eingefordert hatten. Am Freitag ist laut Hbl (Frank Drost) unterdessen ein Antrag der Kläger auf Einsicht in die Dokumente, die die EZB an die Bundesbank übersandt hatte, eingegangen. Die Kläger bemängeln, dass sie nicht nachvollziehen können, ob die EZB den Informationsbitten ausreichend nachgekommen ist.

StA Frankfurt – Bestechlicher Staatsanwalt: Die Mo-Welt (Hannelore Crolly) fasst jetzt auch die bisherigen Erkenntnisse zum Verdachtsfall der Bestechlichkeit innerhalb der Frankfurter Staatsanwaltschaft zusammen. Ein Oberstaatsanwalt ist verdächtig, einem Unternehmen Gutachteraufträge zugeschustert und dafür Geldzahlungen entgegengenommen zu haben.

StA Dortmund – U-Haftentlassung eines Verdächtigen: Nachdem ein wegen Kindes-Vergewaltigung Verdächtiger aus der Untersuchungshaft entlassen wurde und kurze Zeit darauf wohl erneut ein Kind vergewaltigte, wird die Staatsanwaltschaft Dortmund laut Sa-SZ (Oliver Klasen, Christian Wernicke) kritisiert. Entscheidend für die Entlassung aus der Untersuchungshaft Anfang Juli waren laut Staatsanwaltschaft Zweifel an der Glaubwürdigkeit des ersten Opfers – eines 11-jährigen Mädchens – gewesen. Deshalb sei kein dringender Tatverdacht angenommen worden.

LG Köln – Kindesmissbrauch Bergisch-Gladbach: In zwei Wochen beginnt der Prozess gegen Jörg L. vor dem Landgericht Köln. Dem 43-Jährigen aus Bergisch-Gladbach wird Kindesmissbrauch u.a. an seiner eigenen, damals zweijährigen Tochter vorgeworfen. Der Spiegel (Lukas Eberle) berichtet von den Ermittlungen zur Aufdeckung des Pädophilenringes, dem auch L. mutmaßlich angehörte.

LG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Im Interview mit dem Spiegel (Julia Jüttner) kritisiert Mustafa Kaplan, einer der Verteidiger des Angeklagten, die Veröffentlichung eines Videos der Beschuldigtenvernehmung. Es sei irritierend und skandalös zugleich, wenn Aktenbestandteile eines bundesweit beachteten Strafverfahrens auf illegalem Wege Medien zugespielt werden und Medienvertreter bereit seien, Ausschnitte daraus ins Internet zu stellen, sagt der Rechtsanwalt.

Auch Ex-Bundesrichter Thomas Fischer zeigt sich in seiner Kolumne auf spiegel.de irritiert über die Veröffentlichung. Für zwar nicht strafbar, aber presseethisch fragwürdig hält der Strafrechtler die Veröffentlichung. Außerdem erläutert er angesichts der bekannt gewordenen kritischen Äußerungen des Vorsitzenden Richters zur Verteidigung und den Abläufen um die Entpflichtung eines Verteidigers allgemein die rechtliche Rolle und das Selbstverständnis der Verteidigung im Verfahren. Dabei kritisiert er den Vorsitzenden Richter Sagebiel.

LG Berlin zum Mietendeckel: Das Landgericht Berlin hält den Berliner Mietendeckel für verfassungsgemäß. Das meldet LTO. Allerdings gelte das gesetzliche Verbot einer höheren Miete als der am Stichtag des 18. Juni 2019 erst ab dem 23. Februar 2020, dem Tag des Inkrafttretens des Gesetzes, und nicht bereits ab dem Stichtag.

LG Köln zu Influencerwerbung: Das Landgericht Köln hat entschieden, dass eine Influencerin auch solche Instagram-Postings als Werbung kennzeichnen muss, für die sie keine Werbeeinnahmen erhalten hatte. "Die Beklagte fördere mit ihren Bildern sowohl die Unternehmen, deren Kleidung und Accessoires sie trage, als auch das eigene Unternehmen als Influencerin", begründete das Gericht laut LTO seine Entscheidung.

LG München – Versicherungsschaden wegen Corona: LTO befasst sich am Beispiel der Klagen dreier prominenter Gastwirte und einer Münchner Kindertagesstätte, die von ihrem Versicherer die Begleichung der durch die coronabedingen behördlichen Schließungen verursachten Schäden beglichen haben wollen, allgemein mit dieser Art Klagen, die derzeit bei den Gerichten eingehen. Es geht um sogenannte Betriebsschließungsversicherungen, die allerdings die Folgen von Pandemien laut ihren Versicherungsbedingungen sehr unterschiedlich abdecken. Insofern haben diese Klagen auch eher ungewisse Erfolgsaussichten.

Rechtsprofessor Christian Armbrüster fasst auf beck-aktuell die aktuellen Diskussionen um die Beriebsschließungsversicherungen zusammen.

LG Stuttgart – Klagewelle gegen Daimler: Wie die Sa-FAZ (Susanne Preuß) berichtet, gehen beim Landgericht Stuttgart immer mehr Klagen gegen den Daimler-Konzern wegen möglicher Abgasmanipulationen an Kraftfahrzeugen ein. Allein im ersten Halbjahr waren es rund 1700. Außerdem muss sich das Gericht mit zahlreichen Anlegerklagen und mit Schadensersatzforderungen rund um das Lastwagenkartell von Daimler, MAN und Iveco befassen.

Barrierefreiheit in der Justiz: Im Interview mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) erklärt Stefanie Otte, Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle, was die Justiz macht, um Blinden und Sehbehinderten den Zugang zum Recht zu ermöglichen. Nach § 191a Gerichtsverfassungsgesetz sollen Schriftsätze und andere Dokumente eines gerichtlichen Verfahrens, in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden. Blinden oder Sehbehinderten soll so der Zugang zu Verfahrensakten erleichtert werden, und sie sollen in die Lage versetzt werden, eigene Rechte im Verfahren wahrzunehmen.

Rudolf Mellinghoff: LTO (Christian Rath) zeichnet den Lebensweg des bis vergangenen Freitag amtierenden Präsidenten des Bundesfinanzhofes und ehemaligen Bundesverfassungsrichters Rudolf Mellinghoff nach.

Recht in der Welt

Frankreich – Rechtsanwältin Gisèle Halimi: Der Spiegel bringt einen Nachruf auf die französische Rechtsanwältin, Feministin und Bürgerrechtsaktivistin Gisèle Halimi. Sie wurde unter anderem durch die Verteidigung eines minderjährigen Mädchens bekannt, das zugegeben hatte, nach einer Vergewaltigung abgetrieben zu haben – was seinerzeit noch eine Straftat war.

Irland – Gericht kassiert Klimaplan: Das Oberste Gericht Irlands hat den von der Regierung vorgesehenen Plan für den Kampf gegen den Klimawandel kassiert. Der 2017 vorgelegten Strategie fehle es an Spezifizität, die Regierung habe ihren gesetzlichen Auftrag nicht erfüllt, begründete das Gericht laut einer Meldung der taz die Entscheidung. Geklagt hatte die Umweltorganisation "Friends of the Irish Environment".

USA – Boston Attentäter: Vier Jahre nach dem Prozess um den islamistischen Bombenanschlag auf den Marathonlauf in Boston 2013 hat ein amerikanisches Berufungsgericht das Todesurteil gegen den gebürtigen Tschetschenen aufgehoben und dabei das Auswahlverfahren für die Geschworenen-Jury beanstandet. Das melden die Mo-FAZ, die Mo-taz und spiegel.de.

Sonstiges

Corona-Tests für Reiserückkehrer: Gudula Geuther (Deutschlandfunk) erläutert im Deutschlandfunk, die rechtliche Dimension von verpflichtenden Tests für Reiserückkehrer aus Risikogebieten. Es gebe gute Argumente, bei dieser einen Maßnahme streng zu sein, wenn aber etwa in Berlin Abstandsregeln praktisch nicht kontrolliert würden, wenn Party-Massenansammlungen selbst vor Kneipen so gut wie folgenlos blieben, dann müssten die Verantwortlichen noch einmal besser erklären, warum sie nur Heimkehrenden besondere Pflichten auferlegten.

Corona-Hilfen – Antragsberechtigung: Eigentlich hatte das Bundeswirtschaftsministerium angekündigt, dass auch Rechtsanwälte künftig berechtigt sein sollen, für ihre Mandanten Corona-Hilfen zu beantragen, bisher hapere es aber an der notwendigen technischen Umsetzung, erläutert LTO (Pia Lorenz). Derzeit dürfen das nur Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer. Die Anwaltsorganisationen hatten sich dafür eingesetzt, die Liste der Antragsberechtigten zu erweitern.

Corona-Kontaktdaten: Auf CRonline schreibt Rechtsanwalt Niko Härting, warum er die Vorschriften zur Sammlung von Kontaktdaten in der Gastronomie für verfassungswidrig hält. netzpolitik.org (Daniel Laufer), dass beispielsweise die bayerische Polizei Zugriff auf die Kontaktlisten zur Aufklärung von Straftaten nimmt.

Puppen, Plüschtiere etc. und Recht: Martin Rath stellt auf LTO Gerichtsentscheidungen vor, in denen es zum Beispiel um die Puppen der Käthe Kruse, den Igel Mecki, Teddybären und Playmobilfiguren geht.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. August 2020: Auflagenverstöße bei Massendemo / BGH-Urteil unter Verschluss / Barrierefreiheit in der Justiz . In: Legal Tribune Online, 03.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42381/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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